Und jetzt? Wie weiter nach «No Billag»?
Die Schlacht ist geschlagen, «No Billag» gebodigt, doch wichtige Debatten zur Zukunft der Schweizer Medien stehen jetzt erst an. Wie weiter? Die MEDIENWOCHE hat gefragt und Antworten erhalten von Vertreterinnen und Vertretern aus SRG, privaten Medien, Wissenschaft und Politik.
Jetzt raus aus den Gräben
Nun müssen Taten folgen
Wie Kinder prügelnder Eltern
Jetzt den Service public neu und enger zu definieren
Mutig in die Zukunft – fertig genörgelt!
Die Tage des öffentlichen Rundfunks sind gezählt
Wir sind eine Schweiz
Die SRG in der heutigen Form wird es so nicht mehr geben
Ein Ja für unsere Vielfalt
Wir müssen mehr für den Journalismus tun
Weiterentwicklung des erfolgreichen Schweizer Mediensystems
Bewegt sich nun doch noch etwas in der Medienpolitik?
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Jetzt raus aus den Gräben
Die deutliche Ablehnung der «No Billag»-Initiative zeigt die Reife der Schweizer Stimmberechtigten: Sie wollen weiterhin publizistische Vielfalt, d.h. medialen Service public und Privatmedien.
Dieser Punkt ist eindeutig – viel mehr indes nicht. Ideal wäre jetzt eine Zeit des Nachdenkens und auch der Selbstkritik. Die Umbrüche, welche die Digitalisierung auch in der Medienproduktion und der -nutzung mit sich bringt, wurden in den letzten Diskussionen allzu oft überlagert. Vergangenheit und Gegenwart waren präsenter als die Zukunft, kleinteilige Eigeninteressen und Feindbilder wichtiger als Weitsicht.
Bereits sind weitere parlamentarische Vorstösse angekündigt und Gesetzrevisionen sowie die Erneuerung der SRG-Konzession der SRG, und die Erarbeitung eines neuen Mediengesetzes sind im Gang, die verschiedenen Akteure haben sich bereits – teils neu – in Position gebracht.
Doch jetzt sollten Grabenkämpfe beendet und mit Weitblick ein Ziel angesteuert werden sollte: Die Gestaltung und Sicherung eines zukunftsfähigen, vielfältigen, qualitativ hochstehenden Medienplatzes.
Richtschnur scheinen mir folgende Grundfragen zu sein:
- Was nützt dem Medienplatz Schweiz heute, aber vor allem auch in Zukunft? Was stärkt ihn, was schränkt ihn ein?
- Welche Medienordnung ist am besten geeignet, vielfältige und gesicherte Informationen für unser Land zu liefern und so Gemeinschaft zu stärken?
- Wieviel Regulierung braucht es? Bzw. wie wenig muss es sein, damit sinnvolle Entwicklungen nicht behindert werden?
Die Wissenschaft und auch die Eidgenössische Medienkommission haben sich mit vielen Aspekten befasst, die Erkenntnisse flossen nur ansatzweise in die Debatten ein. Jetzt ist es Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und die Diskussionen auf einer Agora zu führen.
Ich denke etwa an die internationalen Studien, die belegen, dass ein starker Service public allen hilft, weil er das Vertrauen in Institutionen und Medien stärkt.
Ich denke an wissenschaftliche Aussagen zur Werbung, die besagen, dass ein Werbeverbot für die SRG nicht à priori die Privaten stärkt.
Und ich denke an die Finanzierung: Weshalb ist es so schwierig, offen über direkte Medienförderung zu reden? Es ist offenkundig, dass zukunftsträchtige Geschäftsmodelle für den Journalismus fehlen. Auch bei engagierten und begabten Verlegern. Weltweit. Weshalb also nicht neue Lösungen prüfen? Die EMEK hat in ihrem ersten Papier eine entsprechende Stiftung vorgeschlagen. Doch vielleicht gibt es auch ganz andere Wege – einen Mediengutschein etwa, analog zu Bildungsgutscheinen.
