Lokale Gratiszeitungen stabil im Markt: «Wir richten uns nach den Bedürfnissen der Leser»
Stabil im Lesermarkt, relativ stabil im Werbemarkt: Regionale und lokale Gratiszeitungen sind ein fester Wert in der Medienlandschaft. Was sind ihre Stärken? Können sie als Nischenplayer davon profitieren, wenn Bezahl-Tageszeitungen fusionieren oder im Lokalbereich sparen müssen?
Sie erreichen Leute, die keine andere Zeitung lesen. Sie sind regional und lokal oft sehr verankert. Sie werden häufig in alle Briefkästen verteilt, und sie sind manchmal auch gleichzeitig Amtsblatt. Und sie bilden in ihrer Gesamtheit eine beeindruckende Gruppe: die wöchentlich erscheinenden Gratiszeitungen.
Allein die 28 Titel der Swiss Regiomedia AG kommen in der Kombination Swissregio Kombi zusammen mit drei weiteren Titeln auf über eine Million Leserinnen und Leser. Und die 21 Zeitungen, die sich zum Verband Schweizer Gratiszeitungen VSGZ zusammengeschlossen haben, erreichen gemeinsam die Hälfte der Haushalte in der Deutschschweiz.
«Klar sind die Werbeeinnahmen leicht rückläufig, das bewegt sich jedoch im einstelligen Prozentbereich.»
Einer dieser VSGZ-Titel ist der «Fridolin», der im Kanton Glarus in einer Auflage von etwas mehr als 32’000 Exemplaren wöchentlich verteilt wird. «Reichweite, Kundennähe, Glaubwürdigkeit, Flexibilität», nennt Maya Ziegler, Geschäftsleiterin von Fridolin Druck und Medien, als Voraussetzungen für ein erfolgreiches Bestehen im Markt für regionale Gratiszeitungen.
«Reichweite und stabile Auflage» sind denn laut Ziegler auch Stärken des «Fridolins», zudem werde seine «wertkonservative Ausrichtung» geschätzt. Die Zeitung steht nun im 55. Lebensjahr und wird, so Ziegler, ständig verändert und angepasst: «Wir richten uns nach den Bedürfnissen der Leser, nehmen sie ernst und reagieren schnell.»
Im Lesermarkt sei der «Fridolin» «extrem stabil», im Werbemarkt gehe es ihm nach wie vor gut. Ziegler: «Klar sind die Werbeeinnahmen leicht rückläufig, das bewegt sich jedoch im einstelligen Prozentbereich.»
Nicht einverstanden ist Ziegler mit der Aussage, Lokalzeitungen – und damit auch lokale und regionale Gratiszeitungen – seien weniger von der Werbekrise betroffen als überregionale Zeitungen: «Wer immer diese Feststellung gemacht hat und solches behauptet, will die eigenen Verluste schönreden oder verdrängen», sagt sie. «Das trifft nicht zu. Vielleicht kämpfen die Lokalmedien intensiver und mit mehr Herzblut.»
«Die Nähe zu den werbetreibenden Kunden, zu jedem einzelnen Gewerbler ist wichtig, dazu eine attraktive Tarifgestaltung im Werbemarkt.»
Martina Barth, Geschäftsführerin der Swiss Regiomedia AG SRM mit ihren 28 Titeln, stimmt der Aussage hingegen zu: «Ja, wir sehen das am Lokal- und Regionalumsatz der Titel, der weitgehend stabil ist.» Der nationale Umsatz sei indes «noch nicht wieder auf dem gewohnten Niveau», dies aber aus organisatorischen Gründen.
Denn bei der Swiss Regiomedia ist aktuell noch einiges in Bewegung. Sie besteht seit 2017 aus 25 Titeln – von den «Aarauer Nachrichten» bis zur «Zuger Woche» –, die früher zu den Zehnder-Medien gehörten und 2017 von Christoph Blocher gekauft wurden. Dazu kommen «Tagblatt der Stadt Zürich», «Furttaler» und «Rümlanger», die rückwirkend per Anfang 2017 übernommen wurden.
Im März dieses Jahres hat das Unternehmen laut Barth ein neues nationales Verkaufsteam in Zürich etabliert, «um den Werbeauftraggebern und Agenturen den Zugang zur Titelvielfalt der SRM in der Deutschschweiz zu erleichtern».
