von Robert Ruoff

Die Klimajugend im Medien-Clinch

Die «Klimajugend» hat sich zur politischen Herausforderung entwickelt. Das zeigt auch ihre Präsenz in den Medien. Man hofiert sie, kritisiert sie, zitiert sie und zensiert sie. Man nimmt sie auf die eine oder andere Weise ernst. Derweil setzt diese «Klimajugend» zunehmend auf ihre eigene Öffentlichkeit. Wir zeigen, mit welchen Mitteln und Methoden das geschieht.

Die Klimabewegung ist eine Herausforderung für die Demokratie, für die offene Gesellschaft, für die ordentlichen Bürgerinnen und Bürger. Die Aktivisten und Sympathisanten ziehen mit penetranter Regelmässigkeit durch die Strassen der Städte. Sie tun das am schulpflichtigen Freitag. Und sie rufen dabei unüberhörbar laut: «Wir sind hier! Wir sind laut! Weil man uns die Zukunft klaut!» Das stört. Und es provoziert Reaktionen, die uns auch Hinweise geben auf eher unerwartete Gefahren und Risiken für unsere direkte Demokratie.

Hans Rentsch ist einer von denen, die uns solche Hinweise geben. Er ist Ökonom, Autor und ehemaliger Projektleiter bei der marktliberalen Denkfabrik Avenir Suisse. Seine politischen Texte veröffentlicht er gerne im «Schweizer Monat», einem Leibblatt der neoliberalen Intelligenz. Er hat sich aufstören lassen von der jungen Klimabewegung, und ihr einen offenen Brief geschrieben, publiziert in der «NZZ am Sonntag» vom 16. März. Da bricht sich gewaltiges Unbehagen Bahn. Denn die Klimabewegung ist für Rentsch zuerst einmal ein Zuviel an Basisdemokratie. Und sie verbindet ,den demokratischen Gestaltungsanspruch aus seiner Sicht auch noch mit einem gewaltigen Mangel an Kompetenz. Das ist für ihn die wohl schlimmstmögliche Kombination.

Die Klimajugend verbreite «naive Ideen», sie leide an einem «eklatanten Informationsmangel», schreibt Hans Rentsch in der «NZZ am Sonntag».

Im «Schweizer Monat» schreibt Rentsch im Juli 2018 unter anderem am Beispiel von AHV und Energiegesetz über «die direkte Demokratie als Reformhindernis». Und so meint er angesichts des uneinsichtigen Stimmvolks, das dem Parlament und seinen Experten immer wieder schmähliche Abstimmungsniederlagen bereitet: «Die Frage, ob es nicht auch ein Zuviel an direkter Demokratie geben könnte, muss erlaubt sein.» Und: «Mit den neuen Online-Kanälen geht der Trend eher hin zu noch mehr Direktpartizipation.» Aber, so Rentsch: «Der Glaube, dass mehr direkte Demokratie auch in einem Land, in dem ein Bürger jährlich über zehn Vorlagen auf Bundesebene und zig weitere auf kantonaler und kommunaler Ebene abstimmen soll, strikt besser ist, muss man als Form des politischen Extremismus interpretieren.»

So bricht es im offenen Brief an die «liebe Klimajugend» schliesslich ganz unverhohlen aus ihm heraus. Diese Jugend verbreite «naive Ideen», sie leide an einem «eklatanten Informationsmangel». Und auf ihrer Seite stehe auch noch «die ausgebildete Pianistin Simonetta Sommaruga,» die sich bei der Departementsverteilung die Leitung des UVEK geschnappt habe, das hiesse: Sie «gebietet jetzt über die Klimapolitik». Also gehäufte Inkompetenz! – Dabei könnte man bei Abstimmungen doch «Personen, die bestimmte politökonomische Grundkenntnisse nachweisen (…), ein erhöhtes Stimmengewicht verleihen.» Und für die Klimapolitik könne man Experten wie den Nobelpreisträger Steven Chu hinzuziehen, der im März 2015 als Mitglied des «Copenhagen Climate Council» an der ETH in Zürich «eine Lanze für die Kernkraft» brach. Das war nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011. Schon als Energieminister von US-Präsident Obama hatte Chu die Kernenergie vorangetrieben, und er liess für die Förderung von Gas auch die Fracking-Technik zu. Die CO2-Reduktion hatte trotz aller Risiken und schädlichen Wirkungen für Chu die absolute Priorität.

Da prallen Weltbilder aufeinander, Menschenbilder, Gesellschaftsbilder.

