von Robert Ruoff

Die Finanzierung der Medienqualität ist eine Zukunftsaufgabe

Das Wegbrechen der Werbegelder wirft für die Medien existenzielle Fragen auf: Die SRG sucht den Befreiungsschlag und will das Heft selbst in die Hand nehmen. Bei Tamedia zeigt sich derweil ein perverses Paradox: Wo früher Inserate standen, prangen heute kommerzielle Botschaften im Journalismusgewand.

Als ich am 24. September um 19 Uhr 53 den Fernseher ausschaltete, dachte ich: «Jetzt geht es wirklich um die Zukunft der SRG.» SRG-Generaldirektor Gilles Marchand und SRF-Direktorin Nathalie Wappler versuchten trotz der erneuten Sparbotschaft so viel Optimismus zu verbreiten, dass man daraus nur den Schluss ziehen konnte: «Die Lage ist ernst.»

Das war unverkennbar beim Auftritt des Generaldirektors in der RTS-Nachrichtensendung «19.30», wo er von Massnahmen im Programm und bei den Arbeitsplätzen sprach, so wie Nathalie Wappler, die in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens «Personalmassnahmen nicht ausschliessen» konnte. Gleichzeitig beschwor Marchand für die SRG «eine wichtige und starke Zukunft für den Service public» als gemeinschaftsbildende Kraft in und zwischen den Regionen der Schweiz. Und er kündigte gleichzeitig einen radikalen Umbau an: «In fünf Jahren werden unsere Programme gleich stark im Internet und den sozialen Medien genutzt werden wie in Radio und Fernsehen. Das heisst: 50 Prozent Broadcast – also klassisches Programmangebot – und 50 Prozent Digital – also Internet-Plattformen.» Die SRF-Direktorin Nathalie Wappler ihrerseits wollte sich nicht nur «von Sparrunde zu Sparrunde hangeln» sondern die Entwicklung selber voranbringen.

Nun wissen wir aber, dass die Finanzierungskrise der Schweizer Medien erst richtig begonnen hat.

Fachleute haben schon längst vorhergesagt, dass der Rückgang der Fernsehwerbung die Form eines Hockeystocks hat: Zuerst geht es während Jahren langsam aber stetig etwas abwärts, bis dann das kurze, steile Stück nach unten kommt – und dann ist Schluss. So war das mit der Werbung in der Presse, so geht es jetzt auch beim Fernsehen. Derweil saugen die grossen Online-Plattformen wie Google und Facebook die Werbegelder ab.

Gleichzeitig hält die Politik die SRG unter Druck. Doris Leuthard hat die Haushaltsabgabe ohne Not auf 365 Franken gesenkt (anstatt auf knapp unter 400), und sie hat versprochen, die Abgabe werde weiter gesenkt, wenn die wachsende Zahl der Haushalte das erlaube. Und die Anbeter des heiligen Marktes spielen weiterhin das Spiel mit der Abrissbirne: Der Nationalrat hat am 19. September 2019 die parlamentarische Initiative von SVP-Nationalrat Gregor Rutz angenommen, mit der sämtliche Unternehmen von der Radio- und Fernsehabgabe befreit werden. Damit gingen dem Service public weitere 170 Millionen Franken verloren, also der SRG, den konzessionierten Privaten, der Journalistenausbildung, dem Presserat, der technischen Infrastruktur für alle Medien, der Filmförderung. Dass darunter die Medienqualität in der Schweiz leiden wird, liegt auf der Hand. Der Tessiner CVP-Nationalrat Fabio Regazzi hat in dieser Session eine etwas mildere Initiative nachgeschoben, die nur die KMU mit weniger als 250 Mitarbeitenden von der Abgabepflicht befreien will. Das grausame Spiel geht weiter.

So gesehen ist die Sparübung bei SRF tatsächlich ein Impuls für eine dynamische Entwicklung.

Wer bei Nathalie Wappler nachfragt, was es denn heisst, wenn sie ihr Schicksal in die Hand nehmen und SRF selber «Treiber» der Entwicklung sein will, bekommt zunächst imponierende Management-Begriffe zu hören wie: «Angebots-, Produktions- und Distributions-Strategie». Fragt man nochmals nach, spürt man bei der SRF-Direktorin so etwas wie Lust an Vernetzung, an der kreativen Kombination. Wappler freut sich auf das «kuratierte Audioarchiv», mit dem SRF noch in diesem Jahr thematisch gruppierte Hörangebote empfehlen will. Die Herausforderung wird sein, die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu erfassen und sie mit den Empfehlungen aus der neuen SRF-Plattform richtig zu bedienen.

