Kampf um den Schweizer Pulitzer
Während die Branche kriselt, erleben Medienpreise ein Hoch. Doch welches ist die wichtigste Auszeichnung für guten Journalismus im Land? Eine Recherche zwischen Rindsentrecôte und Fleischbällchen.
Bis vor einigen Jahren waren Journalistenpreise noch etwas Intimes. Jede Region oder Sparte zeichneten ihre eigenen Leute aus. Die Zürcher, die Berner, die Aargauer, die Ostschweizer, aber auch die Katholiken, die Reisebranche, die Finanzjournalisten suchten nach den Besten ihres Fachs. An die Preisverleihungen kam, wer im jeweiligen Metier etwas zu sagen hatte.
Doch es tut sich gerade einiges in der Welt der Medienpreise. Einerseits gibt es neue, thematisch und räumlich offener formulierte Ausschreibungen – und zwar nicht nur solche, die Firmen oder Verbänden als PR-Vehikel dienen. Seit diesem Jahr wird der Reporterpreis des Vereins Reporterforum vergeben, seit 2015 der Preis «real21» von der Journalistenschule MAZ und der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke Alliance Sud. Andererseits wagen sich traditionsreiche Lokalpreise auf neues, nationales Terrain vor. So heisst der ehemalige BZ Preis für Lokaljournalismus bereits seit 2011 Swiss Press Award und zeichnet Beiträge aus der ganzen Schweiz aus – Print, Radio, TV, Online, Deutsch, Französisch, Italienisch, Rumantsch, Reportage, Interview, Bericht, ganz egal. Und nun ist auch der Zürcher Journalistenpreis aus seinen Stammlanden ausgebrochen. Statt an Print-Journalisten aus Zürich und Schaffhausen richtete er sich in diesem Jahr erstmals an Berufsleute aus der gesamten Deutschschweiz. Zudem wurde in Zusammenarbeit mit dem Verband Junge Journalisten Schweiz erstmals ein Newcomer-Preis vergeben.
Generell darf man es als begrüssenswert bezeichnen, dass es immer mehr Medienpreise gibt. So weisen diese auf den Wert hin, den Journalismus für unsere Gesellschaft leistet. Zudem tragen sie dazu bei, einzelne Journalisten zu qualitativem Arbeiten und aussergewöhnlichem Einsatz zu motivieren.
Man muss sich erst recht nicht wundern, dass dieser Kampf nicht ohne die eine oder andere Stichelei vonstatten geht.
In der neuen Unübersichtlichkeit stellt sich allerdings die Frage, welches denn der wichtigste Medienpreis des Landes ist, quasi der «Pulitzer der Schweiz». Zwei Preise erheben dabei mehr oder weniger explizit diesen Anspruch, und man muss sich nun nicht wundern, dass es auf einen Kampf der Hauptstadt Bern gegen die Medienhauptstadt Zürich hinausläuft und man muss sich erst recht nicht wundern, dass dieser Kampf nicht ohne die eine oder andere Stichelei vonstatten geht.
Müssen wir uns nun für einen der beiden Journalistenpreise als Schweizer Pulitzer entscheiden, dann können wir es uns einfach oder schwer machen. Einfach, indem wir die Preissummen vergleichen. Gegenüber dem amerikanischen Vorbild (je 10’000 Franken pro Pulitzer-Kategorie) muss sich zwar keiner der beiden Schweizer Kandidaten verstecken. Der Swiss Press Award schwingt mit total 110’000 Franken gegenüber dem Zürcher Journalistenpreis mit 40’000 Franken obenaus. Schwer machen könnten wir es uns, wenn wir versuchen, die ausgezeichneten Beiträge qualitativ zu vergleichen. Das wollen wir uns aber nicht anmassen, denn in beiden Jurys sitzen zweifellos exzellente Leute. Zum Glück gibt es eine dritte Option: Wir besuchen die beiden Veranstaltungen und schauen dann weiter.
Ende April, Hotel Bellevue Palace in Bern. Kronleuchter und roter Teppich, Rindsentrecôte, viel Wein: Preisverleihung des Swiss Press Award. Guido Albisetti, Präsident der Fondation Reinhardt von Graffenried, begrüsst im Salon Royale zum «Familientreffen der Schweizer Presse», wiederholt seine Worte in Italienisch, spricht über den Verkauf der BaZ und die Sparmassnahmen bei der SDA und betont, wie wichtig es sei, diese Zeiten gemeinsam durchzustehen. Noch ein organisatorischer Hinweis, man dürfe nicht zu früh fertig sein, nebenan diniere der Schweizer Bundesrat mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Lacher.
