von Benjamin von Wyl

Revolutioniert Beem den Werbemarkt?

Interaktive TV-Spots, kommunizierende Plakate, smarte Zeitungsboxen: Der Werbefantasie sind keine Grenzen gesetzt. Nun will Swisscom all das in die Realität umsetzen – mit Beem. Doch beim Start hat sich der Telekom-Riese verstolpert. Die Werberevolution findet vorerst ohne die Unterstützung der Massen statt.

+++Update: Swisscom hat Beem im April 2021 eingestellt+++

«Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Smartphone», lese ich auf meinem Handydisplay, während ich ins Tram einsteige. Wie wahrscheinlich ist dieser Gewinn? Während der Recherche zu diesem Text habe ich einen Gutschein für ein Smartphone im Wert von 1200 Franken gewonnen. «20 Minuten» hat den Wettbewerb gross angekündigt: Es ist eine Aktion zum Launch von Beem in der «20 Minuten»-App. 167 Verteilboxen der Gratiszeitung sind in der Deutschschweiz für den Wettbewerb mit einem Bluetooth-Sender ausgerüstet worden. Mit Beem will Swisscom den Werbemarkt «revolutionieren». Eine neue Werbeform kann nur erfolgreich sein, wenn sie genutzt wird. Genau einmal pro Tag gewinnt schweizweit genau eine Person. Wieviele nehmen also an der Verlosung teil? Für mich die entscheidende Frage.

«‹Beem› macht Plakate und Spots interaktiv», kündigte Swisscom Ende Mai den Start kurzfristig an. Bereits ab Anfang Juni sollte Beem auf den Apps von «20 Minuten», Watson und Bluewin genutzt werden können. So funktioniert das: Sie stehen vor einem Plakat, sitzen im Kino oder sehen eine Fernsehwerbung. Das Handy registriert das, sofern eine Beem-fähige App geöffnet ist. Ein Beem-Logo erscheint. Wer draufklickt, kann an einem Wettbewerb teilnehmen oder erhält ein Sonderangebot. «‹Beem› revolutioniert den Werbemarkt», schrieb Swisscom. Aber die Revolution ist verschoben worden.

Bloss drei Prozent von 3000 Teilnehmenden einer «20 Minuten»-Umfrage wollten die neue Werbeform nutzen.

Die Medienmitteilung von Swisscom war der Versuch einer Flucht nach vorn. Schon zuvor verunsicherten schwarze Kästchen oberhalb von APG-Plakaten an 25 Bahnhöfen und S-Bahn-Stationen in Bern, Basel und Zürich Teile der Bevölkerung. Christian Hänggi von der werbekritischen IG Plakat Raum Gesellschaft hat als erster herausgefunden, was die Kästchen bezweckten: Sie konnten neben Bluetooth-Signalen, wie es sie an Schweizer Bahnhöfen bereits zu hunderten gibt, auch hochfrequente, unhörbare Töne senden. Ein Journalist des Tages-Anzeigers recherchierte, ohne zu wissen, dass sein Arbeitgeber Geschäftsbeziehungen mit den Urhebern der «Kästchen» pflegt. Die SBB verwies den Journalisten an die APG; die APG sagte nichts. Ein erster Artikel, in dem dafür Hänggi seine Bedenken ausführlich äussert, erschien. Dass diese Töne als Überwachungstechnologie eingesetzt werden könnten, haben unter anderem auch schon Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig aufgezeigt. In Online-Kommentaren beklagten sich in der Folge viele, dass sie oder ihre Haustiere diese eigentlich unhörbaren Töne sehr wohl hören und darunter leiden. Dass die Kästchen Teil der neuen Swisscom-Werbeplattform namens Beem waren, konnte niemand ahnen.

 

Erst die Mitteilung des Telekom-Konzerns klärte darüber auf. Doch das hat die Bedenken nicht zerstreut. Mit der Medienmitteilung verschickte Swisscom eine Grafik, welche die breite Abstützung von «Beem» betonen sollte: APG, Tamedia («20 Minuten», Goldbach), Watson, der Werbevermarkter Admeira und der Kinowerbevermarkter Werbeweischer schmieden ein Bündnis. Bloss drei Prozent von 3000 Teilnehmenden einer «20 Minuten»-Umfrage wollten die neue Werbeform nutzen. Das war auch deshalb dramatisch, weil der Erfolg von Beem nicht nur von Akzeptanz, sondern von der Aktivität der Nutzer*innen abhängt.

Nur zwei Tage nach der Ankündigung der Werberevolution stoppte die SBB eine geplante Kampagne zum Start von «Beem». Drei Tage danach beendete Watson die Zusammenarbeit. Am vierten Tag teilte Tamedia auf meine Anfrage für die WOZ hin mit: «Erst wenn die Swisscom alle Bedenken, die betreffend Sicherheit der User-Daten in den letzten Tagen entstanden sind, 100-prozentig ausräumen kann, wird ‹20 Minuten› die Gespräche über den Einsatz dieser Technologie wieder aufnehmen.»

