von Lothar Struck

«Framing-Manual» der ARD: ein Dokument der Hilflosigkeit

Das sogenannte «Framing Manual», das die deutsche ARD bei einem Ein-Personen-Institut bestellt hat, liest sich wie schlechte Satire. Als Argumentationshilfe für die Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eignet sich das Dokument nicht. Fachliche und sachliche Kritik soll mit rhetorisch drittklassigen Formulierungshilfen gekontert werden.

«Wenn Sie Ihre Mitbürger dazu bringen wollen, den Mehrwert der ARD zu begreifen und sich hinter die Idee eines gemeinsamen, freien Rundfunks ARD zu stellen – auch und gerade in Zeiten, in denen Gegner der ARD deren Relevanz in Frage stellen und orchestrierte Kampagnen fahren, die die ARD in starken Bildern und Narrativen abwerten – dann muss Ihre Kommunikation immer in Form von moralischen Argumenten stattfinden.» Und kurz darauf heisst es: «Denken und sprechen Sie zunächst immer über die moralischen Prämissen.»

Das Zitat stammt aus dem «Framing Manual – Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD», herausgegeben von einem «Berkeley International Framing Institute». Ein Blick auf die Webseite zeigt, dass dieses «Institut» aus einer einzigen Person besteht: Elisabeth Wehling. Sie wird als «leading expert for cognitive science framing in Europe» vorgestellt. 2016 erschien ihr Buch «Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht». Eine 35-seitige Leseprobe des Buches kann man auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen. Frames seien, so schreibt sie im Vorwort, «immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Und sind sie erst einmal über Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unseren Köpfen aktiviert, so leiten sie unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten.» (sic!)

Gemäss Wikipedia bedeutet Framing, «einige Aspekte einer wahrgenommenen Realität auszuwählen und sie in einem Text so hervorzuheben, dass eine bestimmte Problemdefinition, kausale Interpretation, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung für den beschriebenen Gegenstand gefördert wird.» Frames sind mehr als die stereotypen Attribute und Zuweisungen wie «umstritten» oder «renommiert», «populistisch» oder «demokratisch», mit denen der Journalismus schon lange operiert.

Frames sind raffinierter. Sie werden zwar gezielt gesetzt, sollen aber unbewusst wirken. Der Empfänger darf die Manipulation nicht bemerken. «Framing» ist also nicht nur platte Propaganda, sondern umfasst alle Arten von Sprachspielen, um suggestiv Meinungen im Diskurs zu steuern. Es geht dabei auch und vor allem um das gezielte Ausblenden bzw. Umschreiben von unangenehmen Dingen. «Framing» ist somit immer manipulativ.

Man hat das Gefühl, da schreibe jemand im Stil der «Sendung mit der Maus». Die Redundanzen sind beträchtlich.

Das Papier, das jetzt kursiert und durch «netzpolitik.org» dankenswerterweise endlich der Allgemeinheit zugängig gemacht wurde, ist zwei Jahre alt. Es wurde jetzt durch Berichte und teilweises Zitieren in diversen Zeitungen bekannt. Die Autorin hat auf ihrer Webseite in einer «Klarstellung» die Arbeit an der Studie beschrieben: «Die vorgegebenen Themen und Einordnungen zu Auftrag und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen ARD wurden in Workshops (bei meiner Anwesenheit) diskutiert und im finalen Dokument auch entsprechend abgebildet», schreibt sie. Dies widerspricht dem, was die ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab in ihrer «Klarstellung» mitteilte. Die Studie sei «eine Unterlage, die Teilnehmenden ARD-interner Workshops im Vorfeld als Diskussionsgrundlage und Denkanstoss zur Verfügung gestellt» wurde.

Obwohl sie nur 90 Seiten aufweist, ist die Lektüre des Textes schnell ermüdend. Zunächst denkt man, dass es sich um Satire handelt und ist amüsiert über die zuweilen holperig-kindliche Sprache, mit der sie verfasst ist. Man hat das Gefühl, da schreibe jemand im Stil der «Sendung mit der Maus». Die Redundanzen sind beträchtlich. Es ist spürbar, wie die neuen, sperrigen Formulierungen, mit denen die ARD sich präsentieren soll, mittels unablässiger Wiederholungen in die Hirne der Rezipienten eingehämmert werden. Wichtige Elemente sind kursiv und fettgedruckt – auch hier hat man das Gefühl, man möchte störrische Esel erziehen, den richtigen Weg zu gehen. Am Ende gibt es Schaubilder, die alles noch einmal zusammenfassen.

Die Autorin verfällt in ihrem Handlungsanweisungen im Laufe der Studie immer mehr in den Duktus einer religiösen Sekte.

