Die Herren der Bahnhofbildschirme
Werbevermarkter unterhalten eigene Redaktionen, um ihre Anzeigenflächen im öffentlichen Raum mit Inhalten zu bespielen. Das Geschäft hat Potenzial, denn bei digitaler Aussenwerbung kann niemand wegschauen. In Deutschland pflegt Ströer mit t-online dieses Modell. In der Schweiz Livesystems mit Nau.
Wer an grösseren Bahnhöfen unterwegs ist, kann ihnen nicht ausweichen. Elektronische Anzeigetafeln dienen vermehrt als digitale Zeitungen im öffentlichen Raum und sind wegen ihrer Dimensionen unübersehbar. Wenn in Deutschland auf diesen Public Video Screens vermehrt Nachrichten von t-online.de angezeigt werden, dann ist das kein Zufall: 2015 kaufte der Werbevermarkter Ströer die frühere Telekom-Tochter t-online.de für 300 Millionen Euro. Die Übernahme verlief nicht ganz geräuschlos – am alten Redaktionsstandort Darmstadt wurden 100 Mitarbeitende entlassen. Doch unter dem neuen Chefredakteur Florian Harms, der 2017 von «Spiegel Online» kam, hat das reichweitenstärkste Nachrichtenportal Deutschlands vom neuen Standort Berlin aus in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich zugelegt. Und das liegt neben einem umfassenderen redaktionellen Angebot auch an der verstärkten Präsenz im öffentlichen Raum.
5000 digitale Bildschirme hat Ströer bereits an deutschen Bahnhöfen und in Einkaufszentren postiert, hinzu kommen noch zahlreiche andere Werbeträger im Aussenraum wie Big Banner, Plakate, Treppenwerbung sowie Sonderwerbeformen wie Bahnsteiginstallationen (Ströer fasst dies unter dem Rubrum «Bahnhofsmedien» zusammen). Ströer hat dazu einen Vertrag mit der Deutschen Bahn abgeschlossen.
Bahnhöfe sind ein attraktives Werbeumfeld: Bis zu 450’000 Besucher frequentieren täglich die Hauptbahnhöfe Hamburg, Frankfurt oder München. Das ist mehr als die Auflage der «FAZ» oder «Süddeutschen Zeitung». Durch die Zunahme des Pendelverkehrs erreicht digitale Aussenwerbung immer mehr Menschen.
«Gegenüber Werbung am Bahnhof ist man unvoreingenommen und positiv eingestellt»
Marc Sausen, Sprecher Ströer
Der entscheidende Vorteil digitaler Bildschirmwerbung im öffentlichen Raum für die Werbeauftraggeber: Sie müssen die Werbefläche nicht für einen längeren Zeitraum buchen, wie das bei Plakaten der Fall ist, sondern können auch nur einen Werbespot von zehn Sekunden zeigen lassen, dafür mehrmals am Tag. «Digital Out of Home», wie die digitale Aussenwerbung genannt wird, erlaubt zeitgenaue, ortsgenaue und situationsbezogene Ausstrahlung.
«Die Menschen an Bahnhöfen befinden sich oftmals in einer Passagesituation», sagt Ströer-Sprecher Marc Sausen im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Als «implizite Werbeform» wirke Aussenwerbung weniger aufdringlich und werde unbewusst wahrgenommen. Im Gegensatz zu Computer und Smartphone, wo einen dauernd nervige Werbeformate anspringen und sich Werbeblocker zu einem ernsthaften Problem für die Industrie ausgewachsen haben, ist der öffentliche Raum ungleich attraktiver. «Gegenüber Werbung am Bahnhof ist man unvoreingenommen und positiv eingestellt», sagt Sausen.
Davon profitiert auch das Nachrichtenportal t-online.de als Ströer-Tochter, das seine News auf den digitalen Screens seiner Muttergesellschaft anzeigen kann. Gemäss einer von der Gesellschaft für Konsumforschung testierten Erhebung konnte t-online.de nach der Übernahme durch Ströer seine Reichweite um fast 50 Prozent auf 47 Millionen User steigern. «Ein Turbo für t-online», nennt Ströer-Sprecher Sausen die Bespielung digitaler Bildschirme.
Die Nachrichten auf den Bildschirmen bieten ein attraktives Umfeld für die Placierung kommerzieller Botschaften, wie das früher auch in der Zeitung der (Normal)fall war.
Als Teil der Ströer-Unternehmensgruppe muss das Nachrichtenportal nicht bei Dritten digitale Anzeigeflächen buchen. Ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen News-Portalen ohne eigene Infrastruktur. Die Nachrichten wiederum bieten ein attraktives Umfeld für die Placierung kommerzieller Botschaften, wie das früher auch in der Zeitung der (Normal)fall war. Man schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe. Nicht zuletzt durch das angeschlagene Image von Facebook und anderen Digitalgrössen gewinnt digitale Aussenwerbung zunehmend an Bedeutung.
Doch die Aufbereitung von News für Grossbildschirme im öffentlichen Raum gehorcht eigenen Regeln. Der Nutzer kann nicht weiterklicken, Cliffhanger à la «Die 10 besten Abnehmtipps» funktionieren nicht. Alle Informationen müssen komprimiert enthalten sein; Text und Bild müssen sich nach dem Format der Werbetafel richten richten. Bei t-online.de ist darum eigens ein Redaktor für die Aufbereitung der Inhalte für die Public-Video-Screens abgestellt.
