Bieler Tagblatt verabschiedet sich von Tamedia
Anstatt fertige Seiten von der «Berner Zeitung» zu beziehen, setzt das Bieler Tagblatt künftig auf die Zusammenarbeit mit Zeitungen und Magazinen aus dem In- und Ausland, so etwa mit der WOZ oder dem «Beobachter». Man kann den Schritt auch als medienpolitisches Signal verstehen.
Bernhard Rentsch zeigt sich realistisch: «Ich träume nicht davon, die Zahl der Abos zu steigern, sondern den Rückgang zu verlangsamen». Doch selbst für dieses bescheidene Ziel musste sich der Chefredaktor des Bieler Tagblatts Einiges einfallen lassen. Die Herausforderung, vor der er steht, kennt inzwischen jedes Zeitungshaus: bei sinkenden Erträgen ein Produkt bieten, für das die Leute zu bezahlen bereit sind. Das probate Mittel dafür heisst Kosten senken. Ein grosser Kostenblock macht in Biel die Mantelpartnerschaft mit Tamedia aus.
Für seine überregionalen Ressorts kriegt das Bieler Tagblatt seit fünf Jahren fertige Seiten der «Berner Zeitung» geliefert. Ende September ist Schluss damit. «Wir haben in Absprache mit unserem Verleger Marc Gassmann den Vertrag mit Tamedia für den BZ-Mantel regulär gekündigt», sagt Bernhard Rentsch im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Damit spart die unabhängige Regionalzeitung einen tiefen sechsstelligen Betrag. Die nationale und internationale Berichterstattung wird das Bieler Tagblatt im Tagesgeschäft fortan mit SDA-Meldungen bestreiten. Das alleine wäre noch keine Innovation, sondern ein ganz profaner Leistungsabbau.
Um den Leserinnen und Lesern trotz Sparmassnahmen einen publizistischen Mehrwert zu bieten, setzt die Redaktion einen Teil der frei werdenden Mittel aus der Mantel-Kündigung für eine neue Magazinbeilage ein. Dafür muss sich das Bieler Tagblatt bereits wieder von der Blattarchitektur verabschieden, die sie erst vor drei Jahren eingeführt hatte. Ab kommendem Herbst erscheint das Blatt von Montag bis Samstag als Einbund-Komplettzeitung, von Donnerstag bis Samstag liegt dem Hauptblatt das neue Magazin bei als zweiter Bund im identischen Broadsheet-Format.
Während sich die Redaktion auf lokale Recherchen konzentriert, sucht sie für die Hintergrundberichterstattung aus dem In- und Ausland die Kooperation mit anderen Zeitungen und Magazinen. Mit der Wochenzeitung WOZ und dem «Beobachter» ist man sich bereits handelseinig geworden. «Wir können von ihnen Texte à discretion übernehmen», sagt Bernhard Rentsch. Einzige Bedingung sei es, dass die Ausgaben, aus der die Artikel stammen, nicht mehr am Kiosk erhältlich sei. Abgerechnet wird pro publiziertem Text. Bei der WOZ zahlt das Bieler Tagblatt noch einmal den Honorarbetrag, mit dem die Wochenzeitung ihre AutorInnen entschädigt hat. Ähnliche Vereinbarungen für die Artikelübernahme will das Bieler Tagblatt mit weiteren Zeitungen aus dem In- und Ausland treffen. So auch mit der «Berner Zeitung» BZ und anderen Tamedia-Titeln. «Wir haben keinen Streit mit Tamedia, auch wenn wir den Mantel gekündigt haben», betont Rentsch. Mit der BZ wird das Bieler Tagblatt ohnehin die bestehende Kooperation für den Austausch regionaler Artikel weiter pflegen.
Für die WOZ stellte die Anfrage des Bieler Tagblatts eine Premiere dar. «Wir mussten uns darum zuerst einmal grundsätzlich überlegen, ob wir es ein gutes Modell finden, unsere Artikel zur Zweitverwertung freizugeben», sagt Kaspar Surber von der WOZ-Redaktionsleitung. Die Kooperation habe das Redaktionskollektiv überzeugt, auch weil sie sich auf die Übernahme weniger Artikel beschränke. Berührungsängste zwischen der politisch neutralen Regionalzeitung und der linken Wochenzeitung habe es keine gegeben. «Das war nie ein Thema in unseren Gesprächen mit dem Bieler Tagblatt», sagt Surber. Auch Bernhard Rentsch sieht darin kein Problem, zumal die WOZ ja nicht die einzige Quelle sei für die Bestückung der neuen Beilage.
Während das Bieler Tagblatt unter Spardruck zu einer kreativen Lösung fand, sieht WOZ-Redaktor Surber in dieser Form der Kooperation zwischen unabhängigen Medien ein «hochinteressantes Modell». Man setze damit auch ein Zeichen gegen die Medienkonzentration. Vom Tamedia-Mantel, der sich gerade über die ganze Deutschschweiz auslegt, wird nun immerhin ein Rockzipfel abgezwackt. Am grossen Bild ändert das natürlich nichts, zumal die Situation in Biel weiterhin fragil bleibt und nicht klar ist, wie lange das Modell Bestand haben wird. Von bleibendem Wert ist aber, dass aus einer Drucksituation heraus Medienleute zusammen ins Geschäft kamen, die sich sonst vermutlich nie kennengelernt hätten. Denn trotz der Kleinräumigkeit der deutschschweizerischen Medienlandschaft scheint eine Distanz wie jene zwischen Biel und Zürich im Normalfall schier unüberwindbar zu sein.
Beatrice Reimanb 12. Juli 2018, 07:53
Bravo BT! Das ist ein mutiger Schritt, der uns die demokratisch notwenige Vielfalt un der Medienwelt erhält. Ich bin stolz auf die Zeitung in meiner Heimatstadt und wünsche viel Erfolg!
Beatrice Reimann,Lugano
barbara 13. Juli 2018, 13:26
liebes BT , ich finde dies eine sehr mutige und positive entscheidung! nun bin ich sehr gespannt auf den herbst. viel erfolg!