Einiges ist wirklich originell. So gibt es kein «Programm» mehr, sondern «Beiträge, Sendungen und Inhalte». Die ARD macht auch kein «Angebot» mehr, das mit einer «Gebühr» bezahlt werden soll, sondern es es handelt sich um eine «Beteiligung am gemeinsamen Rundfunk ARD», der sich für eine «monatliche Beteiligung die freie mediale Infrastruktur ARD» sichert (nicht leistet!). Der Rezipient ist «Bürger», kein «Kunde» oder «Konsument». Dies würde das Angebot, pardon: «die Anliegen und Handlungen der ARD», als «unmoralisch» quantifizieren, weil, das wird immer betont, alles kommerziell ausgerichtete, eben unmoralisch sei.

Die Autorin verfällt in ihrem Handlungsanweisungen im Laufe der Studie immer mehr in den Duktus einer religiösen Sekte: «Der gemeinsame Rundfunk ARD gibt uns die Freiheit, uns weitflächig vollkommen selbstbestimmt und mündig zu bewegen – abseits von Barrieren und verschlossenen Türen der Kommerzmedien, jenseits vom Zugriff auf unsere Daten durch Internetriesen, abseits desEingriffs in unser Denken durch werbedurchzogene Formate und wirtschaftlich oder politisch abhängige Redaktionen… » Am Ende münden die Anweisungen in die Parole «Demokratie statt Profit».

Wehlings Text ist vollkommen begründungsfrei und kann mit wenig Aufwand ins Gegenteil verkehrt werden.

Hier wird längst nicht mehr wissenschaftlich beschrieben, wie Framing funktioniert. Hier wird es gemacht. Es juckt einem förmlich in den Fingern mit den Frames dieses Framings, also den Worthülsen dieser Worthülsenprosa, ein Handbuch für die private Medienwirtschaft zu schreiben. Es wären nur kleinere Veränderungen notwendig, denn Wehlings Text ist vollkommen begründungsfrei und kann mit wenig Aufwand ins Gegenteil verkehrt werden.

Die ARD soll als unverzichtbarer gesellschaftlicher Bindungskitt definiert werden. «Sprechen Sie immer vom gemeinsamenRundfunk oder der gemeinsamen Organisation des Rundfunks.» Wichtig ist es, eine Gemeinschaft zu konstruieren: «Jeder ist gleich wichtig, jeder ist gleich viel wert, jeder wird ernst genommen in seinen Bedürfnissen in unserer gemeinsamen medialen Infrastruktur ARD.» Es wird zum «starken moralischen Claim» geraten, der den Gegnern des öffentlich-rechtlichen, pardon: «gemeinsamen Rundfunks ARD» geantwortet werden soll: «Wer die demokratisch kontrollierte Rundfunkinfrastruktur beschneiden oder abschmelzen will, gefährdet damit unmittelbar unsere demokratische Pluralität und Freiheit.» Die Conclusio: Wer die ARD in der bestehenden Form, mit ihrem Budget von 6,3 Milliarden Euro für 11 Fernsehsender und 55 Radioprogramme in irgendeiner Form kritisiert, gefährdet die Demokratie.

Man könnte ohne Unterlass weitere Zitate einflechten. Aber muss man über die Absurdität solcher Aussagen, die als Diskursmaxime für ARD-Mitarbeiter gedacht sind, noch ein Wort verlieren? Denn spätestens jetzt wechselt es von der heiteren Lektüre in ein hochgefährliches Gebiet. Aus der systematischen Zusammenstellung dieser Argumentationsprothesen wird ein Diffamierungsleitfaden. Aus den oben skizzierten semantischen Hütchenspielereien schlägt einem plötzlich der autoritäre Duktus von Diktaturen entgegen.

Warum glaubt eine der Moral verpflichtete Anstalt wie die ARD sich mit einer solchen Argumentationshilfen ausstatten zu müssen?

Kann es also sein, dass gezielte Indiskretionen diesen blasierten, als wissenschaftlich deklarierten, teilweise gefährlichen Unsinn stoppen wollten? Warum glaubt eine der Moral verpflichtete Anstalt wie die ARD sich mit einer solchen Argumentationshilfen ausstatten zu müssen? Die Attacken gegen die Werbewirtschaft sind zahnlos – denn auch in der ARD gibt es Werbung und Product-Placement. Insofern könnte man das dürftige Argument der Einflussnahme von Werbeindustrie auf den Programminhalt des «Kommerzrundfunks» auch für ARD und ZDF anwenden. Der Gedanke einer von kommerziellen Einflüssen losgelösten Insel ist absurd.

Natürlich ist auch der öffentliche Rundfunk ein Marktteilnehmer, muss man Ein- und Ausgaben gewichten und hängt dem Diktat von Einschaltquoten nach, platziert Sendungen nach vermeintlichen Zustimmungen. Denn permanent stellen die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Legitimationsfrage. Leider hat man sich zu früh auf diese Argumentationskette eingelassen. Hierüber schweigt aber das Handbuch.

