von Nick Lüthi

Umstrittene SRF-Strategie: Rückzug aus den Regionen wegen tiefer Klickzahlen

Nach sieben Jahren ist Schluss. Auf srf.ch gibt es bald keine regionale Rubrik mehr: Zu wenig Zugriffe. Künftig veröffentlicht SRF nur noch Meldungen aus den Regionen, wenn sie in der gesamten Deutschschweiz interessieren. Ein gefährlicher Schritt, warnen Kritiker aus den Regionaljournalen. Und auch die Politik zeigt sich besorgt.

Bis in drei Jahren will Schweizer Radio und Fernsehen SRF eine neue Strategie für das gesamte Unternehmen entwickeln. Doch schon heute trifft SRF strategische Entscheidungen, die das publizistische Profil verändern. So wurde Ende Oktober intern bekannt gegeben, dass die Regionalberichterstattung im Netz völlig neu ausgerichtet wird. Die «Sonntagszeitung» berichtete zuerst darüber. Der Kern der Neuerung betrifft die regionalen Unterseiten auf srf.ch, quasi die regionalen Portale. Sieben davon finden sich heute unter dem Navigationspunkt «Regional», von A wie Aargau bis Z wie Zürich. Im kommenden Frühjahr sollen sie verschwinden.

Die Online-Berichterstattung zu lokalen und regionalen Ereignissen findet fortan nur noch auf der Hauptseite von SRF News statt. Was auf den ersten Blick nach einer geringfügigen technischen Änderung aussieht, hat weitreichende Implikationen. Denn es geht nicht nur um eine Anpassung der Struktur von srf.ch, sondern um die Gewichtung der Regionalberichterstattung im Online-Angebot von SRF. Beiträge, die sich an ein lokales oder regionales Publikum richten, werden nicht mehr auf srf.ch veröffentlicht. Gefragt sind künftig nur noch Stoffe von überregionalem Interesse.

Manche sehen den Entscheid als den Anfang vom Ende: Was online nicht existiert, wird irgendwann ganz verschwinden.

Bei Mitarbeitenden mehrerer SRF-Regionaljournale, mit denen die MEDIENWOCHE gesprochen hat, kommt die Strategieänderung nicht gut an. Manche sehen darin gar einen möglichen Anfang vom Ende: Was online nicht existiert, wird irgendwann ganz verschwinden. Wenn die Regionaljournale nur als Radiosendungen verbreitet werden und ihre Beiträge nicht auch auf srf.ch eine angemessene Präsenz finden, seien die Inhalte für ein Publikum nicht mehr sichtbar, das jünger als 60 Jahre alt ist. Dann sei es eine Frage der Zeit, bis das Angebot gänzlich in Frage gestellt werde, da die Radionutzung kontinuierlich abnimmt.

Von solcher Schwarzmalerei hält Stefan Eiholzer nicht viel. Der Inland-Chef und Leiter der Regionalredaktionen von Radio SRF sieht im Entscheid von Ende Oktober nicht eine Schwächung, sondern vielmehr eine Stärkung der lokalen und regionalen Berichterstattung. Mit den eigenen Unterseiten für jede Deutschschweizer Grossregion auf srf.ch habe man schlicht das Publikum nicht erreicht, betont Eiholzer. In Zahlen sind das durchschnittlich ein paar hundert Visits pro Beitrag. «Dafür lohnt sich der Aufwand nicht, den wir heute dafür betrieben», so Eiholzer weiter. «Und unsere Ressourcen sind bekanntlich begrenzt. Darum wollen wir künftig lieber eine Geschichte aus der Region pro Tag veröffentlichen können, die breiter interessiert». Es handle sich aber nicht um eine Sparübung, sondern um einen zielführenderen Einsatz der beschränkten Ressourcen, um den Auftrag zu erfüllen. Schliesslich sei SRF ein Massen- und nicht ein Nischenmedium.

Die Neuausrichtung der Regionalberichterstattung im Netz wird von einer Mehrheit der regionalen Trägerschaften der SRG unterstützt. «Eine Umlagerung von journalistischen Ressourcen ist unter den gegebenen Umständen sinnvoll», teilt etwa Barbara Meili, Präsidentin der SRG Zürich Schaffhausen, auf Anfrage mit. Peter Moor, Präsident der SRG Aargau Solothurn, sieht in der Fokussierung auf überregionale Stoffe einen «zweckmässigen Schritt in Richtung Qualität statt Quantität». Bei der SRG Region Basel sei der interne Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen, schreibt Präsident Niggi Ulrich.