Trotzdem hält sich der Gastredner, Medienprofessor Otfried Jarren, zum Glück kurz. Journalismus sei Voraussetzung für eine offene, demokratische Gesellschaft, Punkt. Die Preisverleihung: Ehrung, Gespräche, eingespielte Videobeiträge. «Würdig», nennt es einer der Nominierten, «kurzweilig» ein Gast. So bunt wie das Programm (durch das Zwischenspiel der Bündner Musikerin Bibi Vaplan ist auch die vierte Landessprache vertreten), sind auch die Gäste. Chefredaktoren hier, Professoren da, ehemalige Preisträgerinnen drüben, sonst irgendwie wichtige Leute überall. Später hängen sie für den Apéro Riche im Salon du Palais ihr Weinglas an den Teller, laden ein paar Streifen Rindsentrecôte auf und debattieren über die Vergangenheit und Zukunft der Medien. Ein Fotograf Mitte 20 steht einsam im Raum, er kommt gerade von einem Projekt in Afrika. «Schon verrückt», sagt er.
Drei Wochen später, Kaufleuten Zürich Rote Vorhänge, Gnocchi und Fleischbällchen, mindestens so viel Wein wie in Bern: Preisverleihung des Zürcher Journalistenpreises. Andrea Masüger, Präsident des Stiftungsrates, spricht von einer «zerrissenen Branche», die scheinbar vor allem über ihre eigene Befindlichkeit spricht, statt das Positive zu sehen, 350 Beiträge seien eingegangen, doppelt so viele wie letztes Jahr. «Keine Spur von Krise oder Niedergeschlagenheit der Journalisten.» Die beiden Gastredner, Jochen Wegner Chefredaktor von Zeit Online, und der Kabarettist Timo Wopp, haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind Deutsche – und sie sind brillant. Letzteres bestätigen die Gäste, als der Apéro Riche endlich serviert wird. «Etwas lange» sei’s schon gegangen, die Luft wurde immer dicker in den zweieinhalb Stunden, selbst Moderator Hannes Britschgi hatte am Ende «kaum mehr Sauerstoff», wie er zugab. Was sonst noch auffiel: Im Saal hatte es beinahe ebensoviele PR-Leute wie Journalisten. Und: Selbst als der Abend alt und älter wurde, blieb der Festsaal stets in etwa gleich voll, obwohl doch einige nach Hause gegangen waren.
Welcher Preis ist nun besser? Schwierig. Um zu einem Fazit zu kommen, könnte etwas Hintergrund helfen.
Die Kampfansage aus Zürich erfolgte nicht direkt, sondern übers Internet. «Der Zürcher Journalistenpreis ist die renommierteste Auszeichnung journalistischer Leistungen in der Schweiz», schreibt die Stiftung auf ihrer Webseite. Natürlich stösst diese Aussage die Berner vor den Kopf, die mit dem Swiss Press Award seit vielen Jahren einen nationalen Preis vergeben und alles tun, um damit allen Regionen und Sprachen gerecht zu werden. Entsprechend deutlich die Reaktion des Mannes, der den Preis massgeblich mitprägt, Michael von Graffenried: «Fake News!» sagt er. Aber er lacht dabei. Es geht hier ja nicht – und das ist derzeit nicht überall so in der Medienbranche – um eine existenzielle Frage.
«Mir ist kein Preis bekannt, der so alt ist wie unserer.» Der Zürcher Journalistenpreis wurde 1980 vom Zürcher Presseverein ins Leben gerufen.
So laut die Kampfansage klingt, so leise ist das Auftreten von Andrea Masüger, Präsident der Stiftung Zürcher Journalistenpreis und CEO von Somedia. Nicht ein arroganter Zürcher, sondern ein bescheidener Bündner nimmt in einem Zürcher Bahnhofsrestaurant Platz. Er bestellt einen kleinen Salatteller und lädt sich neben etwas Grünzeug einige Oliven und eine einzige Garnele auf den Teller. Masüger sagt, dass sich die Aussage im Internet auf Tradition und Bedeutung des Preises beziehe. «Mir ist kein Preis bekannt, der so alt ist wie unserer.» Der Zürcher Journalistenpreis wurde 1980 vom Zürcher Presseverein ins Leben gerufen.
«Unsere Mittel sind beschränkt, wir können uns nicht alles leisten.» Masüger spielt auf den Berner Preis an, der alleine vom Ertrag aus einem Stiftungskapital von rund zehn Millionen Franken lebt und der bis vor einigen Jahren noch so viele Promis zu seinen Gästen zählte, so dass sogar «Glanz und Gloria» vom Schweizer Fernsehen berichtete. Die Zürcher dagegen müssen für die Finanzierung ihres Preises bei privaten Spendern weibeln. Masüger verkürzt: «Wir sind die Armen, sie die Reichen.»
