«Freie Journalisten sind unsere externen Ohren, Augen und Nasen»
Welche Rolle spielen freie Journalistinnen und Journalisten in den Schweizer Medien? Wir haben nachgefragt bei den Chefredaktoren. Das Ergebnis: Freie sind schlecht bezahlt, aber weiterhin sehr begehrt. Der grosse Report von Eva Hirschi.
Sind schlechte Zeiten auf den Redaktionen gute Zeiten für freie Journalisten? Oder sind schlechte Zeiten auch für Freie schlechte Zeiten? Um sich über die derzeitige Bedeutung der freien Journalisten für die Schweizer Medien ein Bild zu machen, hat die MEDIENWOCHE deshalb die Chefredaktoren befragt. Insgesamt erhielten wir 33 Antworten: von 14 Tageszeitungen, sieben Wochenzeitungen und 12 Magazinen aus der Deutschschweiz.
Auch wenn nur schwer zu ermitteln ist, wieviele freie Journalisten in der Schweiz arbeiten, so dürfte ihre Zahl über die letzten Jahre dennoch leicht zugenommen haben. Genaue Angaben zu machen, ist deshalb so schwierig in diesem Berufsfeld, weil es keine einheitliche Definition gibt, was als freier Journalismus gilt. Einen Indikator liefert der Berufsverband impressum: Von seinen aktuell 3900 Mitgliedern arbeiten 850 im freien Journalismus, das sind gut 20 Prozent der Verbandsmitglieder. Gemäss der Studie «Journalisten in der Schweiz» von Guido Keel (UVK Verlag 2011) lag 1998 der Anteil an freischaffenden Journalisten in den Printmedien bei 14,3%, zehn Jahre später bereits bei 22,9%. Heute, wiederum fast zehn Jahre später, dürfte dieser Anteil sogar rund 25% ausmachen, schätzt Stephanie Vonarburg, Zentralsekretärin von Syndicom, der Gewerkschaft für Medien und Kommunikation. «Dies leite ich einerseits davon ab, dass auch in den letzten neun Jahren der Stellenabbau bei den Medienschaffenden weiter gegangen ist und dass einige davon als Freie weiter arbeiten», so Vonarburg. «Andererseits wird der Anteil nicht wesentlich höher liegen, weil die Einkommenssituation von Freien schwieriger geworden ist und die Auftragslage durch Reduktion von Freien-Budgets schlechter.»
«Freie Journalistinnen und Journalisten sind das Rückgrat der lokalen Berichterstattung» Conradin Knabenhans, Redaktionsleiter Zürichsee-Zeitung
Um herauszufinden, welche Rolle freie Journalistinnen und Journalisten in den Schweizer Medien spielen, haben wir bei den Chefredaktionen nachgefragt; einerseits qualitativ («Wie wichtig sind freie JournalistInnen für Ihre Publikation?») andererseits quantitativ («Wie gross ist gegenwärtig der Anteil der Beiträge von Freien am gesamten redaktionellen Output?»). Bei den Tageszeitungen scheint der Anteil an Artikeln von freien Journalisten eher einen kleinen Anteil auszumachen. Die meisten Antworten bewegen sich dort zwischen 10 und 20 Prozent. Dennoch betonen einige Chefredaktoren, dass Freie für sie eine sehr wichtige Rolle spielen. Gerade in gewissen Ressorts seien diese teilweise unverzichtbar, vor allem was lokale Themen angehe, sagen beispielsweise die Chefs von St. Galler Tagblatt und das Bieler Tagblatt.
«Freie Journalistinnen und Journalisten sind das Rückgrat der lokalen Berichterstattung», weiss auch Conradin Knabenhans, Redaktionsleiter der Zürichsee-Zeitung. «Sie halten für uns Augen und Ohren offen nach spannenden, nicht-alltäglichen Geschichten. Viele von ihnen arbeiten tagsüber in anderen Berufen und ergänzen mit ihren Inputs und Hinweisen somit die eigenen Recherchen der Zürichsee-Zeitung.» Auch bei der gesellschaftlichen, sportlichen oder kulturellen Anlass-Berichterstattung an Abenden und Wochenenden werde vor allem auf Freie gesetzt. Beim Bieler Tagblatt haben die Dorfkorrespondenten eine ähnliche Funktion: «Sie sind unsere Augen und Ohren in den Dörfern, sie versorgen uns mit Informationen und Geschichten, die wir selber nicht abdecken könnten oder von denen wir ohne sie wohl gar nicht Wind bekommen würden», so der stv. Chefredaktor Parzival Meister.
«Insbesondere an Wochenenden stellt das Team der Freien für die Redaktion eine Entlastung dar» Christoph Nussbaumer, Chefredaktor Freiburger Nachrichten
Für die «Basellandschaftliche Zeitung» werden vor allem das lokale Kulturleben, insbesondere an Wochenenden, sowie die Gerichtsberichterstattung von freien Autoren abgedeckt. Auch für den Landboten sei die Zusammenarbeit in der Kulturberichterstattung unerlässlich. Die «Berner Zeitung» setze bei Regiosport und Aussenbüros auf Freie. «Der Bund» beschäftige insbesondere in den Ressorts Bern (Kanton, Region, Stadt), Kultur und Sport freie Mitarbeitende. Auch bei den Freiburger Nachrichten wird in den Lokalressorts und im Sportressort auf Freie zurückgegriffen.