Den Anstoss, die bisherige Online-Strategie zu überdenken, gaben die Leiter der Regionaljournale. Nach sieben Jahren stellten sie fest, dass sie mit den verfügbaren Kapazitäten an Ort treten und sich die Zugriffszahlen nicht merklich nach oben bewegen. Bestätigt sah man sich schliesslich durch die Ergebnisse einer Umfrage, wo das Publikum angab, dass srf.ch nicht die erste Anlaufstelle sei im Netz für Nachrichten aus der Region. Diese Aufgabe erfüllten weiterhin die Zeitungen und ihre Websites.

Doch nun macht sich SRF daran, das Kind mit dem Bade auszuschütten, weil man aus dem Scheitern einer halbbatzigen Übungsanlage die falschen Schlüsse zieht.

Die Rangfolge des Publikums bei der Auswahl seiner Nachrichtenquellen entspricht jener Arbeitsteilung zwischen öffentlichen und privaten Medien, wie sie Verfassung und Konzession festschreiben. So zählt das Regionale nicht zum Kernauftrag der SRG. In der Konzession sind die Regionaljournale seit ihrer Einführung vor 40 Jahren nur mit einer schwachen «Kann»-Formulierung verankert.

Auch darum dürfen die Regionalredaktionen nicht einfach so ins Internet schreiben, wie es ihnen gefällt. Schliesslich beobachten die Verleger mit Argusaugen, wieviele Buchstaben die Texte der SRG im Netz umfassen. Das ist mit ein Grund, warum die Regionalredaktionen in den letzten sieben Jahren nur mit angezogener Handbremse auf srf.ch unterwegs waren.

Ein anderer Grund sind die beschränkten finanziellen Möglichkeiten; SRF befindet sich auf Sparkurs. Die Regionaljournale können nicht nach Belieben zusätzliches Personal anstellen, um ihre Online-Aktivitäten auszubauen. Hauptverbreitungsvektor ist und bleibt vorderhand das lineare Radioprogramm. Mehr als eine Person pro Tag für einen Online-Dienst abzustellen, lag da nicht drin.

Das war gerade genug, um die Plattform kontinuierlich bespielen zu können, aber zu wenig, um wirklich ein profiliertes Angebot zu entwickeln. Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, dass die Klickzahlen nicht in die Höhe schnellten. Doch nun macht sich SRF daran, das Kind mit dem Bade auszuschütten, weil man aus dem Scheitern einer halbbatzigen Übungsanlage die falschen Schlüsse zieht.

Wo nur noch ein Verlag das Medienangebot dominiert, sorgt die SRG mit ihrem regionalen Informationsangebot für Vielfalt.

Die Medienlandschaft hat sich in den letzten 40 Jahren erheblich verändert und damit auch die Rolle, welche die Regionaljournale darin spielen. Wo nur noch ein Verlag das Medienangebot dominiert, wie das in den Regionen Aargau Solothurn, Zentral- und Ostschweiz der Fall ist, sorgt die SRG mit ihrem regionalen Informationsangebot für Vielfalt. Aber auch dort, wo es noch verschiedene Anbieter gibt, etwa im Grossraum Basel, trägt SRF mit seinem regionalen journalistischen Angebot zu einem publizistischen Wettbewerb bei. Dass dieser vermehrt online stattfindet, versteht sich von selbst. Der Rückzug, wie ihn SRF nun beschlossen hat, schmälert die regionale Medienvielfalt.

Irritiert zeigt sich etwa der Regierungsrat des Kantons Basel Stadt. «Das Regionaljournal ist eine Sendung aus der Region für die Region. Auch dessen Internetaktivität sollte deshalb auf die Region ausgerichtet sein», teilt Regierungssprecher Marco Greiner auf Anfrage mit. In einem Schreiben an die SRF-Direktion habe der Regierungsrat deshalb «sein Erstaunen über die neue Digitalstrategie zum Ausdruck gebracht».

Im anderen Basler Halbkanton sieht man die Sache gleich. Auch der Regierungsrat von Basel-Landschaft schickte ein Schreiben an den Leutschenbach und kritisiert die «Schwächung der unabhängigen regionalen Berichterstattung sowie eine Bedrohung der Zukunft des Regionaljournals Basel/Baselland». Am Ende, so die Befürchtungen, könnten die Regionalredaktionen abgeschafft und durch Korrespondenten ersetzt werden. Die breite Öffentlichkeit haben die Behörden bisher bewusst nicht gesucht. Sie wollen den Ball flach halten, damit sich die Fronten nicht verhärten.