Als wichtigstes Element für Erfolg im Leser- und Werbemarkt nennt Barth die lokale Verankerung und Präsenz vor Ort: «Die Nähe zu den werbetreibenden Kunden, zu jedem einzelnen Gewerbler ist wichtig, dazu eine attraktive Tarifgestaltung im Werbemarkt.» Ausserdem brauche es die lokale Verankerung, damit die Journalisten erkennen könnten, was die Leser bewege und interessiere.
Bei den Leserzahlen sind die Swiss-Regiomedia-Titel laut Barth stabil. Nicht zuletzt spiele die Zustellung direkt in die Briefkästen der Leser eine wichtige Rolle: «Unsere Zeitungen haben eine Haushaltsabdeckung bis zu 100 Prozent.»
«Die Fokussierung auf die Region, ihre Menschen, Vereine, Firmen und Gemeinden erzeugt eine sehr hohe Leserbindung.»
Auch für Stefan Biedermann, Leiter der Wochenzeitungen von CH Media, die mit dem «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» (mit «Der Seetaler» und «Der Lindenberg») die Region Lenzburg und Seetal abdeckt, liegt eine grosse Stärke in der hundertprozentigen Abdeckung eines lokalen Gebiets – gerade für Werbekunden: «Die Fokussierung auf die Region, ihre Menschen, Vereine, Firmen und Gemeinden erzeugt eine sehr hohe Leserbindung, und Inseratenwerbung wird als wichtige Information wahrgenommen.»
Als Voraussetzungen für einen erfolgreichen Auftritt im Markt nennt Biedermann die lokale Verankerung von Redaktion und Verkaufsteam, die inhaltliche Ausrichtung auf lokale Ereignisse sowie die Position als amtliches Publikationsorgan der Gemeinden. Der «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» (inklusive «Der Seetaler» und «Der Lindenberg») erscheinen in einer Auflage von etwas über 35’000 Exemplaren.
Im Werbemarkt stellt Biedermann einen «intensiven Wettbewerb» fest. Beim «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» sei der Werbeumsatz 2018 im Vergleich zu 2017 stabil geblieben, sei aber im längerfristigen Trend leicht rückläufig: «Die Kernzielgruppe, lokal tätige KMU, nutzen heute eine Vielzahl von Werbemöglichkeiten, angefangen vom einfachen Direct-Mail bis hin zum Sponsoring des lokalen Turnvereins.»
Marc Hiltbrunner, Verlagsmanager der IMS Medien AG, sieht seinen «Bärnerbär» als Lokalmedium weniger von der Inseratenkrise betroffen als überregionale Zeitungen. «Wir haben den Vorteil, dass wir nicht die Rolle der Vierten Gewalt im Staat einnehmen müssen. Wir können deshalb positiver und konstruktiver sein als andere Medien und müssen auf niemanden einhauen», so Hiltbrunner. Das werde von Leserschaft und Kunden geschätzt.
Die Zeitung entwickle sich im Werbemarkt «sehr gut», die Umsatzzahlen stiegen stetig, «auch weil wir im Bereich Sponsored Content verschiedene kreative Lösungen anbieten», so Hiltbrunner. Der «Bärnerbär» wird seit April dieses Jahres neben der Verteilung in die Haushalte auch in 66 Verteilboxen angeboten, die man vom eingestellten «Blick am Abend» übernehmen konnte. Deshalb habe man die Auflage um 10’000 Exemplare erhöht und erscheine nun mit knapp 104’000 Exemplaren.
«Wir versuchen Themen abzudecken, die sonst nirgends in diesem Umfang und dieser Form zu finden sind.»
Inhaltlich setze die Zeitung auf Hintergrundgeschichten, «Nähe zu den Menschen», auch Boulevard mit Prominenten und VIPs. Hiltbrunner: «Wir gehen auf die Bedürfnisse unserer Leser sowie unserer Werbekunden ein und versuchen, regionale Themen abzudecken, die sonst nirgends in diesem Umfang und dieser Form zu finden sind.»
Regionale und vor allem lokale Themen stehen auch bei Gratis-Quartierzeitungen im Zentrum. Fredy Haffner, Verlagsleiter der Zürcher Quartierzeitung «Höngger», die alle zwei Wochen in einer Auflage von etwas über 13’000 Exemplaren verteilt wird, hat kürzlich mit seinem Team mit einer quasi leeren Sonderausgabe des «Höngger» und einem hochkarätig besetztem Podiumsgespräch weit über das Zürcher Quartier hinaus Aufmerksamkeit erregt. Höngg, aber auch andere Quartiere, kämen in den Medien weit weniger vor als früher, sagt Haffner: «Die Lokalberichterstattung in Zeitungen wie dem ‹Tages-Anzeiger› hat in den letzten Jahren massiv abgenommen. Das ist unter anderem wegen des Stellenabbaus zwar nachvollziehbar, aber die lokale Berichterstattung fehlt dann dort.»
