von Adrian Lobe

Smarte Zensur oder wie Facebook Kritik an seinem Chef unterdrückt

Facebook-Chef Mark Zuckerberg stimmt gern das Hohelied der Meinungsfreiheit an. Wenn es aber um Kritik an der eigenen Person geht, wird dieses Versprechen seltsam hohl.

Trotz aller anders lautenden Gerüchte bleibt Facebook für hunderte Millionen Menschen das Tor zur Welt. Gemäss einer Erhebung von Pew Research bezieht mittlerweile mehr als jeder zweite erwachsene US-Bürger (52 Prozent) Nachrichten auf Facebook. Vor dem Hintergrund der jüngsten Datenskandale und Fake-News-Schwemme mag dieses Vertrauen überraschen. Doch in den USA, wo seit 2004 ein Fünftel aller Zeitungen schliessen musste und in vielen Landstrichen keine Lokalzeitung mehr informiert, stösst Facebook in ein Vakuum vor. Der Konzern hat einen 300 Millionen Dollar schweren Fonds aufgelegt, mit dem er journalistische Projekte finanziert. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat schon vor Jahren die Devise ausgegeben, mit Facebook «die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt zu schaffen». Dass sich ausgerechnet Facebook als Retter des Journalismus geriert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schliesslich hat der Konzern mit der Abschöpfung des Werbemarkts das Zeitungssterben selbst befeuert.

Facebook schreibt sich bei jeder Gelegenheit Offenheit und Transparenz auf die Fahnen.

Die Frage ist nur, ob Facebook die Lokalzeitungen gleichwertig ersetzen kann – und ob es dem Konzern gelingt, eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen. Facebook ist ja nicht bloss eine Plattform, die Öffentlichkeit herstellt, sondern gleichzeitig ein Unternehmen, das selbst Gegenstand öffentlicher Kritik ist. Facebook schreibt sich bei jeder Gelegenheit Offenheit und Transparenz auf die Fahnen. Doch die Ansprüche einer «globalen, informierten Community», die Zuckerberg mit viel Pathos verkündet hat, scheinen nicht zu gelten, wenn es um Kritik am eigenen Unternehmen geht.

Als Mark Zuckerberg kürzlich an der Georgetown University in Washington eine Rede über die Gefahren der Zensur hielt, die auf Facebook live gestreamt wurde, sahen die Nutzer eine Flut von positiven Kommentaren und Emojis. Natürlich gab es auch Nutzer, die mit negativen Kommentaren und Emojis auf die Rede reagierten. Bloss: Die wurden nicht angezeigt. «Sie sind ein Idol für die junge Generation», schrieb einer. Ein anderer bedankte sich für «die fantastische Social-Media-Plattform», als wäre Facebook ein Geschenk Gottes.

Während Zuckerberg über die Redefreiheit salbaderte, wurde die Meinungsfreiheit im eigenen System eingeschränkt.

Man weiss nicht, ob es sich bei den positiv gesinnten Nutzern um Bots oder Jünger einer Facebook-Sekte handelte. Jedenfalls trieften die Kommentare nur so vor Ehrerbietung. Kritik? Fehlanzeige. Stattdessen: Smileys und Daumen nach oben.

Während Zuckerberg über die Redefreiheit salbaderte und sich auf Martin Luther King berief, wurde die Meinungsfreiheit im eigenen System eingeschränkt. Erst nachdem die Rede beendet war, las man wieder kritischere Beiträge. Ein Facebook-Sprecher erklärte später, dass das soziale Netzwerk bei Livestreams aufgrund des schieren Volumens nicht alle Kommentare in Echtzeit anzeigen könne. Das würde bedeuten: Die negativen Kommentare sind in der Masse einfach untergegangen. Reiner Zufall also, dass alle Zuckerberg zujubelten.

Facebook sortiert öffentliche Kommentare nach einer Reihe von Kriterien, unter anderem nach «Integritätssignalen» und Interaktionsmustern. Von einer inhaltlichen Moderation steht in dem Kriterienkatalog nichts.

Doch womöglich hat diese seltsame Selektivität eine systemische Ursache: Der Algorithmus, so mutmasste die «Washington Post», könnte negative Kommentare einfach unterdrückt haben, um Zuckerberg nicht vor eigenem Publikum zu desavouieren. Wie genau diese «Abschaltvorrichtung» funktioniert, erläuterte die Zeitung nicht. Zumindest könnte der Algorithmus temporär so eingestellt worden sein, dass er wohlwollende Wortmeldungen priorisierte.

Störer werden einfach abgeschaltet. Eine smarte Zensur.

