Interaktive Medienbeschallung aus dem intelligenten Lautsprecher
Im Zuge der Podcast-Welle, die nun auch die grossen Medienhäuser erfasst, rücken interaktive Lautsprecher in den Fokus als Distributionsplattformen für die Audio-Formate. Was leisten sogenannte Smart Speakers eigentlich? Und kann man damit Geld verdienen?
Wer wissen will, was auf der Welt läuft, muss nur noch seine Stimme erheben. Der Zürcher Tages-Anzeiger bietet seinen Lesern neuerdings die Möglichkeit, die wichtigsten Meldungen zum Tagesgeschehen mit Hilfe von Google Assistant zu hören. Auf Zurufe, wie «Frage den Tages-Anzeiger» oder «Nutze Tages-Anzeiger», spricht eine synthetische Stimme die aktuellsten News von tagesanzeiger.ch. Google als dein persönlicher Nachrichtensprecher.
Die Stimmmelodie von Alexa klingt in den Ohren des Zuhörers angenehm, der Duktus ähnelt den Nachrichten im Radio.
Das ist bereits der zweite Streich. Im vergangenen Jahr entwickelte Tamedia bereits für Amazon Echo («Alexa») ein sogenanntes News Briefing. Auf das Sprachkommando «Alexa, sag mir die Nachrichten» sagt die Sprachsoftware automatisiert Nachrichten an, etwa: «Hier ist deine tägliche Zusammenfassung aus den aktuellen Nachrichten des Tages-Anzeigers: ‹Auf Fox News erklärt der älteste Sohn des Präsidenten, wie er auf die heikle Situation reagiert.›» Die Stimmmelodie von Alexa klingt in den Ohren des Zuhörers angenehm, der Duktus ähnelt den Nachrichten im Radio.
Marc Isler, Leiter «Digital Sales Developmen» bei Tamedia, wird in der Pressemitteilung mit den Worten zitiert: «Assistenten wie Siri von Apple oder der Google Assistant vereinfachen den Alltag und eignen sich beispielsweise für einen Nachrichten-Überblick am Morgen während dem Frühstück oder während der Fahrt zur Arbeit. Nächste Ausbauschritte könnten Sport-Resultate für den Lieblings-Club oder Wahlresultate für die eigene Gemeinde, aber auch eine Tages-Zusammenfassung am Abend sein.» Allerdings sind sowohl Google Home als auch Amazon Alexa in der Schweiz offiziell noch nicht verfügbar, weshalb verschiedene Dienste noch nicht funktionieren, ergänzt Tamedia-Sprecher Chrostoph Zimmer auf Anfrage. «Sprache wird in der Kommunikation und Informationsvermittlung an Bedeutung gewinnen. Wir testen daher verschiedene Formate, von Angeboten für Google Home und Amazon Alexa bis zu Podcasts und Vorlese-Funktionen.» Mit den Tests wolle man herausfinden, welche Dienste die Nutzer als Mehrwert empfinden. Nach Angaben von Google werden in den USA bereits 20 Prozent aller mobilen Suchanfragen via Sprache getätigt, bis 2020 sollen es 50 Prozent sein. Kunden der Bank Santander können seit vergangenem Jahr sogar Online-Überweisungen per Sprachkommando durchführen. Insofern folgt es einer inneren Logik, dass Medienhäuser auch Plattformen wie Amazon Alexa bespielen.
Die Sprachsteuerung ist mit Befehlen wie «Play», «Pause» und «Resume» noch etwas rudimentär.
So hat beispielsweise die BBC einen Skill, ein Anwendungsbeispiel für Amazon Alexa, entwickelt, mit der man alle Radiosender streamen, sowie Podcasts abrufen kann. Dafür hat die BBC sogar eigens einen Voice-Redaktor eingestellt. Die BBC ist der zweitgrösste Podcast-Produzent der Welt. Im vergangenen Jahr wurden allein 240 Millionen Podcasts heruntergeladen, darunter populäre Programme wie das Hörspiel «The Archers» oder die Late-Night-Sendung «Woman’s Hour». Die Sprachsteuerung ist mit Befehlen wie «Play», «Pause» und «Resume» noch etwas rudimentär, doch hat der Hörer über Alexa Zugriff auf alle Audioinhalte.
Matthew Postgate, Technologie- und Produktchef der BBC, sieht in der Technik grosses Potenzial: «Smart Speakers sind eine aufregende neue Art, mit Audio-Content zu interagieren. Sie sind eine natürliche Ergänzung für die BBC, weil Millionen von Hörern täglich auf unsere Audio-Programme zurückgreifen.» Die BBC hat im Rahmen eines experimentellen Projekts genuin für Amazon Alexa ein interaktives Hörspieldrama («The Inspection Chamber») produziert, bei dem der Hörer eine aktive Rolle in der Story spielt. Eine Art Mitmach-Theater zwischen Mensch und Maschine.