Wo Rentsch und andere die Macht einigen wenigen Weisen in die Hand legen wollen, fordern Klimaaktivisten mehr demokratische Mitwirkung. Im Energiebereich ginge das dank dezentraler Produktion mit nachhaltiger Technologie. Das erlaubt nach diesem Verständnis dezentrale Entscheidungsprozesse mit mehr demokratischer Beteiligung. Dieser Logik folgt erklärtermassen zumindest ein Teil der 23’000 Wissenschaftler, die im Netzwerk der «Scientists for Future» die grundlegenden Forderungen der Klimabewegung ausdrücklich unterstützen.

Die politische Klimadebatte wird damit ganz schnell auch zu einem Machtkampf in den Medien, mit den Medien und um die Medien. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit und Gestaltungsmacht, mit der massive wirtschaftliche und politische Interessen verbunden sind. Und die Klimajugend sieht sich in diesem Machtkampf sehr schnell mit den verschiedensten einschlägigen Methoden und Abwehrmechanismen konfrontiert:

Methode 1: Wenn die direkte Demokratie mit ihrem Entscheidungsprozess (Volksabstimmung nach dem Grundsatz: «Eine Person, eine Stimme») missliebige Ergebnisse bringt, wird sie gerne zum untauglichen System erklärt. Der Gedanke, ein paar wenigen genialen Menschen die Macht in die Hand zu geben, die die parlamentarischen Beschlüsse zum Schweizer Steuersystem, die AHV, die Digitalisierung oder das erfolgreiche Management eines internationalen Konzerns verstehen, hat seine Anhänger vom Silicon Valley bis in die Teppichetagen von Schweizer Industrieunternehmen. Sei es mit Verweis auf die Komplexität neuer Technologien oder auf den schnellen Wachstumserfolg autoritärer Systeme. Hans Rentsch vertritt diese Weltsicht.

Methode 2: Die Diffamierung der andersdenkenden Gegner als unwissend und inkompetent, wie das Rentsch macht, ist ebenfalls ein beliebtes Vorgehen. Seine Anwendung ist bei Schüler*innen und Studierenden besonders einfach, weil die sich erkennbar noch in einem Lernprozess befinden.

Methode 3: Die selektive Information, also die Auswahl von Informationselementen zu Gunsten der eigenen oder zu Lasten der gegnerischen Interessen – also die interessengeleitete Information – ist heute bereits gängige Praxis in den Medien. Sie findet insbesondere bei Themen statt, welche die Eigeninteressen der Berichtenden stark berühren.
Es geschieht allerdings, dass die Kritik auf den selektierenden Autor zurückfällt, wenn er es mit scharfsinnigen Gegnern zu tun hat. Das zeigt sich etwa in der Replik der «Klimajugend» auf die offenen Briefe von Hans Rentsch oder von Alain Pichard und Thilo Schneider (siehe Methode 5).

Zur selektiven Information gehört es auch, wenn mögliche Risiken und Nebenwirken von Technologien wie Fracking oder Kerntechnologie ausgeblendet werden. In solchen Fällen liegt die Selektion vielleicht auch an den blinden Flecken im Bewusstsein grosser Wissenschaftler, die im Glauben an die eigene Gottähnlichkeit gar nicht mehr auf den Gedanken kommen, solche Technologien könnten ihnen ausser Kontrolle geraten.

Methode 4: Die (offene) Unterdrückung von Information ist eine verschärfte Form der Selektion und damit des publizistischen (Klima-)Machtkampfs.
Die «Weltwoche» hat dafür das einschlägige Beispiel geliefert, indem sie einen bestellten Beitrag der «Klimajugend» aus politischen Gründen nicht veröffentlichteDer unterdrückte Beitrag war eine Replik auf einen offenen Brief des angeblich links-liberalen Bieler Lehrers Alain Pichard und dem freien Autor Thilo Schneider (FDP) aus Aschaffenburg. Die beiden Herren riefen der «Klimajugend» zu: «Seid nicht Greta, seid Steve Jobs». Ihr Appell ist eine Mischung aus gutem Zureden, ein Ansporn zum fleissigen Lernen und zum Ende des Streiks, und darin verpackt ein Lob des Wachstums mit technischen Lösungen – im Ganzen also ein Versuch zur sanften Disziplinierung und zur Rückgewinnung der hellen jungen Köpfe für die hippe Wachstumswirtschaft.

Die «Klimajugend» hatte in ihrer von der Weltwoche bestellten Replik einen Zusammenhang hergestellt zwischen Wohlstand und Verantwortung, von Reichtum hier und Armut dort, und sie hatte Kritik geübt an der «Willenlosigkeit der Schweizer Politik». Die Redaktion fand diesen Text «nicht adäquat für Weltwoche-Leser» und kippte ihn aus dem Blatt. Man kann ihn jetzt nachlesen auf watson.ch.

