Datenschutz: Die Werbung profitiert von der Trägheit der Masse
Werden die neuen europäischen Datenschutzregeln der Werbewirtschaft den Sauerstoff entziehen und sie zu einem grundlegenden Umdenken zwingen? Wohl kaum. Denn die Mehrheit der User wird auch weiterhin unbesehen auf jedes «OK» klicken, das im Netz aufpoppt.
An Angstmachern fehlt es ja nicht, wenn es um die DSGVO geht, die europäische Datenschutz-Grundverordnung, die am 25. Mai in Kraft tritt. «Es drohen 20 Millionen Euro Strafe oder bis zu 4 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes …», damit lassen sich Beratungshonorare abholen, besonders bei überforderten KMUs. Zum Glück gibt es aber auch Beschwichtiger, die mit den Mythen der DSGVO aufräumen die nicht so spektakuläre Sachlichkeit wieder herstellen.
Mit Blick auf die Kommunikationsbranche interessiert die Frage, inwieweit die neue Verordnung die Kommunikation zwischen den Unternehmen und den Kunden verändert. Werden Kommunikationsstrategien umgeschrieben, werden Budgets umgeschichtet? Welche Werbeformen bekommen Gegen- und welche Rückenwind? Kommen jetzt Firmen wie Google und Facebook in die Bredouille? Erleben Werbeformate ein Revival, die ohne Personendaten auskommen, etwa Aussenwerbung, Anzeigen oder Sponsoring?
Es ist nicht anzunehmen, dass die neue europäische Datenschutzverordnung, auch wenn sie durchaus von globaler Bedeutung ist, zu tektonische Verschiebungen in der Kommunikationsbranche führen wird. Für die digitalen Grosskonzerne, an die sich die neuen Bestimmungen zu einem grossen Teil richten, gibt es zwar einige Umtriebe. Aber ihre Dienste sind beliebt genug, dass die allermeisten User einmal mehr ungeschaut einen Button klicken oder noch ein Häkchen setzen, die ihr Einverständnis für den vorgeschlagenen Umgang mit ihren persönlichen Daten einfordern. Gemäss einer Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) halten 78 Prozent der User die Datenschutzbestimmungen einfach zu komplex, um sie zu lesen. Gerade dieser Tage kann sich der agile Internet-Nutzer kaum noch irgendwo einloggen, ohne den Ja-ist-ja-gut-Button zu klicken. Was im Dienste des Nutzers aufgesetzt wurde, wird in der Summe wohl eher als Plage denn als Schutz wahrgenommen. Die landläufig als Datenkraken bekannten Unternehmen wie Facebook, Google, Amazon … werden weiterhin mit persönlichen Daten Geld verdienen, weil sie nun noch expliziter die Erlaubnis dafür bekommen. Immerhin aber ist nun aber wirklich jeder selber Schuld, der ohne zu lesen mit allem einverstanden ist.
Vereinfacht kann man sagen, dass alle Unternehmen, die sich in der Vergangenheit schon ihre Datenschutzbestimmungen vorbildlich durch einen Klick haben bestätigen lassen, müssen nicht zittern, dass ihre Nutzer im grossen Stil einen abermaligen Klick verweigern. Es sind dies im Besonderen die grossen Internetplattformen, die nun dank einem Persilschein als Anbieter oder Nutzer von personenbezogener Werbung weiterfahren können wie gehabt. Da man diese Plattformen in der Regel nur als registrierter User sinnvoll nutzen kann, lassen sich die Datenschutzbestimmungen komfortabel ans Login knüpfen: Wer nicht zustimmt, kommt nicht rein. Aber auch Webseiten ohne Login, die man vermeintlich anonym ansurft, können über Trackingcodes personenbezogene Daten abgreifen. Das betrifft in der Regel die Webauftritte der kleinen und mittleren Unternehmen, die online nicht den Ruf des Unverzichtbaren geniessen. Und da wird es mühsamer, dem Buchstaben des neuen Gesetzes zu folgen.
Haben diese Firmen die Datenschutzbestimmungen bisher elegant in den Buchstabenwüsten der AGBs oder ähnlicher Unterseiten verstecken können, müssen sie nun als Bittsteller aktiv auf die User zugehen: sei es per E-Mail oder mit einer Overlay-Box auf der Website. Erscheint da die Aufforderung, zuerst einem Tracking zuzustimmen, bevor man weitersurfen kann, mag das schon zu Akzeptanzproblemen führen. Ohne dieses Tracking aber leidet möglicherweise die Qualität der Google Adwords und damit vielleicht die wichtigste Marketingmassnahme des Unternehmens. Grund genug, das Adwords-Budget zu kürzen? Wohl kaum: Das Adword bleibt auch unpersonalisiert der vermutlich effektivsten Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage.