Es ist eine möglichst ideologiefreie und zukunftsorientierte Diskussion gefragt, die weit über die SRG hinausgeht.
Nun müssen Taten folgen!
Nun ist also dieser monatelange, rhetorisch-religiöse Schlagabtausch vorbei. Das Monster namens «No Billag» ist gebodigt, die SRG kann aufatmen. Oder auch nicht.
Die Initiative war radikal, vielen Stimmbürgern zu radikal. Trotzdem muss man den Initianten hoch anrechnen, dass es ihnen gelungen ist, eine Grundsatzdiskussion über die SRG und den Service Public anzustossen, die zuvor jahrzehntelang verhindert wurde. Eine Grundsatzdiskussion löst man mit einer radikalen Initiative eher aus als mit einem Kompromissvorschlag.
Nun haben wir endlich Klarheit: Die Schweiz will staatlich subventionierte Medien für den sogenannten Service Public. Dieses Abstimmungsresultat ist zu akzeptieren. Gleichzeitig sind die Politiker an ihre vollmundigen Versprechen zu erinnern. Die Bevölkerung wurde dadurch besänftigt, dass man eine Redimensionierung bei der als übermächtig empfundenen SRG und bessere, weil fairere Bedingungen für private Anbieter in Aussicht stellte. Nun müssen Taten folgen.
Gefragt sind Mut und konsequentes Handeln. Es bietet sich jetzt die einmalige Chance für die Einführung eines echten, dualen Systems. Das heisst: Die SRG finanziert sich ausschliesslich über Gebühren und erhält ein Werbeverbot rund um die Uhr. Um eine echte Medienvielfalt zuzulassen, lanciert die SRG nach dem Subsidiaritätsprinzip keine neuen Angebote, die bereits von privaten Veranstaltern abgedeckt werden. Die SRG konzentriert sich auf Information und verzichtet auf Unterhaltung. Private Veranstalter finanzieren sich grundsätzlich über den Werbemarkt. Dort, wo dies durch die fehlende Marktgrösse nicht möglich ist, werden auch (regionale) private Medien durch öffentliche Gebührengelder finanziert. In diesem Fall erhalten sie weiterhin einen Leistungsauftrag für die Erbringung von Service Public Leistungen, verzichten jedoch neu – genau wie die SRG – komplett auf Werbeeinnahmen und Unterhaltung. Kurzum: Ein privater Veranstalter muss sich entscheiden, ob er am Werbemarkt teilnehmen möchte oder darauf verzichtet und dafür Gebühren für die Erfüllung eines öffentlichen, klar definierten Leistungsauftrages erhält. Die Vermischung von Werbeeinnahmen und Gebühren gäbe es dann sowohl bei der SRG wie auch bei den Privaten nicht mehr. Nur so lassen sich weitere Marktverzerrungen vermeiden. Und nur so ist ein gesundes Nebeneinander von SRG und Privaten, von gebühren– und werbefinanzierten Medien möglich.
Will man diesen einfachen und gleichzeitig sehr konsequenten Weg nicht gehen, wird die SRG noch stärker zum Spielball von Politik, Verlegern und Partikularinteressen. Dann wäre ein JA zu «No Billag» das weitaus kleinere Übel gewesen.
Die Rechten werden die SRG vor sich her prügeln
Uff, gewonnen. Sogar anständig gewonnen. Aber das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) wird nach der «No Billag»-Initiative nie mehr dasselbe sein wie zuvor. Das Abstimmungsresultat sind noch nicht abgesichert, beginnen die Parteien schon ihre Forderungen in jedes offene Mikrofon zu tröten. Die FDP verlangt eine Gebührenbefreiung der Unternehmen, die SVP eine grundsätzliche Reduktion der Sender und der Gebühren. Es klingt wie eine Drohung: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung.
