Adblocker sind nur der Vorgeschmack
Tamedia sperrt neuerdings Nutzer von Adblockern auf 20min.ch und tagesanzeiger.ch aus: keine Werbung, keine Inhalte. Für viele Nutzer ist aber nicht nur die Werbung ein Problem, sondern auch die Datenaufzeichnung. Vermehrt blockieren Browser solches Tracking gleich automatisch. Und auch das Gesetz will die Datensammler bremsen.
Sie ist wieder aufgeflammt, die Diskussion um Adblocker. Die Beiträge auf den Websites tagesanzeiger.ch und 20min.ch können mit aktivem Adblocker nicht mehr aufgerufen werden, es sei denn, man zahlt zwei Franken pro Woche oder schaut sich vor der Lektüre ein Werbevideo an.
Diesem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, störende oder aufdringliche Werbung sei die Wurzel allen Übels. Aus Nutzersicht gibt es aber ein weiteres, weit gravierenderes Problem: Tracking und Profiling, ohne das moderne Onlinewerbung nicht mehr auskommt. Dieses ungefragte Sammeln von Daten über das Nutzungsverhalten ist eines der Gründe, weshalb Leserinnen und Lesern einen Adblocker installieren, als digitale Selbstverteidigungsmassnahme, wie sie auch Fachstellen empfehlen.
Spätestens jetzt hätte die Werbeindustrie merken müssen, dass die Diskussion über Adblocker eine ganz neue Dimension erhält.
Bei der Analyse des Hackerangriffs auf den deutschen Bundestag im März diesen Jahres stellte sich heraus, dass die Schadsoftware über Onlinewerbung eingeschleust worden war. Als Folge empfahl das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI ausdrücklich den Einsatz von Adblockern als Schutzmassnahme. Spätestens jetzt hätte die Werbeindustrie merken müssen, dass die Diskussion über Adblocker eine ganz neue Dimension erhält. Der Elefant im Raum wird jedoch kaum wahrgenommen. Programmatic Advertising, also gezielte Ausspielung von Onlinewerbung aufgrund von möglichst vielfältigen und genauen Nutzerdaten, ist der heilige Gral der Verlage/Plattformen wie auch der Onlinewerber. Aber damit könnte bald schon Schluss sein.
Einerseits erlassen Gesetzgeber neue Spielregeln, letztes Beispiel ist die neue Datenschutz-Richtlinie der EU, welche klare Grenzen setzt und die Bedingungen für die Datenerhebung- und bearbeitung stark zugunsten der Nutzer festgelegt hat.
Wer wegen eines Adblockers ausgesperrt, respektive zum Zahlen aufgefordert wird, kann auf einen Browser mit Tracking-Blocker ausweichen und damit die Werbung ausblenden lassen.
Andererseits beginnen aber auch Browserhersteller wie Apple (Safari) und Mozilla (Firefox) ihre Nutzer besser vor Tracking zu schützen. Das hat amerikanische Werbeorganisationen dazu veranlasst, bei Apple zu intervenieren, weil solche Massnahmen die Onlinewerbung ins Mark treffen. Solche Tracking-Blocker sind zugleich Adblocker. Öffnet man beispielsweise 20min.ch mit Firefox im trackingfreien Privatmodus, findet man eine werbefreie Website vor sich. Was auch heisst: Wer wegen eines Adblockers ausgesperrt, respektive zum Zahlen aufgefordert wird, kann auf einen Browser mit Tracking-Blocker ausweichen und damit die Werbung ausblenden lassen.
Tracking-Blocker sind noch kein Massenphänomen wie die Adblocker. Das könnte sich ändern, wenn sie zur Grundfunktionalität eines Browsers gehören. Apple hat eine Version seines Safari-Browsers angekündigt, bei dem der Trackingblocker standardmässig eingeschaltet ist, Firefox, könnte schon bald nachziehen. Mozilla bietet für die mobile Nutzung bereits den Browser Firefox Klar an, der automatisch Seiten im Privatmodus aufruft, also das Tracking und Werbung blockiert.
Etwas anders sieht die Lage aus für Google. Der dritte grosse Browserhersteller neben Apple und Mozilla wird Tracking auch weiterhin unterstützen müssen wegen seinem Werbegeschäft, das darauf basiert, das Verhalten der Nutzer aufzuzeichnen und zu verfolgen, um dann die passende Anzeige einblenden zu können. Die neuen gesetzlichen Regelungen sowie die technologische Entwicklung hin zu Browsern mit integriertem Tracking-Blocker wird auch Google zu spüren kriegen. Anzeigen aus seinem weltweit führenden Werbenetzwerk sind ebenfalls betroffen und von Browsern mit Tracking-Blocker ausgefiltert.
Noch mehr Sorgen machen müssen sich allerdings die Werbenetzwerke von Medienhäusern Tamedia, NZZ Audience und natürlich Admeira, die in den letzten Jahren viel Geld und Energie in die tracking-basierte Werbung, etwa Programmatic Advertising, investiert haben.
