von Daniel Vonlanthen

Das Radio im Dienst des Autoverkehrs

Radio-Verkehrsmeldungen sind ein Relikt aus einer Zeit, als das Auto noch als fortschrittliches Fortbewegungsmittel galt. Heute lassen sich die lästigen Programmunterbrechungen eigentlich nicht mehr rechtfertigen. Radio SRF sieht keinen Grund, etwas zu ändern. Die Verantwortlichen verweisen auf den öffentlichen Auftrag und betonen den Service-Nutzen der Verkehrsmeldungen.

Baregg-, Gotthard- und Seelisbergtunnel, Limmatttaler Kreuz, Buchrain, Hagnau, Rubigen, Grauholz, Wallisellen. Das Stammpublikum von Radio SRF kennt die schweizerischen Ortsnamen und die Satzbausteine, die dann folgen. Hin und wieder gut gemeinte Anweisungen: «Bilden Sie bitte eine Rettungsgasse.» Warnungen und Entwarnungen: «Gefahr durch Gegenstände auf der Fahrbahn.» Oder: «Der Stau hat sich aufgelöst.»

Die SRF-Hauptprogramme sind durchtränkt von solchen Verkehrsinformationen. Nicht nur Autofahrende, auch Umweltbewusste und Autolose, Rentner, Velofahrerinnen, Wanderer und Altersheimbewohnende müssen diese Durchsagen mehrmals täglich zur Kenntnis nehmen, wollen sie sich politisch, kulturell und über die Weltlage auf dem Laufenden halten. Radio SRF ist für viele Menschen Leitmedium.

Im Halbstundentakt – oft noch öfter – lenkt das Medium die Aufmerksamkeit der Radionation aufs dichte schweizerische Strassennetz. Niemand kann sich dem Verkehrsmeldungen entziehen, es sei denn, man wechselt das Programm oder schaltet das Radio aus.

Weshalb plagt SRF treue Hörerinnen- und Hörer mit dem Verkehrslärm der Automobilgesellschaft?

Weshalb räumt das Radio dem Automobil ausgerechnet in seinen Hauptprogrammen – und ausgerechnet in unserer Zeit, in der viele nicht zum Autofahren, sondern für Klimastreiks auf die Strasse gehen – einen so hohen Stellenwert ein?

Die Litanei der Verkehrsmeldungen durchkreuzt die Anstrengungen, den Strassenverkehr verträglich zu gestalten. Sie gaukelt dem Publikum in stetigem Rhythmus vor, Autofahren sei das Normalste der Welt; der Verkehr sei ein Phänomen wie das Wetter. Nachgerade schizophren mutet es dabei an, wenn SRF einerseits den Erhalt der Biodiversität im Programm predigt und gleichzeitig den Autoverkehr am Laufen hält mit den Verkehrsmeldungen als Schmiermittel.

Der Kern dieser unguten Verschmelzung von Informationskompetenz und Informationsverschleuderung liegt bei der Firma Viasuisse AG, an der die SRG mit 36 Prozent beteiligt ist, zu gleichen Teilen wie der TCS. Darum wird die ganze Nation Tag für Tag, Stunde für Stunde, mit den Auswüchsen der motorisierten Massenmobilität konfrontiert.

Die Zielformulierung von Viasuisse mag harmlos erscheinen: Die Verkehrsteilnehmenden in der Schweiz sollen «rasch, präzise und wenn möglich präventiv über Störungen und Beeinträchtigungen auf dem gesamten Strassennetz und im öffentlichen Verkehr» informiert werden. Diese Zielvorgabe erfüllt SRF nicht: In Tat und Wahrheit liegt der Fokus der Durchsagen mit geschätzten 95 Prozent eindeutig bei der Strasse; der öffentliche Verkehr bekommt kaum Beachtung, obwohl auch die SBB mit 20 Prozent an Viasuisse beteiligt ist.

Überhaupt: Was nützen der Allgemeinheit Informationen im Nachhinein über das Unfallgeschehen?

Wozu dient die Warnung, ein Reh befinde sich auf der Fahrbahn, wenn das Tier zum Zeitpunkt der Durchsage längst geflüchtet ist?

SRF-Verantwortliche verteidigen ihren Service mit Vehemenz gegen alle Kritik. Dieser gehöre zum Leistungsauftrag der SRG und habe eine grosse Bedeutung für die mobile Gesellschaft. Die überwältigende Mehrheit der Hörerinnen und Hörer begrüssten diese Durchsagen ausdrücklich, behauptet Walter Herger, Stabschef Bereich Radio. Zu den Befürwortern gehörten übrigens mehrheitlich auch diejenigen, die gar kein Auto besässen. Auch Georg Auf der Maur, Leiter SRF-Verkehrsinformation, verteidigt die Service-Elemente: Das auf ein mobiles Publikum ausgerichtete Radio müsse diese Programmteile leisten. «Diesem Auftrag können und wollen wir uns nicht entziehen, da wir mit einer Streichung dieser Dienstleistung die Hörerinnen und Hörer direkt in die Arme der Konkurrenz treiben würden.»