Die «No Billag»-Initianten, die gerade erbärmlich abgestraft worden sind, schwatzen sich zu Helden hoch. Und die öffentlichen Sender geben ihnen reichlich Platz dafür. «No Billag»-Mensch Oliver Kessler mag wie ein harmloser Staubsaugervertreter wirken, ist aber ehrgeizig, rechts und sehr libertär. Dank «No Billag» ist er medial bekannt. Er wird versuchen, diese Prominenz auszunutzen und krasse Ideen pushen – nur um nicht wieder im politischen Nichts zu verschwinden. Und die Medien werden ihm beistehen, auch die SRF-JournalistInnen. Denn sie werden sich nicht getrauen, ihn und seine Freunde zu ignorieren, wie sie das in den 1990er Jahren noch taten.
Die SRF-JournalistInnen verhalten sich zunehmen wie Kinder schlagender Eltern. Sie versuchen ihre Eltern zufrieden zu stellen, sind noch artiger und angepasster, in der Hoffnung, das Wohlverhalten werde mit weniger Prügel und mehr Liebe belohnt. Dem wird aber nicht so sein. Die Rechten werden die SRG vor sich her prügeln – weil es so schön ist und die sich immer weniger wehren. Und das ist das eigentliche und unheimliche Ergebnis dieser Abstimmung.
Jetzt den Service public neu und enger zu definieren
Der Verband Schweizer Medien VSM begrüsst das Nein. Die gut 70% Ablehnung dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass in der letzten GfS-Umfrage 60% der Befragten der SRG einen Sparauftrag erteilen wollten.
Die heftige Debatte im Vorfeld zur Abstimmung hat die SRG veranlasst, sich Veränderungen vorzunehmen. Diese zielen für den VSM in die richtige Richtung, gehen aber noch zu wenig weit. Erfreulich ist, dass die SRG sich nach Jahren der rücksichtslosen Expansion auf die verfassungsmässige Vorgabe der Rücksichtnahme auf die Privaten zurückbesinnt.
Der Verlegerverband fordert vom Bundesrat jetzt einen Marschhalt: Verzicht auf die geplante RTVV-Anpassung und Sistierung der in Vernehmlassung befindlichen Konzession, die der SRG eine fast unbeschränkte Expansion im Netz zugestehen würde. Es ist nun an der Politik, den Service public neu und enger zu definieren. Aus Sicht des VSM ist dafür kein neues Gesetz über elektronische Medien nötig. Dafür fehlt die Verfassungsgrundlage. Eine rasch an die Hand genommene RTVG-Revision ist ausreichend.
Der VSM befürwortet ein gebührenfinanziertes, demokratierelevantes Service-public-Angebot der SRG mit Fokus auf Information. Er erwartet aber, dass die Gebühren für einen echten Service public und nicht zur Konkurrenzierung des privaten Angebots genutzt wird. Die Abgrenzung des SRG-Angebotes zu demjenigen der Privaten muss jetzt trennscharf definiert werden. Der VSM fordert medienpolitisch Folgendes: Die SRG beschränkt sich auch zukünftig auf Radio und Fernsehen mit nationaler Klammerfunktion. Nur was sie in ihren linearen Sendungen ausstrahlt, bietet sie auch online an. Die SRG lanciert keine presseähnlichen Digitalangebote und keine ausschliesslich für das Web produzierte Formate.
Die SRG verzichtet auf die weitere Kommerzialisierung. Beim Eingehen von Kooperationen gewährleistet sie Diskriminierungsfreiheit und vermeidet damit aktiv Marktverzerrungen. Aus der Werbeallianz Admeira zieht sie sich bedingungslos und schnellstmöglich zurück.
Mutig in die Zukunft – fertig genörgelt!
Die letzten Monate waren eine nervenzerrüttende, verunsichernde, emotionale Zeit für mich als SRF-Radiojournalistin. Da waren die Momente, wo ich jene, die Kampagne machten, um die SRG abzuschaffen, ruhig und höflich interviewen musste. Ohne mich aufzuregen, wenn sie dabei Unwahrheiten verbreiteten. Da waren intensive Diskussionen mit Menschen im Café oder der Berghütte, die Ja stimmen wollten.