Für viele Unternehmen ist auch der Newsletter ein wichtiger Umsatzbringer. Während früher eine Kundenbeziehung das Zusenden von Werbemails bereits legitimiert hat, braucht es heute dafür je nach Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO eine ausdrückliche und spezifische Erlaubnis des Empfängers. Versucht das Unternehmen per Mail die explizite Zustimmung zu erhalten, darf es wohl damit rechnen, dass ein Grossteil der Empfänger negativ oder gar nicht darauf reagiert. Und dieses Nichtreagieren bedeutet laut DSGVO: Nein. Damit dürfte manche Verteilerliste auf einen Schlag gut und gerne um 80 Prozent zusammenschrumpfen, aber kaum dem Newsletter-Marketing den Riegel schieben. Das Gesetzt wägt «berechtigte Interessen» der Firmen und der Empfänger gegeneinander ab. Juristen empfehlen deshalb eher, die Praxis der Rechtsauslegung abzuwarten, bevor solche so genannten Re-Opt-in-Mails mit fataler Wirkung verschickt werden. Glücklich, wer dank hervorragender Inhalte in der Vergangenheit die treue Leserschaft bereits gewonnen hat.
Auch bestimmte Targeting-Formen auf Facebook sind ohne explizite Einwilligung nicht mehr erlaubt, etwa die Adressierung von Facebook-Anzeigen an die Besucher der eigenen Website. Viele Firmen erlauben Facebook durch Einbindung eines Codes an den Besuchern der eigene Website zu schnüffeln. Oder sie laden gleich ihren ganzen Kundenstamm bei Facebook hoch, um die eigenen Kontakte als «Custom Audience» auch über Facebook zu erreichen. Dank eines schlauen Anonymisierungsverfahren wurden damit bisher keine Datenschutzbestimmungen verletzt. Im Geiste der DSGVO handelt es sich hier aber genau um eine Praxis, vor der die Konsumenten ausdrücklich zu schützen sind. Diese Methode ist allerdings in der Schweiz nicht so verbreitet, dass den Unternehmen ein Bein abfällt, wenn sie darauf verzichten müssen. Andrerseits lässt sich auch dafür die Zustimmung einholen, wie es Tamedia offenbar praktiziert.
Philipp Stamm, Chefjurist von Goldbach schreibt in einem Artikel: «Die Werbewirtschaft wird sich umstellen und teilweise neu erfinden müssen». Bei näherem Spekulieren kommt man aber eher zum Schluss: Umstellen ja, aber sich neu erfinden muss sich die Werbewirtschaft wegen der DSGVO nicht. Weiter schreibt er: «Allenfalls werden andere Werbeformen, die keine Personendaten zur Erstellung benötigen, wie beispielsweise im Bereich von contentbezogener Werbung, wieder beliebter.» Aus Sicht der Mediennutzer ist contentbezogene Werbung zweifellos sympathischer als jene, die ihre Werbewirkung aus erschnüffelten Profilen zieht, selbst wenn sie dadurch für den User an Relevanz gewinnt. Dennoch ist es viel wahrscheinlicher, dass die Werbewirtschaft an ihren aktuellen Instrumenten und Kanälen festhält, selbst wenn der Anteil der personenbezogenen Werbung aufgrund der Restriktionen sinken mag. Der Content-Trend wird eher zulasten klassischer Werbung weiter steigen.
Kommende Datenskandale und Hackerattacken mögen die Datensensibilität der Bürger weiter ansteigen lassen, aber verzichten will der gemeine Internetnutzer auf die digitalen Dienste ja doch nicht. Letztlich hat er schon heute viel mehr Datenweisungsrechte als er sich bequemt wahrzunehmen. Der Datenschutzproblematik im Internet ist wohl eher technologisch als juristisch beizukommen: Die Blockchain-Technologie verspricht, dem Nutzer die Hoheit über seine persönlichen Daten zurück zu geben. Bleibt abzuwarten, ob die grossen Nummern im Internet diese Entwicklung vorantreiben oder meiden. Mark Zuckerberg, ausgerechnet, will darauf setzen.
Lahor Jakrlin 22. Mai 2018, 16:33
Die DSGVO ist gut gemeint, aber der Kollateralschaden für die KMU ist gewaltig, ich möchte gar nicht wissen, wie viele Stunden bereits bis heute für Lösungen geopfert wurden. Denn Newsletter SIND die Werbemittel der KMU der Stunde und können nur in beschränktem Rahmen durch FB wettgemacht werden.
Mit dem Verlust von 80 % der Adressen liegt der Autor des Artikels richtig. Ich glaube sogar, dass es im Newslettering 90 und mehr Prozente sein werden.
Neben diesem Verlust geht aber vergessen, dass jene, die es treffen sollte, die anonymen Spam-Schleudern aus Russland, Nigeria oder Indien, weiterhin ihren Schrott in Abermillionenauflagen versenden werden. Sie haben nichts zu befürchten.
Und wir Werbeagenturen? Mit DSGVO werden erstmals Grenzen der E-Kommunikation gesetzt. Damit kann es zur Wiederentdeckung kreativerer Werbemassnahmen kommen. Vielleicht gewinnen sogar Inserate und Plakate wieder ein paar Prozente zurück.
Schön wärs.