Eine ähnliche Strategie wie Ströer und t-online in Deutschland verfolgt in der Schweiz der Werbevermarkter Livesystems mit seiner im Oktober 2017 gegründeten News-Plattform «Nau». Ziel war es, Synergien zu schaffen und Nau in das Netzwerk der Infosysteme zu integrieren. «Passenger TV» umfasst schweizweit 4500 Bildschirme in Zügen, Trams und Bussen, wo Umsteigehinweise und Störungsmeldungen mit Live-Nachrichten aus Wirtschaft, Sport, Politik und der Region angereichert werden. «Gasstation TV» umfasst 1700 Bildschirme an 300 Tankstellen, der mit Inhalten der «Nau»-Redaktion bespielt wird. Täglich verbringen Pendler Stunden in Zügen, an Bahnhöfen und Tankstellen. Diese Aufmerksamkeitsspannen lassen sich monetarisieren.
«Mit der Kombination von digitalen Werbeflächen und einer eigenen News-Plattform können wir Reichweite potenzieren.»
Olivier Chuard, CEO der Livesystems dooh AG
Als drittes Standbein startete Livesystems im Juli 2018 mit digitalen Info-Tafeln an Bahnhöfen. Erst kürzlich wurden an stark frequentierter Lage an der Bahnhofstrasse von Schaffhausen zwei hochformatige Screens angebracht. Mit dem Ausbau der Werbeflächen erwächst den Mitbewerbern APG, Clear Channel und Tamedia/NeoAdvertising Konkurrenz. Tamedia hatte im Februar 2018 mit einem ähnlichen Kalkül die Mehrheit am Vermarkter Neo Advertising übernommen, der 12’000 digitale und analoge Aussenwerbeflächen in der Deutschschweiz sowie der Romandie betreibt und vermarktet.
«Mit der Kombination von digitalen Werbeflächen und einer eigenen News-Plattform können wir Reichweite potenzieren», teilt Olivier Chuard, CEO der Livesystems dooh AG auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Man erreiche heute ein Publikum von täglich über zwei Millionen. Dass mit Nau zudem die Redaktion als Content-Lieferant im eigenen Haus ist, sei von «unschätzbarem Wert»: «Wir können Feedback sofort und direkt vor Ort – beispielsweise auf den Screens im Bus – umsetzen», so Chuard. «Das schafft Zufriedenheit beim Publikum, bessere Beachtung und damit letztlich ein besseres Werbeumfeld. Wir begleiten mit unserem Content den aktiven, mobilen Menschen entlang seiner Reise.»
Die 45-köpfige Redaktion bespielt die Screens 18 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche mit Inhalten. Die News für die Screens würden nicht mit automatisierten Feeds, sondern von der Redaktion nach ihrer Eignung ausgewählt und spezifisch für die Bildschirme aufbereitet. «Nau ist das einzige Nachrichtenportal in der Schweiz, welches dezidiert auch für Screens produziert», erklärt Yves Kilchenmann, CEO der Nau media AG. Die Redaktionsmitglieder würden regelmässig geschult. Die Screens funktionierten nach denselben redaktionellen Grundsätzen wie die Online-Plattform, so Kilchenmann. Zentral seien Newswert, Klarheit, Kürze sowie eine attraktive Optik.
Eine WEMF-Studie zur Werbewirkung attestierte den Bildschirmen im öffentlichen Verkehr «hochsignifikante Ergebnisse». Die Spots bleiben in Erinnerung, Passagiere erinnern sich sogar an Details – zum Beispiel, dass die Schweiz 1924 Fussball-Europameister wurde.
Man braucht nicht so weit zu gehen, und digitale Info-Tafeln als Wundermittel gegen die Medienkrise zu sehen. Doch der mediale und werbliche Nutzen von Info-Screens wird vermutlich unterschätzt. Klar ist: «Digital Out Of Home» bietet eine Alternative zum Werbemarkt im Web, der von Facebook und Google dominiert wird. Doch auch im Bereich der digitalen Aussenwerbung drohen geschlossene Ökosysteme zu entstehen, wo Hardware und «Software» (redaktionelle Inhalte) wie bei Ströer und Livesystems in einer Hand sind. Verschärfend kommt hinzu, dass der Platz begrenzt ist. Die zentrale Frage wird daher sein, welchen Zugang andere Verlage und Werber zu den Info-Tafeln haben werden. Eine entscheidende Rolle werden dabei die Kommunen und die Bahnbetriebe spielen, welche die Flächen im öffentlichen Raum vermieten.
Michael Kistler 31. Januar 2019, 14:59
Werbung ist Umweltverschmutzung.
Mein Vorschlag: Jede 10 Werbestelle soll von einem Künstler gestaltet werden.
Lugi Pfupf 01. Februar 2019, 22:50
Diese Werbebildschirme sind grauenhaft, für mich grenzt das an Nötigung. Im Bahnhof Bern steht seit einiger Zeit ein ganzer Haufen dieser penetranten Dinger, so angewinkelt, dass, wenn man auf der falschen Seite geht, man gezwungen wird, sie anzuschauen. So steht mir jetzt nur noch die jeweils andere Hälfte der Unterführung zur Verfügung. Hört auf damit!