Auf der Maur beruft sich auf Umfragen sowohl in der Schweiz als auch in den Nachbarländern Deutschland und Österreich, die zeigten, «dass diese Serviceleistung gefragt ist». Es habe sich herausgestellt, «dass wir sofort mit massiven Reklamationen des Publikums konfrontiert sind, wenn wir einen plötzlich auftretenden Stau nicht umgehend am Sender verlesen». Interessanterweise sei die Verkehrsmeldung für die Leute erst dann «richtig» verbreitet, wenn diese am Sender von einer vertrauten Stimme verlesen werde, unabhängig von anderen Verbreitungskanälen wie Navigationsgeräten.

Die Argumente überzeugen nicht. Es sind gewiss nicht die Verkehrsdurchsagen, die das Publikum bei der Stange halten, sondern kompetente Nachrichtensendungen, Hintergrundbeiträge, Musik und – eben – vertraute Stimmen. Navigationsgeräte verbreiten Verkehrsinformationen in Echtzeit viel präziser. Viasuisse führt derartige digitale Datenpakete in der eigenen Produktpalette, allerdings gebührenpflichtig. Markt und Möglichkeiten der Navigation wachsen rasant.

Die negativen ökologischen und gesellschaftspolitischen Effekte der Gratis-Serviceleistung fürs breite Publikum blendet SRF bewusst aus. Theoretisch könnte es zwar sein, dass eine Durchsage im Einzelfall zu Stauverminderung oder gar Unfallverhütung führt. In der Praxis aber setzen die steten, immer gleichen Informationen in den Hauptprogrammen verkehrs- gesellschaftspolitisch falsche Signale: Sie konditionieren das Publikum auf den Strassenverkehr. Durch den Gewöhnungseffekt verliert es die kritische Distanz zum Auto, wodurch die negativen Seiten des motorisierten Individualverkehrs verblassen. Letztlich führt das System zur Förderung des Autoverkehrs statt zu dessen Vermeidung oder Verminderung. Fazit: Verkehrsinformationen sind keine Aufgabe des Service public, sondern des Transportgewerbes, Automobilmarkts, der Verkehrsbetriebe und der Polizei.

Leserbeiträge

S.F. 14. August 2019, 09:08

Sehr prägnant und treffend formuliert! Die Verkehrsinformationen interessieren mich beim Radiohören nicht. Meiner Meinung nach sind die Staumeldungen nicht von öffentlichem Allgemeininteresse und tragen nichts zur Aufklärung der Bevölkerung bei. Sie nehmen zu viel wertvolle Zeit im Programm ein. Das Auto sollte nicht so einen hohen Stellenwert einnehmen.

Von mir aus kann man die Verkehrsinformationen ganz streichen!

Danke Daniel Vonlanthen, für diesen wertvollen Input!

Beat Zobrist 14. August 2019, 17:15

Schon gemerkt? Die SRG betreibt mit SRF1 und SRF3 die zwei mit Abstand grössten Minderheitsradios der Schweiz. Wenn beispielsweise 1’000 Autos an einem Stau beteiligt sind betrifft das etwa 0,01% der Schweizer Bevölkerung. Dieser Minderheit nehmen sich die Schweizer Sender jede halbe Stunde mit viel Zeit, Aufmerksamkeit, Präzision und Liebe an. Und dies obschon die Menschen, die zu dieser Minderheit gehören, sich meist selbstbestimmt zu Betroffenen machen. Indem sie sich entscheiden, ins Auto zu sitzen und diejenigen Strassen zu derjenigen Zeit zu befahren, die ihnen das tägliche Stauerlebnis ermöglichen. Da ich zu den 99.99% der Bevölkerung gehöre, die nicht betroffen sind, wäre ich doch sehr dankbar, wenn die SRG diese ewig gleiche Leier auf eine geeignetere Art an die Betroffenen richten könnte. Als Gegenleistung würde ich ihre Sender nicht mehr ausschalten, weil mir diese nutzlosen Repetitionen schon lange und sehr gründlich auf den Keks gehen.
B.Z. aus Bern

Thomas Uhland 20. August 2019, 15:08

Und ich dachte schon, ich sei der einzige, dem diese ewig gleichen Meldungen gewaltig auf den Zeiger gehen. Wer in den Stau steht, tut dies freiwillig. Und er/sie tut es in den meisten Fällen sehr bewusst, denn es staut ja stets an den selben Orten.

Was also sollen die Meldungen? Den Stau-Fans sagen, sie sollen sich auch reinbegeben? Oder den Nicht-Stau-Fans empfehlen, durch die Dörfer der Umgebung zu fahren? Den Anwohnern ans Herz legen, für die nächsten Stunden besser nicht zu atmen? Oder schlicht die politische Meinung bereiten, es müssten jetzt noch mehr Strassen her?