Doch obwohl der «Höngger» die lokalen Themen abdeckt, die grössere Zeitungen nun nicht mehr bringen, hat ihm das im Werbemarkt keine zusätzlichen Einnahmen beschert. Im Gegenteil: Die Aktion mit Sondernummer und Podiumsgespräch diente dazu, auf die wirtschaftlich schwierige Lage des «Höngger» und den Rückgang im Bereich Werbung hinzuweisen.
«Der lokale Anzeigemarkt ist weiterhin recht stabil.»
«Auch die Mitglieder unseres Verbandes spüren den Anzeigenrückgang, die einen mehr, andere weniger, einige gar nicht», stellt Dani Sigel fest. Er ist Präsident des Verbands Schweizer Gratiszeitungen und CEO der Zürcher Oberland Medien AG, die mit «Regio» und «Glattaler» zwei Gratis-Wochenzeitungen herausgibt.
Laut Sigel sind in erster Linie die nationalen Print-Anzeigenkampagnen massiv eingebrochen, die Gratiszeitungen hingegen lebten zu 95 Prozent von lokalen Kunden, und: «Dieser Markt ist weiterhin recht stabil.»
Als Rezept für einen erfolgreichen Marktauftritt nennt Sigel «nah sein beim Leser, beim Kunden, spüren, was in der Region passiert, was die Menschen beschäftigt, berührt und bewegt». Ein Vorteil der Gratiszeitungen sei, dass sie keine Einnahmen aus Abos hätten – und deshalb auch keine entsprechende Infrastruktur und das dazu notwendige Personal bräuchten. «Der Verleger kann die Auflage und damit Kosten wie auch Marktdurchdringung immer wieder neu beurteilen und steuern», sagt er. Grundsätzlich, so Sigel, sei die Leserschaft der Gratiszeitungen jedoch sehr stabil.
Stabile Verhältnisse also – und dies in einem bewegten Umfeld: Bei den regionalen und überregionalen Bezahl-Tageszeitungen gibt es einen Trend zu Fusionen und Kopfblattsystemen. Und die Redaktionen müssen sparen, auch im Lokalbereich. Schafft dies Lücken, von denen die Gratiszeitungen als «Nischenplayer» im Werbe- und Lesermarkt profitieren können?
«Auf jeden Fall», findet Marc Hiltbrunner. Durch die Zentralisierungen und Kopfblattsysteme der Tageszeitungen sei zum Beispiel der «Bärnerbär» im Vergleich noch viel regionaler positioniert und könne dies nutzen: «Wenn andere die Regionalität vernachlässigen, rücken wir immer mehr in den Vordergrund.»
«Für viele Menschen ist ein gut gemachter Anzeiger heute ein unverzichtbarer Begleiter für den Alltag.»
Laut Stefan Biedermann vom «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» erfreuen sich Anzeiger mit einer publizistischen Tradition und einer qualitativ guten Berichterstattung über eine klar definierte Region einer hohen Beliebtheit: «Für viele Menschen ist ein gut gemachter Anzeiger heute ein unverzichtbarer Begleiter für den Alltag.»
Natürlich sei die Unabhängigkeit von den mächtigen Verlagen ideal, findet Maya Ziegler, doch: «Der ‹Fridolin› ist mit Sicherheit kein Nischenplayer.» Zudem müssten Gratiszeitungen genauso wie die Bezahlzeitungen Produktions-, Druck- und Vertriebskosten finanzieren.
«Wir sehen uns mit über einer Million Lesern in der Deutschschweiz nicht als Nischenplayer», sagt auch Martina Barth von Swiss Regiomedia: «Wenn Bezahlmedien in bestimmten Regionen in der Lokalberichterstattung schwächer werden oder sich zurückziehen sollten, würden wir in jedem Fall prüfen, ob das Verbreitungsgebiet für uns interessant sein könnte.»
Bild: swissregiomedia.ch
Der Artikel ist zuerst in «Marketing & Kommunikation» Nr. 6–7/19 erschienen.