Das war ungewohnt. Jahrelang führten wir Radiojournalisten Interviews, verfassten Reportagen und Radiobeiträge, ohne dabei weder viel Kritik noch viel Lob von aussen zu erfahren. Die Medienkampagne brach wie ein Gewitter aus heiterem Himmel über uns herein. Es hagelte Kritik. Übergross seien wir, linkslastig, einseitig, selbstverliebt, von Gestern.
Das blieb nicht ohne Wirkung. Wir begannen zu zweifeln, an unserer Arbeit, an unseren Sendungen, daran ob unser Publikum unsere Berichterstattung überhaupt schätzte. Die Schere im Kopf wurde immer grösser, Themen, die jemanden verärgern konnten, galten aufs Mal als heikel. Diese Angst war falsch, und sie war auch verfehlt, wie sich jetzt zeigt: 71 Prozent der Bevölkerung möchten, dass die SRG weiterlebt und sind bereit, unsere Beiträge, Interviews und Recherchen weiterhin mit Gebühren zu finanzieren.
Dieses deutliche Votum bedeutet nicht, dass wir alles perfekt machen. Es bedeutet aber, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sehr wohl merken, wie die Medienlandschaft verarmt, der Zeitungsschwund weitergeht, wie sich Falschmeldungen und Verschwörungstheorien im Internet in Windeseile verbreiten, ungefiltert und unwidersprochen. Sie sind sich bewusst, dass in einer Welt, in der fundierter Journalismus nicht mehr rentiert, öffentlich-rechtlich finanzierte Medien mehr denn je nötig sind.
Das stärkt uns und öffnet auch die Debatte für mögliche weitere Unterstützungs-Modelle für Online-Journalismus etwa oder auch der SDA, die massgeblich zur medialen Infrastruktur unseres Landes beiträgt. Die Niederlage der «No Billag»-Initianten heisst auch, dass jene, die uns die Lichter abstellen wollten, keine politische Legitimation haben, um ihr Ziel weiter zu verfolgen. Ihnen- denen ironischerweise die SRG in den letzten Monaten die grösste Plattform bot – können wir nun sagen: fertig genörgelt!
Für uns Radiojournalistinnen und –Journalisten heisst das: wir fassen Mut und arbeiten weiter. Wagen es, kreativer zu sein, Neues zu versuchen und strengen uns noch mehr an, um unseren Hörerinnen und Hörern einzigartige und spannende Beiträge zu bieten. Nicht nur, aber auch als Dank an das Publikum, das unsere Arbeit schätzt – mehr noch als wir es je zu Glauben gewagt hätten.
Die Tage des öffentlichen Rundfunks sind gezählt
Eine Annahme der «No Billag»-Initiative hätte eine Reform der Schweizer Medienpolitik erzwungen. Notwendig ist sie auch so. Die Gründe dafür haben wenig mit der Schweiz zu tun – viel dagegen mit dem Medienwandel. Immerhin: Am Sonntag sprachen sich fast 30 Prozent der Stimmbürger für eine sofortige, ersatzlose Abschaffung des öffentlichen Rundfunks aus. Gemäss einer aktuellen Umfrage tun dies in Deutschland 39 Prozent. Österreich, Italien, Frankreich – fast alle europäischen Staaten führen ähnliche Debatten. Denn sie alle leisten sich eine teure politische Lösung für ein medienökonomisches Problem, das in dieser Form nicht mehr existiert: Die Schwierigkeit, einen nationalen Rundfunkanbieter am Markt zu finanzieren.
Linearer Rundfunk wird heute jedoch immer weniger genutzt. Die öffentlichen Funkhäuser produzieren zunehmend exklusiv für eine schrumpfende Gruppe Internet-ferner Senioren. Die Lösung für dieses Problem scheint klar: Service Public-Inhalte müssen im Internet verfügbar sein. Doch warum sollten sie weiterhin durch (nur) ein öffentliches Medienhaus angeboten werden?
