Zähne zeigen, ohne sich zu verbeissen
Die aggressive und provokative Gesprächsmoderation, wie sie Roger Schawinski in seinem Talk im Schweizer Fernsehen SRF pflegt, ist ein Auslaufmodell. Es ist Zeit für einen neuen Stil. Vorbilder dafür gibt es genug – im In- und im Ausland.
Das verunglückte Gespräch von Roger Schawinski mit der Prostituierten Salomé Balthus und die nachfolgende Rüge von SRF-Ombudsmann Roger Blum sorgen weiterhin für Diskussionen: Schawinski habe in seiner Sendung Balthus’ Menschenwürde missachtet, hiess es in Blums Abschlussbericht, seine Frage nach sexuellem Missbrauch in Balthus‘ Kindheit sei nicht angebracht gewesen. Ebenso wenig wie der verächtliche Interviewstil, der sich durch das ganze Gespräch hindurch zog. Obwohl das nicht der erste Rüffel war, hält Blum den angriffigen Interviewstil grundsätzlich für angemessen.
Schawinski sieht die Kritik an seinem Moderationsstil als «verletzend und faktenfrei», sowie als «Verunglimpfung» seiner Person.
Anders sieht das die Medienredaktorin des Tages-Anzeigers: Schawinskis angriffige Gesprächsführung, oft in einem «despektierlichen, zuweilen verächtlichen Tonfall», sei nicht mehr zeitgemäss, schreibt Claudia Blumer unter dem Titel «Der Pitbull hat ausgedient». Sie fordert aber nicht etwa Schawinskis Absetzung, sondern lediglich eine Mässigung im Stil und ein Befolgen des Ethikcodes seines Arbeitgebers SRF. Schawinski selber sieht die Kritik als «verletzend und faktenfrei», sowie als «Verunglimpfung» seiner Person, wobei er der Autorin vor allem den Vergleich mit einem «Pitbull» verübelt. Seine Talks sieht er als «harte, gut recherchierte Gespräche», wie er in seiner Replik schreibt.
Was indes auffällt: Die wirklichen Top-Figuren aus Politik und Wirtschaft gehen mit wenigen Ausnahmen nicht in seine Sendung. Denn wer sich zu ihm ins Studio setzt, weiss: Hier ist Kriegszone. Verständlich, wenn man sich das nicht antun will. Wohl auch deshalb sass in acht Jahren Sendung, mit Ausnahme von Doris Leuthard, kein Mitglied des Bundesrats Schawinski gegenüber.
Dass es auch anders geht, freundlicher und respektvoller, zeigt ein Blick ins Westschweizer Fernsehen. RTS-Moderator Darius Rochebin, der wie Schawinski jede Woche einen Gast zum Gespräch empfängt, hat regelmässig hochkarätige Namen aus aller Welt in seiner Sendung. Die Liste der letzten Jahre liest sich wie ein «Who is Who» aus Politik, Kultur, Sport und Showbiz. Und anders als bei seinem Deutschschweizer Kollegen mögen mit Rochebin auch amtierende Bundesrätinnen und Bundesräte reden. Ende März sprach Rochebin mit Viola Amherd über den Frauenstreik, Didier Burkhalter erklärte ihm 2018 die Gründe für seinen Rücktritt, Ueli Maurer erzählte 2013 aus seinen ersten zehn Monaten im Amt als Bundespräsident und Doris Leuthard diskutierte 2012 mit Rochebin über ihre Nachfolge. Wenn Schawinski sagt, zu ihm käme deshalb kein Bundesrat in die Sendung, «weil seine Pressestelle dann keine Kontrolle mehr hätte», dann klingt das eher nach einer Ausrede.
Seit Jahrzehnten erklären zum allergrössten Teil Männer durch Gespräche mit anderen Männern den Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauern die Welt.
Ist Schawinskis Zeit beim SRF abgelaufen? Und welche Talk-Formate braucht die Schweiz heute? Fest steht: Seit Jahrzehnten erklären zum allergrössten Teil Männer durch Gespräche mit anderen Männern den Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauern die Welt. Auch in der «Arena» folgte jüngst ein Mann auf einen Mann. Diese Art von Talk- und Diskussionssendungen ist nicht nur unausgeglichen – immerhin sind die Hälfte der Zielgruppe Frauen –, sie wird in der Masse schlichtweg langweilig.
Eine Prise Punk tut der sonst verhaltenen Schweiz durchaus gut. Schawinski wurde als Journalist in einer Zeit sozialisiert, die es ihm einfach machte: Provokation gehörte dazu. Sein Radio 24 war eine Kampfansage an die Schweizer Behörden. Das war gegen das System, das war cool – und auch wichtig, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Heute gehört der erfolgreiche Moderator und Medienmacher selber zum Establishment und ist Teil eines Systems, das sich überlebt hat.
Die SRF-Moderatorinnen Susanne Wille und Patrizia Laeri zeigen Zähne, ohne sich im Gegenüber zu verbeissen.
Wenn Schawinski dereinst seinen Sessel verlassen wird, könnte dort eine Frau Platz nehmen. Beispiele für durchsetzungsfähige Moderatorinnen gibts genug: Anne Will und Sandra Maischberger beweisen in Deutschland, dass knallharter Journalismus gleichzeitig menschenwürdig sein kann. Und in der Schweiz zeigen Susanne Wille und Patrizia Laeri Zähne, ohne sich zu verbeissen. Alle diese Frauen sind gleichermassen einfühlsam wie kritisch und gern auch angriffig, guter Journalismus muss nicht kuschlig und langweilig sein.
Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat als Service-public-Veranstalter den Auftrag, zielgruppengerecht zu arbeiten. «Wir berücksichtigen die Ansprüche von Mehr- und Minderheiten und fördern so gegenseitiges Verständnis und Solidarität», steht im Leitbild der SRG. Und weiter: «Unser audiovisueller Service public ist Bestandteil und Spiegel der schweizerischen Wirklichkeit.» Die schweizerische Wirklichkeit erlebt 2019 mit dem Frauenstreik und der Klima-Bewegung ein politisches Erwachen, alte Strukturen werden in Frage gestellt eine bessere Zukunft wird aufgezeigt. Die SRG kann sich auch daran ein Beispiel nehmen.
Anmerkung:
In einer ersten Version des Artikels stand geschrieben, dass in acht Jahren kein Mitglied des Bundesrats in der Sendung von Herrn Schawinski war. Das stimmt nicht. Doris Leuthard war 2014 Gast. Wir haben den Text entsprechend angepasst.