von Miriam Suter

Der Fall Chauvinski

SRF-Moderator Roger Schawinski sieht sich diffamiert. Die Gründe für den Shitstorm gegen seine Person schwächten unsere Gesellschaft an einer entscheidenden Stelle, sagt er. Damit hat er recht. Nur anders als er meint.

Die «Schawinski»-Sendung vom 9. April entwickelte sich nach der Ausstrahlung zum Aufreger. Die Frau, die bei Roger Schawinski zu Gast war, schrieb nach der Sendung in ihrer Kolumne darüber, wie sehr sie eine Frage des Moderators verletzt hatte. Sie vertat sich aber beim Zitieren. Daraufhin beschwert sich Schawinski beim zuständigen Verlag. Die Kolumnistin wird gefeuert. Und Schawinski sieht sich nun als Opfer.

Bei «Schawinski» war die 34-jährige deutsche Sexarbeiterin und Philosophin Salomé Balthus zu Gast. Schon nach wenigen Sendeminuten blendete der Moderator einen Ausschnitt aus einer deutschen Fernsehsendung ein, in der «Emma»-Chefredaktorin Alice Schwarzer sagt: «Wir wissen aus den Lebensläufen, dass eine überwältigende Mehrheit von den Frauen, die ‹freiwillig› in der Prostitution sind, (…) dass die (…) in der Kindheit sexuellen Missbrauch erfahren haben.» Daraufhin wandte sich Schawinski an Balthus und fragte sie: «Ist das bei Ihnen auch der Fall gewesen? Oder würden Sie es mir gestehen, wenn es so wäre?» Balthus sagte: «Ich nehme an, wenn ich jetzt Nein sage, was ich tue, kommt bestimmt als nächstes jemand, der behauptet, ich hätte es verdrängt». Sie könne ihm dieselbe Frage nach verdrängten Traumata und Missbrauch in der Kindheit stellen. Schawinski sagt daraufhin: «Aha, nee, aber … Sie sagen, Sie können sich nicht daran erinnern?» Balthus verneinte erneut und versicherte: «Ich glaube, ich kenne genügend Leute, die mir das auch sagen würden, wenn das der Fall wäre».

Erst nach der Aufzeichnung realisierte Balthus, wie nah ihr die Frage ging. So nah, dass sie sich am Flughafen betrank und schliesslich ihren Heimflug nach Berlin verpasste, wie sie in ihrer Kolumne in der deutschen Tageszeitung «Die Welt» schrieb. Und sie schrieb auch, Schawinski habe sie in der Sendung wörtlich gefragt: «Hat Ihr Vater Sie sexuell missbraucht?». Es war dieser Satz, der Balthus zum Verhängnis wurde. Die Kolumne erschien am 6. April und Balthus wurde noch vor der Ausstrahlung der Sendung per Mail als Kolumnistin gefeuert, nachdem sich Schawinski bei «Welt»-Chefredaktor Ulf Poschardt beschwert hatte. Poschardt liess daraufhin den Text löschen. Schawinski sieht in Balthus’ falschem Zitat «ein arge Verunglimpfung» seiner Person und seiner «Integrität als Journalist», weil er diesen Satz nicht gesagt hat. Eine Absetzung der Kolumnistin habe er aber nicht erreichen wollen, sagte er im Interview mit persoenlich.com, er habe eher an eine Berichtigung gedacht.

Richtig ist: Schawinski hat diese Frage nicht wörtlich in der Sendung gestellt. Seither steht er dennoch mitten in einem medialen Shitstorm. Seine Formulierung («Ist das bei Ihnen auch der Fall gewesen?») sei durchaus bewusst so gewählt, dass die Frage nach sexuellem Missbrauch durch Balthus’ Vater impliziert sei, heisst es in kommentierenden Artikeln und Diskussionen auf Social Media. Schliesslich diskutierte Schawinski vor dem Schwarzer-Einspieler mit Balthus über ihren 2013 verstorbenen Vater und die Beziehung zu ihm.

Die Einzige, die wegen einem einzigen Satz wirklich aufgehängt wurde, ist in dem Fall Balthus.

In einem schriftlich geführten Interview im «Tages-Anzeiger» vom 16. April teilt Schawinski mit, er hätte nie gedacht, dass er an einem einzigen Satz «so aufgehängt» werde. Bloss: Die Einzige, die wegen einem einzigen Satz wirklich aufgehängt wurde, ist in dem Fall Balthus – die ist ihre Kolumne los, Schawinski behält seine Sendung und erhält gar Rückendeckung von der «Emma»-Redaktion.