Was auch immer im Maschinenraum von Facebook los war: Die Vorgänge erinnern an autoritäre Systeme, wo bei einem öffentlichen Auftritt des Diktators kritische Transparente nicht in den Staatsmedien gezeigt werden oder Regimekritiker von der Polizei abgeführt werden. Auf Facebook muss man schon gar keine Gegner mit Gewalt entfernen oder anderweitig Zwang anwenden – es reicht, die Algorithmen so einzustellen, dass Kritik erst gar nicht eingeblendet wird. Störer werden einfach abgeschaltet. Eine smarte Zensur.

Dass Facebook in Sachen Meinungsfreiheit mit zweierlei Mass misst, ist kein neues Phänomen. Im vergangenen Jahr berichtete «Bloomberg», dass Facebook-Mitarbeiter seit 2016 mithilfe eines geheimen Softwareprogramms namens «Stormchaser» virale Posts aufspürten, die das Unternehmen in ein schlechtes Licht rückten – zum Beispiel das massenweise geteilte Gerücht, dass Facebook private Informationen offenlegt, wenn man einen Kettenbrief nicht teilt. Oder das Gerücht, dass der Konzern die Smartphone-Mikrofone seiner Nutzer abhört. Auch Witze über Mark Zuckerberg, die ihn als Alien karikierten, wurden von den Mitarbeitern unter die Lupe genommen. Die Kontrolleure hatten auch Aktivitäten der Bewegung #DeleteFacebook, die sich nach dem Datenskandal formierte und schlechte Publicity für den Konzern bedeutete, genauer untersucht. In einigen Fällen hätten die Mitarbeiter aktiv Posts gelöscht. Laut Bloomberg gibt es neben «Stormchaser» noch zahlreiche weitere Tools zum internen Reputationsmanagement.

Facebook kann mit seinen Algorithmen missliebige Stimmen herunterpegeln oder stummschalten.

Das Beispiel zeigt, wie Facebook seine Marktmacht als Quasi-Monopolist missbraucht. Bedenkt man, dass Mark Zuckerberg Ambitionen auf das Weisse Haus nachgesagt werden, scheint hier ein neuer Machtkomplex auf, der mit demokratischen Kontrollmechanismen kaum noch einzuhegen ist. Facebook ist Schiedsrichter in eigener Sache. Der Konzern kann mit seinen Algorithmen missliebige Stimmen herunterpegeln oder stummschalten – und sich so gegen externe Kritik immunisieren.

Schon beim Datenskandal um die Analysefirma Cambridge Analytica hatte man den Eindruck, dass im Newsfeed kaum kritische Artikel zu dem Thema angezeigt wurden. Vielleicht lag das an der eigenen Filterblase, vielleicht hatte dieses Ausblenden aber auch systemische Ursachen.

Zuckerbergs rigide Innenpolitik, die auf so seltsame Weise mit seiner pseudohumanistischen Aussenpolitik kontrastiert, verweist auf das Problem, dass sich die politischen Willensbildungsprozesse im Netz auf private Plattformen verlagert haben. Facebook ist im Grunde eine virtuelle Shopping-Mall, in der Haus- vor Grundrecht gilt und «Besucher», die den Hausherrn kritisieren, des Platzes verwiesen werden können. Nur: Ein System, in dem man auf dem Index landet, weil man Witze über den Chef macht, kennt man eigentlich nur aus autoritären Regimen.

Mark Zuckerberg muss sich daran messen lassen, wie offen er mit Kritik von Nutzern an seiner Person und seinem Unternehmen umgeht.

Eine kritische Öffentlichkeit, in der die Rahmenbedingungen und Spielregeln des öffentlich Gangbaren und Sagbaren verhandelt werden, braucht das Medium der Öffentlichkeit wie die Luft zum Atmen. Doch je mehr private Konzerne Öffentlichkeit herstellen, desto weniger öffentlich sind die Verfahren, in denen über die Spielregeln der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Hinter der zunehmenden Intimisierung der digitalen Öffentlichkeit, die Facebook mit Änderungen seines Newsfeed-Algorithmus («friends and family first») herbeigeführt hat, steckt gewiss Kalkül: Wo nur über Privates geredet wird, entsteht keine kritische Öffentlichkeit, die Facebooks Geschäftspraktiken ernsthaft in Frage stellt. Doch Konzernchef Mark Zuckerberg, der sich als Anwalt der Meinungsfreiheit im Netz geriert, muss sich daran messen lassen, wie offen er mit Kritik von Nutzern an seiner Person und seinem Unternehmen umgeht – und wie weit das Versprechen für die innere Meinungsfreiheit gilt.

Eine erste Fassung des Artikels wurde auf spektrum.de veröffentlicht.

Leserbeiträge

Basil Raschle 13. März 2021, 10:34

Der Witz des Tages: „(….) hat das Parlament in Moskau nun „Zensur“ auf Youtube, Twitter, Facebook und anderen Netzwerken verboten.“