«Wir empfehlen den Konsumenten aber weiterhin: Schaltet Beem oder ähnliche Angebote nicht ein.»
Alex von Hettlingen, Sprecher Stiftung für Konsumentenschutz SKS

Wichtige Partnerunternehmen waren abgesprungen; Gesundheits- und Datenschutzbedenken wurden geäussert. Am siebten Tag, einem Montag, sollte Beem lanciert werden. Stattdessen erklärten mir an dem Morgen die Verantwortlichen bei Kaffee, dass sich der Launch weiter nach hinten verschiebt. Eher um Tage als um Monate, hiess es damals. Es wurden dann doch Monate. Während dieser Zeit habe Swisscom Gespräche mit dem eidgenössischen Datenschutzbeauftragten geführt, aber – anders als öffentlich versprochen – nicht mit der Stiftung für Konsumentenschutz. «Bei uns hat sich niemand von Swisscom gemeldet», sagt Sprecher Alex von Hettlingen. «Wir empfehlen den Konsumenten aber weiterhin: Schaltet Beem oder ähnliche Angebote nicht ein.»

Die SP-Nationalrätinnen Samira Marti und Nadine Masshardt befragten den Bundesrat in der Sommersession zu diesem Swisscom-Projekt. Als Reaktion auf die parlamentarischen Anfragen und die Beschwerden aus der Bevölkerung prüft das Bundesamt für Umwelt BAFU gegenwärtig, ob die hochfrequenten Töne gesundheitlich unbedenklich sind. Erst Ende Jahr, wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden, könne man sich dazu äussern, heisst es beim BAFU auf Anfrage.

Mitte August startete «Beem» dann ohne weiteres Aufheben. Los ging es mit einem Wettbewerb von Radio Energy, einem Ringier-Unternehmen. Mit dem «Blick», in dessen App «Beem» Anfang nächstes Jahr integriert werden soll, hat «Beem» einen neuen reichweitenstarken Partner gefunden. Auch Tamedia ist wieder an Bord. Sämtliche Datenschutzbedenken seien ausgeräumt, heisst es auf Anfrage. Der Launch auf der «20 Minuten»-App wird mit der erwähnten täglichen Handyverlosung begangen.

Auch in der jetzt veröffentlichten Version müssen Nutzer*innen der jeweiligen App Zugriff auf den Standort und das Mikrofon erteilen. Statt auf Hochfrequenztöne setzt Beem gegenwärtig auf Bluetooth und ACR – Audio Content Recognition, wie der Musikerkennungsdienst Shazam. Mit ACR werden akustische Signale mit einem Wasserzeichen versehen, welche das Handymikrofon erkennt und eine Aktion oder einen Wettbewerb auslöst. Christian Rufener von Swisscom erklärt den Vorgang folgendermassen: «‹Beem› empfängt nur den akustischen Fingerabdruck und auch nur dann, wenn eine der ‹Beem›-fähigen Partner-Apps oder die ‹Beem›-App selbst geöffnet ist. ‹Beem› erkennt trotz Mikrofonfreigabe keine Stimmen, sondern nur das Ton-Muster eines zuvor definierten Audio-Signals. Der Abgleich der Tonspur mit dem gesuchten Ton-Muster erfolgt bei ‹Beem› jeweils nur auf dem Handy des Nutzers.» Natürlich funktioniert diese Alternative zu Hochfrequenztönen nur, wenn eine Tonspur vorhanden ist: bei TV-Werbung oder im Kino.

Wenn es auch ohne geht: Wieso verzichtet die Swisscom nicht einfach ganz auf die Hochfrequenztöne?

Im öffentlichen Raum setzt Beem momentan einzig auf Bluetooth. Der Kurzstreckenfunk lokalisiert den Standort der «Beem»-Nutzer*innen nicht ganz so genau, wie es die Hochfrequenztöne tun würden. Aber auch aus Unternehmensperspektive bietet es Vorteile. «Wenn Bluetooth besser genutzt wird, ergeben die Hochfrequenztöne keinen Sinn. Letzteres braucht auch mehr Energie», sagte Alessandro Rausa, Projektleiter von «Beem», bereits im Juni. In den berüchtigten «schwarzen Kästchen» befanden sich neben einem Minilautsprecher und einem Bluetooth-Sender auch eine Batterie, die regelmässig ausgewechselt werden musste. Ein Stromfresser steigert wohl auch den Betriebsaufwand.