Im «Tages-Anzeiger» bejaht Schawinski die Frage, ob er sich von den Medien als Frauenfeind, als Sündenbock, als «alter, weisser Mann» hingestellt fühle. Das sei offenbar das Mantra des neuen Feminismus, antwortet er, mit einem «brandgefährlichen Ansatz». Diese «alten, weissen Männer» hätten in einer solchen Diktion «keine Rechte» mehr. Das mache ihm Angst: «Wenn wir uns weiter auf diesen Weg begeben, schwächen wir uns als Gesellschaft an einer entscheidenden Stelle.» Und da hat er recht. Dass sich immer mehr Frauen öffentlich dazu äussern, wenn ihnen aufgrund von Machtmissbrauch Unrecht geschieht, schwächt durchaus eine «entscheidende Stelle» unserer Gesellschaft: jene der langjährigen gesellschaftlichen Immunität von einflussreichen Männern.

Seit Jahren bewegt sich Schawinski in seinen Sendungen immer wieder am Rand von Anstand und Moral.

Schawinskis Frage an Balthus war ein verbaler Übergriff vor laufender Kamera. Die genaue Formulierung der Frage spielt zwar im Kontext mit Balthus’ Kündigung durchaus eine Rolle, weil sie sich mit dem falsch wiedergegebenen Zitat einen journalistischen Faux-pas leistet. Dass sich Schawinski aber nun auf seine «Integrität als Journalist» beruft, ist ein Hohn. Seit Jahren bewegt sich der Moderator in seinen Sendungen immer wieder am Rand von Anstand und Moral. Gegen einen schnippischen, angriffigen Interviewstil ist grundsätzlich nichts einzuwenden, das tut dem Schweizer Fernsehen sogar gut. Aber wer für seinen harten Moderationsstil bekannt ist, sollte nicht derart beleidigt Rechte einfordern, die er seinen eigenen Gästen nicht zugesteht. Laut Dominique Strebel, Jurist und Studienleiter am MAZ, ist Schawinskis Frage an Balthus medienrechtlich mindestens bedenklich: «Wenn Schawinski Alice Schwarzer, die als sachkundige Person wahrgenommen wird, sagen lässt, ‹wir wissen, dass … eine überwältigende Zahl von freiwillig Prostituierten in der Kindheit missbraucht worden ist›, ohne dies einzuordnen, kann sich das Publikum keine eigene Meinung bilden.» Das hätte man elegant lösen können, etwa in dem Schawinski sagt: «Das ist die Meinung von Alice Schwarzer und keine objektive Studie. Und es gibt viele andere Meinungen dazu.» Dies fordert im Übrigen auch der Journalistenkodex in Ziffer 3: «Journalisten unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen».

Vor allem aber ist gemäss Strebel das Gebot der Fairness verletzt, weil Schawinski diese sehr persönliche und verletzende Frage («Wurden Sie auch missbraucht?») ohne Einordnung überfallartig stellt und Balthus danach auch keinen fairen Raum gibt, sich zu fangen und zu erklären. Im Gegenteil hätten seine nachfolgenden Fragen die Konfusion noch verstärkt. So stellt er etwa fest «Sie sagen, Sie können sich nicht daran erinnern» und unterstellt Balthus damit eine Aussage, die sie gar nicht gemacht hat. Und SRF lässt ihn gewähren. Ganz im Gegensatz zur «Welt»-Redaktion, wo man Balthus’ Kündigung auf Anfrage der MEDIENWOCHE so erklärt: «Ein solches Vorgehen [die Zuspitzung des Zitats] entspricht nicht unseren journalistischen Leitlinien. Im Kontext mit der Relotius-Affäre beim ‹Spiegel› hat sich darüber hinaus die Redaktion härteste Regeln zur Bewahrung ihrer journalistischen Glaubwürdigkeit auferlegt.»

Seit der Ausstrahlung der Sendung erschienen zahlreiche Artikel und drei grosse Interviews, in denen Schawinski seine Sicht darlegen konnte. Balthus kam bisher einzig im «Blick» ausführlich zu Wort – über eine Woche nachdem die Sendung ausgestrahlt wurde. Dort sagt sie, sie habe «keine Ahnung» gehabt, dass ihr Text über Schawinski «einen solchen Shitstorm auslöst». Sie sehe sich durch seine Fragen nicht angegriffen. Die Unterstellung einer Missbrauchserfahrung in der Kindheit «und damit der Angriff gegen meine Eltern und indirekt ihr Lebenswerk für Kinder» habe sie im Nachhinein aber empört und erschüttert. Wütend mache sie vor allem das «unmögliche Verhalten der ‹Welt›-Redaktion»: Einen Tag nach dem Absetzen ihrer Kolumne sei sie auf Twitter als Co-Autorin des rechten WELT-Kolumnisten Don Alphonso angekündigt worden, so Balthus. (Anmerkung der Redaktion: Der Blogger Don Alphonso hat Balthus dieses Angebot selber gemacht, Balthus lehnte ab). Sie freue sich aber über die angestossene Debatte um das Stigma der Sexarbeit und hoffe, dass man nun nicht mehr so leicht davon ausgeht, «dass Prostituierte immer verhaltensgestört sind oder einen seelischen Knacks haben».