Wappler nutzt die Tatsache, dass das «Technology and production center switzerland tpc» wieder bei SRF eingegliedert ist. So kann sie Redaktion und Technik enger verknüpfen und Programmideen mit einer kleineren, qualitativ gleichwertigen und kostengünstigeren Technik realisieren lassen. Das wäre also Vernetzung zwischen dem ehemaligen tpc für die Produktion, der neuen Plattform des «Audioarchivs» für die Distribution und der beteiligten Redaktion für das inhaltliche Angebot. So gesehen ist die Sparübung tatsächlich ein Impuls für eine dynamische Entwicklung – wenn die Finanzierung sich nicht zu einem chronischen und massiven Problem auswächst. Was man nicht ausschliessen kann. Denn dann wäre die Politik als Nothelfer gefragt. Die Handlungsmöglichkeiten sind breit gestreut: Der Bundesrat kann zum Beispiel:

  • der SRG mit einem höheren Abgabenanteil den Wegfall der Werbeeinnahmen kompensieren.
  • eine werbefreie SRG voll aus der Medienabgabe finanzieren und in diesem dualen System die Werbung ganz den privaten Medienunternehmen überlassen.
  • den Auftrag der Konzession überdenken und allenfalls budgetgerecht reduzieren.
  • den Wegfall der Fernsehwerbung mit Rahmenbedingungen für mehr Werbung kompensieren, zum Beispiel durch Zulassung von Online-Werbung.
  • der SRG erlauben, bei der «Vektorisierung» ihrer Inhalte – sprich: der Platzierung auf Youtube, Instagram, Facebook, Twitter und anderen – die Möglichkeiten der Werbung auf diesen Plattformen voll zu nutzen. Das würde dann heissen: Aus dem Service-public-Medienhaus würde ein kommerzielles Medienunternehmen.

Allein schon diese Überlegungen zeigen, dass wir bei der Finanzierungskrise der Schweizer Medien an einem Punkt angelangt sind, an dem es um die Erhaltung eines qualifizierten (Service-public)-Journalismus geht, der diesen Namen wirklich verdient.

Die politisch-ideologische Ausrichtung einer Publikation kann ohnehin kein Kriterium für die Medienförderung sein.

Dabei müsste man über das, was als förderungswürdig gilt, eine neue, klare und harte Qualitätsdiskussion führen. Und das ist sowohl richtig als auch gefährlich: Richtig, weil gewiss nur Qualität förderungswürdig ist. Aber gefährlich, weil das Urteil über Qualität auch erfahrenen Chefredaktionen offenbar manchmal schwerfällt, wie sich etwa aktuell im Kampf um die Deutungshoheit für die Beurteilung der Klimabewegung zeigt. Und die politisch-ideologische Ausrichtung einer Publikation kann ohnehin kein Kriterium für die Medienförderung sein.

Das wäre dann ein gesellschaftspolitischer Entscheid im Einklang mit dem Ziel eines freiheitlichen Pluralismus. Aber wäre es denn überhaupt möglich, über förderungswürdige journalistische Qualität nach rein formalen Massstäben zu entscheiden, also ohne Eingriff in die Inhalte und die redaktionellen Werte des professionellen Journalismus? – Vor dieser Herausforderung wird die Arbeit an der Medienförderung in der Schweiz in den kommenden Monaten stehen.

Aber wir haben gerade in diesen Tagen für diese Frage ein schlagendes Beispiel bekommen: ein Beispiel, das passt. Es geht um den Umgang mit der Werbung. Die SRG muss sich mit dieser Frage, so scheint es, auf diese Weise gegenwärtig nicht befassen. Denn beim Fernsehen verschwindet die Werbung unwiederbringlich.

Die Verlage haben die Werbung hinterrücks und mit System wieder in die redaktionellen Medien hereingeholt, aber nicht als deklarierte Anzeigen, sondern als «Native Advertising».

Bei der Presse hingegen haben die grossen Verlage, Tamedia allen voran, vor einigen Jahren die Rubriken-Inserate für Jobs, Immobilien, Fahrzeuge aus dem redaktionellen Umfeld entfernt, outgesourced in eigenständige Unternehmen. Das sind heute ihre Profit-Center. Und bald danach haben die gleichen kommerziellen Verlage die Werbung hinterrücks und mit System wieder hereingeholt. Aber nicht als Anzeigen. Nicht als klar deklarierte und umrahmte Publireportage. Nein, als «Native Advertising» oder «Sponsored Post», das heisst: als die Verkleidung von Werbung im Gewand von Journalismus. In einzelnen Fällen sogar verfasst von einer Person, die für die gleiche Publikation auch redaktionell tätig ist.

In der «Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» heisst es: «10. Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung.» Und der Presserat hat sich ganz aktuell wieder besorgt gezeigt über die wachsende Zahl von Verstössen gegen die Pflicht zur klaren Trennung zwischen «redaktionellem Inhalt und Werbung». Diese klare Trennung fehlt nach meiner Beobachtung zum Beispiel bei Publikationen von Tamedia immer wieder. Und das untergräbt die Glaubwürdigkeit des Journalismus.