Die Basler Regierungen äussern sich als gesellschaftliche Akteure in Sorge um die regionale Medienvielfalt und nicht in der Hoffnung auf eine milde Berichterstattung.

Nun ist es bekanntlich immer heikel, wenn sich die Politik für einen bestimmten Journalismus starkmacht. Der Verdacht liegt schnell auf der Hand, dass es den Magistraten vor allem um ihr Eigeninteresse an einer wohlwollenden Berichterstattung geht. Im Fall der Stellungnahmen der Regierungen beider Basel trifft dies nicht zu. Gerade das Regionaljournal Basel/Baselland fällt regelmässig durch eine kritische Begleitung der Exekutivarbeit in den beiden Halbkantonen auf. So fiel etwa die Bilanz der Regierungstätigkeit des zurücktretenden Stadtbasler Bau- und Verkehrsdirektors Hans-Peter Wessels (SP) einiges kritischer aus als etwa in der bz Basel. In Basel-Landschaft musste sich Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber (SVP) vom Regionaljournal mehrfach kritisieren lassen im Zusammenhang seiner Rolle bei der Schwarzarbeitskontrolle.

In dem Sinn artikulierten sich die Basler Regierungen als gesellschaftliche Akteure in Sorge um die Vielfalt der regionalen Berichterstattung. Auch in anderen Kantonen hat man den SRF-Entscheid registriert. So lässt Jon Domenic Parolini, Regierungspräsident des Kantons Graubünden, ausrichten, man verfolge die Entwicklung und behalte sich vor, «gegebenenfalls Stellung zu nehmen».

Unabhängig davon, ob diese Kritik bei SRF Gehör findet, gibt es bei der nun anlaufenden Umsetzung der neuen Online-Strategie für die Regionalberichterstattung einen gewissen Spielraum. Das Ziel einer aktuell eingesetzten Arbeitsgruppe sei es, «eine für alle Regionen gute Lösung zu finden, wie sie ausreichend und gut sichtbar regionale Inhalte für ein grösseres Publikum erstellen können», teilt ein SRF-Sprecher auf Anfrage mit. Spielraum besteht etwa bei der Aufbereitung der Radiobeiträge der Regionaljournale. Heute werden die Sendungen en bloc online veröffentlicht. Anders als dies bei den Informationssendungen «Echo der Zeit» oder «Rendez-vous» der Fall ist, kann man online nicht direkt auf die einzelnen Beiträge einer Regionaljournal-Ausgabe zugreifen. Zu einer besseren Auffindbarkeit und Sichtbarkeit regionaler Informationen im Web würde bereits beitragen, wenn die Sendungen in ihre Einzelteile zerlegt würden. Das wäre zwar nur ein kleiner, aber ein wichtiger Schritt, um das publizistische Potenzial, das die Regionaljournale bieten, nicht ganz in der Flüchtigkeit des Äthers verschwinden zu lassen.

Vielleicht kommt SRF im Rahmen der laufenden Strategieüberprüfung darauf, dass Service public auch Online-Journalismus aus der Region und für die Region umfasst.

Update 18.11.: Der Artikel wurde um einen Abschnitt ergänzt, in dem die SRG-Trägerschaften ihre Haltung zum Strategiewechsel erklären.

Leserbeiträge

Andreas Häuptli 15. November 2019, 13:34

Der Verlegerverband begrüsst diesen Schritt. Im Grundsatz muss sich die SRG gemäss Verfassung komplementär verhalten, ergänzen was fehlt. Wenn die privaten regionalen Medienanbieter die mediale Leistung aber gewährleisten, keine Lücken bestehen – was heute durch Zeitungen, Webangebote, Radios und TVs der Fall ist – braucht es keine Ergänzung durch die SRG.

Papier haben die Verlage am liebsten 15. November 2019, 15:25

Ich verstehe die Aufregung nicht. Als regelmässiger Hörer und Seher von SRG-Programmen (inkl. des Regionaljournals AG/SO) wurde mir erst jetzt bewusst, dass es diese Seiten überhaupt gibt. Solange die wichtigsten Themen weiter auch für das Netz aufbereitetet  werden und auffindbar bleiben, ist das nun wirklich kein Beinbruch. Nicht einmal in der CH-Media-Monopolgegend AG-SO.