von Reto Hunziker

Tanzen, schwingen, wursten – wie sich Redaktionen selbst inszenieren

Sie arbeiteten lange im Hintergrund, nun wagen sie ihr Coming-Out: Auch Medienschaffende, die nicht beim Fernsehen arbeiten, treten immer öfter vor der Kamera in Erscheinung.

Auf einen Hosenlupf mit dem Chefredaktor, den Moonwalk üben mit dem People-Ressort oder Flachwitze reissen im Newsroom: Medien und die Menschen dahinter zeigen sich offenherziger denn je. Selbstinszenierung hat Hochkonjunktur. Und es ist im Prinzip nur eine logische Folge des Medienwandels.

Erinnern wir uns: Vor fast 25 Jahren mussten wir uns noch daran gewöhnen, dass so genannte «Videojockeys» sich selbst abmoderierten mit «für ‹Tele Züri›, Vorname Nachname». Und vor 15 Jahren galt es fast schon als bahnbrechend, in Zeitungen die Kommentare mit Porträtbildchen der Schreibenden zu versehen. Heute hingegen finden wir beispielsweise neben einem Artikel des «Tages-Anzeigers», der online verfügbar ist, Name, Foto und Twitter-Account des Autors und falls er fest angestellt ist auch noch die Kurz-Bio. Default-mässig.

Die Zeiten, in der das Ich kein Bestandteil des Textes sein darf, sind vorbei. Und offensichtlich auch jene, bei der der Autor nicht in Erscheinung treten darf. Im Gegenteil: Es ist sogar erwünscht – und wird forciert.

Die Varianten, wie Redaktionen sich präsentieren, sind mannigfaltig – aber vor allem multimedial. Sie fangen beim Video-Kommentar an, reichen über Reportage-artige Selbstversuche bis zu profanen Bild- oder Video-Dokumentationen des Redaktionsalltags.

Ein paar Beispiele gefällig?

Der News-Wert variiert innerhalb des breiten Spektrums an Selbstinszenierungen stark. Vom Social Media Post, das «Watson»-Mitarbeiter beim Aufbauen von Möbeln zeigt,
bis zur maximal Selbstreferenz: Hier sucht die People-Redaktion von «20 Minuten» einen neuen Mitarbeiter mit einer Art Bewerbungsvideo.

Ja, sind wir Medienschaffenden denn alle total narzisstisch geworden? Nein, die Antwort ist viel einfacher. Und logischer. Die Mediengattungen haben sich dank des Internets vermischt. Um ein Video oder einen Podcast an ein Millionen-Publikum zu senden, braucht es keine teuren Anlagen mehr. Im Web ist all das möglich, auch für Privatpersonen via Social Media. Das bedeutet für die Online-Medien: Jeder macht fast alles. Auch ein Schreiberling nimmt also mal eine Kamera in die Hand. Nach der Devise: Wir können Multimedia, also machen wir Multimedia! Insofern wird die Lücke zwischen Onlinemedium und Regionalfernsehen immer kleiner, wie man etwa am Beispiel Nau.ch sieht.

Das Social Media-Magazin «Izzy» von Ringier zeigt, wie selbstverständlich Selbstinszenierung bereits sein kann. Das Medium bietet in erster Linie Videos mit Viral-Potenzial: Mini-Porträts von Vertretern gewisser Berufsgattungen oder Minderheiten (ähnlich wie Robin Rehmann bei «SRF Virus») oder ulkige versteckte Kamera-Stunts (wie einst bei «Verstehen Sie Spass?). Oft kommt dabei die Redaktion zum Zug. Ob sie darüber Auskunft geben, wie es sich als kleiner, grosser oder sparsamer Mensch so lebt, oder ob sie eine Rolle in einer Art Sketch übernehmen – es gehört zum Job-Profil.

Beim jungen Magazin «Izzy» gehört es zum Konzept, bei den herkömmlichen Medienmarken ist es PR in eigener Sache und damit ein Marketing-Instrument. Stichwort: Personalisierung. Je besser der Medienkonsument die Personen hinter den Medienhinhalten kennt, desto eher identifiziert er sich mit ihnen oder vertraut ihnen, was wiederum die Bindung zwischen ihm und dem Medium stärkt. Stichwort: Community-Building.

Warum also ist man nicht schon viel früher auf die Idee gekommen? Einerseits weil es schlicht noch nicht möglich und technisch zu aufwändig war. Andererseits, weil es, solange es den Medienunternehmen gut ging, verpönt war, sich mit etwas anderem als Inhalten zu profilieren. Ausnahme: Ende Jahr zeigten TV-Sender ihre Patzer und Anfang Jahr erschien in den Zeitungen die Doppelseite mit Passfotos der Redaktionsmitglieder.

Seit Interaktion in Echtzeit stattfinden kann, passen sich Medien immer stärker dem Habitus der Nutzer an, das Verhältnis zwischen Kommunikator und Rezipient wird familiärer. Auf Social Media kommunizieren Medienschaffende mit Emojis, in Foren sind auch Redaktoren angehalten, mitzudiskutieren. User schicken ihre Leser-Reporter-Bilder, warum nicht etwas zurückgeben und zeigen, wie es hinter den Kulissen läuft?

Problematisch ist das per se nicht. Komplizierter wird es erst, wenn der selbstreflexive Content eingekauft ist, aber vorgibt, neutral zu sein (etwa, wenn eine Tanzschule den «20 Minuten»-Moonwalk gesponsert hätte). Oder wenn, wie allgemein bei der Medien-PR eine Nicht-Information ohne Newswert zur Information hochstilisiert wird respektive No-News als gleichwertig erscheinen wie echte News. (Was bei Jux-Videos sehr oft der Fall ist, zumal sie neben relevanten Nachrichten erscheinen.)

Richtig und gut gemacht, können diese Selbstreferenzen einen Mehrwert darstellen. Meistens einen, der in der Unterhaltung anzusiedeln ist. Aber trotzdem. Auch die Köpfe hinter dem Content zu sehen, kann spannend sein. Wirkt es zu klamaukig, dilettantisch oder aufgesetzt, kann es allerdings auch passieren, dass das Gegenteil von dem passiert, was beabsichtigt war: Statt sich mit dem Medium zu identifizieren, distanziert sich der Konsument und das Medium verliert an Glaubwürdigkeit. Was sich die Redaktionen wohl als Nächstes einfallen lassen?