von Benjamin von Wyl

«Ich arbeite als Journalist. Ich habe überhaupt keine politische Agenda.»

Vom Philosophieprofessor zum rasenden Reporter. Bis 2012 lehrte und forschte Klaus Petrus an der Uni Bern. Heute berichtet er als Reporter mit Bild und Text aus Uganda, Somalia und von der Balkanroute. Er macht, was er will und kann davon leben.

Klaus Petrus reagiert zuerst skeptisch. Was bringt denn ein Porträt über ihn? Es ist nicht so, dass er seine Vergangenheit verleugnen würde, aber interessant – interessant sei sie jedenfalls nicht. Der 50-Jährige hält es für nicht relevant, dass ihm der Berufswechsel vom Philosophieprofessor zum Reporter für Bild und Text gelungen ist.

In erster Linie arbeitet Petrus als Fotograf. Er berichte nur darüber, was ihn interessiert: Soziale Konflikte, Protestbewegungen und Tierschutz. Früher war Petrus in seinem Büro Gedanken auf der Spur. Heute ist er an der Frontline unterwegs auf der Balkanroute, im Nahen Osten, in Uganda oder Somalia. Wahrscheinlich sind viele Professorinnen und viele Journalisten Leidenschaftstiere, aber dass jemand das strukturierte Büroleben für die Theorie mit dem unsicheren Reporterdasein unterwegs tauschen kann, kommt doch eher selten vor. «Ich hab mir gesagt, ich gebe mir so plusminus ein Jahr. Nicht als Frist bis es sich rechnet, sondern um mich zu vernetzen. Nach einem Jahr wollte ich meine Geschichten machen können. Das hab ich geschafft.»

Aus den Reportagen von Klaus Petrus:


Petrus hatte bis 2012 eine SNF-Förderprofessur für Philosophie an der Uni Bern inne; medial fiel er damals vereinzelt mit seinen Positionen zur Tierethik auf. Sein Hauptfeld war aber die Logik: Mathematik in Sprachform quasi, Genauigkeitsarbeit. «Früher war ich auf der Suche nach dem logischen Verlauf eines Gedankens. Wenn du einem Argument auf der Spur bist, gedanklich Möglichkeiten ausschliesst und irgendwann dazu kommst: Das ist es.» Das habe ihn reingezogen. Und das Fundament für seine heutige Arbeit gelegt. «Das, was ich jetzt mache, könnte ich auch nicht machen, wenn nicht dieser Hintergrund da wäre: Die Neugier und die Ausdauer.» Egal, wo er ist: Jetzt verfolgt er nicht mehr hartnäckig die logische Gedankenkette, sondern nutzt Neugier und Ausdauer, um sich in Menschen einzufühlen: «Ich bin ja nicht tagelang mit den Flüchtenden an der ungarischen Grenze, weil mir das gefällt, sondern weil ich sie und ihre Situation verstehen will. Ich suche diese Nähe.»

«Ich habe mir schon vor vielen Jahren angewöhnt, überall zu arbeiten. Texte kann ich unterwegs allerdings nur abschliessen, wenn jemand dabei ist, dem ich sie laut vorlesen kann.»

Die Zeit als Professor betrachtet Petrus heute als Episode, sein jetziges Leben als weitere Episode und erlebt es noch etwas episodischer: Recherche, Reportagereise, Deadlines. Dann wieder von vorn. Aber so fliessend ihm der Übergang in dieses Leben erscheinen mag, was ist mit den ganz simplen Unterschieden? Vermisst er denn nicht die ruhige Schreibklause? «Ich habe mir schon vor vielen Jahren angewöhnt, überall zu arbeiten – und ich stecke relativ viel Energie in die Herstellung von Bedingungen, damit ich überall arbeiten kann. Texte kann ich unterwegs allerdings nur abschliessen, wenn jemand dabei ist, dem ich sie laut vorlesen kann.» Er war also bereits als Professor nicht auf die Ruhe des Elfenbeinturms angewiesen.