Die Causa Schawinski/Balthus ist vor allem aus journalistischer Sicht ein Lehrstück.

Nur: Über das Stigma, um das es Balthus eigentlich zu gehen scheint, wurde in den Schweizer Medien nicht diskutiert. Die Causa Schawinski/Balthus ist vor allem aus journalistischer Sicht ein Lehrstück. So wurde sichtbar, was sich jemand wie Schawinski erlauben kann: Der «Tages-Anzeiger» liess sich von ihm für ein «Interview» die Bedingungen diktieren. «Das Interview wurde schriftlich geführt. Bedingung war, dass Roger Schawinskis Antworten nicht gekürzt werden», steht am Ende des Mailwechsels. Auch das «Interview» auf persoenlich.com wurde schriftlich geführt, ob die Redaktion kürzen und bearbeiten durfte, ist dort nicht vermerkt. Immerhin: Gegenwind erhielt Schawinski nicht nur von Journalistinnen wie Simone Meier, Michèle Binswanger und Claudia Schumacher, sondern auch von Männern wie Andreas Kunz im «Tages-Anzeiger» vom 15. April. Als einer der Ersten stellte sich «Weltwoche»-Autor Alex Baur hinter Balthus. Er schrieb: «Schaut man sich die Talk-Sendung allerdings etwas genauer an, wird Balthus’ Empörung nachfühlbar».

Balthus hat ihre von der «Welt» gelöschte Kolumne inzwischen auf ihrem Blog veröffentlicht – in redigierter Fassung. Gegenüber der MEDIENWOCHE sagt sie, auf der «Welt»-Redaktion sei der Eklat in der Schweiz «absolut kein Thema», wie ihr die Redaktorin, die bis anhin für Balthus’ Kolumne zuständig war, erzählte. «Von dem Shitstorm hat bei der ‹Welt› keiner was mitbekommen. Sie sind zur Tagesordnung übergegangen, als hätte es mich nie gegeben». Für Balthus ist nach der ganzen Geschichte klar: «Es lohnt sich nicht, als Linke für Zeitungen aus dem rechten oder rechtsliberalen Spektrum zu schreiben». Es gäbe von der Redaktion «niemals echten Rückhalt». Ulf Poschardt hat sich zum Fall bisher weder in einem Medium noch auf Social Media zu Wort gemeldet.

Leserbeiträge

Peter Laely 18. April 2019, 15:32

Schawinskis Zeit ist offensichtlich abgelaufen – eigentlich schade, dass er sich nicht «fair» benehmen kann

Hans E 18. April 2019, 15:33

Hier noch was philosophisches fuer unseren Sozi – Pharisaeer :
Wenn man im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen um sich schmeissen.
Chears und gruesst den Osterhasen  von mir

ich kenne schawinski persönlich, ist zwar schon 40 jahre her, jedoch immer noch der gleiche, ehrlich, überzeugend, manchmal agressiv in diskusskionen, hoch intelligent, doch langsam aber sicher eingebildet in den jahren, respektlos für sein alt 19. April 2019, 00:35

Ich kenne schawinski persönlich, ist zwar schon 40 jahre her, jedoch immer noch der gleiche, ehrlich, überzeugend, manchmal agressiv in diskussionen, hoch intelligent, doch langsam aber sicher eingebildet in den jahren, respektlos für sein alter, keine spur von „weise“ sondern eher von innerlicher einsamkeit…. schade für seine fähigkeit, schade, wenn er seinen höhepunkt verpasst hat….

Ducommun Rolf 19. April 2019, 11:21

Ich schaue diese Sendung nicht mehr. R.Schawinski ist schon lange überholt. Zudem müsste man noch eine Werbelawine abhören vor der Sendung u. dies abends spät.

 

Christoph Frei 19. April 2019, 12:24

Die Sexarbeiterin und Philosophin Salomé Balthus hat genau gewusst, worauf sie sich einlässt.

 

pepa wuds 19. April 2019, 12:46

herr schisswanki sollte langsam den platz frei machen für jüngere. sein vorkriegshumor ist nicht jedermanns sache. zudem wusste er ganz genau, warum er die gestellte frage genau so formuliert hat, wie er es tat. er ist ja jurnalist und nach gefühlten 1000 jahren im geschäft, ist der herr mit allen wasser gewaschen. man kann alles sagen, muss einfach halt nur wissen wie. oder? also herr schimpanzki, falls sie noch ein bisschen ehrgefühl verspüren und ein wenig selbstlosigkeit, dann  helfen sie doch wenigstens mit, dass die frau ihren job zurückerhält. oder haben sie schlussendlich was davon, wenn andere ihre arbeit verlieren…. in ihrem vortgeschritenen alter, sollte mann doch auch mal über etwas hinwegschauen können. also herr schewanzinski hoffe sie können über ihren gewaltig alten schatten springen.

