von René Zeyer

Munter sprudelt die Quelle

Wie hält es die Qualitätszeitung «Tages-Anzeiger» mit dem Verwenden anonymer Zitate? Sie fischt gerne im Trüben.

«Mir fehlen die Worte», sagt Augenzeuge Peter M.* «Tagi-Ressortleiter Philipp Loser ist dafür bekannt, dass er Fact und Fiction ungeniert vermischt», sagt Tagi-Redaktorin Petra O.* (*Namen der Redaktion bekannt). Ich gestehe: Ich habe Peter M. und Petra O. samt ihren Zitaten erfunden. Denn Hand aufs Herz: Muss man wirklich einen echten Augenzeugen auftun, der dann nichts sagt, und das auch nur unter dem Schutz der Anonymität gegenüber der Öffentlichkeit? Und würde ein Tagi-Redaktor mit einer solchen Aussage wirklich gerne namentlich erwähnt werden?

Ich könnte es mir noch einfacher machen und einleitend darauf hinweisen, dass alle meine Gesprächspartner zu ihren Aussagen nur bereit waren, weil ich ihnen Vertraulichkeit zusicherte. Wie kann der Leser nun entscheiden, ob ich tatsächlich Zitate wiedergebe – oder sie schlichtweg erfinde? Der Leser muss mir einfach vertrauen. Schliesslich bin ich doch eine ehrliche Haut, höchsten ethischen und moralischen Standards verpflichtet, dazu allen Standesregeln der «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten». Da heisst es unter anderem, dass nur Informationen veröffentlicht werden, «deren Quellen ihnen (den Journalisten) bekannt sind». Und schliesslich gehört es auch zum Journalistenkodex, dass Beschuldigte oder Kritisierte angehört werden, also zumindest das Recht haben, im gleichen Artikel zu replizieren. Und dann stellt noch der für Qualitätssicherung zuständige ehemalige Tagi-Chefredaktor Res Strehle klar, dass nur «identifizierbare und damit für den Leser einzuordnende Quellen werten» dürfen.

Nun, seit Langem veröffentlichen «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» im Zusammenhang mit den sogenannten Leaks gestohlene Daten, deren Quellen weder dem Leser noch der Redaktion selbst bekannt sind. Im Falle eines ganzseitigen und nicht gerade schmeichelhaften Porträts des Somedia-Verlegers Hanspeter Lebrument griff der Chef der «Seite drei» im «Tages-Anzeiger», Philipp Loser, kräftig in die Tasten und putzte den Konkurrenten des eigenen, auf den Buchstaben T geschrumpften Konzerns nach Strich und Faden runter: Über der Somedia «kreisen die Geier. Man hört sie kreischen.» Ein «ehemaliger Weggefährte» raunt von «purer Verzweiflung, alles bricht weg». Das vor drei Jahren eröffnete neue Medienhaus sei «heute Mahnmal für den Zerfall», weiss Loser. Angesichts solch happiger Vorwürfe ist klar, dass der Angerempelte Gelegenheit zur Stellungnahme bekam. Räusper, das Thema sei brandaktuell gewesen, lässt sich Loser auf «persönlich» vernehmen, daher habe er nicht warten können, bis Lebrument aus den Ferien zurückkehre.

Nehmen wir mal an, ich würde ein Stück über die Stimmung im Hause T schreiben. Dafür rede ich mit einigen Redaktoren des «Tages-Anzeigers» und weiterer Blätter. Die Opportunisten (oder Feiglinge), die von paradiesischen Zuständen schwadronieren (wenn’s solche Aussagen überhaupt gibt) lasse ich unberücksichtigt. Auch Abwägendes passt nicht so recht, was soll ein lauwarmes Zitat, dass zwar gespart werde, dass es quietscht, man sich andererseits dennoch bemühe, gewisse Standards einzuhalten. Früher oder später finde ich garantiert ein paar Angestellte, denen aus der Zusicherung von Anonymität der Mut erwächst, furchtbar über ihren Arbeitgeber vom Leder zu ziehen. Dann muss ich nur noch allfällige Persönlichkeitsverletzungen oder Geschäftsschädigung rausschneiden, und schon habe ich einen knackigen Artikel, dass es nicht nur im Glas- und Holzhaus an der Werdstrasse furchtbar zu und her geht. Ich title: «Faules Holz» und schreibe, CEO Supino sei ein eiskalter und nur am Profit orientierter Manager, der aber keine Vision für die Zukunft des Journalismus habe, hat mir ein «ehemaliger Weggefährte» gesteckt. Ach, leider ist Supino beim Ostereiersuchen, also bekommt er keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Ausserdem würde er höchstwahrscheinlich sowieso sagen, dass er auf anonyme Kritiken nicht reagiert, also wieso überhaupt die Mühe. Und obwohl mein Artikel in der BaZ erscheint, verbitte ich mir doch nachdrücklich, dass mir hier Konzernjournalismus unterstellt wird, ich bin ganz von alleine auf diese Story-Idee gekommen, und selbstverständlich hätte ich auch ein Loblied angestimmt, wenn das meine Recherche ergeben hätte.

