Kolumne: Wer Assange schützt, stärkt den Whistleblower-Schutz
Die drohende Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA provoziert kaum journalistische Proteste. Dabei hat die vierte Gewalt dem Whistleblower-Winkelried viel zu verdanken. Einigen Medienschaffenden dämmert das langsam – selbst in der Schweiz, dieser Bananenrepublik im Umgang mit den so wichtigen Whistleblowern.
Vor knapp zwei Wochen berichtete Bloomberg exklusiv über einen Zürcher Gerichtsfall. Die Richter verboten demnach einem Insider auf Betreiben von dessen Ex-Arbeitgeber unter Strafandrohung, eine in Belgien gemachte Aussage in der Schweiz zu wiederholen. Für die führende Wirtschaftsnachrichtenagentur ist klar: «Das zeigt, wie wenig Schutz Informanten in der Schweiz erwarten können, weil oft das Geschäftsgeheimnis zu Hilfe gerufen wird, um Lecks zu verhindern» – eine aus amerikanischer Mediensicht offenkundig befremdliche Praxis. Bei der bereits im September erlassenen Verfügung ging es um Hinweise auf einen Buchhaltungsbetrug beim Metallhändler Nyrstar, einer Tochter der Genfer Trafigura. Wie häufig bei Rohstoff-Themen, hat hierzulande nur gerade Le Temps die Meldung aufgenommen. Im Deutschschweizer Blätterwald verursachte dieser von einem ebenso umstrittenen wie einflussreichen Konzern erwirkte Maulkorb nicht mal ein leises Rauschen.
Wegen seiner Enthüllung von Kriegsverbrechen im Irak will Washington nun an Julian Assange ein Exempel statuieren.
Whistleblower haben in der Schweiz also gleich vier Probleme: Angriffige Arbeitgeber, schlechte Gesetze, schwache Gerichte und häufig desinteressierte Medien. Chelsea Manning bot ihre knapp 500’000 Geheimdokumente aus dem Irak- und Afghanistankrieg der US-Armee 2010 erst diversen Zeitungen an, bevor sie schliesslich Julian Assange kontaktierte. Die Folgen wurden unter dem Titel «Collateral Murder» weltbekannt. Die Dokumente zu Kriegsverbrechen der USA im Irak sind der Hauptgrund für das Exempel, das Washington nun an «Mister Wikileaks» statuieren will. Damit würde die Pressefreiheit substanziell verletzt.
Der Whistleblower Rudolf Elmer wollte seine Kundendaten aus dem Offshore-Steuerparadies der Cayman Islands zunächst auch auf Schweizer Kanälen (darunter Public Eye) an die Öffentlichkeit bringen. Assange sprang hier ebenfalls in die Lücke und veröffentlichte die Dokumente. Vielleicht hätte sich der Trafigura-Insider auch besser an eine Enthüllungsplattform gewandt, als sich von rückgratlosen Zürcher Richtern den Mund verbieten zu lassen.
Assange und Wikileaks haben der wichtigen, weil wirkungsvollen, Arbeit internationaler Investigativ-Initiativen den Weg geebnet.
Neuerdings ignorieren grosse Medien brisante Insider-Informationen sogar, obwohl (oder weil?) sie von Wikileaks publiziert wurden. Jüngstes Beispiel sind die sogenannten «OPCW-Leaks», wo es um mutmasslich manipulierte Untersuchungen von Giftgaseinsätzen in Syrien geht. In der Schweiz berichtete darüber unverständlicherweise nur der Infosperber.
Noch alarmierender ist freilich das Schweigen wichtiger Stimmen zum Schicksal jenes in Auslieferungshaft siechenden Mannes, der Whistleblowing technisch wie publizistisch überhaupt erst ins 21. Jahrhundert katapultiert hat. Der australische Avantgardist Assange hat der wichtigen, weil wirkungsvollen, Arbeit internationaler Investigativ-Vereinigungen wie dem ICIJ oder dem OCCRP erst den Weg geebnet. Kurz: Ohne Assange kein «John Doe» – das Pseudonym der anonymen Quelle der Panama Papers.
Wieso hagelt es dann nicht entsprechend prominenten Protest gegen seine aktuelle Behandlung und geplante Auslieferung? Die Gründe für die Vorbehalte vieler Medienhäuser gegenüber Assange sind vielschichtig: Einerseits ist da der redaktionelle Futterneid und Konkurrenzgedanke gegenüber Wikileaks respektive deren alternativem «Geschäftsmodell», wie die WOZ das kürzlich nannte. Hinzu kommen ein verbreitetes Unbehagen wegen vermeintlich unjournalistischer Qualitätsstandards und der umstrittenen Rolle im letzten US-Wahlkampf, wo Wikileaks der Trump-Kampagne Rohstoff lieferte. Der dritte und banalste Grund fürs dröhnende Schweigen vieler Leitmedien dürfte aufmerksamkeitsökonomischer Natur sein: Nach endlosen juristischen Querelen und siebenjährigem Botschaftsasyl taugt der Alt-Star scheinbar nicht mehr für Click-trächtige Schlagzeilen.
Doch zum Glück wird hier und dort allmählich Gegensteuer gegeben. In Europa geht wieder mal der Guardian voran und brandmarkt die US-Anklage als «Angriff auf das fundamentale Recht der Öffentlichkeit auf relevante Informationen». Inzwischen gibt es auch eine Internet-Petition, die Medienschaffende dazu auffordert, für Julian Assange einzustehen. Unter den aktuell 870 Unterzeichnenden befinden sich immerhin 56 aus der Schweiz, was wohl hauptsächlich der unabhängigen Berner Journalistin und Co-Initiantin Serena Tinari zu verdanken ist. Der weit überwiegende Teil stammt, wenig überraschend, aus der Romandie. Von Tamedia und SRF findet sich bislang jeweils nur gerade ein Name auf der Liste, dafür aber gleich deren vier vom rechtsliberalen «Schweizer Monat». Assange ist halt auch bezüglich seiner Sympathisanten immer für eine Überraschung gut.
Rudolf Elmer 20. Dezember 2019, 11:51
Die Problematik von „Le crime de la robe noire“ in der Schweiz, aber auch in anderen Ländern wie z.B. Frankreich hat ein Ausmass erreicht, dass sich gute Journalisten – wie auch am Beispiel Julian Assange oder mir selbst dargelegt wird – von der Justiz fürchten müssen.
Die Schweizer Justiz bringt es fertig, die Wahrheit massiv zu bestrafen, um die eigene Karriere zu schützen und den Mächtigen zu dienen. Der Video
« Démasquer la mafia judiciaire »: von M. Ernest Pardo macht dies eindrücklich klar:
https://www.youtube.com/watch?v=ukBgaGyephg
Die Schweiz hat noch einen sehr langen Weg zu gehen, um die eigene Justiz in die Schranken zu weisen!