Verschiedene Gründe wurden für die wichtige Unterstützung durch Freie genannt, etwa um Spitzenbelastungen abzudecken: «Insbesondere an Wochenenden stellt das Team der Freien für die Redaktion eine Entlastung dar», erklärt Christoph Nussbaumer, Chefredaktor der Freiburger Nachrichten. Das Bieler Tagblatt könnte auf die Arbeit von Freien nicht verzichten: «Wir könnten schlichtweg nicht den gesamten Output selber bestreiten», so Meister.
Bei Themen wie Nachrichten und Politik scheinen aber generell wenig Freie zum Zug zu kommen. Der «Blick» etwa gibt an, vor allem auf die eigenen Journalisten zu setzen, während aber regelmässig Freie für die Bildredaktion oder als Fotografen arbeiten würden. Auch die Zürichsee-Zeitung deckt regionale, politische Themen hauptsächlich selbst ab. Die NZZ gibt an, dass sie generell primär mit eigenen Journalisten arbeitet.
«Von unseren freien Journalisten möchten wir gerne jene Geschichten lesen, die ihnen seit Jahr und Tag unter den Nägeln brennen.» Matthias Daum, Leiter «Die Zeit Schweiz»
Bei den Wochenzeitungen scheint der Anteil an Beiträgen von freien Autoren bereits etwas grösser zu sein, hier bewegen sich die meisten Antworten bei rund 25 bis 40 Prozent. Die meisten Redaktionen (etwa Sonntagszeitung, Zentralschweiz am Sonntag, WOZ, Weltwoche, «Zeit Schweiz») gaben an, dass für sie Freie sehr wichtig seien. Für Matthias Daum, Chefredaktor der Schweizer Seiten bei «Die Zeit», ermöglichen «freie Autoren uns einen Blick auf Themen oder in Szenen, den wir selber nicht haben, der uns verborgen bleibt. Von unseren freien Journalisten möchten wir gerne jene Geschichten lesen, die ihnen seit Jahr und Tag unter den Nägeln brennen.» Bei der Zentralschweiz am Sonntag werde vor allem im Ausland-Ressort auf Freie gesetzt, aber auch bei regionalen Themen.
Am grössten ist der Beitrag von freien Journalisten ganz klar bei den Magazinen. Der Anteil an Beiträgen von Freien gemessen am gesamten redaktionellen Output.
Anders scheint dies bei themenspezifischen Wochenzeitungen zu sein, so hat jedenfalls bei der Handelszeitung die Zusammenarbeit mit Freien in den letzten Jahren abgenommen und liege momentan bei einem Anteil von nur 10 bis 15 Prozent. Und für Finanz und Wirtschaft spielten Freie Autoren sogar kaum eine Bedeutung; deren Anteil an Texten läge unter 5 Prozent. «Wir engagieren lediglich einige freie KorrespondentInnen in Ländern wie Brasilien, Südafrika oder Japan», so Chefredaktor Mark Dittli.
Am grössten ist der Beitrag von freien Journalisten ganz klar bei den Magazinen. Der Anteil an Beiträgen von Freien gemessen am gesamten redaktionellen Output bewegt sich hier in den meisten Fällen bei 30 bis 40 Prozent. Die Gründe dafür sind verschieden. Auf der einen Seite würden freie Journalisten als Experten oder als Unterstützung für einzelne Ressorts benötigt, so etwa bei Schweizer Illustrierte, «Bolero», «Style», «Bilanz» und Glückspost.
«Die Freien realisieren Geschichten, auf die wir selber nicht gekommen sind, vielleicht auch nie gekommen wären» Sven Broder, Reportagenchef Annabelle
Auf der anderen Seite liefern sie, ähnlich wie bei den Zeitungen, wertvolle Artikelideen: «Freie sind eine ebenso wichtige wie willkommene Ergänzung zum bestehenden Redaktionsteam. Sie sind quasi unsere externen Ohren, Augen und Nasen. Sie realisieren Geschichten, auf die wir selber nicht gekommen sind, vielleicht auch nie gekommen wären – oder sie setzen die Geschichten um, für die uns im Team gerade die Zeit oder die Manpower (Girlpower) zur eigenen Umsetzung fehlt», sagt Sven Broder, Leiter des Ressorts Reportagen bei der Annabelle. Auch für den «Beobachter» sind freie Journalisten wichtig: «Dies betrifft einerseits Ideen und Story-Angebote, die thematisch gut in unser Magazin passen, aber auch freie Mitarbeiter, die wir für Aufträge anfragen können, die wir nicht selber erledigen können», erklärt Chefredaktor Andres Büchi. Den Anteil an Beiträgen abzuschätzen sei aber für beide Publikationen schwierig und variiere stark.
