von Claudia Keller

Öffentliche Personen sind kein Freiwild auf dem Boulevard

Das Urteil gegen Ringier und sein Boulevardblatt «Blick» wegen der Verletzung der Intimsphäre einer früheren Zuger Politikerin setzt der Sensationsberichterstattung klare Grenzen. Doch das Verfahren zeigt auch: Wer auf rechtlichem Weg gegen übergriffige Medien vorgehen will, braucht einen langen Atem. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Weitere Gerichte werden sich wahrscheinlich mit dem Fall befassen.

Letzten Freitag wurde das mit Spannung erwartete Urteil in Sachen Jolanda Spiess-Hegglin gegen Ringier bekannt. Entsprechend gross war das Medienecho. Die Klägerin selbst hat das Urteil (verständlicherweise) als persönlichen «Meilenstein» bezeichnet. Gegenstand des Gerichtsverfahrens ist die im Dezember 2014 erfolgte Berichterstattung des «Blick» über die Landammann-Feier im Kanton Zug. Im betreffenden Artikel mit dem Titel «Sex-Skandal um SVP-Politiker: Hat er sie geschändet?» wurden Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann, damalige Kantonsratsmitglieder des Kantons Zug, ohne deren Einwilligung namentlich genannt und bildlich dargestellt. Spiess-Hegglin und Hürlimann sahen sich nach diesem Initial-Artikel mit einer Flut von weiteren Artikeln (sowohl im «Blick» wie auch anderen Medien) sowie Leserkommentaren und angriffigen und beleidigenden Social-Media-Posts ausgesetzt.

In der Folge hat Jolanda Spiess-Hegglin gegen die Herausgeberin des «Blick», die Ringier AG, Zivilklage eingereicht wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Grundlage dafür ist Artikel 28a des Schweizer Zivilgesetzbuches, der besagt: Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden an der Verletzung Mitwirkenden das Gericht anrufen. Die Persönlichkeit ist widerrechtlich verletzt, wenn keine Einwilligung des Verletzten vorliegt und die Verletzung nicht beispielsweise durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist.

Im Vorliegenden Fall gab es keine Einwilligung von Spiess-Hegglin und Hürlimann zur Nennung ihrer Namen und Verwendung ihrer Bilder. Das Gericht musste daher darüber entscheiden, ob die Verwendung von Namen und Bildern im Rahmen der Berichterstattung über die Ereignisse rund um die Landamman-Feier gerechtfertigt war. Mit seinem Urteil vom 8. Mai 2019 hat das Zuger Kantonsgericht dies verneint und die Klage weitgehend gutgeheissen. Das Gericht erkannte in der Publikation von Name und Bild im Zusammenhang mit einem mutmasslichen Sexualdelikt sogar eine «schwere Persönlichkeitsverletzung» und bezeichnete die Berichterstattung als «krassen Eingriff in die Intimsphäre» der Klägerin.

In Zeiten von schnellen Online-News, Social Media und der fehlenden Bereitschaft des Massenpublikums, für Medieninhalte zu bezahlen, steigt der Druck auf Medien und Journalisten, möglichst schnell und sensationell über Ereignisse zu berichten.

Vor der Publikation eines solchen Artikels muss die Redaktion entscheiden, ob eine Berichterstattung wirklich dem öffentlichen Interesse entspricht oder ob nicht doch die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen überwiegen. Im Zweifelsfall sollten die Medien von einer identifizierenden Berichterstattung absehen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Fehleinschätzungen bei dieser Interessenabwägung (etwa bei der Berichterstattung 2014 über den Badener Stadtammann Geri Müller).

In Zeiten von schnellen Online-News, Social Media und der fehlenden Bereitschaft des Massenpublikums, für Medieninhalte zu bezahlen, steigt der Druck auf Medien und Journalisten, möglichst schnell und sensationell über Ereignisse zu berichten. Nach dem Motto: Nur wer schneller und lauter ist, wird gehört. Einer sorgfältigen Beurteilung der sich gegenüberstehenden Interessen ist eine solche Berichterstattung nicht gerade zuträglich.

Das Urteil des Kantonsgerichts Zug setzt hier ein wichtiges Signal. Es stellt klar, dass auch Personen, die ihr Leben teilweise öffentlich führen und damit unweigerlich ein Stück ihrer Privatsphäre aufgeben, ein Recht auf Wahrung ihrer Intimsphäre haben. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Bereits im Fall Geri Müller hatte der Presserat festgehalten, dass die Zeitung «Schweiz am Sonntag» mit ihrem Artikel über Geri Müllers privaten Sex-Chat mit einer Frau den Journalistenkodex verletzte. Der Presserat hatte in seinem Entscheid festgehalten, dass es zwar der Natur des Menschen entspreche, sich für den Intimbereich anderer zu interessieren, das Interesse einer grossen Öffentlichkeit aber nicht zu verwechseln sei mit einem öffentlichen Interesse.

Diese Ansicht hat nunmehr auch das Zuger Kantonsgericht im Fall Spiess-Hegglin gegen Ringier bestätigt. Das Gericht hat der Klägerin eine Genugtuung in der Höhe von 20’000 Franken zugesprochen. Auf den Antrag betreffend Publikation einer Entschuldigung ist das Gericht allerdings nicht eingetreten, mit der Begründung, es fehle an der rechtlichen Durchsetzbarkeit. Abgewiesen wurde sodann der Antrag auf Unterlassung der weiteren Berichterstattung, mit der Begründung, weitere Persönlichkeitsverletzungen durch die Beklagte zulasten der Klägerin seien angesichts des Urteils nicht zu befürchten. Das Urteil verpflichtet Ringier – entsprechend dem Ausgang des Verfahrens – auf Übernahme der Gerichtskosten und Parteienentschädigung der Klägerin.