Auch der Bayrische Rundfunk BR hat sein Angebot um solche sprachgestützte Angebote erweitert: Seit Februar ist das Nachrichtenprogramm BR24 News auch über Alexa abrufbar. Um das Angebot zu nutzen, muss der Nutzer auf dem Smartphone nach «BR24» suchen und den gewünschten Skill aktivieren. Auf das Sprachkommando «Alexa, was gibt es für Nachrichten?» liefert Amazons Sprachassistentin on demand Nachrichten, u.a. für die Rubriken Bayern, Sport und Börse.
Amazon bietet auch eine eigene Nachrichtenselektion («Flash Briefing») an, die von einigen Medien, unter anderem der französischen Gratiszeitung «20 minutes», unterstützt wird. In der täglichen Zusammenfassung können die neuesten Meldungen aus Nachrichtenbereichen wie Entertainment, Sport oder Lokales (Paris, Bordeaux und andere Städten) angehört werden.
Das Angebot ist im Grunde vergleichbar mit den Apps auf dem Smartphone, wobei der Gestaltungsraum bei den Skills aufgrund der komplexen Benutzeroberfläche geringer ist. App-Entwickler können viel mehr Features wie interaktive Grafiken oder Videos anbieten. Die Skills beschränken sich momentan noch auf das reine Abspielen von Textformaten (vergleichbar mit den Audio-Artikeln bei der «Zeit», wo Texte eingesprochen werden, damit sie beispielsweise für Sehbehinderte auf der Website abrufbar sind). «Die heutigen Möglichkeiten für den Bau von Services für Alexa und Google Home sind noch rudimentär, entwickeln sich aber schnell weiter», konstatiert Tamedia-Sprecher Zimmer. Sobald die Geräte offiziell in der Schweiz erhältlich sind, werde der Service ausgebaut. Denkbar seien eine Ausweitung des heutigen News-Briefings auf einzelne Rubriken wie Sport, Wirtschaft oder Dossiers, etwa zu den Stadtratswahlen in Zürich. Im Sommer lief zudem bereits ein Test mit Podcast-Formaten für Sonntags-Zeitung und Le Matin Dimanche.
Womöglich sind Nachrichtenkonsumenten eher bereit, für Audiodienste als für Webseiteninhalte zu bezahlen.
In Zukunft werde es möglich sein, Audio-Angebote auf der Google-Plattform nur für zahlende Kunden freizuschalten, was für Bezahltitel wie den Tages-Anzeiger spannend sein könnte. Das heisst, das Bezahlmodell liesse sich auch auf Audioformate bzw. Voice Apps ausdehnen, was neue Monetarisierungsmöglichkeiten eröffnete. Womöglich sind Nachrichtenkonsumenten eher bereit, für Audiodienste als für Webseiteninhalte zu bezahlen. Eine Grundvoraussetzung dafür ist schon mal vorhanden: Sowohl Apple, wie auch Amazon und Google, verfügen bereits heute über Bezahlfunktionen, die rege genutzt werden. Millionen von Kunden haben ihre Kreditkartendaten hinterlegt haben. Damit lassen sich künftig auch kostenpflichtige Medienangebote abrechnen.
Vorläufig haben aber Radiounternehmen einen technologischen und strategischen Vorsprung, den sie mit Smart Speakers ausspielen können.
Smarte Lautsprecher wie Amazon Echo oder Google Home bieten einen weiteren Verbreitungskanal für Voice- und Podcast-Angebote, die Nutzern bereits über Dienste wie iTunes, Spotify oder Deezer zur Verfügung stehen. Medienunternehmen haben Audio als neues Feld für sich entdeckt. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendein ehemaliges Zeitungshaus den Start eines Podcasts bekannt gibt. Ob NZZ, «Blick», «Die Zeit» oder zuletzt in Deutschland auch die «Bild»-Zeitung. Wie der Springer-Verlag in einer Pressemitteilung schreibt, wird «Bild direkt» vom langjährigen Radiomoderator Stefan Netzebandt betreut, der zuvor beim NDR, RBB und ffn gearbeitet hatte. Der Radiojournalist hat seine Zelte in Los Angeles aufgeschlagen, damit sein Podcast den Hörern in Deutschland unter der Woche schon ab 6 Uhr morgens zur Verfügung steht. Aus solchen Angeboten erwächst wiederum Konkurrenz für etablierte Radiostationen. Vorläufig haben aber Radiounternehmen einen technologischen und strategischen Vorsprung, den sie mit Smart Speakers ausspielen können.
«Podcasts haben ein neues Territorium eröffnet, sowohl für den Kundenkontakt als auch den Anzeigenverkauf» Ken Doctor, Medienökonome
Der US-Medienexperte Ken Doctor betont die überragende Bedeutung von Audio im Nachrichtengeschäft. Auf Anfrage der MEDIENWOCHE teilt er mit: «Voice wird einen Grossteil der Nachrichtengewinnung und Verbreitung von 2020 an dominieren – zuhause, unterwegs und andernorts. Je nach Ort ist das der schnellste Weg, um zu finden, was wir wollen, speziell für nichttextliche Inhalte.» Folglich müssen die Verlage sich so auf dem Markt positionieren, dass sie für diesen Wandel bereit sind. «Podcasts haben ein neues Territorium eröffnet, sowohl für den Kundenkontakt als auch den Anzeigenverkauf», sagt Doctor. «In den USA spielt Podcast-Werbung das Drei- bis Vierfache der digitalen Anzeigenerlöse ein.»
