Maulkorb von oben: Eigentümer beschneiden die Pressefreiheit ihrer Redaktionen
Wenn Industrielle und Unternehmer in Medien investieren, führt das regelmässig zu Interessenkonflikten. Wie soll eine Redaktion über den Eigner berichten, ohne ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit zu verlieren? Ein Blick auf aktuelle Kontroversen aus Deutschland, Frankreich und den USA.
Als im vergangenen September bekannt wurde, dass das Berliner Unternehmer-Ehepaar Silke und Holger Friedrich den «Berliner Verlag» übernimmt, war die Überraschung in der Medienbranche gross. Monatelang hatte die DuMont-Mediengruppe nach einem Käufer für die angeschlagene «Berliner Zeitung» und deren Schwesterblatt, die Boulevard-Zeitung «Berliner Kurier», gesucht.
Nun sollte die Hängepartie ein Ende haben. Die neuen Eigentümer, die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt waren, sollen frischen Wind in den Verlag bringen.
Ein branchenfremder Unternehmer an der Spitze eines Verlags kann zu Interessenkonflikten führen.
In der NZZ, in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» und in der «Süddeutschen Zeitung» gab das Ehepaar grosse Interviews, in denen es durchaus innovative Ansichten zum Medienwandel kundtat. Einen ersten Akzent setzten die Neu-Verleger, indem sie der Website der «Berliner Zeitung» ein neues Design und eine neue technische Infrastruktur verpassten.
Die Unternehmer schienen einen neuen Typus des Verlegers zu repräsentieren: modern, digital-affin, innovativ. Doch es kam anders. Zuerst enthüllte die «Welt am Sonntag» die Stasi-Vergangenheit von Holger Friedrich. Dann wurde bekannt, dass die «Berliner Zeitung» über das Biotech-Unternehmen Centogene berichtete, ohne im Text zu erwähnen, dass Friedrich einen Sitz im Aufsichtsrat hat.
Das Beispiel zeigt: Ein branchenfremder Unternehmer an der Spitze eines Verlags kann zu Interessenkonflikten führen. Ebenso problematisch ist es, wenn der steinreiche Verleger auch noch politische Ambitionen hegt. Nachdem jüngst der Medienunternehmer und frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg ankündigte, für die Demokraten bei der US-Präsidentschaftswahl anzutreten, erteilte der Chefredakteur von Bloomberg News, John Micklethwait, der Redaktion eine Art Maulkorb.
Kritische Berichterstattung zum Kandidaten Bloomberg ist bei «Bloomberg» nicht erwünscht.
In einem Rundschreiben wies er die Journalistinnen und Journalisten an, künftig keine Meinungsbeiträge oder Hintergrundartikel über das Leben und die Finanzen von Bloomberg und dessen Stiftungen zu publizieren. Auch seine demokratischen Mitbewerber im Rennen um das Präsidentschaftsamt sollten der Fairness halber geschont werden. «Wir werden unsere Tradition fortsetzen, nicht über Mike [Bloomberg] (sowie seine Familie und Stiftung) zu recherchieren, und wir werden diese Policy auch auf seine Rivalen bei den Vorwahlen der Demokraten ausdehnen.» Das heisst im Klartext: Kritische Berichterstattung zum Kandidaten Bloomberg ist nicht erwünscht.
Zwar versucht das Medienunternehmen Interessenkonflikte zu vermeiden, indem Autoren der Meinungsseite ihre Arbeit sistieren, darunter etwa der Trump-Biograf Timothy L. O’Brien, der für Bloombergs Kandidatur lobbyiert. Doch faktisch kommt die Anweisung des Chefredaktors einem Publikationsverbot gleich. Ein Unding, wie manche finden.