Beachtlich ist sicherlich die Höhe der Genugtuung, welche mit 20’000 Franken (die Klägerin hatte 25’000 Franken gefordert) im Vergleich eher hoch ausgefallen ist. Solche fünfstelligen Genugtuungssummen sind in der Schweizer Gerichtspraxis für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Medienberichterstattung nicht völlig unbekannt, aber doch selten. Die vorliegende Genugtuung ist beispielsweise um fast einen Drittel höher als eine vor über 10 Jahren zugesprochene Genugtuung in der Höhe von 13’000 Franken. Dieser Fall von 1998 betraf einen Artikel des «Sonntagsblick».

Eine Klägerin oder ein Kläger braucht einen langen Atem und die Bereitschaft, sich einem potentiell jahrelang dauernden Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang zu stellen.

Das hier diskutierte Urteil ist noch nicht rechtskräftig und es ist wohl damit zu rechnen, dass Ringier den Entscheid an das Obergericht des Kantons Zug weiterziehen wird. Aus rechtlicher Sicht wird spannend sein, ob Jolanda Spiess-Hegglin der Klage auf Persönlichkeitsrechtsverletzung die von ihr angekündigte Klage auf Gewinnherausgabe folgen lässt.

Das Zuger Kantonsgericht erwähnte im Urteil die Möglichkeit eines Nachklagerechts durch die Klägerin, ohne sich materiell zur Frage des Rechts auf Gewinnherausgabe zu äussern. Nun ist es nicht so, dass es in der Vergangenheit noch nie erfolgreiche Klagen auf Gewinnherausgabe gegeben hätte. Klassischerweise ist jedoch die Berechnung des mit der Persönlichkeitsverletzung erzielten Gewinnes nicht ganz einfach zu bewerkstelligen.

Die Gewinnberechnung ist im vorliegenden Fall rechtlich deshalb spannend, weil die Berichterstattung des «Blick» in Sachen Spiess-Hegglin gemäss Angaben des Medienexperten Hansi Voigt an die 240 Artikel (in der gedruckten Ausgabe sowie online publiziert) umfasste und eine entsprechend grosse Reichweite erzielte. Die von Ringier damit erzielten Einnahmen, so Voigt in diversen Medienberichten, lassen sich anhand der Online-Zugriffszahlen zumindest hochrechnen. Die Ankündigung einer solchen Klage auf Gewinnherausgabe wird war vermutlich der Grund, weshalb das Medienhaus die betroffenen Beiträge aus der Schweizerischen Mediendatenbank SMD und aus seinen Online-Portalen gelöscht hat. Der Presserat hatte dies kritisiert.

Der Fall dürfte die Parteien und Gerichte in jedem Fall noch weiter beschäftigen. Er zeigt aber bereits heute in aller Deutlichkeit auf, dass die gerichtliche Geltendmachung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen teuer und zeitaufwändig ist. Eine Klägerin oder ein Kläger braucht einen langen Atem und die Bereitschaft, sich einem potentiell jahrelang dauernden Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang zu stellen.

In den meisten Fällen wollen betroffene Personen das in die Öffentlichkeit gezerrte Thema möglichst schnell vergessen. Ein Prozess bringt das von der Berichterstattung betroffene Ereignis jedoch nochmals an die Öffentlichkeit. Das erzielt den gegenteiligen Effekt. Aussichten auf eine relativ hohe Genugtuungssumme in Kombination mit reellen Chancen auf eine Gewinnherausgabe dürften dazu führen, dass sich betroffene Personen vielleicht eher dieser Herausforderung stellen.

Vor diesem Hintergrund könnte das Urteil aus Zug Signalwirkung haben. Wie gross sie sein wird, bleibt zu beobachten, denn bereits im oben erwähnten Gerichtsfall aus dem Jahre 1998 hatten Medienrechtsexperten einen Trend hin zu höheren Genugtuungssummen bei Medienverfehlungen festgestellt, und das Gericht argumentierte in Bezug auf die für damalige Verhältnisse äussert hohe Genugtuungssumme von 13’000 Franken, dass die Höhe der Genugtuung im Bereich der Medien auch eine gewisse Präventionswirkung entfalten und vor Vermarktung der Persönlichkeit zum Zwecke der Auflagensteigerung schützen müsse. Bei gewinnorientierten Medien, so das Gericht bereits damals, sei nicht ausgeschlossen, dass ein Rechtsbruch als Mittel der Auflagesteigerung in Kauf genommen werde.

Diese Präventivwirkung erhofft sich wohl auch das Zuger Kantonsgericht, signalisiert das Urteil gegenüber den Medien im aktuellen Fall doch klar die Erwartung, dass sie in solchen Fällen ihre Verantwortung hinsichtlich Interessenabwägung wahrnehmen und Entscheide über identifizierende Berichterstattungen. Insbesondere, wenn sie die Intimsphäre betreffen, mit entsprechender Sorgfalt fällen müssen.