Sofern es ein Versagen des digitalen Medienmarktes gibt, liegt es nicht in einem Mangel an Anbietern. Im digitalen Medienmarkt begegnen sich zahlreiche grosse und kleine, nationale und internationale Medienanbieter auf Augenhöhe. Sie konkurrieren sich direkt. Es wäre darum eine falsche Antwort, nun schlicht den öffentlichen Rundfunkhäusern zu ermöglichen, ihre zahlreichen Inhalte auch im Netz zu verbreiten. So würde ein Marktversagen geschaffen, nicht behoben. Ein Umdenken ist notwendig: Der digitale Medienmarkt benötigt gezielte Antworten für die Sicherung von Service-public-Inhalten – nicht von Service-public-Anbietern.
Die Medienpolitik muss sich lösen vom Betreiben eines öffentlichen Anbieters und zu einer anbieter- und plattformunabhängigen Förderung von Service-public-Inhalten finden. Trotz des klaren Scheiterns der «No Billag»-Initiative lautet daher das Fazit: die Tage des öffentlichen Rundfunks sind gezählt.
Wir sind eine Schweiz
Ich freue mich sehr über das Abstimmungsergebnis und die sehr deutliche Ablehnung der «No Billag»-Initiative. Das Vertrauen in unseren Service public wurde durch dieses Resultat bestätigt. Die Bevölkerung hat sich deutlich für eine Medienvielfalt von hoher Qualität für alle ausgesprochen.
Besonders freut mich das Zeichen der Solidarität, das die Stimmbevölkerung mit diesem Nein gesetzt hat, ganz nach dem Motto: Wir sind eine Schweiz.
Die Integration von sprachlichen Minderheiten oder Menschen mit Behinderung ist mir ein grosses Anliegen, sowohl in der Politik, als auch im Privatleben. Dieses Nein bedeutet für mich ebenfalls, dass die Medien als vierte Gewalt und wichtigen Teil unseres politischen Systems anerkannt werden und die Schweizerinnen und Schweizer sich entschieden gegen den Abbau eines so zentralen Elements unserer Demokratie wehren. Die Mehrheit hat sich für starke und unabhängige Medien ausgesprochen und setzt damit ein wichtiges Zeichen, gerade in Zeiten von Fake News.
Tausende von Mitarbeitenden können heute aufatmen und das nicht nur bei der SRG, auch bei all den vielen lokalen Sendern, die ohne Billag-Gebühren nicht überleben könnten. Gerade auch kleine und lokale Sender wie zum Beispiel Radio BeO, das in meiner Heimat sehr beliebt ist aber auch alle weiteren vergleichbaren Anbieter.
Ein grosser Verdienst der Initiative ist die flächendeckende Debatte, die über unseren Service Public und die Schweizer Medien ausgelöst wurde. Die SRG kann nun nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern wird über die Bücher gehen müssen, gerade auch im Angesicht der von der SVP angekündigten Halbierungsinitiative. Eine intensive Auseinandersetzung mit der angestossenen Diskussion ist notwendig und in Angriff zu nehmen.
Die SRG in der heutigen Form wird es so nicht mehr geben
Endlich. Das Resultat der «No Billag»-Abstimmung ist da. Eine gefühlte kleine Ewigkeit ist bis zum Abstimmungssonntag vergangen. Derart früh hatten die Debatten eingesetzt, derart ausgiebig war überall berichtet worden, derart emotional war zum Teil die Argumentation. War es das wert? Ich denke ja. Denn nebst der Diskussion über die Stellung der SRG und des Service public sprach man ganz allgemein über Journalismus, über Medienentwicklungen, über Medienpolitik über Technologiewandel. So ausführlich und auch so differenziert, wie kaum zuvor. Und es war nicht nur eine Insider-Diskussion, eine unter Medienleuten, sondern auch eine zwischen Medien und dem Publikum und auch eine innerhalb des Publikums. Natürlich war nicht alles wertvoll, was gesagt worden war. Es gab Fake-News, es gab Angriffe unter der Gürtellinie (übrigens von beiden Seiten). Aber meistens stand die zentrale Frage im Mittelpunkt: Was sind uns Medieninhalte wert? Was darf Journalismus kosten? Wie kann Qualität beibehalten werden? Was ist wichtig für unsere Gesellschaft, unsere Demokratie?
