Vier Jahre «Watson»: ihr macht einiges anders als die anderen. Und das ist manchmal besser.
Das Online-Portal der AZ-Medien behauptet auch nach vier Jahren seine Stellung als innovativer Neuling in der schweizerischen Medienlandschaft. Doch was ist ausser lustigen Listicles und native Advertising geblieben? Eine Geburtstagskarte.
Liebes Watson, vier Jahre ist das jetzt also schon her, seit «Watson» am Abend des 22. Januar 2014 überraschend online ging. Ich erinnere mich noch sehr gut. Ich war sicher um einiges gespannter auf euren Start als der durchschnittliche Medienkonsument. Weil ich selbst in der Branche arbeite, mehr als die halbe «Watson»-Belegschaft schon vorher kannte und – ganz ehrlich – für einen Moment damit liebäugelte, bei diesem Projekt mitzuarbeiten. Toll, gab es da mit Peter Wanner einen Verleger, der noch Geld für etwas Neues in die Hand nehmen wollte. Toll, war da mit Hansi Voigt auch jemand, der eine sehr klare Vorstellung davon hatte, was er machen wollte. Vor allem: was er neu und anders machen wollte als bei seinem früheren Arbeitgeber.
Allerdings war ich von Anfang an darüber irritiert, wie vollmundig ihr euch ins Spiel brachtet. Mir bleibt eine Szene in Erinnerung, auf die ich im Web stiess und in der Hansi sein Team einschwor: «Wir machen es besser als die anderen, aber das müssen wir die ja nicht wissen lassen», sagte er sinngemäss. Das war wohl gut und wichtig für die Moral – ich hätte es aber besser nicht gesehen. Denn fortan mass ich «Watson» an seinem Hochmut. Da konntet ihr fast nur verlieren. Übrigens fühle ich mich derzeit wieder in einer ähnlichen Situation mit der «Republik».
Ich fragte mich ob der ersten Listicles und Katzenvideos, wo denn nun die Revolution sei, die ich angesichts der Vollmundigkeit im Vorfeld erwarten durfte.
Trotzdem hatte ich die App schnell installiert und nutzte sie schon bald öfter als jene von «20 Minuten». Auf Facebook wurde ich – etlichen gemeinsamen Freunden sei Dank – mit «Watson»-Content fast schon zugespamt. Keine Frage: Die sozialen Medien waren von Anfang an genauso wichtig wie App und Website.
Etwas ratlos liessen mich zu Beginn die langen Titel und die bunte, chaotisch anmutende Optik. Auch was ihr mit eurem Werbeslogan «News unfucked» meintet, konnte ich erst viel später nachvollziehen. Gemeint ist – correct me if I’m wrong – eine unaufgeregte Berichterstattung, die der Verlockung widersteht, alles unreflektiert rauszuhauen. Das habe ich in den vergangenen Jahren ein paar Mal beobachten können, das war erfrischend, danke. Zu sagen, ihr hättet diese «Ungeficktheit» für euch gepachtet oder dass sie permanent gälte, wäre aber übertrieben. Nun ja, mittlerweile habt ihr einen anderen, langweiligeren Slogan: «News anders sehen.»
Müsste ich Artikel aufzählen, die mir in Erinnerung geblieben sind, wird es schwierig. «Watson» hat bei mir eher mit Formaten gepunktet und mit einem Stil, der vielleicht nicht unverkennbar, aber doch sehr eigen ist. Von Hand gezeichnete Infografiken, Hasstiraden auf Delfine oder mit Sprechblasen versehene Stock-Fotos – eindeutig, hier versteht man Web-Trends und: hier darf auch mal experimentiert werden. Heute würde ich «Watson» so zusammenfassen: (vorwiegend) junge Menschen machen News und andere Internet-Sachen für ein junges Publikum.
Kurz nach dem Start beschlich mich gar das Gefühl, ihr «Watson»-Mitarbeiter hättet mehr Spass beim Arbeiten als die «Watson»-User beim Lesen. Und hin und wieder fragte ich mich (als ehemaliger AZ-Mitarbeiter) wie sich wohl die Journalistinnen und Redaktoren im Stammhaus fühlen, die mit der x-ten Sparrunde konfrontiert sind, aber zusehen müssen, wie «Watson» im hippen Zürich West ihr eigenes Süppchen kochen dürfen. Aber eben, innovatives Projekt… braucht Zeit… undsoweiter. Und mittlerweile habt ihr ja auch Federn lassen müssen.
Was war da noch in den vier Jahren? Genau, eine fast permanente Debatte über Native Advertising. Ob man es nun gut findet, Journalismus mit kommerziellem Pseudo-Journalismus zu quersubventionieren, oder nicht – ihr habt Innovationsgeist und Rückgrat bewiesen und mittlerweile machen es ja doch alle, ob sie einst wollten oder nicht. Der Abgang vom Gespann Hansi Voigt und Olaf Kunz, der mit einigen anderen (unfreiwilligen) Abgängen einherging – die Leserschaft hat weniger davon mitbekommen als man hätte vermuten dürfen.
