von Benjamin von Wyl

Der Preis der Zürcher Medienhäuser?

Letztes Jahr war es nur eine Randnotiz, dass der «Zürcher Journalistenpreis» neu von Tamedia, Ringier und der NZZ getragen wird. Dabei wäre der renommierteste Deutschschweizer Medienpreis fast eingegangen, hätten sich die Medienkonzerne nicht zusammengerauft.

Der «Zürcher Journalistenpreis» hat einiges erlebt. Einst feierten Thomas Borer, Lilian Fetscherin und Jörg Kachelmann für seine Finanzen in Nobelhotels. Einst erhielt eine Anna-Christina Gabathuler den allerersten Newcomer-Preis, den beinahe beleidigend niedrig dotierten «Sonderpreis von 600 Franken für eine junge Autorin» (SDA). Damals war Bundesratsgatte Hans W. Kopp Jurypräsident und Aushängeschild. 1988 trat die «Galionsfigur» Kopp dann nach «mehreren Wochen schriftlicher und mündlicher» Bitten zurück «in den Halbschatten», um «negative Auswirkungen» auf den Preis abzuwenden, wie der «Bund» berichtete.

Kopp blieb nicht die einzige Verbindung des Preises zu Skandalen der jüngeren Schweizer Geschichte: Bis 2001, dem Jahr des Grounding, wurde im Rahmen des ZJP auch ein mit 5000 Franken dotierter «Swissairpreis» verliehen. Der ZJP, der seit 40 Jahren verliehen wird, ist der einzige Schweizer Medienpreis, der selbst geschichtsträchtig ist. Und trotzdem hätte seine Geschichte abrupt enden können.

Vor drei Jahren war das «Finanzierungsleiden am Peak», erinnert sich der amtierende Jurypräsident Hannes Britschgi. 2017 fand der «Zürcher Presseball» zum letzten Mal statt – und damit stoppten auch die jährlichen Zahlungen des «Zürcher Pressevereins» ZPV an den Preis. Dabei war der ZJP mal der Preis des Pressevereins; in den ersten Jahren durften sich gar nur ZPV-Mitglieder bewerben. Was ist passiert?

ZPV-Präsident Janosch Tröhler sagt zum Rückzug: «Wir sind ein Berufsverband und benötigen unsere Mittel für die Mitglieder.» Er sehe keine Möglichkeit, Jahr für Jahr 15’000 Franken für einen Medienpreis zu zahlen. «Die Spenden an den Journalismus fliessen nicht mehr so wie früher. So wurde es für die Agentur, die den Ball organisierte, nur schon zum Problem, genug Preise für die Tombola zu finden.»

Der «Presseball» war eine bonzige Veranstaltung. Journalist:innen konnten «Dinner-Ballkarten» zum «Vorzugspreis» für 490 Franken kaufen. Billiger waren «Champagner-Ballkarten» für 100 Franken – aber nicht in jedem Jahr garantierten die einen Sitzplatz. Solange sich das gehobene Zürich auf so etwas wie eine «Ballsaison» freute, füllte der Presseball während fast 100 Jahren das Sozialfonds und die Spendenkasse des ZPV.

Doch statt auf die Ballsaison freut sich heute auch das gehobene Zürich auf die nächste «Bridgerton»-Staffel und der Sponsoring-Motor stottert nicht nur für Tombola-Lose, folgt man ZJP-Jurypräsident Britschgi:

«Wir sind so am Limit gelaufen bei der Sponsorensuche, dass ich Freunde gefragt habe.»

Der gesamte Stiftungsrat des «Zürcher Journalistenpreis» habe alles getan, um den Preis weiterhin zu sichern. Die jährlichen Ausgaben der ZJP-Stiftung belaufen sich auf etwa 120’000 Franken für Preissumme, Verleihungsfeier, Broschüre und die Teilzeit-Geschäftsstelle. Beim Sponsoring hatte die ZJP-Stiftung ohnehin nie Berührungsängste. Die Sponsorenliste ist jedes Jahr so lang, dass wohl viele nie auf die Idee gekommen wären, dass der ZJP in Geldnot ist. Schweizer Medienhäuser gehören dazu, auch Grossbanken wie die UBS oder Konzerne wie Syngenta oder Google. 2018, zeitgleich mit dem «Finanzierungsleiden», wurde Japan Tobacco International JTI zum «Goldsponsor».

Als Britschgi auf Spendensuche war, wälzte er bereits die Idee, dass der «Zürcher Preis» von den «drei grossen Häuser in der Medienhauptstadt Zürich» getragen werden sollte. Manchen habe er die Idee anvertraut. Aber dass sie dann so schnell zur Umsetzung kam, lag an vielen Zufällen. Bei der Preisverleihung 2019 im Zürcher Klub «Kaufleuten» war Pietro Supino Festredner. In dem Jahr gewannen zwar «NZZ Folio», «SonntagsBlick» und die «Schaffhauser AZ» und Tamedia ging leer aus – aber im Vorjahr erhielt das Recherchedesk von Tamedia den «Zürcher Journalistenpreis» für ihre Aufarbeitung der «Paradise Papers». Ist das der Grund, weshalb sich Supino für das Thema seiner Rede entschied? Womöglich lag es auch einfach daran, dass die Branche im Schock der Relotius-Enthüllung Sinn und Kriterien von Medienpreisen grundsätzlich hinterfragte. Jedenfalls sprach Supino über die Wichtigkeit, hervorragenden Journalismus auszuzeichnen.