Die Diskussion im Frühjahr fokussierte sich auf die Hochfrequenztöne: Damit wäre tatsächlich eine neue Technologie in der Schweiz eingeführt worden. Hätte Swisscom bloss Bluetooth verwendet, wäre Hänggis datenschützerischer Appell kaum derart breit gehört worden; eine Diskussion über gesundheitliche Folgen wäre gar nicht erst entstanden. Wenn es auch ohne geht: Wieso verzichtet die Swisscom nicht einfach ganz auf die Hochfrequenztöne? «Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass wir in Zukunft Anwendungsmöglichkeiten identifizieren, welche wir mit den bestehenden Technologien nur bedingt umsetzen können. Beispiel: Einsatz von ‹Beem› im offenen Gelände mit bereits vorhandener Musikanlage, etwa an Openair Festivals. Kommt dann ein Hochfrequenzton zum Einsatz? Wir wissen es nicht, möchten uns diese Option zum jetzigen Zeitpunkt jedoch offenlassen.»

Anscheinend weiss nicht mal die Swisscom, ob und wann eine Anwendung der Hochfrequenztöne sinnvoll ist. Dabei hätte ein Verzicht unabhängig von der BAFU-Einschätzung den Ruf von «Beem» bei den Konsument*innen wohl verbessert. Bei der APG heisst es, die Kästchen – ob mit oder ohne Lautsprecher – werden frühestens Anfang 2020 erneut montiert. Am Ende entscheidet die SBB, ob die «schwarzen Kästchen» an Bahnhöfe, wo sie ursprünglich für Verunsicherung sorgten, zurückkehren. Bewilligungsanträge liegen bei der SBB momentan aber noch keine vor, wie es auf Anfrage heisst.

Die SRG prüft, ob sie in ihren Programmen Beem als Werbeplattform einsetzt, «sofern es sich zeigt, dass es einem Konsumenten- und Industriebedürfnis entspricht.»

Vorerst können Werbekunden also noch keine «Beem»-fähigen Plakatkampagnen buchen. Interaktive Kino- und TV-Werbung kann man aber bereits kaufen, etwa bei den Sendern der 3+-Sendergruppe. Da diese zwischenzeitlich in den Besitz von CH Media übergegangen sind, sind nun alle privaten Medienkonzerne im Geschäft mit «Beem». Womöglich folgt bald auch die SRG: Deren Werbevermarkter Admeira teilt auf Anfrage mit, dass erste technische Tests erfolgreich verlaufen sind und auch Edi Estermann von der SRG sagt: «Die Werbeindustrie richtet sich stark an den Bedürfnissen und dem Verhalten der Konsumentinnen und treibt diese Innovationen umsichtig voran. Die SRG unterstützt diese Entwicklung. Service public und digitale Innovationen sind kein Widerspruch.» Ob «Beem»-Werbung über die Fernsehsender der SRG verbreitet wird, prüft das Unternehmen, «sofern es sich zeigt, dass es einem Konsumenten- und Industriebedürfnis entspricht.»

Die Versprechungen zum Datenschutz von «Beem» hat Swisscom anscheinend umgesetzt. Vorbildlich geregelt ist etwa die Transparenz darüber, wann «Beem» aktiv ist. Die Apps fragen, ob man «Beem» nutzen will. Mit einem Klick lässt es wieder deaktivieren und sogar das Löschen aller persönlichen Daten ist unkompliziert. Die «20 Minuten»-App hat zwar unbegrenzt Mikrofonzugang – aus technischen Gründen – aber Tamedia darf nicht mithören: Vertraglich verpflichte Swisscom die Partnerunternehmen mit «Beem»-fähigen Apps, den Mikrofonzugriff nur für den «dargelegten Verwendungszweck», also zur Erkennung der akustischen Wasserzeichen, zu verwenden, heisst es bei Rufener. Im Gegenzug verpflichte sich die Swisscom gegenüber den Partnerunternehmen, den Zugriff «nicht zu missbrauchen» und nur entsprechend des Verwendungszwecks zu nutzen.

Der Bundesrat teilte in der Beantwortung der Interpellation von SP-Nationalrätin Samira Marti mit, dass der eidgenössische Datenschutzbeauftragte «bezüglich ‹Beem› die Situation genau» beobachte und sich Massnahmen vorbehalte, falls sich Anzeichen von Persönlichkeitsverletzungen verdichten.

In einer neuen «20 Minuten»-Umfrage geben noch immer fast 70 Prozent der Teilnehmer*innen, dass sie «Beem» «eher nicht» nutzen wollen.

Christian Hänggi von der IG Plakat Raum Gesellschaft, der die Kontroverse ins Rollen gebracht hat, lehnt das Werbeangebot weiterhin ab. Noch immer ist er empört darüber, dass die Swisscom, ein Unternehmen, das zu 51 Prozent dem Bund gehört, «im öffentlichen Raum eine Technologie mit Hochfrequenztönen installiert hat, die der Überwachung dienen kann.» Er ist auch unabhängig von Datenschutz-Bedenken skeptisch.

