Willisauer Bote: Ein Langstreckenläufer unter den Lokalzeitungen
Der Willisauer Bote gilt als eine der innovativsten Lokalzeitungen des Landes, obwohl er eigentlich das Gleiche macht wie bereits vor 127 Jahren. Mit seinen neun Redaktoren erreicht er heute 9000 Leserinnen und Leser. Das sind zwar weniger als auch schon, aber der unabhängige Kleinverlag steht weiterhin solid verankert da im Luzerner Hinterland – auch wegen seiner kritischen, aber fairen Berichterstattung.
Man hält die Dinge einfach beim Willisauer Boten. Während andere Lokalmedien viel Kapital in gewagte Digitalstrategien investieren, konzentriert sich der unabhängige Kleinverlag aus dem Luzerner Hinterland auf das journalistische Kerngeschäft. Zweimal in der Woche, immer dienstags und freitags, steht im gedruckten «Böttu» das Wichtigste aus dem Luzerner Hinterland und dem Wiggertal. Das ist das Konzept des Willisauer Boten, seit fast 130 Jahren.
Der Chefredaktor arbeitet seit 28 Jahren und damit praktisch sein ganzes Arbeitsleben beim «Böttu». Stefan Calivers, 55, ein sympathischer Mann mit unprätentiösem Auftreten, sitzt in seinem schlichten Einzelbüro und tippt einige E-Mails. Als er in den Achtziger Jahren seine ersten Artikel für den Willisauer Boten verfasste, tat er dies auf einer Schreibmaschine im Einfingersystem. Heute sitzt er vor einem Apple-Computer mit grossem Bildschirm. «Das Einfingersystem bin ich jedoch nicht losgeworden», sagt er, beinahe entschuldigend. Dabei wirkt sein Schreibstil ausgesprochen effizient. Warum etwas ändern, das funktioniert?
«Wir verstehen unsere Zeitung als Ergänzung zu den Tagesmedien.» Stefan Calivers, Chefredaktor Willisauer Bote
In 127 Jahren Geschichte sind die Macher des Willisauer Boten stets vorsichtig vorgegangen. Einmal steigerten sie die Erscheinungsweise von zwei- auf dreimal die Woche, machten den Schritt aber wieder rückgängig. Ein anderer Versuch war es, nationales Kurzfutter aus Agenturmeldungen in die Zeitung zu integrieren. Auch davon kam man wieder ab. «Wir verstehen unsere Zeitung als Ergänzung zu den Tagesmedien», sagt Chefredaktor Stefan Calivers.
Ähnlich bedächtig geht man in Willisau mit der aktuellen Herausforderung um: Die Krise des Journalismus und die rasant voranschreitende Digitalisierung gehen auch am «Böttu» nicht spurlos vorbei. Zwar hat nach wie vor etwa jeder siebte Einwohner der Region den «Böttu» abonniert. Von 11’000 Abonnenten zu Spitzenzeiten ist die Zahl aber auf aktuell rund 9000 gesunken. Rund ein bis zwei Prozent beträgt der Rückgang jährlich – die Inserateeinnahmen sind bei ähnlich abnehmender Menge konstant. Gemäss Calivers überlege man sich darum, wie das digitale Angebot auf die neuen Lesegewohnheiten angepasst werden könne. Derzeit werden die Texte aus dem «Böttu» auf der Webseite nur angeteasert. Ein E-Paper gibt es zwar, doch haben dieses nur 42 Leser abonniert. Calivers ist überzeugt, dass der bisherige Weg mit bezahlten Inhalten auch der zukünftige ist – egal, ob gedruckt oder digital. «Im Lokalen sind unsere Inhalte exklusiv, und das bleibt so.»
Bereits viermal gewann der Willisauer Bote den Schweizer Preis für Lokaljournalismus.
