Native Advertising bei Tamedia: Politwerbung mit Täuschungspotenzial
Tamedia veröffentlicht auf seinen News-Sites regelmässig kommerzielle Anzeigen, die aussehen wie journalistische Beiträge. Die Redaktionen sehen darin eine Täuschung ihres Publikums und protestieren. Der Verlag lässt derweil auch Politwerbung im redaktionellen Kleid zu. Andere Medienhäuser lassen die Finger bewusst von dieser Werbeform.
Letzte Woche wandten sich die Redaktionen der Tamedia-Zeitungen in einem offenen Brief an den Verlegerverband. Der erste Satz trifft den Kern des Protests: «Die Verschleierung von kommerziellen Inhalten schadet der Glaubwürdigkeit der Medien.» In der Kritik stehen Werbeformate, die aussehen wie journalistische Beiträge des Mediums, das die Anzeige veröffentlicht; auch bekannt unter dem Überbegriff Native Advertising.
Zentraler Streitpunkt ist die Kennzeichnung. Mit mangelhaft deklarierten Journalismus-Imitaten werde die Leserschaft «bewusst getäuscht», prangern die Journalist/innen die Praxis ihres Verlags an. Derweil betont Tamedia mantrahaft, man lege Wert auf die Trennung zwischen redaktionellen und kommerziellen Inhalten.
Die kommerzielle Textanzeige unterscheidet sich äusserlich nur geringfügig von Artikeln, wie sie sonst die Redaktion verfasst.
Der Zufall wollte es, dass zeitgleich mit der Publikation des Protestbriefs die beiden Berner Tamedia-Titel «Bund» und «Berner Zeitung» eine Online-Anzeige brachten, die das Problem eindrücklich veranschaulicht. Ein politisches Komitee wirbt um Zustimmung zu einer Vorlage in der kantonalen Abstimmung vom 9. Februar. Die kommerzielle Textanzeige unterscheidet sich äusserlich nur geringfügig von Artikeln, wie sie sonst die Redaktion verfasst. Auch inhaltlich fällt der Text nicht gross von den redaktionellen Beiträgen ab. Die Anzeige könnte als journalistischer Meinungsbeitrag durchgehen.
Mit einer klaren Kennzeichnung, wie sie der Verlag verspricht, ist es nicht weit her: Wer über die Google-Suche auf die Abstimmungswerbung stösst und sie auf dem Smartphone liest, sieht zuerst einmal keinen Hinweis. Am grösseren Bildschirm erscheint immerhin ein diskretes «Paid Post» auf einem pastellrosa Balken über der Titelzeile. Wer den Text bezahlt und verfasst hat, erfährt aber nur, wer ihn zu Ende liest. Dort steht dann eine allgemeine Formel, wie sie unter jeder solchen Werbeanzeige steht. Dazu die Kampagne-Visuals des Komitees. Doch nirgends liest man, was eigentlich zuoberst stehen müsste: «Dieser Artikel ist eine bezahlte Anzeige des Komitees Ja zu XY.»
Gekaufte Politik-Artikel zielen direkt auf den Kern einer politischen Zeitung.
Wenn die besorgten Tamedia-Redaktionen in ihrem Protestbrief warnen, mit der Einführung solcher Werbeformate sei die sprichwörtliche «Büchse der Pandora» geöffnet worden, dann sind politische Anzeigen im Journalismus-Gewand der beste Beleg für diese gefährliche Entwicklung. Gekaufte Politik-Artikel zielen direkt auf den Kern einer politischen Zeitung; sie drohen das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der redaktionellen Berichterstattung zu beschädigen. Als ob den Journalistinnen und Redaktoren nicht schon genug Misstrauen entgegenschlagen würde, eröffnet der Verlag eine weitere Front. Wie soll eine Redaktion glaubwürdig professionelle Distanz zu den Akteuren wahren können, wenn gleichzeitig der eigene Verlag die Tür (und die Kasse) weit offen hält?
Tamedia sieht kein grundlegendes Problem darin, wenn Werbekunden im Allgemeinen und politische Akteure im Speziellen einen auf Journalismus machen dürfen. «Unsere Medien stehen grundsätzlich allen Inserenten offen, sofern die Werberichtlinien eingehalten werden», erklärt Tamedia-Sprecherin Nicole Bänninger auf Anfrage. Politische «Paid Posts» seien sehr selten. Ausserdem habe man dafür einen klaren Autorisierungsprozess definiert. «Jedes politische Inserat wird vor der Publikation dem Rechtsdienst und dem jeweiligen Chefredaktor zur Freigabe vorgelegt», erklärt Bänninger. Dass im aktuellen Fall «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz nicht vorab informiert wurde, wie dieser gegenüber der MEDIENWOCHE bestätigt, sei ein Fehler, den man bedauere. «Das Inserat wurde inzwischen nachträglich geprüft und entspricht inhaltlich unseren Richtlinien», teilt die Tamedia-Sprecherin mit.
