von Oliver Classen

Konstruktiver Journalismus? Zeigt erst mal eure Klima-Bilanz!

Manche Medienhäuser zeigen statt nur Probleme vermehrt auch Lösungen. Damit wollen sie Publikum (zurück)gewinnen und für die (ökologischen) Herausforderungen der Gegenwart sensibilisieren. Doch zugleich haben Tamedia und SRG, die zwei Schweizer Horte dieses «konstruktiven Journalismus», noch nicht mal Nachhaltigkeitsberichte, geschweige denn Klimaziele.

Mitte Oktober begrüsste der WWF Schweiz auf Twitter den «environmental pledge» des britischen Guardian und wollte zugleich wissen: «Wer zieht bei uns als Erstes nach?» Dass es diese Frage in sich hat, zeigte sich an der Unisono-Antwort von NZZ über Ringier bis zur Wochenzeitung, nämlich dem dröhnendem Schweigen aller direkt angesprochenen Verlage. Tatsächlich birgt das auch von anderen Umweltverbänden als vorbildlich gelobte «Klimaversprechen» des Guardian für die Konkurrenz viel Sprengstoff. Und einigen Anlass zu Schweizer Selbstkritik.

Unter dem Titel «it’s time to act» verpflichtete sich das linksliberale Blatt bereits diesen Frühling dazu, ihren – laut dem US-Fachorgan Columbia Journalism Review – «stilbildenden Umweltjournalismus» weiter auszubauen und in die gesamte Berichterstattung einfliessen zu lassen. Kurz darauf liess die von einer gemeinnützigen Stiftung finanzierte «Guardian»-Mediengruppe dann verlauten, der redaktionelle Sprachgebrauch werde künftig die existentielle Dringlichkeit der Klimakrise abbilden. Konkret: Statt wie bisher von «global warming» ist nun durchgängig von «global heating» die Rede – in allen Ressorts und auf allen Kanälen, festgehalten im Styleguide.

Die Rolle der Medien besteht darin, von Politik und Konzernen die Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung einzufordern. Und das macht man am besten (sprich: glaubwürdigsten), wenn man selbst die Hausaufgaben erledigt.

So weit, so billig (höre ich die Weltwoche schon frotzeln). Doch wie vom WWF vermeldet, haben sich die Londoner vor Monatsfrist nun noch per 2030 zu unternehmensweiten Netto-Null-CO2-Emissionen verpflichtet. Und damit definitiv ernst gemacht mit einer Enkeltauglichkeit, die für die Medienindustrie eigentlich ja selbstverständlich sein sollte. Schliesslich besteht deren Geschäftsmodell darin, von Politik und Konzernen die Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung einzufordern. Und das macht man am besten (sprich: glaubwürdigsten), wenn man selbst die Hausaufgaben erledigt oder zumindest in Angriff genommen hat.

Doch davon sind die Schweizer Medienhäuser allesamt Lichtjahre entfernt. In der Unternehmenskommunikation der privaten Verlage, wie auch der öffentlich finanzierten SRG, finden sich weder Nachhaltigkeitsberichte noch andere Indizien für interne Umweltstandards, geschweige denn Angaben zur Ökobilanz und überprüfbare Massnahmen für deren Verbesserung. Einzig Ringier berichtet über eine «gelebte Corporate Social Responsibility». Dies freilich auf einer Alibi-Website, für deren vorgestrige Floskeln sich jeder halbwegs aufgeklärte Zeitgenosse fremdschämt. NZZ ist da konsequenter und schweigt dieses Top-Thema, über das dummerweise auch ihre Redaktionen immer häufiger berichten (müssen), im aktuellen Geschäftsbericht gleich ganz tot. Selbst die sonst äusserst unkommunikativen Rohstoffkonzerne sind diesbezüglich weiter als ausgerechnet jene Branche, die von der Kommunikation lebt.

Solches Ausblenden gesellschaftspolitischer Anforderungen ist anachronistisch und ärgerlich. Besonders, da es auch jene Medienunternehmen betrifft, die sich sonst als progressive Trendsetter gebärden. Zum Beispiel mit ihrer Förderung des sogenannt «konstruktiven Journalismus». Ob Tamedia mit dem «Impact Journalism Day», das SRF-Flaggschiff «10 vor 10» mit seiner allwöchentlichen «Idee» oder die SRG mit ihrer Mission für mehr Biodiversität: Wer mit lösungs- statt problemorientierten Weltverbesserer-Stories (jenseits Gemütslage des Publikums) wirklich etwas verändern will, sollte zunächst mal vor der eigenen Haustür kehren. Und zwar transparent und systematisch.

Dass und wie so etwas gehen kann, macht neben dem Guardian auch andere ausländische Konkurrenz vor. Etwa jene, die sich im Responsible Media Forum organisiert hat, wie das SRG-Vorbild BBC oder die deutsche Bertelsmann-Gruppe. Kürzlich hat selbst die sonst eher unpolitische Google-Belegschaft in einem offenen Brief an ihre Geschäftsführung appelliert, ebenso ehrgeizige Klimaziele festzusetzen wie der Guardian.

Aber vielleicht setzen die Schweizer Medienmanager ja eher darauf, dass sich ökologisch frustrierte Angestellte mit ihrer Umwelt-Geschäftsidee irgendwann selbstständig machen. Und dann selbst Stoff für die nächste Weltverbesserer-Story (Paywall) bieten. So geschehen bei Marc Krebs, der seinen Redaktionsjob an den Nagel hängte, um die Meere vom Plastik zu befreien. Und sich jüngst über das Porträt seines Start-ups bei der ehemaligen Konkurrenz freuen durfte.

Keine Pointe.