In einer neuen «20 Minuten»-Umfrage geben noch immer fast 70 Prozent der Teilnehmer*innen, dass sie «Beem» «eher nicht» nutzen wollen. «In 13 Jahren Vereinsgeschichte haben wir noch nie Werbemittel mit so tiefer Zustimmung erlebt», so Hänggi. Er findet das Projekt aber nicht nur aus Konsument*innen-Sicht fragwürdig: «Letztes Jahr kündigte die Swisscom an, auf Inserate und Fernsehwerbung zu verzichten. Dieses Jahr lancieren Zeitungen und Fernsehsender zusammen mit der Swisscom eine neue Werbeplattform. Auf der einen Seite sägt die Swisscom den Medienunternehmen die Beine ab; auf der anderen arbeitet man wieder zusammen.»

Die Swisscom gehört zu den grössten Werbetreibenden der Schweiz. Ein Aufschrei ging durch die Medienbranche, als Marketingchef Achill Prakash vor rund einem Jahr ankündigte, 2019 bei der direkten Verkaufswerbung auf Print-Inserate und Fernsehwerbungen zu verzichten: «Swisscom bewegt sich in einem sehr schnell drehenden und freien Markt», sagte Prakash gegenüber persoenlich.com. Da sei Flexibilität gefordert.

Auf Anfrage bestreitet eine Swisscom-Sprecherin Hänggis Vorwurf. Der Strategiewechsel gelte nur für «direkte Verkaufswerbung». Welchen Anteil am Werbeetat die Verkaufswerbung ausmacht, will Swisscom aber nicht mitteilen. Bei Tamedia ist man jedenfalls voll des Lobes: «Die positive Entwicklung der Zusammenarbeit mit Swisscom im 2019» sei mit ein Grund für die Zusammenarbeit. Andere Marktteilnehmer äussern sich – anonym – skeptisch. Für die Vermarkter von Plakatflächen sei alleine die Ausrüstung und Wartung der «schwarzen Kästchen» kostenintensiv. Auch für Werbekunden sei das Swisscom-Angebot ausgesprochen teuer. Soweit bekannt haben mit «Radio Energy» und «20 Minuten» bisher bloss Partnerunternehmen von «Beem» Kampagnen gebucht. Werbekampagnen bei «Beem» seien «vorläufig kein Thema», heisst es beim ursprünglichen Launchpartner SBB noch im November.

«Am Ende entscheiden die Nutzer, ob ‹Beem› erfolgreich ist und eine Zukunft hat.»
Christian Rufener, Marketingverantwortlicher Beem

Damit sich eine «Beem»-Kampagne lohnt, müsste «Beem» bei den Konsument*innen erfolgreich sein. Die Swisscom betont die Möglichkeiten: Schaufenster sollen mit «Beem» zur interaktiven Erfahrung werden; Museen und Ausstellungen auf «Beem» umsatteln. «Am Ende entscheiden die Nutzer, ob ‹Beem› erfolgreich ist und eine Zukunft hat», weiss auch Christian Rufener von Swisscom. Eine weitere Einschätzung zur Kundenakzeptanz mache kurz nach der Lancierung keinen Sinn.

Vielleicht bietet mein Erlebnis einen Hinweis auf die aktuelle Nutzung. Die Swisscom und die auflagenstärkste Zeitung rufen zu einem Wettbewerb auf. Am zweiten von dreissig Tagen habe ich gewonnen. Alle acht Stunden kann man an einer Verlosung teilnehmen. Wieviele Nutzer*innen haben wohl die Werbung gesehen, «Beem» in der «20 Minuten»-App aktiviert, Bluetooth eingeschaltet, die App geöffnet, eine der 167 Zeitungsboxen passiert und am Wettbewerb teilgenommen? Zehn Minuten nach meinem Gewinn ruft mich «Beem»-Chef Alessandro Rausa an. Er lacht. In dieser Frühphase sei jeder Gewinn ein Ereignis. Deshalb hätten sie eine Benachrichtigung aktiviert, die sie darüber informiert, wenn ein Tagessieger ausgelost wird. Angerufen habe er natürlich nur, weil ich es war. Erst eine Stunde davor haben wir noch telefoniert – es ging um Datenschutz. Weil ich über Beem berichte, verzichte ich auf den Preis und stelle ihm die Fragen: Wieviele Leute haben heute mitgemacht? Was waren meine Chancen zu gewinnen? Eins zu 200? Eins zu 1000? Viel höher, viel niedriger? Rausa wollte dazu nichts sagen.