Haben wir jetzt mit dem Nein zu «No Billag» eine Antwort auf all die Fragen? Nein. Und doch: Alleine die Tatsache, dass sich breite Kreise der Diskussion angeschlossen haben, war meines Erachtens schon ein Gewinn. Stichwort Gewinn: Ist die SRG angesichts des klaren Nein die grosse Abstimmungs-Gewinnerin ? Jein. Natürlich ist es eine demokratische Legitimation für den gebührenfinanzierten Service public. Natürlich sind alle, die seit vielen Jahren mit soviel Herzblut ihren Job machen – alle Reporter, Techniker, Daten-Rechercheure, Kamerafrauen, Produzenten, Cutter – froh, dass es ein Nein gab. Aber – und dafür spreche ich wohl für all meine Kolleginnen und Kollegen – wir alle wissen, dass es nicht vorbei ist jetzt. Im Gegenteil. SRG/SRF in der heutigen Form wird es so nicht mehr geben. Es wird, es muss gespart werden. Es wird, es muss weitere Erklärungen geben darüber, was wir tagtäglich machen. Es wird, es muss der Dialog mit dem Publikum weitergeführt werden. Das sind wir allen schuldig. Vor allem auch jenen, die am Sonntag Ja zu «No Billag» sagten. 833’630 Menschen. Eine Zahl, die ich mir – so habe ich es mir vorgenommen – immer wieder vor Augen führen werde, wenn ich am arbeiten bin.
Ein Ja für unsere Vielfalt
Abstimmungssonntage sind besondere Tage: Meistens ist die gesamte Redaktion auf den Beinen, auf den Ausgang der Abstimmungen werden Wetten abgeschlossen und sobald die ersten Resultate eintreffen, herrscht eine hochkonzentrierte, geschäftige Stimmung.
Doch dieser Sonntag lässt sich mit keinem anderen Abstimmungstag vergleichen: Die Initiative für die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren tangiert uns direkt, unser Radio und Fernsehen mit rund 60 Arbeitsplätzen ist bedroht. Die Anspannung im Newsroom ist mit den Händen zu greifen, beklommene Blicke werden ausgetauscht, nochmals bekräftigen wir unsere Hoffnung, dass die Initiative zu radikal ist, wir in Zukunft weder auf Radio noch TV-Südostschweiz werden verzichten müssen.
Dann die grosse Erleichterung: Sehr schnell zeigt sich, dass die «No Billag»-Initiative abgelehnt wird – und dies in überraschender Deutlichkeit. Im Gegensatz zur SRG sind wir aus dem Schneider und können uns wieder auf unseren Alltag sowie Auftrag konzentrieren.
Die heftige Debatte um die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren hat uns vor Augen geführt, wie stark der Zusammenhalt in unserem Medienhaus mittlerweile ist. Seit über einem Jahr arbeiten wir bei der «Südostschweiz» in einer vollintegrierten Redaktion – nach einigen Startschwierigkeiten hat es sich zu einem Vorzeigeprojekt entwickelt. Wir bezeichnen uns als Medienfamilie und bespielen neben der Zeitung und Online auch die Kanäle von Radio und TV. Wo es Sinn macht, arbeiten wir gemeinsam, wo es keinen macht, arbeiten wir im engen Informationsaustausch. Es ist eine Konvergenz, die funktioniert und extrem bereichernd ist – für uns Medienschaffende, für unsere Vielfalt und die Qualität unserer Produkte.
Wäre die Initiative durchgekommen, hätte dies für uns als «Südostschweiz» einen schmerzlichen Verlust an Austausch bedeutet. Im Zeitalter der fortschreitenden Medienkonzentration freuen wir uns, diesen Weg weitergehen zu können.