Warum werden denn anspruchsvolle Produktionen, Dokumentarfilme oder Fernsehspiele entweder in Nischenkanäle verbracht oder nachts gesendet? Dem Bildungsauftrag ist damit vielleicht Genüge getan; später werden dann noch Preise eingesammelt, die ausserhalb der Blase der Medienschaffenden kaum jemanden interessieren. Der Rezipient hat diese Preisprogramme kaum gesehen, weil er am nächsten Tag um 6 Uhr aufstehen musste und nachts nicht aufbleiben konnte. Oder weil er den Nischenkanal nicht empfangen kann. Nach aussen hat man aber mit der Volksmusiksendung oder dem xten Regionalkrimi das Quotenrennen des 20.15 Uhr-Angebots mit der Volksmusiksendung dem «Dschungelcamp» oder «Bachelor» getrotzt.

Über die «Freiheit» des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre einiges zu sagen. Das Bundesverfassungsgericht reklamierte immer wieder, zuletzt 2014, dass «die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks […] als Ausdruck des Gebots der Vielfaltsicherung dem Gebot der Staatsferne genügen [muss]. Danach ist der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien konsequent zu begrenzen.» Der Urteilsspruch hatte einen neuen Rundfunk-Staatsvertrag für das ZDF zur Folge. Statt 44 Prozent musste der Anteil der Politik im wichtigen Verwaltungsrat des Senders auf ein Drittel reduziert werden. Auch in den Rundfunkräten der ARD-Anstalten dominieren Politiker. Letzte Zahlen liegen von 2015 vor. Demnach sind es rund 30 Prozent.

Fachliche und sachliche Kritik mit rhetorisch drittklassigen Formulierungshilfen gekontert werden.

Die Veröffentlichung des Framing-Handbuchs ist für die ARD ein Desaster. Dabei ist es durchaus legitim, wenn die ARD nach Argumentationen für ihre Existenz sucht. Fatal dabei ist jedoch, dass dies ausschliesslich auf dem Gebiet der Sprache erfolgt. Über Verbesserungen am Programm gibt es im Manual keinen Vorschlag. Das ist auch nicht gemeint, wenn es um Framing geht. Gemäss dem Handbuch soll jegliche fachliche und sachliche Kritik mit rhetorisch drittklassigen Formulierungshilfen gekontert werden.

Der Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien korrodiert weiter. Bereits Anfang des Jahres wurde ein kleines Skandälchen beim WDR enthüllt. Eine Dokumentarfilmerin gab Ungenauigkeiten zu und castete Komparsen für geringfügige Rollen in ihren Filmen über Beziehungsprobleme von Paaren. Man trennte sich von der freien Mitarbeiterin, berief sich auf die journalistischen Standards. Als Nebeneffekt wurde die Welt der Komparsenbeschaffung ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.

Eine absehbare Folge der Veröffentlichung des Handbuchs: Verschwörungstheorien , die ähnliche Anleitungen auch für redaktionellen Prozess vermuten, erhalten Nahrung. Werden Nachrichten und Informationsangebote nach dem gleiche Strickmuster manipuliert? Das Moralisieren – Bestandteil der Argumentationspropaganda von Wehlings Handbuch – ist schliesslich auch längst im Bereich des Journalismus eingezogen, in dem politische «Haltung» als Tugend ausgegeben wird.

Nach Belustigung und Zorn stellt sich nach der Lektüre Mitleid ein. Das Machwerk Wehlings ist in Wirklichkeit ein Dokument der Hilflosigkeit; teuer bezahlt. Es stellt auch die ehrlichen Befürworter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor grosse Probleme. Schliesslich ist nicht ganz auszuschliessen, dass Teile der ARD-Administration dieses Framing tatsächlich internalisiert haben und inzwischen glauben.

Leserbeiträge

Fernsehseher 22. Februar 2019, 13:32

Der erste ARD-Verantwortungsträger, dem dieses schlimme Machwerk vorgelegt wurde, hätte es sofort aus dem Verkehr ziehen und den weiteren Prozess stoppen müssen, wenn es tatsächlich einen moralischen Anspruch an das eigene Handeln und Verhalten gegeben hätte. Dass es jetzt sogar noch verteidigt wird, ist unbegreiflich.

Lachmann 26. Februar 2019, 11:12

Ich kann Ihnen in allen Punkten nur Recht geben. Mir war nach der Hälfte der Lektüre bereits ganz schwindelig und ich wähnte die ARD als meinen neuen Mittelpunkt, ja meinen neuen Lebenssinn. Als besonders gelungen betrachte ich Ihr sic! bzw. den damit verbundenen Hinweis auf den Rechtschreibfehler im zweiten Absatz: Allein in der ersten Hälfte des „Manuals“ habe ich derart viele Schreibfehler gefunden (u.a. S. 28 am Ende, S. 36 am Anfang, S. 37 am Ende, S. 38 erster und vierter Absatz, S. 49 zweiter Satz), dass allein schon deswegen der Preis von 90.000 € zur Makulatur wird.