von Eva Hirschi

Radio Lac: Gratwanderung als privates Informationsradio

Mit grossen Ambitionen war Radio Lac vor zwei Jahren in Genf neu gestartet: Statt auf Musik und Unterhaltung setzte der Lokalsender auf einen für Privatradios ungewöhnlich hohen Informationsanteil. Ein gewagter Schritt.

Drei Kameras, Bildschirme mit Slogans in knalligen Farben und faustgrosse Mikrofone mit aufgedrucktem Logo in Himmelblau: Das Studio von Radio Lac ist so eingerichtet, dass es auch ästhetisch was hergibt. Das muss es auch, denn hier in Genf wird Radio nicht nur zum Hören, sondern auch zum Sehen gemacht.

Sobald eine Redaktorin auf Sendung geht, leuchtet das LED-Dreieck auf der Mitte des grossen Tisches rot; die Kameras zeichnen das Geschehen aus verschiedenen Winkeln für die Website und die sozialen Netzwerke auf. Auch sonst wirkt das Studio im Zentrum Genfs topmodern. Kein Wunder, ist es doch erst zwei Jahre alt. Im August 2017 hat die Westschweizer Media One Group das Genfer Privatradio Yes FM gekauft und ihm seinen alten Namen zurückgegeben, unter dem der Sender 1986 gegründet wurde.

Das wiedergeborene Radio Lac erhielt ein neues Profil. «Wir setzen auf Innovation und neue Technologien sowie auf gehaltvolle Informationen», erklärt Programmleiter Fabrice Benedet im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. In den zwei Jahren seither hat Radio Lac bereits viel von sich zu reden gemacht – im Guten wie im Schlechten.

«Es ist nicht nur das Privatradio mit dem kleinsten Musikanteil in der ganzen Schweiz, auch nur wenige SRG-Radioprogramme sind so wortreich wie Radio Lac.»
Programmanalyse Bakom

Der Investigativ-Journalist und frühere Chefredaktor von Radio Lac, Raphaël Leroy, hatte die Affäre um die Reise des Genfer Staatsrats Pierre Maudet nach Abu Dhabi aufgedeckt und zusammen mit der Genfer Tageszeitung Tribune de Genève publik gemacht. Das brachte dem Privatradio viel Anerkennung in der Branche. Auffallend war von Anfang an auch der grosse Nachrichtenanteil im Programm. Das Bundesamt für Kommunikation Bakom lobte Radio Lac in der «Programmanalyse der Schweizer Privatradios mit Leistungsauftrag 2018» regelrecht in den Himmel: Kein anderes Privatradio der Schweiz würde so viel Sendezeit in der Prime Time für die Informationsvermittlung einsetzen wie Radio Lac, «das zu fast drei Vierteln Wortinhalte für ein informationsaffines Publikum ausstrahlt und damit in der Privatradiolandschaft einzigartig dasteht. […] Es ist damit nicht nur das Privatradio mit dem kleinsten Musikanteil in der ganzen Schweiz, auch nur wenige SRG-Radioprogramme sind so wortreich wie Radio Lac.»

Dies sei insofern bemerkenswert, heisst es im Bakom-Bericht weiter, als dass das Radio keine Gebühren erhalte, wie dies bei vielen anderen Lokalsendern der Fall ist. Damit liege Radio Lac programmstrukturell näher bei «La Première» von RTS – dem Radio mit dem höchsten Wortanteil – als bei einem durchschnittlichen Westschweizer Privatradio. Das war natürlich Absicht: Mit dieser Ausrichtung wollte man dem Publikum und den Werbekunden eine Alternative zur RTS bieten.

Radio Lac sollte mit einem hohen Informationsanteil ein älteres und gebildeteres Publikum ansprechen.

Diese Strategie eines informationslastigen, thematisch eher elitär orientierten Programms lässt sich mit Blick auf die Eigentümerstrukturen der Media One Group nachvollziehen: Mit dem Genfer Musikradio One FM und seiner Lausanner Schwester LFM besitzt die Mediengruppe bereits zwei Privatradios, die sich auf ein eher junges und musikaffines Publikum fokussieren. Radio Lac sollte mit einem hohen Informationsanteil ein älteres und gebildeteres Publikum ansprechen.

Die Ambitionen von Radio Lac waren hoch – zu hoch. «Unsere Roadmap war zu ambitiös, wir mussten sie anpassen», sagt Benedet. Der Wechsel vom musiklastigen Popradio Yes FM zum puren Informationssender Radio Lac war zu radikal gewesen, die Zahl der Zuhörenden fiel stark. 2014 zählte Yes FM gemäss Mediapulse den Rekordwert von täglich bis zu 62’500 Zuhörenden; 2017 zählte Radio Lac noch 45’000. Heute sind die Zahlen noch tiefer, allerdings hat Mediapulse im März 2018 die Erhebungsmethode geändert, weshalb ein Vergleich schwierig ist. Aktuell zählt Radio Lac gemäss neuer Methode 34’000 Zuhörende.

Im Dezember letzten Jahres mussten das Privatradio aus Kostengründen drei Mitarbeitende entlassen, eine vierte Person kündigte auf eigenen Wunsch.