Wir müssen mehr für den Journalismus tun
Als Radiomacher von Radio Bern RaBe bin ich überglücklich, dass wir jetzt weitermachen können. Ganz so weitermachen wie bisher können wir allerdings nicht. Wir werden investieren. Im Unterschied zur SRG dürfen wir damit rechnen, in Zukunft mehr Gelder aus dem Gebührentopf zu erhalten – und das verpflichtet.
Ich persönlich würde mir wünschen, wir investieren einen grossen Teil davon in guten Journalismus, nicht nur ins Radio, sondern auch in unsere Online-Plattformen. Auch wir privaten Medien haben Reformbedarf. Das gilt sowohl für die freien Radios der UNIKOM, zu denen RaBe gehört, als auch für die anderen lokalen Radiostationen und Fernsehsender. Wir müssen mehr für den Journalismus tun und attraktivere Arbeitgeber werden
Nach wie vor sollten wir Geld in die Ausbildung von jungen Medienschaffenden stecken, aber nicht, damit sie danach zur SRG gehen, sondern damit sie nachher bei uns bleiben. Bei den UNIKOM-Radios ist RaBe das einzige Radio, das mit bezahlten Medienschaffenden ein tägliches Nachrichtenmagazin produziert. Ich fände es wichtig, in der jetzigen Krise des Journalismus ein Zeichen zu setzen und bei allen UNIKOM-Radios solche Informationssendungen aufzubauen. Wir haben es jetzt in der Hand, den unabhängigen Journalismus in der Schweiz zu retten.
Als Citoyen und freischaffender Teilzeit-Filmemacher habe ich noch einen zweiten Grund zur Freude. Die Solidarität der Kunst- und Medienschaffenden sowie der Bürger und Bürgerinnen, die weiterhin an eine funktionierende Gemeinschaft glauben, war in den letzten Monaten riesig. Es wäre schön, dieser Nein-zu-«No Billag»-Geist würde weiter bestehen, denn dieser Angriff auf den Service Public ist nicht der letzte Angriff auf die soziale Schweiz gewesen. Gelingt es, eine schlagkräftige Gruppe zu erhalten, die sich jederzeit mobilisieren lässt, um die Pfeiler der Demokratie zu bewahren, wäre die «No Billag»-Abstimmung tatsächlich etwas Sinnvolles gewesen.
Weiterentwicklung des erfolgreichen Schweizer Mediensystems
Der Verband Schweizer Privatradios (VSP) hat den Entscheid zur No Billag-Initiative begrüsst und ist erleichtert.
Mit ihrem Votum haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zum Ausdruck gebracht, dass sie das Schweizerische Mediensystem schätzen und erhalten wollen. Das gemischte Angebot aus öffentlich-rechtlichen und privaten Medien hat eine breite Akzeptanz gefunden.
Die breite Diskussion im Vorfeld und bereits im Nachgang dieser Abstimmung hat klar gezeigt, dass der Entscheid die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung des Schweizer Mediensystems geschaffen hat.
Der VSP begrüsst es, dass die SRG nun ihre Aussagen und Pläne umsetzt, die sie im Zusammenhang mit dem heutigen Urnengang abgegeben hat. Damit wird ein ausgewogeneres Gleichgewicht zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Rundfunk möglich. Der VSP wird seine Vorstellungen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens über die neue SRG-Konzession und bei den Beratungen über das neue Gesetz über elektronische Medien einbringen.
Bewegt sich nun doch noch etwas in der Medienpolitik?
Nach den ersten Umfragen zur «No Billag»-Initiative nahm die Abstimmungsdiskussion eine erstaunliche Dynamik an. Plötzlich kamen etliche Politiker in die Gänge. Im Parlament noch strikte dagegen, wünschten sie sich einen Gegenvorschlag zur Initiative. Auf einmal fanden jene, die bislang jede Kritik an der SRG zurückwiesen, dass der Medienkoloss «abspecken» müsse. Die «No Billag»-Initiative hat Bewegung in die medienpolitische Debatte gebracht. Nun müssen die Gegner an ihren Versprechungen gemessen werden.