Heisst das nun, dass man als Journalist keine Story daraus machen darf, wenn man tatsächlich verlässliche und voneinander unabhängige Quellen hat, die einen Vorgang oder Zustand bestätigen, das aber aus nachvollziehbaren Gründen nur ohne Namensnennung tun wollen? Natürlich darf man, wenn man’s kann. Zunächst muss dem Leser gegenüber nachvollziehbar begründet werden, wieso anonyme Zitate verwendet werden. Umso kritischer die gegenüber einem Unternehmen und/oder einer Person sind, umso obligatorischer (wenn sich das steigern liesse) ist, dass die Kritisierten Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Und schliesslich muss die Interessenlage des Autors, falls nötig, offengelegt werden. Hier gibt es kein Schwarz oder Weiss, aber auch keine Grauzone.

Natürlich darf ein Medienkonzern, bzw. ein dort angestellter Redaktor, einem anderen Medienkonzern vorwerfen, dass es dort drunter und drüber gehe, Untergangsstimmung herrsche und der Pleitegeier kreise. Aber: Wirtschaft hat immer mit Zahlen zu tun, solche müssten dann schon zur Stützung der Aussage verwendet werden. Natürlich darf im Journalismus auch vermutet, spekuliert, in die Glaskugel geschaut und Zukünftiges prognostiziert werden. Aber: Tut das ein Medium bei einem direkten Mitbewerber, muss schon einiges vorgekehrt werden, um das Geschmäckle, dass hier Eigeninteresse die Berichterstatterpflicht steuert, zu vermeiden.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Es ist erlaubt, über vermutete Untaten des ehemaligen Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz zu schreiben. Es ist auch erlaubt, seine Freilassung aus der U-Haft vor Ostern zu prognostizieren. Dass er rechtlich gesehen und trotz U-Haft völlig unschuldig ist und bleibt, bis ein definitives Gerichtsurteil das Gegenteil sagt, ist die eine Sache. Dass sich Medien nicht absolut an die Unschuldsvermutung halten können, wenn sie ihre Aufgabe wahrnehmen wollen, auf mögliche Skandale hinzuweisen, ist die andere Sache. Dass es auch hier klare Regeln gibt, wo die Berichterstattung aufhört und Vorverurteilung, gar üble Nachrede, Ruf- und Geschäftsschädigung anfängt, ist die entscheidende Sache. Würde sich ein Medium trauen, ehemalige Mitarbeiter, Weggefährten von Vincenz anonym und ausschliesslich mit despektierlichen Äusserungen zu zitieren, würde es seinen eigenen Ruf ramponieren. Wieso sollte das in einem Artikel über einen Konkurrenten anders sein?

Wir fassen kurz zusammen. Die Qualitätszeitung «Tages-Anzeiger» pfeift auf die Angabe von Quellen. Sie pfeift auf das Recht jedes Kritisierten, zu den Vorwürfen vor Publikation Stellung nehmen zu dürfen. Redaktor Loser pfeift auf die Vorgabe Strehles, dass nur identifizierbare Quellen werten dürfen. Und mit Konzernjournalismus im Kampf mit und allenfalls um den Mitbewerber Somedia und Lebrument hat das Ganze natürlich auch nichts zu tun. Dazu sagt der Publizist René Z.* (*Name dem Autor bekannt): «In den Tiefebenen des modernen Journalismus bleibt das wichtigste Gut der sogenannten vierten Gewalt auf der Strecke: die Glaubwürdigkeit.»

Leserbeiträge

Fabian Baumann 05. April 2018, 19:13

Berechtigte Kritik – und beschreibt exakt die Lieblingsrechercheform der von Publizist Z. hochgeschätzten „Basler Zeitung“.

René Zeyer 12. April 2018, 14:51

Nachtrag: Kurt W. Zimmermann schreibt in der «Weltwoche» vom 12. April 2018, dass Tagi-Verleger Supino «in Absprache mit der Chefredaktion» entschieden habe, den Artikel zurückzuziehen. Er entspräche «nicht unseren Vorstellungen über Qualität im Journalismus, weil er weitgehend auf anonymen Quellen basiert, der Porträtierte nicht zu Wort kommt und verschiedene, negative Werturteile nicht belegt sind», lässt sich der Sprecher des Konzerns zitieren.

Immerhin. Allerdings: Man wolle nun «den Fall intern aufarbeiten, um gemeinsam daraus zu lernen». Das bedeutet wohl, dass nicht nur der Autor Philipp Loser noch ein paar Grundregeln des Journalismus lernen muss. Wie zum Beispiel, dass man niemanden in der Luft zerreissen darf, ohne dass der zumindest die Möglichkeit hatte, auf die Vorwürfe zu reagieren. Bekommt normalerweise jeder im Grund- und Anfängerkurs Journalismus mit auf den Weg. Beängstigend, dass das im Tagi aufgefrischt werden muss.