von Lothar Struck

Die neuen Täler der Ahnungslosen

Wirtschaftlich wünschenswert, publizistisch problematisch: Immer mehr guter Journalismus verschwindet hinter Bezahlschranken. Doch die Verlage machen es den Lesern nicht gerade leicht, Geld auszugeben.

Als die DDR noch existierte, gab es den halb herablassend, halb mitleidig ausgesprochenen Begriff des «Tals der Ahnungslosen». Gemeint waren jene Regionen der DDR, in denen der terrestrische Fernseh- und UKW-Empfang aus der Bundesrepublik aus geografischen und topografischen Gründen nicht oder nur sehr schwer möglich war. Neben der Region des östlichen Vorpommern galt dies besonders für die Region um Dresden und die Ostlausitz.

Diese Zeiten sind vorbei. Die DDR existiert nicht mehr, und auch Ostdeutschland ist inzwischen ans Internet angeschlossen. Aber es gibt sie immer noch, diese Täler der Ahnungslosen. Sie tun sich heute auf vor den Bezahlschranken und vor den Blockaden der Verlagshäuser gegen systematische Werbeunterdrücker. An die Aufforderung, den Adblocker doch bitte auszuschalten, weil man sich mittels Werbung finanziere, hat sich der potentielle Leser inzwischen zähneknirschend gewöhnt. Der Schock der penetrant einprasselnden Werbung ist leider sehr oft gross.

Was der Leser schätzt, braucht noch lange nicht im Interesse der Verlage zu liegen.

Als der Online-Kiosk «Blendle» vor fünf Jahren damit begann, einzelne Artikel aus Tages-, Wochenzeitungen und Magazinen für verhältnismässig kleines Geld anzubieten, sah dies nach einem Königsweg aus: Die Bereitschaft, für Texte im Netz Geld zu bezahlen, schien zu wachsen. Doch was der Leser schätzt, braucht noch lange nicht im Interesse der Verlage zu liegen. Für sie geht die Rechnung nur auf, wenn sie auch im digitalen Geschäft Abos verkaufen. Einzelartikel rechnen sich nicht. Das sprichwörtliche Kleinvieh macht für einmal zu wenig Mist. Dennoch können die Verlage die Bedürfnisse des Publikums nicht komplett ignorieren. Darum bieten sie diesem vermehrt auch Wege an, für geringe Geldbeträge einzelne Artikel, respektive einen temporären Zugang zum gesamten Angebot, zu erhalten.

Inzwischen soll es von deutschen Zeitungshäusern mehr als 200 kostenpflichtige Online-Angebote geben. Aber wer soll das alles bezahlen? Sicherlich, früher leistete man sich ein Print-Abo. Inzwischen haben sich die Lektüregewohnheiten verändert. Immer seltener vertrauen Leser auf die eine Zeitung; die Abo-Zahlen sinken, die Auflagen damit. Prognosen erschüttern die Branche, dass es nur noch bis 2033 gedruckte Zeitungen geben soll. Bis dahin erlebt der potentielle, und durchaus zahlungswillige, Leser immer neue Bezahlstrategien.

Die Verästelung der Preisstrukturen der Verlage gleicht immer mehr der unübersichtlichen Tarifstruktur von Mobilfunkunternehmen.

Ein Beispiel ist das Angebot der «Welt» (Axel Springer). Erhielt man im letzten Jahr für 1,99 Euro unbeschränkten Zugriff auf das gesamte Angebot während 24 Stunden, so muss man jetzt mindestens 4,99 Euro zahlen. Dafür gibt es einen Monat lang Zugang zum «Premium»-Angebot. Das Monatsabo verlängert sich automatisch, wenn man nicht eine Woche vor Ablauf kündigt. Und nach einem Jahr kostet der Monat nicht mehr 4,99, sondern 9,99 Euro.

Die «Süddeutsche Zeitung» hat natürlich ebenfalls ein «Plus»-Angebot. Merkwürdigerweise heissen sehr viele Bezahlangebote nicht gerade phantasievoll «plus». Hier gibt es noch den Tagespass für 1,99 Euro. Das digitale Monatsabo kostet dann ab 19,99 Euro pro Monat. Das «ab» ist wichtig, denn ab dem 3. Monat kostet es plötzlich erstaunliche 36,99 Euro pro Monat. Wer auch noch die gedruckte Zeitung abonniert hat, bezahlt weniger. Bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» geht es bei 2,95 Euro pro Woche los. Auch hier gibt es Premiumprodukte bis zu 9,10 Euro pro Woche für die Nutzung weiterer Angebote der FAZ-Gruppe.

Nachrichten und Meinungen gibt es inzwischen überall kostenlos. Hinter der Bezahlschranke findet sich dann der aufwändigere Journalismus.

Die Verästelung der Preisstrukturen der Verlage gleicht immer mehr der unübersichtlichen Tarifstruktur von Mobilfunkunternehmen. Der Einstieg ist fast überall für einige Zeit kostenlos, dann erst muss man bezahlen. Kündigungen sind häufig nur monatlich möglich. So bleibt der Nutzer ständig in Arbeit.