Es brauche «eine Debatte über den Service public, die Grösse und die inhaltliche Ausrichtung der SRG», wird CVP-Präsident Gerhard Pfister zitiert (TA, 25.1.2018). Seine Parteikollegin Kathy Riklin meint sogar, die «SRG müsse insgesamt redimensioniert werden, insbesondere beim Fernsehen». Für sie sei klar, dass der Service-public-Auftrag angepasst werden müsse.
FDP-Präsidentin Petra Gössi wies darauf hin, dass eigentlich «zuerst ein klarer Service-public-Auftrag definiert» werden müsste, um nachher zu berechnen, «wie viel Geld nötig ist, um diesen umzusetzen». Es dürfe «nicht sein, dass die SRG immer weiter und weiter wächst». Auch einen Gegenvorschlag zur «No Billag»-Initiative hätte sie begrüsst (watson.ch, 18.1.2018). Diese Idee scheiterte jedoch ausgerechnet an der mehrheitlich ablehnenden Haltung der FDP-Fraktion.
Das Problem ist: Sowohl CVP wie auch FDP haben die Diskussionen für einen Gegenvorschlag blockiert – selbst Varianten für Einsparungen der Gebühren im Umfang von zehn Prozent. Just dieser Vorschlag wurde nun aber ausgerechnet von SRG-Generaldirektor Marchand aufgenommen: Er will 100 Millionen Franken einsparen bei der SRG. Damit nehmen die Initiativgegner Postulate auf, die im Parlament noch verworfen wurden. Eine erfreuliche Entwicklung.
Sukkurs erhalten die immer zahlreicheren Kritiker von Roger Schawinski, welcher den Radiosender SRF 2 mit einer geschützten Werkstatt verglich. SRF 1 und SRF 3 würde er zusammenlegen, SRF 4 News ganz streichen. Sparmöglichkeiten sieht er auch bei den DOK-Sendungen sowie einer Ausdünnung des Online-Angebots (AZ, 5.1.2018). Bewegt sich nun doch noch etwas in der Medienpolitik?
Niklaus Ramseyer 07. März 2018, 15:51
Tja, Herr Rutz, so krass hat das Schweizer Volk schon lange nicht mehr Initianten und deren Mitläufer (wie Sie) abgewatscht: Ja sagten nur gerade soviele Leute im Land, wie die SVP Wähler hat (und von denen auch bloss gut die Hälfte!). Hallo: Sogar die Armee-Abschaffer von der GSoA hatten 1989 mehr Zustimmung (35,6%)! Hat damals jemand verlangt, der „Koloss Armee“ der „der Moloch Landesverteidigung“ müsse trotz 64,4% Nein massiv sparen und eingeschränkt werden? Die schlechten No-Billag-Verlierer sind jedoch recht eigentlich Demokratie-Verächter. Und anmassend: Sie stellten entgegen dem klaren Volksentscheid gleich weiter freche Forderungen nach SRG-Abbau und Privilegien für Grossfirmen bei den (nun wuchtig bestätigten) Gebühren. Sie verschweigen dabei, dass
1. Die Gebühren sowieso schon von 451 auf bloss noch 365 Franken (- 19%) gesenkt werden.
2. Drei Viertel aller KMU gar nichts mehr zahlen, weil eine Freigrenze von 500 000 Franken Jahresumsatz gilt.
Also, pflegen Sie doch jetzt erst mal ruhig ihre Nase, auf die Sie gerade brutal gefallen sind – und denken etwas darüber nach, warum wohl das Schweizer Volk nicht auf Ihren Unfug namens No-Billag hereingefallen ist!
Niklaus Ramseyer, BERN
Frank Hofmann 07. März 2018, 16:17
@Ramseier: Das ist ein schräger Vergleich, steht aber exemplarisch für all die gesuchten Argumente der Initiativgegner. Muss man das wirklich betonen? Es gibt zahllose private Medien, aber keine privaten Armeen …