Berge Lars 20. April 2019, 13:42

Für einen professionellen Journalisten ist Herr Schwawinksi ein grosses Sensibelchen. Er wird leider immer eine lächerlichere Person, die man einfach nicht mehr ernst nehmen kann. Nicht zum ersten Mal hat es in seiner Talksendung seines Radios Eklats gegeben (Roger Köppel, Markus Somm), weil man sich an den Karren und fuhr und nicht mehr diskutieren konnte. Ich frage mich: ist das journalistisches Können? Okay, wahrscheinlich waren diese Eklats inszeniert, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Trotzdem: Kindergarten. Auch in seiner TV-Sendung ist es nicht zum ersten Mal, dass er seine/n Interviewpartner/in in unfaire Weise in die Enge treibt. Ich verstehe nicht, dass SRF immer noch einen Sendeplatz hat für Schawinski, es wäre an der Zeit, jüngeren Leuten Platz zu machen. Ich finde, Herrn Schawinskis Zeit im Fernsehen ist abgelaufen, schliesslich ist auch Herr de Weck nicht mehr dort. Es gehört nicht zu einem öffentlich-rechtlichen Sender, solch undifferenzierte Interviews wie diese von Herrn Schawinski zu bringen – das kann er von mir aus auf seinem Pravatradiosender machen, vielleicht gibt es ja Leute, die das hören. SRF sollte Schawinski abschaffen.

Catherine Herriger 21. April 2019, 21:46

Ein sauberer, fairer, gut recherchierter Beitrag! Es wird (wieder mal) klar, wie ausgeprägt narzisstisch veranlagt schawinski ist. Wer nicht für ihn ist, ist für sein Empfinden gegen ihn. Anders formuliert: er verträgt keine Kritik, erlaubt sich selber aber verbale Übergriffe à gogo. Journalistischen Ethos kennt er kaum – es geht ihm meistens nur darum, den potentiellen „Gegner“ (den Interviewpartner) klein zu machen bzw. vorzuführen. Gelingt es ihm, fühlt er sich in seinem instabilen Ego bestätigt. Falls nicht, wird er rachsüchtig. Die unwürdige Entlassung der Kolumnistin (dank seiner Seilschaft) dürfte ihm massiv Auftrieb gegeben haben … Es werden somit weitere öffentliche Übergriffe / Beleidigungen stattfinden dürfen. Schawi freuts.

Ben Zeller 22. April 2019, 11:47

Danke für diesen Beitrag, ich finde das eine gute Analyse von Frau Suter. Ich persönlich finde die Sendung «Schawinski» immer mehr eine Zumutung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Bei Schawinski merkt man jeweils in der ersten Minute, ob er einen Talkgast mag oder nicht, und dann macht er den Gast entweder mürbe oder er bringt ihn dem Schmus und ist unkritisch. Differenzierte, intelligente, journalistisch feine, faire Talks sind nicht Schawinskis Sache. Auch akzeptiert er kaum Kritik an sich selber, er sieht sich wohl als unersetzlich in der Medienlandschaft? In den Anfangszeiten von Tele Züri war ich selber ein Teenager, und ich fand diesen Sender gut und damals eine echte Alternative. Das ist Herrn Schwawinski zu gute zu Halten, dass er damals diesen Sender zum Laufen brachte. Doch heute kommt mir Schawinski vor wie Satire seiner selbst. Ist es nun Viktor Giacobbo, der gerade im TV redet, oder der echte Schwawi. Man muss zweimal hinschauen. Etwas Gutes hat seine Sendung auf SRF: seit einigen Jahren schaue ich diese Sendung nämlich nicht mehr, und ich komme am Montag deshalb früher ins Bett und bin am Morgen besser ausgeschlafen. Nach der Sendung Eco ist bei mir Sendeschluss, und ich schalte ab. Es sei denn, es kommt der Eco-Talk. Diese Sendung ist wenigstens noch informativ und erhellend. Aber die Sendung von Schawinski schauen wäre für mich mittlerweile eine Strafe, ein absolutes «No go!». Zum Fenster hinaus geworfenes Gebührengeld. Aber Herr Schawinski empfindet all die Beiträge hier bestimmt wieder als ein gegen ihn gerichteter Shitstorm. Auch wenn diese wohl die Meinungen von vielen zahlenden TV-Konsumenten widerspiegeln.