DoNotTrack 02. November 2017, 15:48
Gut so! Denn die „freiwillige Selbstverpflichtung“ funktioniert nicht.
Die Werbeterroristen hatten ihre Chance. Es gab das „DoNotTrack“-Flag. Was hat das genützt?
Ich bin einer der Benutzer die dieses Flag gesetzt haben. Trotzdem laufen bei mir Ghostery und uBlock Orgin auf vielen Seiten komplett voll. 40 Tracker sind keine Seltenheit.
Und sitzen sie da die Widerlinge vom Werbeterrornetzwerk und zürnen Apple, Mozilla und co.. Selber schuld! Euer Konzept ist tot! Also mit Konzept meinen die ja; ein Geisteskranker sitzt den ganzen Tag neben einem und erzählt immer die drei genau gleichen Witze, weil man sie einmal lustig gefunden hat.
In diesem Sinne: Wer den „DoNotTrack“ nicht ehrt, ist des Seitenbesuchs nicht wert.
Alfred Seiler 05. November 2017, 18:42
“OK. There is no free lunch” und journalistische Arbeit soll angemessen bezahlt werden. Störend ist aber, dass auch on-line Zeitungen für die der Leser mehrere hundert Franken Abo-Gebühren bezahlt hat munter zig – z.T. ausländische – Sekundär-Sites ihre Scripts ausführen lassen; N.B. für die meisten Digital-Naives unbemerkt. Auch wenn dies und die damit verbundene Nutzung der gesammelten Daten in den AGB erwähnt werden, sind letztere oft schwammig abgefasst und schliessen darüber hinaus auch noch die Haftung für durch Schadsoftware Dritter entstandene Schäden aus (Ihr Beispiel Deutscher Bundestag). – Vorsätzliche und durch technische Komplexität bedingte Intransparenz beim Datensammeln werden vermehrt nicht länger akzeptiert und in der Tat sind Adblockers lediglich der Vorgeschmack der Abwehrmassnahmen. Apple, Mozilla antworten auf ihre Weise, der schweizer Browser «SnowHaze» und andere VPN Anbieter haben die Marktlücke entdeckt und es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis ein kommerzieller Internetanbieter entsprechende «one-stop» Lösungen zur Wahrung der Privatsphäre, Datensicherheit etc. anbietet. – Wie einige Beispiele (WOZ, Monde Diplomatique, Journal21) zeigen, gibt es auch viel einfachere und Lösungen: keines Schnüffel-Scripts, Möglichkeit ganze Zeitung als pdf herunterzuladen; kostet was, ist aber ehrlich und für den Kunden transparent.
Werbeverleiteter 07. November 2017, 13:17
Da brechen Sie ja fast schon eine Omerta.
Aufgefallen ist mir das beim letzten Neurechner, als ich den Browser probeweise erst mal ohne Adblocker konfiguriert habe. Von irgendwas müssen die Medien ja leben, zudem ich davon selbst broterwerbstechnisch auch irgendwie profitiere.
Ich habe dann bei manchen meiner Lieblingssites mal nachgefragt, ob sie denn gar keine Möglichkeit haben, alternativ unspezifische Ads an Trackingverweigerer ausspielen zu lassen.
Aber reale Abhängigkeits- und Machtverhältnisse machen das wohl eher zu einer naiven bis irrwitzigen Frage, die man besser gar nicht erst ignoriert.
Wieder so ein Problem, welches man am liebsten durch Verdrängung bewältigen würde. Bis es zu groß geworden ist.
Wäre das Ausspielen ohne Tracking nicht eine neue Nische? Oder zahlen die Schaltenden nur noch für die gesammelten Daten und das Ausspielen der Ads ist im Verhältnis nur noch Bruchteile dessen wert?
Burkhard Schröder 07. November 2017, 18:03
Ich sitze in Deutschland und habe etwas mehr als 4 Minuten benötigt, um die im Artikel genannten beiden Webseiten quasi „wieder sichtbar zu machen“. Das sollte doch auch Schweizern gelingen?
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Michael Laubacher 07. November 2017, 17:51
Es ist für mich unverständlich, dass diese Problematik von Verlagen nicht erkannt wird.
Ich habe nichts gegen Werbung, denn ich weiss, dass diese zur Finanzierung von Journalismus beiträgt. Aber ich habe sehr wohl etwas gegen Tracking.
In Zukunft werden wohl sehr viel mehr Benutzer ein Tracking nicht mehr in Kauf nehmen und damit die Verlage zum umdenken zwingen.
Thomas Paszti 14. November 2017, 15:52
Firefox Quantum bietet ab sofort die Möglichkeit, die „Aktivitätenverfolgung“ in den Grundeinstellungen zu aktivieren. heise.de: Vor ungewollter Verfolgung durch Werbenetzwerke schützt eine mit Version 42 eingeführte „Tracking Protection“, die ab sofort in allen Tabs und Fenstern arbeitet, und nicht mehr nur in „privaten Fenstern“.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Firefox-Quantum-ist-da-Groesstes-Update-aller-Zeiten-3889741.html