Die Toten bleiben der Zeitung treu
Der Anzeigenmarkt hat sich in den letzten Jahren fast komplett ins Internet verschoben. Ausser bei den Todesanzeigen. Die erscheinen wie eh und je in der gedruckten Zeitung. Zwar findet man vermehrt auch Todesanzeigen online – aber das Geschäft findet weiter mit dem Papier statt.
Stellenanzeigen, wie auch Immobilien- und Fahrzeug-Märkte, sind fast komplett aus den Zeitungen verschwunden. Die Inserate finden sich heute auf eigenständigen Plattformen. Die einzigen Rubrikenanzeigen, die dieser Entwicklung trotzen und weiterhin in der Zeitung erscheinen, sind die Todesanzeigen.
Das könnte einen zur These verleiten: Todesanzeigen sind ein unerschütterlicher Markt. Vor 13 Jahren hielt Kurt W. Zimmermann Todesanzeigen sogar für «eine der entscheidenden Säulen der Presse». Stimmt das heute noch? Es kommt darauf an, wen man fragt. «Todesanzeigen sind für uns sowohl aus der Sicht der gesellschaftlichen Verantwortung als auch aus kommerziellen Gründen wichtig», bestätigt Daniel Sigel, CEO der Zürcher Oberland Medien, die hauptsächlich gedruckte und digitale Regionalmedien herausgeben. Die Bereitschaft, Traueranzeigen in der Zeitung zu veröffentlichen, sei noch immer gross. Das liegt auch daran, dass das Zielpublikum von Traueranzeigen hauptsächlich gedruckte Medien lese. Doch auch die Todesanzeigen würden sich zunehmend auf digitale Kanäle ausweiten.
«Deutlich abgenommen» hat die kommerzielle Bedeutung der Todesanzeige bei der Medien-Riesin Tamedia laut Mediensprecher Roman Hess: «Die Todesanzeigen machen bei Tamedia lediglich einen tiefen einstelligen Prozentsatz vom Gesamtumsatz der Bezahlmedien aus.» Die Umsätze aus den Todesanzeigen fliessen bei Tamedia laut Hess «schlussendlich in die normalen Werbeumsätze und tragen damit zur Finanzierung bei». Davon profitiere auch die Redaktion. Ähnlich sieht es auch bei den Zürcher Oberland Medien aus: «Der Journalismus wird finanziert aus den Gesamteinnahmen», sagt CEO Daniel Sigel.
Ganz anders sieht es bei den übrigen Anzeigen aus: In der entsprechenden Woche im Juni 1985 erschienen im «Tages-Anzeiger» insgesamt 160 Seiten mit Stellenanzeigen sowie rund 70 Seiten mit Immobilienanzeigen.
Konkrete Zahlen nennen die beiden Unternehmen keine. Einen Eindruck, wie sich das Geschäft mit den Print-Anzeigen im Allgemeinen und den Todesanzeigen im Speziellen seit den «goldenen Jahren» in den 1980er-Jahren entwickelt hat, bietet ein Blick in die Zeitungen von damals und heute.
In der Woche vom 17. Juni 1985 erschien im «Tages-Anzeiger» im Durchschnitt eine knappe Seite mit Todesanzeigen. Dieser Umfang ist zwar nicht gross, scheint sich aber bis heute stabil zu halten: In der Woche vom 17. Juni 2019, mehr als dreissig Jahre später, erscheint im mittlerweile viel dünneren «Tages-Anzeiger» noch immer knapp eine Seite mit Todesanzeigen pro Tag.
Ganz anders sieht es bei den übrigen Anzeigen aus: In der entsprechenden Woche im Juni 1985 erschienen im «Tages-Anzeiger» insgesamt 160 Seiten mit Stellenanzeigen sowie rund 70 Seiten mit Immobilienanzeigen. Heute erscheinen in der gedruckten Ausgabe des «Tages-Anzeiger» noch ein paar einzelne Anzeigen dieser Rubriken. Der Kader-Stellenanzeiger «Alpha» vom 22. Juni 2019 hatte einen Umfang von vier Seiten und enthielt zehn Stellenausschreibungen.
Die Digitalisierung macht aber auch vor den Todesanzeigen nicht Halt. Nur geht es hier etwas gemächlicher zu als bei den anderen Anzeigen-Rubriken. Viele Verlage bilden Todesanzeigen auch online ab auf einem Trauerportal. Tamedia betreibt seit 2015 für ihre Tageszeitungen die Plattform sich-erinnern.ch, die NZZ veröffentlicht Todesanzeigen auf trauer.nzz.ch, CH Media betreibt gedenkzeit.ch und trauerportal-ostschweiz.ch, die Zürcher Oberland Medien zo-trauer.ch.
«Die digitale Verlängerung hilft uns, das Angebot attraktiv zu halten», sagt Roman Hess, Mediensprecher von Tamedia. Auch die Zürcher Oberland Medien wollen mit dem 2018 lancierten Trauerportal «auf die Bedürfnisse der Leser und Kunden reagieren und der Verschiebung der Märkte gerecht werden, die sich zunehmend online ausrichten.»