Erstaunlich ist der massive Einbruch nicht: Wer Musik hören wollte, schaltete bislang Yes FM ein; wer hingegen Informationssendungen sucht, hört in Genf RTS. «Dieses Publikum zu einem Wechsel zu einem Privatsender zu bewegen, ist dementsprechend schwierig und braucht Zeit», sagt der frühere Chefredaktor Raphaël Leroy rückblickend. Zeit, die sich das Privatradio nicht nehmen konnte: Im Dezember letzten Jahres musste es aus Kostengründen drei Mitarbeitende entlassen, eine vierte Person kündigte auf eigenen Wunsch, im Februar dann wechselte Leroy zur RTS. Nicht wegen der Situation bei Radio Lac, wie er betont, sondern weil ihn die Stelle bei der RTS reizte. Für den Sender bedeuteten diese personellen Veränderungen einen herben Verlust.

Die Strategie musste angepasst werden, nun setzt Radio Lac wieder stärker auf Musik. Der Informationsanteil bleibt im Vergleich zu anderen Privatradios in der Romandie, aber auch im Rest der Schweiz, dennoch bemerkenswert hoch: bei zwischen 50 und 60 Prozent des gesamten Programms, sagt Philippe Verdier, der seit Mai dieses Jahres den Posten als Chefredaktor übernommen hat. Auch inhaltlich setzt das Radio andere Schwerpunkte: Nun stehen nicht mehr politische Themen im Vordergrund, sondern Gesellschaftsthemen: «Wir haben gemerkt, dass wir zu weit weg von unserem Publikum waren», sagt Verdier. «Wir müssen näher beim Alltag der Zuhörerinnen und Zuhörer sein.»

Mit Konkurrenzanalysen, Marktstudien und der Unterstützung eines Consultant sei man zur Einsicht gelangt, dass man sich mehr auf die Region Genf sowie auf breitere Themen konzentrieren müsse: Der Genfer Radiohörer interessiere sich nicht für die Verkehrsinfos in Lausanne oder die aktuellen Debatten am UNO-Hauptsitz, sondern für Themen, die den Alltag betreffen, wie Gesundheit, Bildung und Mobilität.

Radio Lac verfolgt einen klar konstruktiven Ansatz: Naturellement opitimiste – natürlich optimistisch – lautet der Leitspruch.

Der typische Zuhörer ist bei Radio Lac eine Zuhörerin: «Wir stellen uns eine Frau zwischen 25 und 35 Jahren vor, geschieden, Mutter von zwei Kindern», sagt Programmleiter Fabrice Benedet. «Wir setzen beispielsweise auf Themen wie Ökologie und neue Technologien, da Frauen in der Regel sensibler sind für Gesellschaftsveränderungen. Aber natürlich richten wir uns auch an Männer.» Zudem verfolge man nun einen klar konstruktiven Ansatz: Naturellement opitimiste – natürlich optimistisch – lautet der Leitspruch.

Mit der regionaleren und breiteren Ausrichtung hat sich Radio Lac anderen Privatradios wieder etwas angenähert. Internationale Politik wird nur noch am Rande behandelt, für nationale Politik kann Radio Lac wie andere Privatradios auf Beiträge der zwei Bundeshauskorrespondenten Jérôme Favre und Serge Jubin zurückgreifen, die durch Radio Régionales Romandes, dem Westschweizer Pendant zum Bundeshaus-Radio, die Bundespolitik für Privatradios abdecken. Synergien werden auch innerhalb der Sendergruppe von Media One genutzt: Die Journalistinnen und Journalisten produzieren Beiträge für Radio Lac und One FM gleichermassen – für Radio Lac mit einem Fokus auf Genf, für One FM mit einem etwas breiteren Ansatz.

Mit Videoformaten für Websites und Social Media will man ein Publikum erreichen, das kein Radio hört.

Allerdings versucht Radio Lac punkto Innovation neue Wege zu gehen: Mit Videoformaten für Websites und Social Media will man ein Publikum erreichen, das kein Radio hört. «Der Medienkonsum hat sich stark verändert und Richtung Websites und Social Media verschoben. Auch als Radio muss man mit der Zeit gehen», sagt Benoît Rouchaleau. Der Journalist ist bei Radio Lac unter anderem für visuelle Inhalte zuständig. Nur Audiodateien auf eine Website zu stellen, ginge zu wenig weit. Deshalb ist Radio Lac zurzeit daran, zwei neue Videoformate zu entwickeln.

Auf der einen Seite will man mit Material von Keystone-SDA kurze Videos passend zum Audiobeitrag zusammenschneiden, mit Spektogramm sowie Untertitel des Gesagten, Bild der Person, Name und Funktion – ähnlich wie die Videos von Nouvo, der Social-Video-Plattform der SRG-Sender. Auf der anderen Seite will man selber Frontalvideos von Interviewpartnern zu spezifischen Themen aufnehmen – kurz, dynamisch und natürlich für Instagram optimiert. «So haben wir einerseits den O-Ton für die Sendungen und andererseits mit wenig Mehraufwand auch noch visuelles Material für Social Media und die Website», sagt Rouchaleau. Die Videos sind vor allem für die digitale Distribution der Audiobeiträge gedacht: «Audio steht im Zentrum. Wir wollen ein Radio bleiben, und nicht zum Fernsehsender werden.»

Bild: Eva Hirschi