Nachrichten und Meinungen gibt es inzwischen überall kostenlos. Hinter der Bezahlschranke findet sich dann der aufwändigere Journalismus in Form von Reportagen, Recherchen, Analysen, Interviews oder Essays. Oft sind auch Texte von Autorinnen und Autoren zahlungspflichtig, die einen gewissen Starkult geniessen.

Gefordert sind verlagsübergreifende, kreative und vor allem bezahlbare Modelle.

Journalisten und Medienkritiker fordern von ihren Lesern, sich umfassend zu informieren, ihre Echokammer zu verlassen. Dem steht das berechtigte Interesse der Verleger gegenüber, mit ihren Texten Geld zu verdienen und die Autorinnen und Journalisten anständig zu bezahlen. Online-Werbung bringt kaum mehr nennenswerte Erträge. Mit Spendenaufrufen oder Crowdfunding um Geld zu betteln, werden sich die grossen Medienhäusern wohl kaum antun.

Gefordert sind verlagsübergreifende, kreative und vor allem bezahlbare Modelle. In den USA plant Apple einen Vorstoss mit einer Art «Netflix for News». Man möchte die Angebote von mehr als einhundert überregionalen Zeitungen und Magazinen anbieten und vermarkten. Auf Widerstand stösst nicht nur der der Erlösanteil, den Apple für sich reklamiert: Es sollen 50 Prozent sein. Die grossen, überregionalen Zeitungen zögern. Letzte Woche erklärte Mark Thompson, Geschäftsführer der «New York Times», dass seine Zeitung nicht dabei sein werde. Thompson riet auch anderen Zeitungen von einer Beteiligung am Apple-Modell ab. Er befürchtet, die Kontrolle über das eigene Produkt zu verlieren. Der Abonnent werde von der Marke der «New York Times» abgelenkt und zu stark auf Apple fixiert. Allerdings befindet sich die «New York Times» in einer komfortablen Position: Ihre Abo-Zahlen steigen kontinuierlich an.

In der Schweiz wollen mit der sogenannten Login-Allianz mehrere Grossverlage eine gemeinsame Lösung schaffen für den kontrollierten und kostenpflichtigen Zugang zu Medieninhalten. Wirtschaftlich ist das verständlich und nachvollziehbar. Doch die absehbaren Auswirkungen auf die Publizistik sind höchst unerfreulich.

Was nämlich frei zugänglich bleibt, sind entweder die Beiträge der zunehmend in einer Legitimationsskrise steckenden öffentlich-rechtlichen Medien oder freie Angebote, die mit reisserischen und unter Umständen falschen Behauptungen eine maximal mögliche Reichweite erzielen müssen, um sich so noch von den Resten der Online-Werbung zu finanzieren. Diese Texte werden gefunden und verbreiten sich. Dies führt zu neuen Tälern von Ahnungslosen, die dann den politischen und gesellschaftlichen Diskurs zunehmend bestimmen.

Bild: Paweł Czerwiński on Unsplash

Leserbeiträge

Ein Leser 28. März 2019, 09:16

Größtes Problem bei Bezahlschranken ist für mich weniger das Geld als die fehlende Anonymität.

llamaz 28. März 2019, 10:01

Naja, das neue Einnahmemodell wurde ja auf den Weg gebracht mit der Urheberrechtsreform. Da jeder der eine Webseite betreibt bei der Nutzer Texte hinzufügen können – d.h. Foren usw zukünftig einem enormen Haftungsrisiko ausgesetzt ist sofern er nicht Lizenzen abgeschlossen hat, wird es vermutlich auf folgendes rauslaufen:

Jeder, der z.B. ein Forum betreibt, kann abhängig von der Nutzerzahl eine Pauschallizenz erwerben. Er zahlt damit eine monatliche Gebühr und kann sich damit von der Haftung freikaufen. Das neue Modell der Zeitungsbranche wird also vermutlich heißen: „Schutzgeldzahlungen“.

Elias 28. März 2019, 14:13

Was nämlich frei zugänglich bleibt, sind […] die Beiträge der […] öffentlich-rechtlichen Medien […] Dies führt zu neuen Tälern von Ahnungslosen, die dann den politischen und gesellschaftlichen Diskurs zunehmend bestimmen

Ernsthaft? Ich will es mal so sagen: Wenn jeder Journalismus so vorbildlich wie der des Deutschlandfunks wäre, dann würde ich mir einige Dutzend spontan beim Genuss des Journalismus hervorgebrachte Schimpfwörter am Tage sparen.

hardy 28. März 2019, 19:35

> zunehmend in einer Legitimationsskrise steckenden öffentlich-rechtlichen Medien

das ist natürlich ein schöner blödsinn. der deutschlandfunk ist für mich jedenfalls immer noch erheblich vertrauenswürdiger als alle kommerziellen printmedien, die ein produkt verkaufen müssen, das sich ggfl. mit den interessen der werbekunden deckt – ich erinnere mich da an eine geschichte beim spiegel über eine große reportage zu erneuerbaren energien, die dann zugunsten einer anzeige des RWE auf der rückseite gekickt wurde. die „legitimationskrise“ ist nur ein dummes lügenmedien“ geschwätz