Mit «mehr Medienpatriotismus» für mehr «demokratierelevanten Journalismus»
Das aktuelle «Jahrbuch Qualität der Medien» plädiert für einen «Medienpatriotismus». So wie man in der Schweiz parteiübergreifend für die direkte Demokratie einstehe, so solle sich die Öffentlichkeit auch für einen qualifizierten Journalismus engagieren. Das Plädoyer fusst auf den Befunden der Herausgeber des «Jahrbuchs».
Im Jahr 2010 hat der theoretisch sattelfeste und medienpolitisch engagierte Soziologe Kurt Imhof mit der ersten Ausgabe einen eigentlichen Proteststurm ausgelöst. Das Projekt erntete scharfen Widerspruch gegen die «Arroganz» der praxisfernen Wissenschaft von Seiten der Verleger – und Skepsis in der Universität gegenüber der möglicherweise bescheidenen Wirkungsmacht akademischer Medienkritik im Alltag des Medienschaffens. Professor Otfried Jarren, Präsident der Eidgenössischen Medienkommission, erinnert daran in seinem Vorwort zur Jubiläumsausgabe des Jahrbuchs, aber auch an die Unterstützung, die das Projekt in Wirtschaft und Politik fand – «um der Demokratie willen».
«Wir müssen uns mit einem ‹Medienpatriotismus› gemeinsam engagieren für einen qualifizierten Journalismus.»
Mark Eisenegger
Imhofs Nachfolger Mark Eisenegger stellt sich bei der Präsentation des Jahrbuchs ausdrücklich in diese Tradition. «Demokratie funktioniert nicht ohne qualifizierten Journalismus», sagt er. «Und zur direkten Demokratie der Schweiz stehen wir parteiübergreifend in einer Art ‹Demokratiepatriotismus›. Wir teilen das Engagement für die direkte Demokratie. Und daraus folgt: Wir müssen uns mit einem ‹Medienpatriotismus› auch gemeinsam engagieren für einen qualifizierten Journalismus.»
Das «Jahrbuch Qualität der Medien» hat tatsächlich einiges ausgelöst. Es hat mit seiner jährlichen Erscheinungsweise die Medienqualität in Kultur, Wirtschaft, Politik und bei den Medienschaffenden ins Bewusstsein gehoben. Das grösste private Medienunternehmen, Tamedia, hat im eigenen Haus eine systematische Qualitätsprüfung mit veröffentlichten Kriterien eingerichtet. Und das «Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft fög» hat durch seine kontinuierliche Untersuchungstätigkeit eine Datenreihe geschaffen, die eine wissenschaftliche Beurteilung der Medienentwicklung erlaubt. Im Jubiläumsjahr lautet die Feststellung: Es besteht Handlungsbedarf. Die bekannten Trends verstärken sich.
Die Zahlungsbereitschaft der Nutzerinnen und Nutzer für journalistisch qualifizierte Informationen bleibt gering.
Die grossen globalen Tech-Unternehmen wie Google, Facebook und andere dominieren den Markt. 70 Prozent der Werbegelder im Medienbereich fliessen ab ins Ausland, zum grossen Teil zu Google und Facebook. Die Zahlungsbereitschaft der Nutzerinnen und Nutzer für journalistisch qualifizierte Informationen bleibt gering: Die bezahlte Auflage der Zeitungen nimmt weiter ab, und gerade mal 11 Prozent der Bevölkerung haben im vergangenen Jahr für Online-News bezahlt, wie das aktuelle «Jahrbuch» festhält.
Das Vertrauen in die Informationsleistung der Sozialen Medien ist zwar mit 17 Prozent gegenüber den 47 Prozent für die klassischen Informationsmedien gering (Selbstdeklaration).Trotzdem holen sich 70 Prozent der Nutzer ihre Information aus Sozialen Medien wie Youtube, Facebook, Instagram oder WhatsApp. Die politische Information erfolgt dabei eher zufällig («emergent»), weil das Hauptinteresse der Nutzerinnen und Nutzer der Unterhaltung oder der persönlichen Beziehungspflege («Socializing») gilt.
Das Jahrbuch spricht insbesondere in Zusammenhang mit den Messenger-Diensten von einer eigentlichen «Privatisierung» der Information. In der gesamten Betrachtung der Sozialen Medien konstatiert es eine wachsende «News-Deprivation», also eine eigentliche Unterversorgung an harter, handfester Information. Der Anteil der unterversorgten «News-Deprivierten» ist nach den Feststellungen des Jahrbuchs von 21 Prozent im Jahr 2009 auf nunmehr 36 Prozent gestiegen.
In der Westschweiz liegt die Konzentrationsrate bei der Presse bei 89 Prozent.
Parallel dazu konstatieren die Untersuchungen des Forschungsinstituts bei den journalistischen Angeboten eine weitere Zunahme der strukturellen Medienkonzentration: Die drei grössten Anbieter weisen in der Deutschschweiz bei der Presse einen Marktanteil von 83 Prozent und im Onlinemarkt von 71 Prozent auf. In der Westschweiz liegt die Konzentrationsrate bei der Presse sogar bei 89 Prozent und Online bei 87 Prozent. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Beiträge zu, die in mehreren oder sämtlichen Publikationen eines Medienunternehmens erscheinen. Das heisst: Auch die inhaltliche Medienkonzentration verstärkt sich.
Unter den Bedingungen der Dominanz der globalen Tech-Unternehmen und der zunehmenden Medienkonzentration im eigenen Land geht es um mehr Vielfalt in der Schweizer Medienlandschaft und um die Stärkung eines «Informationsjournalismus, der demokratierelevant ist. Die schweizerische direkte Demokratie als Gesellschaftsform funktioniert weiterhin nationalstaatlich. Aber es braucht auch eine internationale Perspektive und Kooperationen über die Grenzen hinweg.»
Dabei erwähnt Mark Eisenegger ausdrücklich den «Public Open Space», also den öffentlichen Kommunikationsraum von öffentlich-rechtlichen Medien wie der BBC («Ideas Service»), die Zusammenarbeit des ORF mit der österreichischen Nachrichtenagentur APA und privaten Verlagshäusern oder «ZDF Kultur», also die Kulturplattform, die das ZDF zusammen mit Partnern aus Kultur und Gesellschaft lanciert hat. Er fordert dafür den Aufbau einer «intelligenten Digitalallmend», welche neben der Stärkung der nationalen, verstanden als lokale und regionale, Medienvielfalt auch eine qualifizierte internationale Zusammenarbeit ermöglicht.