Der «Böttu» ist ein Langstreckenläufer unter den Lokalzeitungen: schlank, fit und schon lange unterwegs. Neun Redaktoren teilen sich 780 Stellenprozente. Dazu kommen fünf weitere Angestellte bei der Partnerzeitung Seetaler Bote, die zusammen mit dem «Böttu» den Kern der SWS Medien AG ausmachen. Die Kleinredaktion fällt immer wieder positiv auf. Bereits viermal gewann sie den Schweizer Preis für Lokaljournalismus. So zum Beispiel für eine Sommerserie im Jahr 1998, als zwei Redaktoren als Landstreicher mit lediglich 50 Franken in der Tasche in der Region unterwegs waren. 2010 sorgte der Willisauer Bote wiederum für Aufsehen, als er in einer Sommerserie frech grosse Schweizer Medien parodierte. Aus der Schweizer Illustrierte wurde die «Schweizer Simulierte» , aus der Tierwelt wurde «Tiernapf». «Ich erhielt daraufhin sogar Anfragen aus dem Ausland», erinnert sich Calivers.
Woher kommt diese kreative Kraft? Für Calivers ist klar, was es ausmacht: «Der Teamgeist. Wir ziehen alle am gleichen Strick. Und machen unseren Job mit Herzblut.» Dieser Spirit werde von einer Generation zur nächsten weitergetragen. Kommt dazu, dass es der Zeitung gelingt, die Talente aus der Region anzuziehen. Dies auch dank einer Partnerschaft mit der Journalistenschule MAZ in Luzern. «Wir haben in meiner Zeit noch nie eine Stelle ausschreiben müssen», sagt der Chefredaktor. Dass dies die Ausnahme ist, weiss er vom «Seetaler Boten», den Calivers publizistisch ebenfalls verantwortet, auch wenn dieser weitgehend eigenständig operiert. „Es ist hier viel schwieriger, offene Stellen mit jungen Journalistinnen und Journalisten zu besetzen», so Calivers.
«Ich habe dieses oft beschriebene Nähe-Distanz-Problem von Lokaljournalisten nie so erlebt» Stefan Calivers
Wie alle Redaktoren ist Calivers in der Region verankert. Er hat mit Ausnahme seines Studiums in Bern sein Leben in Willisau verbracht. Auch seine Freizeit verbringt er in der Dorfgemeinschaft – als Jugendlicher im Fussballclub, seit vielen Jahren als aktiver Fasnächtler. Calivers gefällt die Nähe zu den Leuten, über die er schreibt. «Ich habe dieses oft beschriebene Nähe-Distanz-Problem von Lokaljournalisten nie so erlebt», sagt er. Natürlich könne der «Böttu» nicht «einfahren wie der ‹Blick›». «Schliesslich müssen wir den Leuten am nächsten Tag beim Einkaufen in die Augen schauen können.» Es sei aber auch nicht das Ziel, «Öl ins Feuer zu giessen, wenn es schon brennt.» Klar hingegen ist, dass man beim Willisauer Boten klare Vorstellungen von journalistischer Qualität und Unabhängigkeit hat. «Wir sind kein Verlautbarungsorgan. Was ins Blatt kommt, ist kein Wunschkonzert. Wir setzen die Themen nach Relevanz. Ausserdem sind wir kritisch und thematisieren immer beide Seiten.»
So hält man es beim Willisauer Boten, seit bald 130 Jahren. Sachlich und nüchtern, aber eben auch kritisch und mit Haltung. Einmal nur ist die Redaktion wirklich ausgebrochen. Und zwar anlässlich der erwähnten Sommerserie 2010 mit den Parodien nationaler Medientitel. Auch den «Blick» nahm man auf die Schippe. Als «Bleck» verkleidet thematisierte der Willisauer Bote die Absenzen der Luzerner Kantonsräte im harten Boulevardstil. Ein damals oft abwesender Parlamentarier, für den das Ganze ein Nachspiel hatte, fand das nicht so lustig. Ein Leserbrief zeigte, dass die meisten begriffen hatten, worum es bei der Aktion eben auch ging. Darin stand: «Seid froh, dass der Böttu nicht das ganze Jahr so schreibt.»
Bilder: Andres Eberhard