Besucher können für Verstorbene eine virtuelle Kerze anzünden oder eine Nachricht im Online-Kondolenzbuch hinterlassen.
Die Trauerportale der Schweizer Medien funktionieren alle gleich: Der Kunde bucht eine Todesanzeige in einer Print-Zeitung. Für eine schwarz-weisse, 120 mm hohe Anzeige über 4 Spalten kostet das zum Beispiel rund 1752 Franken («Tages-Anzeiger») oder 773 Franken («Zürcher Oberländer»). Im Preis inbegriffen ist die Aufschaltung auf dem Trauerportal des Verlags. Im Internet lassen sich die Trauerfälle nach Namen, Ort oder Datum durchsuchen. Ebenfalls finden sich hier auch wichtige Adressen und Ratgeber-Seiten für den Todesfall. Besucher können für Verstorbene zudem eine virtuelle Kerze anzünden und, wenn gewünscht, zusammen mit einem Text veröffentlichen oder eine Nachricht im Online-Kondolenzbuch hinterlassen. Das Prinzip ist dabei das einer Kommentarfunktion.
Praktisch alle Deutschschweizer Verlage nutzen für ihr Trauerportal ein Angebot von VRS Media, einem deutschen Software-Unternehmen in Bremen.
Die Trauerportale der Zeitungsverlage in der Schweiz sehen alle ähnlich aus. Sie unterscheiden sich lediglich in ihrem Design und im detaillierten Aufbau der Seite. Diese Ähnlichkeiten kommen nicht von ungefähr. Praktisch alle Deutschschweizer Verlage nutzen für ihr Trauerportal ein Angebot von VRS Media, einem deutschen Software-Unternehmen in Bremen. In der Westschweiz betreiben die Verlage ihre Trauerportale meist in Eigenregie und in rudimentärerer Form. Laut eigenen Angaben sei VRS Media jedoch im Gespräch mit Verlagen in der Romandie.
Das Bedürfnis nach mehr Individualität bei den Trauerportalen scheint bei den Verlagen nicht zu bestehen. «Uns geht es primär darum, einmal im Kleinen auszuprobieren, ob die Lösung funktioniert und Anklang findet, bevor wir das Angebot auf individuelle Wünsche anpassen und optimieren», begründet Daniel Sigel, Zürcher Oberland Medien. «Die technischen Grundlagen haben wir nicht verändert, da sich tatsächlich der Aufwand nicht lohnt.» Roman Hess von Tamedia bestätigt: «Bei solch einem sensiblen Thema macht es durchaus Sinn, eine einheitliche Struktur zu führen.»
Wie ist es VRS Media gelungen, quasi als Monopolist den Deutschschweizer Markt zu erobern? «Wir hatten die richtige Idee zur richtigen Zeit», erklärt Timo Seghorn, Leiter Marketing & Vertrieb von VRS Media. Zeitungen hätten es Anfang der 2000er-Jahre überwiegend versäumt, das Anzeigengeschäft selber ins Internet zu überführen. Dieses Geschäft haben sich dann externe Anbieter unter den Nagel gerissen, bevor die Verlage diese Online-Marktplätze für teures Geld zurückkauften.
Anders als bei Stellen, Immobilien und Fahrzeugen machte bei den Traueranzeigen kein grosser Player den Verlagen das Geschäft streitig. «Grosse internationale Anbieter hatten im Grunde nie die Chance, den Markt zu erobern, da die Zeitungen die Märkte der Familienanzeigen früh genug für sich gesichert haben», erklärt Seghorn. Die Verlage hätten Ende der 2000er-jahren angefangen, sich um Online-Lösungen für ihre Familienanzeigenmärkte zu kümmern.
VRS Media entwickelte sich zum White-Label-Anbieter für Trauerportale, dessen Investoren heute grösstenteils Verlage sind.
Um 2010 herum hat es laut Timo Seghorn zwar einige verlagsexterne Anbieter gegeben, die versucht hatten, Trauerportale selbst zu betreiben. Auch die anfängliche Idee von VRS Media ging mit dem reinen Online-Portal infrieden.de in diese Richtung. Die Versuche, verlagsexterne Trauerportale zu betreiben, waren jedoch mässig erfolgreich: «Das Thema Trauer war fest bei den Verlagen etabliert.» VRS Media entwickelte sich zum White-Label-Anbieter für Trauerportale, dessen Investoren heute grösstenteils Verlage sind.
Ein Schweizer Player, der bewusst nicht auf Todesanzeigen setzt, ist Scout24 Schweiz (Ringier/Mobiliar), eine Betreiberin von Marktplätzen in den Bereichen Immobilien und Fahrzeuge. «In den rund 20 Jahren, in denen es Scout24 gibt, wurde das Thema Todesanzeigen einige Male diskutiert», sagt Mediensprecherin Nicole Räz. Das Unternehmen habe sich jeweils dafür entschieden, sich auf die bestehenden Marktplätze zu konzentrieren und das Thema Todesanzeigen deshalb nie weiterverfolgt.