Die Frage ist, wer von den Werbeeinnahmen profitiert – die Medienunternehmen oder die Plattformanbieter? Die bisherige Erfahrung, etwa bei Facebook Instant Articles, sind durchzogen bis negativ. Von der attraktiveren und schnelleren Darreichung von Zeitungsartikeln au Facebook sollten die Verlage profitieren – anfänglich war von einer 30 Prozent-Beteiligung am Werbeertrag die Rede, wenn Facebook die komplette Vermarktung übernimmt – war für viele Verlage nicht zufriedenstellend. Verlagshäuser wie die «New York Times», der «Guardian» und auch die Springer-Tochter «WeltN24» sind aus dem Kooperationsmodell ausgestiegen. Viel spricht dafür, dass auch bei Google Assistant oder Amazon Alexa der grösste Batzen für die Tech-Konzerne abfällt, weil sie die Geldströme kontrollieren, wenn über ihre Bezahlsysteme abgerechnet wird. Jeder neunte von zehn ausgegeben Anzeigen-Dollars landet in den USA mittlerweile in den Kassen von Facebook und Google, vom schweizerischen Online-Werbemarkt schöpfen sie 60 Prozent ab.
Amazon hat das Werbepotenzial seines Sprachangebots erkannt und befindet sich nach einem Bericht von CNBC in Verhandlungen mit potenziellen Anzeigenkunden. In den Gesprächen soll es darum gegangen sein, ob Unternehmen wie bei Google für eine höhere Platzierung bezahlen, wenn über das Gerät nach einem bestimmten Produkt gesucht wird. Denkbar wäre, dass Alexa nach dem Weiterempfehlungsprinzip von Amazon dem Kunden, der zuvor eine elektrische Zahnbürste bestellt, Werbung für günstige Bürstenköpfe ausspielt. Alexa ist eben intelligent und nicht nur eine Vorleserin, sondern auch eine Analystin, die aus Spracheingaben Präferenzen ausliest.
Die ohnehin schon fliessende Grenze zwischen Journalismus und PR drohte bei Hörstücken auf endgültig zu verschwimmen.
Die Werbung auf Alexa ist bislang eher subtil. Wenn ein Kunde den virtuellen Assistenten nach einer Zahnpasta fragte, lautet eine Antwort: «Okay, ich kann nach einer Marke wie Colgate schauen. Was möchtest du?» Diese Subtilität eröffnet freilich neue Möglichkeitsfelder, etwa für Content Marketing im Audioformat. Vorstellbar wären gut erzählte Reisereportagen, die von einer Destination gesponsert werden. Aus medienethischer Sicht ist das jedoch ein Problem: Die ohnehin schon fliessende Grenze zwischen Journalismus und PR im Reise- oder Autojournalismus drohte bei Hörstücken auf Amazon Echo endgültig zu verschwimmen. Die Frage ist, ob Verlage ähnlich wie bei Instant Articles zu Content-Zulieferern für eine datengetriebene Werbemaschinerie degradiert werden und sich bei der Verbreitung von Nachrichten in Abhängigkeiten zu Tech-Konzernen begeben.
Chris Gathercole, Digitalstratege der «Financial Times», ist skeptisch, was die Monetarisierungsmöglichkeiten durch Sprachassistenten angeht. Er sieht die News in ein «wertloses Gut» abgewertet. Für Bezahlmodelle der «Financial Times» oder von Amazon Prime sei Audio nur ein weiterer Kanal, der im Abonnement inkludiert sei, womöglich sogar ohne Aufpreis. Auch das Anzeigenpotenzial hält Gathercole für begrenzt, weil Werbung im Audiobereich viel aufdringlicher sei und die Nutzer ohnehin schon von Bannern im Web genervt seien (womöglich gibt es dann auch im Audiobereich irgendwann Ad-Blocker).
Medienökonom Ken Doctor betont, für Medienhäuser sei es zwingend, selbst Fähigkeiten zu entwickeln für das neue Storytelling und dann die vielen Verbreitungskanäle zu nutzen. Nach Angaben von Tamedia stellen Google und Amazon Nutzungsdaten zur Verfügung. In Zukunft wird es darauf ankommen, ansprechende Hörstücke zu produzieren, um die auditiven Nutzungsgewohnheiten der Konsumenten zu adressieren. Ob dies auf einem tragfähigen finanziellen Fundament steht, ist vorläufig noch unklar.
Plotti 12. März 2018, 23:01
Warum nicht selbst ein smartes radio bauen? Srf könnte das die Technik ist nicht rocket science.