Unter den Firmen, die den Zürcher Journalistenpreis unterstützen, befinden sich einige illustre Namen: So bezahlt etwa der Tabakmulti JTI als Goldsponsor 30’000 und Silbersponsor Google 20’000 Franken. Auch UBS, Hoffmann-La Roche, Syngenta, Novartis sowie die einflussreiche Lobby-Agentur «Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten» gehören zu den Geldgebern. «Die Spenden verstehen sich ohne Gegenleistung», sagt Masüger, «die Firmen mischen sich nicht ein.» Ob auch ein kritischer Artikel über Google ausgezeichnet werden könnte? «Theoretisch ja. Wir waren noch nie in der Situation.» Sagen wir es so: Die Sponsoren haben Absichten. Dem Preisverleiher aber Abhängigkeit zu unterstellen, wäre allerdings heuchlerisch – so funktionieren werbefinanzierte Medien ja seit einer Ewigkeit.
Lange war man es sich auch beim Swiss Press Award gewohnt, dass einem die Verleger wohlgesinnt waren.
Auch viele Medienhäuser unterstützen den Zürcher Journalistenpreis mit Kleinbeträgen in der Höhe von einigen Tausend Franken: Von der NZZ, Ringier, Tamedia, über die Weltwoche bis zur WoZ: Hier scheinen sich die Verleger für einmal einig zu sein. Lange war man es sich auch beim Swiss Press Award gewohnt, dass einem die Verleger wohlgesinnt waren. Vor zwei Jahren jedoch erlebte Michael von Graffenried eine unangenehme Überraschung.
Er sitzt im versteckten hinteren Teil eines kleinen Cafés zwischen Bahnhof und Bundeshaus und trinkt seinen zweiten Espresso. Es sei dies eines seiner ambulanten Büros, sagt er, der Sohn von Charles von Graffenried, dem Gründer von Espace Media sowie der Stiftung hinter dem Preis. Von Graffenried lebt zwischen Bern, Paris und Brooklyn.
Die Überraschung ging so: Als von Graffenried wie jedes Jahr erneut den Tamedia-Zeitungen das Inserat mit den Nominierten für den Swiss Press Award mit der Bitte zum Abdruck schickte, habe man ihn gebeten, die Kategorien TV und Radio aus dem Inserat zu entfernen. «Aus Gerechtigkeit gegenüber den für den Preis nominierten Journalistinnen und Journalisten und allen anderen Verlegern musste ich ablehnen», sagt er. Seitdem erscheint das Inserat in Tamedia-Titeln nicht mehr – auch nicht in der Berner Zeitung, der Geburtsstätte des Swiss Press Award. Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer bestätigt den Sachverhalt: «Wir haben dem Swiss Press Award bereits vor einigen Jahren mitgeteilt, dass wir gerne bereit sind, Inserate für die Kategorien Print, Online, Lokal und Photo zu veröffentlichen, weil wir als Medienhaus keine Radio- und TV-Journalisten beschäftigen.» Das war auch in diesem Jahr nicht anders. Gleichzeitig legte sich Tamedia für den Zürcher Journalistenpreis mächtig ins Zeug und publizierte in seinen Titeln massenhaft Inserate für die Konkurrenz zum Swiss Press Award.
«Die Stiftung verfolgt alleine den Zweck, Schweizer Journalismus zu fördern.»
Michael von Graffenried, Swiss Press Award
Vielleicht ist es diese Nähe des Zürcher Journalistenpreises zu Verlegern und Sponsoren, warum Von Graffenried, selber Fotograf, an die Journalisten appelliert: «Der Swiss Press Award ist euer Preis. Ihr müsst ihn euch nur nehmen.» Was er damit meint: Der Preis «gehört» niemandem, es profitiert niemand, ausser den Journalisten selbst – keine Verleger, keine Firmen, keine anderen Abhängigkeiten. Das Stiftungskapital von rund zehn Millionen Franken wird im Interesse der Stiftung angelegt und die Zinsen für die Vergabe der Preise eingesetzt. «Die Stiftung verfolgt alleine den Zweck, Schweizer Journalismus zu fördern», so von Graffenried. Das Geld gehört also vereinfacht gesagt dem Schweizer Journalismus. «Dass es dazu gekommen ist, ist ein Zufall, aber auch ein Riesen-Glück», sagt Graffenried. «Ich versuche seit Jahren, das den Leuten zu erklären.» Nun hat er Gelegenheit dazu.