Kathy Kiely, frühere Politik-Ressortleiterin bei «Bloomberg News», kritisierte, dies würde «die politischen Autoren zum Stenographie-Journalismus herabstufen». Die Journalistin verliess das Unternehmen 2016, als Michael Bloomberg schon einmal eine Kandidatur erwogen hatte. Der ehemalige Bloomberg-Redaktor und Journalismus-Professor Bill Grueskin äusserte auf Twitter ebenfalls massive Kritik: den Journalisten würden «Handschellen angelegt».
Donald Trump denunziert Bezos‘ Blatt regelmässig als «Amazon Washington Post».
Das Problem in der Praxis ist ja nicht nur, dass die Bloomberg-Redaktionen in ihrer Berichterstattung eingeschränkt sind. Jeder Artikel zur Präsidentschaftswahl steht im Verdacht, eingefärbt zu sein. Bloombergs Kandidatur ist somit Wasser auf die Mühlen all jener, die eine heimliche Agenda hinter den Medien vermuten.
Auch die «Washington Post» sieht sich seit der Übernahme durch Amazon-Gründer Jeff Bezos 2013 immer wieder Vorwürfen der Parteilichkeit ausgesetzt. Donald Trump denunziert das Blatt regelmässig als «Amazon Washington Post». Aber auch der demokratische Senator und Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders attackierte die Zeitung ungewöhnlich scharf: Die «Washington Post» würde negativ über ihn berichten, weil er die Steuervermeidungspraktiken von Amazon kritisiere. Das klang in den Ohren vieler nach Trump-Rhetorik. Belegen konnte Sanders seine Anschuldigungen nicht.
Der Zeitung muss man zugestehen, dass sie in ihren Artikeln regelmässig auf ihren prominenten Besitzer hinweist, wenn das Thema die Transparenz erfordert. So schreibt das Blatt in einem Artikel über die Sanders-Vorwürfe: «Die Washington Post gehört Jeff Bezos, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Amazon, aber die Newsroom-Mitarbeiter arbeiten bei ihrer Berichterstattung unabhängig.»
An der kritischen Berichterstattung über Amazon hat sich bei der «Washington Post» nichts geändert, seit sie Bezos gehört.
Berührungsängste gegenüber dem Unternehmen seines Eigentümers hat das Blatt indes nicht, im Gegenteil: So veröffentlichte die «Post» eine Story über die Monopolbildung bei Amazon («Is Amazon getting too big?», 2017). An der kritischen Berichterstattung über Amazon hat sich also nichts geändert, auch wenn dem Konzernchef nun die Zeitung gehört. «Post»-Chefredaktor Marty Baron betonte, dass Bezos nicht in das Redaktionsgeschäft eingreife und von ihm auch keine Kommentare zum kritischen Artikel kamen.
Gerade mal zehn Milliardäre besitzen nahezu die gesamte Presse Frankreichs.
Auch in der französischen Medienlandschaft existiert ein enges Beziehungsgeflecht zwischen Verlagen und Industriellen. Gerade mal zehn Milliardäre besitzen nahezu die gesamte Presse. Das Wirtschaftsblatt «Les Echos» und die auflagenstarke Zeitung «Le Parisien»/«Aujourd’hui en France» sind in der Hand von Bernard Arnault, Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH mit Marken wie Zenith (Uhren), Hennessy (Spirituosen) oder Louis Vuitton (Mode). Der Telekom-Milliardär Patrick Drahi, der im vergangenen Jahr das Auktionshaus Sotheby’s aufkaufte, hält Anteile an «Libération», dem Wochenmagazin «L’Express» sowie dem Nachrichtensender BFM TV. Und der französische Industrielle Arnaud Lagardère herrscht mit seinem Medien- und Rüstungskonzern «Lagardère» über ein ganzes Medienportfolio, bestehend aus Zeitschriften und Radiosendern (u.a. «Paris Match», «Journal du Dimanche», «Elle», RFM).