Es gibt heute in der Schweiz zwar verlagsunabhängige Trauerportale wie trauerportal-schweiz.ch – dieses bietet jedoch keine Anzeigenschaltung an, sondern verfolgt eher einen beratenden Ansatz und vermittelt Kontakte für Hinterbliebene. Ein zweites verlagsunabhängiges Trauerportal ist todesanzeigenportal.ch, das Todesanzeigen digitalisiert und publiziert, die in Zeitungen erschienen sind.
Ein Grund, warum Traueranzeigen die ganze Zeit über in den Händen der Verlagen geblieben seien, sei auch das Vertrauen in die regionale Marke, sagt Seghorn: «Für Hinterbliebene scheint es nach wie vor obligatorisch zu sein, eine Todesanzeige bei der lokalen Zeitung zu veröffentlichen.» Letzteres entspricht auch der Meinung von Daniel Sigel, CEO der Zürcher Oberland Medien: «Todesanzeigen sind ein lokales Geschäft und werden es wohl im Umfeld von Regionalzeitung, auf Grund der Nähe zu den Lesern, immer bleiben.»
Dass sich Todesanzeigen so anders entwickelt haben als andere Anzeigenkategorien, begründet Roman Hess folgendermassen: «Bei Todesanzeigen hinkt die Verlagerung von Print ins Internet etwas hinterher. Das hat auch mit dem emotionalen Kontext zu tun. Zudem ist der Markt weniger umkämpft als jener von Wohnungen oder Jobs.»
«Wir machen keine Werbung für Todesanzeigen und bieten auch keine Paketangebote an. Das wäre ethisch nicht vertretbar.»
Roman Hess, Mediensprecher Tamedia
Das Geschäft mit Todesanzeigen ist sensibel. Lässt sich dafür überhaupt Werbung machen? Kurt W. Zimmermann bezeichnete Todesanzeigen in seinem etwas zynisch anmutenden Artikel von 2006 als «Goldgrube». Sein Artikel sei ein «Wachruf» für die Verlage, die das noch nicht verstanden hätten. «Wir müssen also etwas Nachhilfeunterricht im Todesanzeigen-Marketing geben.» Die «Dolomiten» etwa, eine Südtiroler Tageszeitung, würde nicht nur eine einzelne Todesanzeige verkaufen, sondern «eine Todesanzeige, eine Danksagung, eine Erinnerungsanzeige einen Monat später, eine Anzeige zum 1. Jahrestag, eine Anzeige zum 2. Jahrestag, eine zum 5. Jahrestag und eine zum 10. Jahrestag. Alles en bloc mit Rabatt und alles zu einem Aufpreis mit Fotos des jäh Entrissenen.»
Als «vorbildliche» Ausnahme in der Schweizer Medienlandschaft nannte Zimmermann 2006 den «Walliser Boten»: Man müsse «erzwingen, dass alle inserieren, bei denen der Hingeschiedene zu Lebzeiten wandelte» – der «Walliser Bote» kenne diese «wichtige Regel im morbiden Business». Auch der «Infosperber» berichtete über das Todesanzeigen-Geschäft des «Walliser Boten». In den vergangenen Jahren habe sich ein «nicht geringer sozialer Druck auf viele Vereine, Arbeitgeber, Jahrgänger, Parteien, Sportclubs und dergleichen aufgebaut», Verstorbenen mit einer eigenen Todesanzeige die letzte Ehre zu erweisen. Dabei komme es vor, dass sich die Todesanzeigen für Prominente an mehreren Tagen im «Walliser Boten» stapeln. Hinzu kämen die Danksagungen wenige Wochen nach der Beisetzung. Zudem arbeite der «Walliser Bote» mit einem weiteren «geschäftsförderndes Stilelement»: In dessen Todesanzeigen würden neben den lebenden Trauernden nämlich immer öfter auch die bereits verstorbenen Angehörigen der Toten aufgelistet.
Die meisten Schweizer Medien scheinen dem «Wachruf» von Zimmermann jedoch bis heute nicht gefolgt zu sein und halten das Geschäft mit den Todesanzeigen noch immer diskret. «Wir machen keine Werbung für Todesanzeigen und bieten auch keine Paketangebote an. Das wäre ethisch nicht vertretbar», sagt Hess. «Wenn die Kunden an den Schalter kommen und die Todesanzeige aufgeben, unterstützen wir beratend und vermitteln, falls gewünscht, Dienstleistungen wie beispielsweise den Druck der Trauerkarte.» Auch die Zürcher Oberland Medien verzichten aus den gleichen Gründen weitgehend darauf, Werbung zu machen: «Wir machen lediglich Werbung, um unsere Leser darauf aufmerksam zu machen, dass sie Todesanzeigen auch online finden. Werbeplätze auf dem Trauerportal bewerben wir nicht aktiv.»