Nun protestieren 128 Journalistinnen und Journalisten aus den Tamedia-Redaktionen in einem Brief an den Verleger Pietro Supino. Sie protestieren energisch, wenn sie schreiben:

«(…) Tamedia publiziert seit Monaten ganzseitige, textlastige Anzeigen, die in Layout, Schrift, ja Autorschaft (‹Mark van Huisseling›) eindeutig darauf abzielen, den Leser über ihren Anzeigencharakter zu täuschen und vorzugaukeln, es handle sich um redaktionellen Inhalt. An dieser offensichtlichen Täuschungsabsicht ändert weder die winzige Deklaration als ‹Anzeige› etwas noch die seit kurzem etwas grössere als ‹Sponsored›. Beide widersprechen, auf je spezifische Weise, den entsprechenden Richtlinien des Presserates zu ‹Pflichten und Rechten der Journalistinnen und Journalisten›. Der Presserat hat die Praxis der Tamedia deswegen bereits am 16. Mai dieses Jahres gerügt. (…) Wir protestieren deswegen gegen jede Form von Anzeigen mit täuschender Absicht und fordern Sie und den Verlag Tamedia dazu auf, diese Praxis umgehend einzustellen.»

Tamedia-Verleger Pietro Supino hat auf das Protestschreiben unverzüglich – per Mail und kleingeschrieben – geantwortet: «in der sache teile ich die ansicht, dass kommerzielle botschaften als solche erkennbar sein müssen. und ich betrachte es als meine verlegerische verantwortung, über die glaubwürdigkeit der redaktionellen arbeit wie über die trennung von redaktion und anzeigenmarkt zu wachen. in bezug auf den leser- und nutzermarkt denke ich hingegen, dass eine enge zusammenarbeit zwischen verlag und redaktion anzustreben ist.»

Die Duplik eines wortführenden Redaktionsmitglieds kam am gleichen Tag. Darin steht unter anderem: «Ob eine Täuschungsabsicht vorliegt, wie wir es monieren, hängt davon ab, ob der Leser auf den ersten Blick Anzeigen von redaktionellen Inhalten unterscheiden kann oder nicht.» Und weiter: «Wir sind keine Werbefachleute, sondern Journalistinnen und Journalisten. Und als solche haben wir mit solcher Lesertäuschung ein ernstes Problem.»

Das Beispiel gibt eine klare Antwort auf die Frage:

Kann man Qualität nach formalen Massstäben messen? Ja, man kann.

Allein schon die konsequente Anwendung der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» und der Regeln des Handwerks und der Werte der journalistischen Ethik gibt sachlich objektive, qualitative Kriterien an die Hand.

Daraus folgt: Wenn die öffentliche Hand Geld in die Hand nimmt für die Medienförderung, dann nur, um einen Journalismus zu unterstützen, der eine klare, konsequente Trennung von redaktionellem Inhalt und Werbung praktiziert. Auch «Native Advertising», «Sponsored Posts» und ähnlich Formen sind bei konsequenter Betrachtung nicht zulässig. Sie sind anfällig für Missbrauch und sie untergraben die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Und diese Forderung wird gestützt durch ein paar weitere: Förderungswürdig ist Journalismus, …

  •  wenn die Arbeitsbedingungen in einem Anstellungsverhältnis durch einen Kollektivvertrag abgesichert sind.
  • wenn die professionelle journalistische Arbeit gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten eines Medienhauses/Verlags durch ein Redaktionsstatut mit einer klar nachvollziehbaren Definition der publizistischen Linie abgesichert ist.
  • wenn er unter uneingeschränkter Anerkennung der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ausgeübt wird bzw. ausgeübt werden kann.
  • der einen relevanten Beitrag zur Vielfalt (regional, kulturell, thematisch) leistet.
  • der einen relevanten Beitrag zur Innovation und Zukunftsfähigkeit dieser Tätigkeit leistet.
  • der von einer Gemeinschaft (Gemeinde, Verein, freiwilligen Beiträgen) getragen wird, zu deren Information und Kommunikation er einen relevanten Beitrag leistet.

Die Zukunft eines solchen Journalismus dürfte gesichert sein. Dabei gilt immer der Grundsatz: Öffentliches Geld gibt es nur mit einer Leistungsvereinbarung. Das weiss jeder Bauer.

Bild: Kristopher Roller/Unsplash

Leserbeiträge

Paul 02. Oktober 2019, 18:42

Solange die Journis bloss die links-grün-lustige Bevölkerung bedient und die Sorgen der Rechten und der Büezer verhöhnt oder als nicht existent bezeichnet, braucht SRG auch nicht mehr Steuergelder.