Für kleinere Magazine wie Wir Eltern oder «Tierwelt» sind freie Autoren gar unverzichtbar: «Wir sind eine relativ kleine Redaktion und könnten ohne Freie die «Tierwelt» und das Zusatzmagazin, das wir wöchentlich für Kleintierzüchterinnen und Kleintierzüchter machen, nicht in dem heutigen Umfang stemmen», so Chefredaktor Simon Koechlin. Die Chefredaktorin von Wir Eltern, Karen Schärer, erklärt die Notwendigkeit von Freien folgendermassen: «Wir arbeiten einerseits konstant mit festen Freien zusammen, die gewisse Rubriken eigenständig verantworten. Andererseits publizieren wir pro Ausgabe ca. zwei Artikel von freien Journalistinnen und Journalisten.»
Die Zusammenarbeit sieht in allen Redaktionen unterschiedlich aus. In den meisten Fällen besteht allerdings eine Kombination aus unaufgefordert eingereichten Angeboten und erteilten Aufträgen. Einige Redaktionen haben dafür einen Stamm an freien Journalisten, mit denen sie regelmässig zusammenarbeiten, oder aber gewisse freie Autoren übernehmen eine ganze Rubrik oder eine Kolumne. Bezahlt werde je nach Zusammenarbeit mit einem Arbeitsvertrag, auf Honorarbasis pro Artikel oder im Stundenlohn.
«Es ist nicht üppig, aber im Vergleich zu anderen Zeitungen ähnlicher Grösse gut alimentiert»: Antwort auf die Fragen nach der Höhe der Honorare
Wie zu erwarten war, sind finanzielle Fragen für viele Medienunternehmen ein Tabuthema. «Eine substanzielle Summe» oder «Es ist nicht üppig, aber im Vergleich zu anderen Zeitungen ähnlicher Grösse gut alimentiert» lauteten die schönsten Worthülsen. Umso erfreulicher ist es, dass einige Chefredaktoren die Karten wenigstens teilweise offenlegten. Vergleiche lassen sich hier natürlich kaum ziehen, da die Kosten überall anders berechnet werden; inklusive Bildmaterial von Freien oder nur Text; gemessen am Redaktionsbudget oder gemessen am Gesamtbudget. Dennoch möchten wir diese Zahlen hier transparent machen.
Natürlich ist beim Magazin «Reportagen» fast das ganze Budget für die Honorare von Freien vorgesehen, besteht doch das Magazin zu 80% aus Artikeln von freien Journalisten. Beim Magazin Wir Eltern machen die Kosten etwa die Hälfte des Redaktionsbudgets aus. Beim Bieler Tagblatt beträgt der Honoranteil rund 11,5 Prozent des gesamten Redaktionsbudgets. Bei der Annabelle sind es knapp 10 Prozent des Gesamtbudgets, bzw. rund 13 Prozent der Personalkosten. Bei den Freiburger Nachrichten entspricht das Budget für Freie rund 1,5 Vollzeitstellen.
Bei der «Berner Zeitung» machen die Honorare für Text und Bild ca. 2 Millionen Franken pro Jahr aus. Die WOZ hat ein jährliches Budget 500‘000 Franken für Freie. «Der Bund» gibt 350‘000 Franken für Freie aus. Bei Finanz und Wirtschaft belaufen sich diese Ausgaben auf 80‘000 Franken pro Jahr.
Vergleichsweise tiefer sind die Honorare bei den Tageszeitungen, da oft nicht nach Aufwand, sondern fix pro Artikel bezahlt wird.
Was dies für die einzelnen Honorare bedeutet, ist schwer abschätzbar. Eine aktuelle, repräsentative Studie fehlt, doch findet man in verschiedenen Publikationen einzelne Angaben. So scheinen Sonntagszeitungen relativ fair zu honorieren, oftmals mit einen Tagesansatz von 500.-. Bei Magazinen springe manchmal je nach Aufwand auch mehr raus. Tiefer sind die Honorare bei den Tageszeitungen, da oft nicht nach Aufwand, sondern fix pro Artikel bezahlt wird. Für eine Seite variieren die Preise grob zusammengefasst von 400 bis 1000 Franken, manchmal verdienen Freie aber auch nur 150 bis 300 Franken für 5000 Zeichen.
Aber alles in Allem spüren den Spardruck auch die Freien bei der Honorarentwicklung: «Wir haben festgestellt, dass in den letzten Jahren die Honorare für Freie vor allem von den grösseren Zeitungen um bis zu zwei Drittel gesunken sind», sagt Leo Coray von der Arbeitsgemeinschaft Freier Berufsjournalisten bei impressum.
Ob unverzichtbar oder nicht: In fast allen Schweizer Medien bilden freie Journalisten eine wichtige Ergänzung zu den angestellten Journalisten, sei dies einerseits zur Entlastung der Redaktion, oder andererseits für frische Ideen und neue Themen. Dennoch lassen Spardruck, tiefere Budgets und sinkende Honorare die Zukunftsperspektiven nicht gerade rosig erscheinen: Schlechte Zeiten im Journalismus bedeuten leider nicht unbedingt gute Zeiten für freie Journalisten.