Petrus nimmt kaum Aufträge an, sondern verkauft den Redaktionen seine Geschichten und/oder Bilder. Bei der Frage, in welchen Medien seine Arbeiten erscheinen, ist der auf Unabhängigkeit und Eigenständigkeit beharrende Petrus flexibel. Anders sei es Freischaffenden, die «ihre Geschichten nicht um die Ecke machen, sondern reisen» kaum möglich, das finanzielle Risiko zu tragen, sagt er. Zahlen nennt er keine, aber er macht klar, dass seine Honorare kein allzu bequemes Leben erlauben. Adaptionen und Mehrfachverwertungen derselben Story sind für ihn existenziell.

«Ich bekomme mehr als Autor und Fotograf einzeln, aber bin günstiger als zwei Leute. Wenn ich mit Schreibenden zusammenarbeite, lohnt es sich nicht immer.»

Petrus‘ Referenzen vereinen alles was Rang und Namen hat oder, was irgendwo in der Nische überlebt: vom SZ-Magazin bis zur FAZ und von der sozialistischen Zeitung «Vorwärts» bis zum katholischen «Kirchenboten», fotografiert hat Petrus auch schon für «20 Minuten». Petrus sagt, Medien wie der Kirchenbote oder «Reformiert» seien bei vielen seiner Geschichten naheliegend: Religion ist sowohl im Nahen Osten als auch für viele Geflüchtete ein wichtiger Teil ihres Lebens. Obwohl Petrus den Spardruck selbst zu spüren bekommt, profitiere er als fotografierender und schreibender Reporter manchmal auch: «Ich bekomme mehr als Autor und Fotograf einzeln, aber bin günstiger als zwei Leute. Wenn ich mit Schreibenden zusammenarbeite, lohnt es sich nicht immer.»

Trotzdem arbeitet Petrus mittlerweile kontinuierlich und erfolgreich mit der deutschen Journalistin Andrea Jeska zusammen, etwa über Häusliche Gewalt in Albanien oder die Flüchtenden vom Südsudan in Uganda. Die Zusammenarbeit beginne bei der Recherche und ende mit der Textarbeit und Bildauswahl. So könne in jedem Arbeitsschritt ausgelotet werden, wie die visuelle und die Textebene zusammenspielen können.

«Was ich allen ans Herz lege: Halte dich an die Vorgaben! Sei wirklich pünktlich, achte auf die Kommata und mach einfach saubere Büez!»

Petrus wurde bereits als Professor für seine Positionen und sein Engagement für Tierrechte kritisiert. Soziale Konflikte, Protestbewegungen und Tierschutz – seine Themen lesen sich wie die Agenda eines Joint Ventures von Amnesty International und einer Tierrechtsorganisation. Ist er ein Aktivist im Reporterpelz? «Ich arbeite als Journalist. Ich habe überhaupt keine politische Agenda.» Die Positionierung ergebe sich aus journalistischer Überzeugung und der Perspektive seiner Geschichten. «Wenn du in Konfliktsituationen verwickelt wirst, hast du fast nur zwei Möglichkeiten. Du berichtest entweder über den Konflikt oder über die Leute im Konflikt. Die Konfliktanalyse ist auf abstrakter politischer Ebene. Da nimmt man automatisch die Perspektive der Mächtigen ein. Und natürlich nimmst du Partei ein, wenn du über die Leute berichtest.»

Im Episodenleben des Reporters ist Petrus angekommen. Wie sehr diese pragmatische Berufsrealität heute die seine ist, zeigt sein als solches angekündigtes Schlusswort: «Was ich allen ans Herz lege: Halte dich an die Vorgaben! Sei wirklich pünktlich, achte auf die Kommata und mach einfach saubere Büez!»

Bild: Klaus Petrus, Montage Marco Leisi