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«Herr Supino hat eine sehr schöne Rede zu Journalistenpreisen gehalten. Da war mein Moment gekommen», erinnert sich Britschgi. Beim Apéro hat er, der Supino bereits von seiner Zeit als Chefredaktor des Tamedia-Magazin «Facts» kannte, dem Gastredner die Idee geschildert: Tamedia, die NZZ und Ringier sollen Träger werden und damit das Überleben des «Zürcher Preis» garantieren. Supino versprach: Wenn Ringier und die NZZ mitmachen, bin ich auch dabei. Den Zugang zu Ringier-CEO Marc Walder hatte Britschgi als Leiter der Ringier-Journalistenschule, also galt es die NZZ zu überzeugen. Zusammen mit Stiftungsratspräsident Andrea Masüger hat Britschgi also bei deren Chefredaktor Eric Gujer vorgesprochen:

«Als die NZZ an Bord war, sind wir an die Werdstrasse. Supino hat ohne Zögern Wort gehalten.»

Gujer und Supino gehören nicht gerade zu den beliebtesten Chefs der Medienbranche – doch in der Schilderung von Britschgi klingen sie wie die herzlichsten und leidenschaftlichsten Menschen. «Es war natürlich schön, wie klar die Branchengrössen sagten, wir wollen den Preis. Dafür bin ich wirklich dankbar, denn für uns ging es um Sein oder Nichtsein.»

Nun zahlen Ringier, Tamedia und die NZZ je 30’000 Franken pro Jahr an die ZJP-Stiftung und entsenden je eine Person in den Stiftungsrat. Für Ringier hat dort Britschgi Einsitz, von der NZZ ist es der stellvertretende Chefredaktor Daniel Wechlin und bei Tamedia der ehemalige «20 Minuten»-Chefredaktor und heutige Geschäftsführer Marco Boselli. Beteiligt ist nicht der Konzern TX Group, sondern deren Unternehmen Tamedia.

Mindestens ein Jurymitglied hat wohl wegen Boselli grosse Augen gemacht: Der Stiftungsrat sitzt bei den Jurysitzungen mit im Raum. Aber durch die neue Trägerschaft besteht kein Risiko, dass der «Zürcher Journalistenpreis» nur unter den grossen Häusern ausgemacht wird, versichert Britschgi.

Einzig beim Lebenswerk-Preis hat der Stiftungsrat ein Vorschlagsrecht. Es entscheidet aber immer die Jury.

Für diese heisse es «vor allem im Frühling: Lesen! Lesen! Lesen!» Die Jury, die «zu Gottes Lohn» – also gratis – arbeitet, teilt sich die über 150 Beiträge auf Zweierteams auf. Gesiebt wird also schon vor der grossen Sitzung. Bei der Verteilung achte Britschgi unter anderem darauf, dass Ringier-Beiträge nicht an ihn gehen, um den Anschein von Befangenheit zu vermeiden. Generell sei es für die Würde der Juryarbeit entscheidend, ein Gespür zu entwickeln, wann man wegen persönlicher oder beruflicher Nähe in Ausstand treten muss.

Das Letzte, was der «Zürcher Journalistenpreis» werden wolle, sei «eine geschlossene Gesellschaft, wo die grossen Reporterseelen hie und da eine Streicheleinheit bekommen.» Im Gegenteil habe man ja in seinen bisher fünf Jahren Jurypräsidium den Preis für die gesamte Deutschschweiz geöffnet. Bereits bei der Juryzusammensetzung achte man darauf, dass sich in ihr keine Leute versammeln, die sowieso immer «Das Magazin»- und «NZZ Folio»-Reportagen auszeichnen wollen. Intern gebe es mittlerweile ein breites Bewusstsein, dass nicht alle Journalist:innen unter denselben Bedingungen arbeiten. «Man merkt es Texten an, wenn an ihnen lange geschrieben, redigiert und Postproduction betrieben worden ist», so Britschgi. Deshalb nominiere man bewusst auch Arbeiten, die vielleicht weniger Betreuung erhielten. «Es gibt auch keine unsichtbare Barriere à la «Ab 10’000 Zeichen kommst du erst in Preisnähe», sagt Britschgi. 7400 Zeichen zählte der kürzeste Text, der in seiner Zeit ausgezeichnet worden ist.

Christina Neuhaus, Stefan von Bergen, Nina Jecker, Lisa Feldmann, Hansi Voigt und Britschgi tagten auch 2021 Anfang Mai. Aus 160 eingereichten Arbeiten nominierten sie deren zehn für den Haupt- und drei für den Newcomerpreis. Es sind grosse und kleine Medienhäuser vertreten. Was auf den ersten Blick auffällt: Fast alle Beiträge stammen von Männern. Bei den Nominierten für die drei mit 10’000 Franken dotierten Hauptpreise findet sich kein einziger Beitrag, bei dem nicht zumindest der Co-Autor ein Mann ist. Wie kommt das? Britschgi erklärt sich: «Wir haben das diskutiert. Diversity ist ein Kriterium, aber wenn die Ausgangslage der Arbeiten so ist, kann es nicht der einzig ausschlaggebende Punkt sein.» Es sei nicht so, dass sich fast nur Männer um den Preis bewerben. Eltern, Geschwister, auch Leser:innen reichen Artikel ein.

«Und die Liste zeigt ja bloss die Nominierten und nicht, wer den Preis auch bekommt.»

Ist das bereits ein Hinweis für die Preisverleihung im September? Man ist gespannt.