Methode 5: Das Verbreiten von Falschmeldungen («Fake News») sind ein etwas raffinierteres Mittel im publizistischen Machtkampf. Sie besorgen die erwünschte Fehlinformation und dienen beim bewussten Einsatz in erster Linie der Stärkung der eigenen, respektive der Schwächung der gegnerischen Position. Das kann in der «grossen» Politik stattfinden, aber auch in der Auseinandersetzung mit einer neuen sozialen Bewegung wie der weltweiten Klimakampagne, die von ihren Gegnern als zunehmend stark und daher als gefährlich eingestuft wird.

Es ist daher naheliegend, dass Medien, und besonders jene, die politisch rechts der Mitte stehen, die Gelegenheit ergreifen, die Glaubwürdigkeit einer charismatischen Figur wie Greta Thunberg zu untergraben. Das geschieht etwa, indem man ihr unterstellt, sie habe sich zugunsten der Atomkraft im Kampf gegen die Erderwärmung ausgesprochen. Thunberg hat das nicht gemacht. In Wirklichkeit hatte sie auf einen Bericht des Weltklimarats IPCC hingewiesen, in dem die Frage der Kernenergie diskutiert wurde, und erst nach zwei Tagen hinzugefügt, sie sei persönlich gegen die Nutzung der Atomkraft. Die Berliner «Tageszeitung» TAZ beschreibt in vielfältigen Details, wie diese Falschmeldung von einer ganzen Reihe Medien publiziert und ausgeschmückt wurde. So etwa von «Blick», «Bild», Jan Fleischhauer im «Spiegel Online», «Focus», «Welt», «Tichys Einblick» oder «Russia Today».

Methode 6: Der Angriff auf den Service public der Medien ist bisher die höchste Stufe im politischen Machtkampf um die Klimafrage. Es ist geht wesentlich über die bekannte Strategie der SVP hinaus, bei Siegen sich selber zu feiern und bei Niederlagen die Schuld bei anderen zu suchen SVP-Präsident Albert Rösti hat jetzt dem Schweizer Fernsehen SRF eine wesentliche Verantwortung für die Niederlage bei den Wahlen im Kanton Zürich zugewiesen. Er hat das mit einer massiven Drohung gegenüber der SRG quittiert. «Es scheint, als brauche es jetzt eine Initiative zur Halbierung der Rundfunkgebühren, um die SRG auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen», wird er im «Tagesanzeiger» zitiert. Und: «Ich würde ein solches Projekt unterstützen». Die SRG muss also im vorauseilenden Gehorsam die Interessen der grössten Partei des Landes immer im Auge behalten. Sonst, das ist die Drohung, werden massiv die Mittel gekappt. Man kann das kaum anders denn als direkten Verbal-Angriff auf die Programmautonomie und die Unabhängigkeit des Service public verstehen, also auf das demokratische öffentliche Mediensystem der Schweiz. Die SVP stellt sich offenkundig vor, dass die Medien in der Schweiz ihren Interessen besser dienen, wenn die SRG massiv verkleinert würde.

Der Gegenzug: Die Entstehung von Gegenöffentlichkeit ist die logische Folge eines Prozesses, in dem eine gesellschaftliche Bewegung sich in der bestehenden Medienöffentlichkeit nicht mehr wirklich wiedererkennt. Nicht ernstgenommen fühlten sich die Klimaaktivisten auch in der grossen SRF-«Arena», die einen Gegensatz von «grünen Träumen» und harter politischer «Realität» konstruierte und damit für die Sendung warb. Eine «quotenorientierte Unterhaltungssendung» sei diese Polit-Diskussion, erklärte mir ein Teilnehmer, und in der Sendung stellte ein Klima-Aktivist fest, dass die Politik nicht bereit sei, «über die eigenen, festgefahrenen Grundsätze nachzudenken und zu diskutieren».

Es kostet überhaupt eine grosse Anstrengung, sich aus den alten Verhältnissen herauszuarbeiten und neue Verhältnisse zu schaffen.

Die «Klimaarena», die die Klimabewegung eine Woche später selber produzierte, hat dann allerdings auch bestätigt, dass das Format der «Arena» als Ganzes nicht geeignet ist für eine weiterführende politische Diskussion über komplexe Themen. Es ist im Kern auf Kontroverse angelegt, und die grosse Zahl der Beteiligten lässt einen fruchtbaren Austausch kaum zu. Will man neue Inhalte auf neue Weise im Fernseh- oder Online-Medium bearbeiten, wird man auch neue Formate entwickeln müssen.

Es kostet überhaupt eine grosse Anstrengung, sich aus den alten Verhältnissen herauszuarbeiten und neue Verhältnisse zu schaffen. Aber die neuen Verhältnisse kommen, weil die alten nicht mehr wirklich funktionieren.