Da waren des Weiteren ein paar prominente Platzierungen bei Rankings des «Schweizer Journalisten» sowie mit Maurice Thiriet ein neuer Chefredaktor, der öfter in lustigen Videos auftaucht als sein Vorgänger. Mit Michael Wanner als Geschäftsführer kam auch eine verstärkte Anbindung an die AZ-Publizisik (aktuell zu sehen an der prominenten Werbung für die Virgin Radios). Und dann natürlich die schon lange angekündigte, aber nun definitive Expansion nach Deutschland.
Da ist bei manchem Konkurrenten im selben Zeitraum deutlich weniger gelaufen (auf Konzern-Ebene natürlich schon).
Jedenfalls nochmals happy Birthday, Watson. Ihr habt euch wacker geschlagen und habt euren Platz in der Schweizer Medienlandschaft gefunden und vielleicht auch den einen oder anderen medienfaulen Twen für relevante Themen begeistern können. Nicht mehr wegzudenken seid ihr deswegen nicht, aber gut, dass es euch gibt. Jetzt habt ihr noch ein Jahr Zeit, um den Break-Even zu schaffen (nachdem ihr ihn ursprünglich schon letztes Jahr hättet erreichen sollen). Ich wünsche euch dabei viel Glück.
Erlaubt mir, ein paar Geburtstagswünsche aus der Leserperspektive zu formulieren (ohne Anspruch auf Gültigkeit ausserhalb meines Hirns):
- Bitte mehr Video-Formate wie «Wein doch» oder «Emily National»! Da kann selbst das Schweizer Privatfernsehen nur neidisch lugen.
- Gebt Knackeboul ein neues Format; «die 10…»-Typologien sind langsam durch.
- Weiter so mit Selbstironie, Personalisierung und Selbstinszenierung; das hat Pfiff (jedenfalls mehr als das Wort Pfiff).
- Mehr von Peter Blunschi! Nüchtern, unprätentiös, analytisch – z.B. hier.
- Nehmt ruhig ein wenig Humor raus und habt dafür mehr Mut zur Substanz (wie beim langen Schawinski-Interview zur «No Billag»-Initiative.
- Die Blogs sind ziemlich eingeschlafen. Hier täte eine provokative, unverbrauchte Stimme gut, gepaart mit etwas Risiko.
Alles in allem macht ihr einiges anders als die anderen. Und das ist manchmal besser. In diesem Sinne, liebes Watson, bleib (ungefähr) so, wie du bist.
Frank Hofmann 24. Januar 2018, 10:45
Weil Watson so gut ist, setzt man Links auf der AZ. Was der Klickzahl bestimmt nicht schadet.
Hansi Voigt 25. Januar 2018, 10:15
Hansi Voigt Schönes Geburtstagsständli vom Reto, aber noch biz Ehre, wem Ehre gebührt. Ich werd genug gefeiert. Die wahren Ur-Gründungshelden Franz Ermel und Steven Goodman sollten hier nicht vergessen gehen. Genauso wenig, wie die bärtige Anfangscrew, bestehend aus Manuel Bühlmann, Biggles Sven Rüf, Aurel Stevens, Martin Lüscher, Michael Schaufii Schaufi Schaufelbühl, Gabriel Anliker, Marius Egger, Toggi Toggweiler der total verrückte Dr. Adrian Ulrich und die grossartige Evelyne Evelyne Allgäuer-Siegenthaler. (beide ohne Bart). Und last but not least Andy Lanzone und Michael Würzer. Haben allesamt gegen die vage Aussicht, vermutlich maximal sechs Monate Lohn bezahlt zu bekommen, Top-Jobs beim sicheren Arbeitgeber hingeschmissen. Die einen haben in sieben Monaten ein CMS zusammengezimmert, um das die Branche watson immer noch beneidet, die anderen haben vorbereitet, dass 45 Journis von Olaf bis Löpfe 15 Arbeitstage nach ihrem Stellenantritt am 2. Januar lospublizieren konnten. Und damit genug der Historie.
Mein grösster Verdienst bei watson war nicht die Gründung, sondern mein Abgang. Dass watson nicht auseinander, sondern zu einer noch verschworeneren Crew zusammengefallen ist, zeigt, wie geil die Leute sind und dass wir in unserem dezentralen Führungsverständnis sehr viel richtig gemacht haben. Und darauf, und auf alles, was die vielen neuen Leute unter der Leitung von Dick Mo so alles machen, bin ich mächtig stolz. Und ausserdem einen Dank an Michael und Peter Wanner. Ohne ihr finanzielles Commitment wärs vorbei mit all der Kreativität. Aber das wird sich auf lange Sicht auszahlen! Hopp watson!