Gegründet wurde der Swiss Press Award 1986 als Lokaljournalismuspreis von der Berner Zeitung, damals im Besitz vom 2012 verstorbenen Charles von Graffenried sowie dem heute 89-jährigen Papierfabrikanten Erwin Reinhardt. Dieser war durch die Medienbranche reich geworden, auf diese Art und Weise wollte er dem Journalismus etwas zurück geben.
Von Graffenried senior war ein Geschäftsmann, und Junior Michael von Graffenried kostete es einige Anstrengungen, den kühl rechnenden Vater von einer Sache zu überzeugen, die keinen unmittelbaren Gegenwert brachte. Doch er schaffte es – zunächst mit dem Fotopreis Swiss Press Photo, später kamen die Kategorien Print, Online, Radio und Video dazu. Die jährliche Preisverleihung diente anfangs als Firmenanlass der BZ. Was folgte, waren turbulente Jahre im Mediengeschäft: Aus dem BZ-Verlag wurde das Medienhaus Espace Media, das von Graffenried 2007 schliesslich der Tamedia verkaufte. Der Zürcher Verlag hatte damals kein grosses Interesse daran, den BZ-Medienpreis und die gemeinnützige Stiftung zu übernehmen. So wurde diese verlagsunabhängig organisiert unter dem Namen seiner beiden Gründer und heisst seither Fondation Reinhardt von Graffenried.
Beide Medienpreise ihre eigenen Gründe, warum sie aus ihrem lokalen Gärtchen ausgebrochen sind.
So kommt es, dass es heute zwei Medienpreise gibt, die mit dem Selbstverständnis auftreten, die wichtigste Auszeichnung im Land zu sein. Beide haben ihre eigenen Gründe, warum sie aus ihrem lokalen Gärtchen ausgebrochen sind. Von Graffenried sagt: «Früher musste man dem Lokaljournalismus unter die Arme greifen, heute ist es der überregionale Journalismus, der Unterstützung braucht.» Und Andrea Masüger bemerkt, dass die Fokussierung nur auf Zürich anachronistisch gewesen sei. «Ein bekannter Chefredaktor bemerkte einmal, das sei fast schon inzestuös.»
Doch ist die Schweiz nicht zu klein für zwei grosse Medienpreise? Masüger findet nicht. Solange beide Auszeichnungen über genügend viele Einreichungen verfügten, sei ihre Existenz gerechtfertigt. Er nutzt die Gelegenheit für die nächste Spitze nach Bern. Er habe eine Idee, wie eine sinnvolle Abgrenzung möglich wäre: «Ich könnte mir vorstellen, dass dies eine gute Aufgabenteilung für die Zukunft ist. Radio und TV in Bern, Print und Online in Zürich.»
Die scharfe Munition dürfte in diesem Kampf um die wichtigste journalistische Auszeichnung im Land aber im Keller bleiben.
Man mag den Zürchern die Provokationen verzeihen, schliesslich müssen diese ihren Preis vor der vereinten Wirtschaft verkaufen. Die scharfe Munition dürfte in diesem Kampf um die wichtigste journalistische Auszeichnung im Land aber im Keller bleiben. Geht es nicht um Geld, sondern um Ansehen, nicht um Sein, sondern um Schein, dann zählen subtilere Methoden.
Also, wer hat nun das Prädikat des Schweizer Pulitzers verdient, das «reiche», dafür unabhängige Bern, oder das «arme», von Verlegern und Firmen getragene Zürich? Einen solchen Entscheid für das eine oder andere zu treffen ist unglaublich schwer, denn beide Preise fördern guten Journalismus, das zeigt der Blick auf die ausgezeichneten Arbeiten: In Bern gewannen Geschichten über Feierabendpolitiker, das Vereinsleben, ein Flüchtlingslager, radikale Tierschützer und Betrug bei der Arbeitslosenkasse. In Zürich siegten solche über Schlachthöfe, Schweizerhalle, Paradise Papers und das Burkaverbot. Sowie Peter Studer, der für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.
Aber da ich nun ohne Fazit nicht davon komme, nehmen Sie dies mit auf den Weg: Nur der Preis in Bern ist genau genommen ein «Schweizer» Preis, weil er als einziger alle vier Landessprachen abdeckt. Ausserdem, Verzeihung, war das Entrecôte etwas zarter.
Transparenzhinweis: Der Leiter der MEDIENWOCHE, Nick Lüthi, ist Jury-Präsident der Online-Kategorie des Swiss Press Award.
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