Die Seilschaften führen in der Praxis naturgemäss zu Interessenkollisionen. Frankreichs ehemaliger Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der seine «Amigos» Bernard Arnault und Martin Bouygues zu Trauzeugen machte, verkündete den verdutzten Journalisten von «Les Echos» einst höchstpersönlich im Elysée-Palast den Namen ihres neuen Chefs, so als wäre er selbst ihr Patron. Zustände wie in einer Bananenrepublik.
Auch die Journalisten des Nachrichtensenders BFM TV pflegen einen seltsamen Umgang mit ihrem Eigner Patrick Drahi. Als dessen Name in den «Panama Papers» auftauchte, bohrte der Fernsehmoderator Olivier Truchot nicht nach, sondern ging zur Gegenattacke und stellte das Vorgehen der Enthüller in Frage. Man beisst bekanntlich nicht die Hand, die einen füttert. Auf der Liste der Pressefreiheit 2019 von «Reporter ohne Grenzen» liegt Frankreich auf Rang 32, nur wenige Plätze vor Papua-Neuguinea und Burkina Faso.
Zu einem unabhängigen Journalismus gehört beides: Eigentümer, die die Pressefreiheit respektieren. Und Journalisten, die keine Beisshemmungen gegenüber den Mächtigen haben.
Die Redaktion von «Le Monde», die 25 Prozent der Anteile an dem Medienunternehmen hält, wehrte sich im letzten Jahr mit Händen und Füssen gegen die Einflussnahme des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky. Der Investor, der mit Kohleabbau und Energieversorgung sein Vermögen schuf, hatte einen Minderheitsanteil am Verlag erworben. Die Redaktion befürchtete, dass der Energiemagnat seine Anteile aufstocken und so eine heimliche Übernahme stattfinden könne – unter Wegfall publizistischer Garantien. In einem von 460 Journalisten unterzeichneten Appell forderte die «Le Monde»-Redaktion daraufhin die bisherigen Grossaktionäre Matthieu Pigasse und Xavier Niel auf, die redaktionelle Unabhängigkeit zu gewährleisten. Nicht zuletzt dank der Unterstützung der Leserschaft konnte sich die Redaktion ein Veto-Recht erstreiten für künftige Anteilsverkäufe.
Auch die Redaktion der «Berliner Zeitung» plant nun ein eigenes Redaktionsstatut, um sich gegen Interventionen der Eigentümer zu schützen. Zu einem unabhängigen Journalismus gehört beides: Eigentümer, die die Pressefreiheit respektieren. Und Journalisten, die keine Beisshemmungen gegenüber den Mächtigen haben. Auch nicht gegenüber ihrem Eigentümer.
Ueli Custer 09. Januar 2020, 16:16
Wenn ein Unternehmer in der heutigen Zeit ein Medium „postet“, dann will er ja etwas davon haben. In Frankreich hat das schon eine sehr alte Tradition (TF1 und Bouygues). Ich hatte als Redaktor des Media Trend Journals auch das (zum Glück theoretische) Problem, dass mit H.P. Lebrument ein Zeitungsverleger zum Besitzer wurde, der auch Gegenstand meiner Berichterstattung war. Aber ich habe von ihm nie, aber wirklich gar nie irgend etwas gehört. Auch dann nicht, wenn ich etwas kritisches über die Südostschweiz geschrieben hatte. Aber ein Besitzer kann es sich eben besser leisten, ehrenhaft zu handeln als ein angestellter Manager.
Pascal Heierli 09. Januar 2020, 21:38
Durchaus berechtigte Kritik. Nur, was ist, wenn Medien im eigenen Interesse über ihre Berichterstattung zu lobbyieren versuchen? Ich denke da z.B. an die mediale Debatte (eigentlich war es ja mehr eine Kampagne) der deutschen Medien, allen voran aus dem Hause Springer, zum Thema Leistungsschutzrecht. Da wurden handfeste ökonomische Interessen (gegenüber Google die hohle Hand machen) auch über eine differenzierte kritische Berichterstattung gestellt. Oder sind das zwei Paar Schuhe? Ich glaube nicht …