«Politisches Native Advertising entspricht nicht der Policy der Blick-Gruppe.»
Sprecherin Ringier
Während die Tamedia-Titel «grundsätzlich allen Inserenten» offen stehen für Native Advertising, sind die beiden anderen grossen Zürcher Medienhäuser zurückhaltender. Sowohl die NZZ Gruppe als auch Ringier veröffentlichen keine Journalismus-ähnlichen Werbeformate mit politischem Gehalt. «Wir machen das nicht», nimmt man dazu dezidiert bei NZZ Corporate Publishing Stellung. Und Ringier argumentiert so: «Der ‹Blick› ist politisch unabhängig, politisches Native Advertising entspricht deshalb nicht der Policy der Blick-Gruppe», teilt eine Ringier-Sprecherin auf Anfrage mit.
Ein Verzicht auf politisches Native Advertising dürfte sich langfristig auszahlen. Denn selbst eine saubere Kennzeichnung und deutliche Erkennbarkeit als Werbung schützt nicht vor einem möglichen Vertrauensverlust. Medienforscher der Universität Bergen (Norwegen) stellten in einer Untersuchung 2017 fest, dass jene Probanden weniger Vertrauen in politische Nachrichten zeigten, denen sie sauber ausgewiesenes politisches Native Advertising unterbreitet hatten. «Das Ergebnis deutet darauf hin, dass solche politische Werbung das Vertrauen der Menschen in politische Nachrichten verringern kann», bilanzieren die Medienwissenschaftler Magnus Hoem Iversen und Erik Knudsen.
Ungeachtet dessen wird Tamedia weiterhin Werbung mit (Ent)täuschungspotenzial publizieren. Bei der Deklaration will man aber noch etwas nachbessern, erklärt die Sprecherin. «Im Rahmen der aktuellen Überarbeitung unserer News-Sites prüfen wir, wie wir die Darstellung von Inhaltswerbung optimieren können, um für den User noch mehr Transparenz zu schaffen». Der kurzfristige Nutzen liegt auf der Hand: Werbung bringt Geld. Doch langfristig riskiert der Verlag, seinen Medien zu schaden.
Pedro Gonzales 21. Januar 2020, 23:31
Das Problem sehe ich eher umgekehrt. Dergestalt nämlich, dass die journalistischen Artikel sich immer mehr in Qualität und Sprache dem Kommerz angleichen. Kein Wunder wollen immer weniger Leute für Zeitungen bezahlen.
schmidt123 22. Januar 2020, 11:11
Marketing-Gelaber, wie Sprecher es lernen: «Im Rahmen der aktuellen Überarbeitung unserer News-Sites prüfen wir, wie wir die Darstellung von Inhaltswerbung optimieren können, um für den User noch mehr Transparenz zu schaffen».
Wo ist das Problem? Schreibt einfach gut lesbar drüber, dass es bezahlte Werbung ist! Da muss man weder lange prüfen, noch viel labern. Einfach machen!
Aber diesen Typen geht es doch nur darum, weitere geschickte Möglichkeiten und Strategien zu finden, um Native Advertising vor dem Leser noch besser zu verschleiern und dabei nicht erwischt zu werden.
Ueli Custer 22. Januar 2020, 12:31
Tamedia wird wohl erst ruhen, wenn die Presse definitiv zu Boden gefahren ist. Wenn man die Leserschaft nicht täuschen will, gibt es nicht den geringsten Grund bezahlte Werbung gleich zu gestalten wie den redaktionellen Text. Die Täuschungsabsicht ist derart offensichtlich, dass ich mich frage, wie lange es geht, bis Firmen einzelne Journalisten sponsern dürfen. Das würde dann einfach im Impressum irgendwo gut versteckt deklariert. Ganz nach dem Motto „Wir sind ja transparent“. Das ist einfach alles nur himmeltraurig.
Heinrich Gretler. 22. Januar 2020, 17:20
Viel Kosten würde es nicht, einen klaren Hinweis obenhin zu setzen. Es gibt auch andere kommerzielle Seiten welche nahe bei der Titelseite platziert sind. Ich fiel auch anfänglich herein, doch machte mich der (fremde) Autor stutzig. Tamedia hat es in der Hand, die zahlenden Printkunden bei der Stange zu halten. Es werden ja immer weniger, nur scheint man nicht zu wissen weshalb die Lesekunden abspringen.
M. Leisi 23. Januar 2020, 16:08
Die Werbebranche als Ganzes hat es halt einfach verschlampt, in den letzten 20 Jahren für interaktive Medien passende Werbeformate zu entwickeln. Gegen den Grundsatz des Storytelling im Native Advertising ist eigentlich nichts einzuwenden, nur wird das im Moment im Stile von Flickwerk umgesetzt und auf den Schultern des Journalismus ausgetragen. Tipp: Einfach mal beim Designer anstatt beim Strategen nachfragen, wie man’s besser machen könnte.