«Für den Journalismus als Geschäft sieht es immer schlechter aus»
Die Corona-Krise beschleunigt den Medienwandel. Schon jetzt ist klar: Werbefinanzierter Journalismus hat keine Zukunft. Aber woher kommt das Geld dann? Wer nicht auf eine zahlende Nutzerbasis zählen kann, muss auf den Goodwill von Google, Almosen von Facebook, einen reichen Gönner oder staatliche Hilfe hoffen. Keine schönen Aussichten.
Die Corona-Pandemie verschärft die ohnehin schon prekäre Lage vieler Medienunternehmen zusätzlich: Die Werbeeinnahmen brechen grossflächig ein, mancherorts um bis zu 80 Prozent. Gedruckte Zeitungen erscheinen mit einem Minimalumfang, ganze Belegschaften (u.a. Tamedia, CH Media, NZZ, Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung) sind auf Kurzarbeit gesetzt.
Selbst Verlagen, die sich mit Veranstaltungen ein zusätzliches Standbein aufgebaut haben, machen die Kontaktbeschränkungen einen Strich durch die Rechnung. So musste auch der «Zeit»-Verlag Kurzarbeit anmelden. Vielerorts drohen Entlassungen. Für andere naht das Ende: Die französische Regionalzeitung «Paris-Normandie», die allein im März eine halbe Million Euro Verluste schrieb, hat vergangene Woche ein Insolvenzverfahren eröffnet.
In den USA, wo seit Jahren Zeitung um Zeitung wegstirbt, haben dutzende Verlage (u.a. Portland Mercury, San Diego Reader) die gedruckte Ausgabe ihrer Blätter vorübergehend eingestellt. Die britische JPI Media hat infolge von Anzeigenstornos den Druck von zwölf Lokalzeitungen vorübergehend ausgesetzt. Und der Murdoch-Verlag News Corp Australia druckt 60 Lokalzeitungen vorerst nicht mehr. Auch in Indien, einem wichtigen Zeitungsland, stehen die Druckerpressen weitgehend still.
Obwohl Nachrichtenseiten steigende Zugriffszahlen registrierten, profitieren die Verlage kaum.
«Wir wissen noch nicht, wie sich das Coronavirus auf das Geschäftsmodell des Journalismus auswirkt», sagt der New Yorker Journalist und Medienprofessor Jeff Jarvis auf Anfrage der «Medienwoche». «Aber es sieht immer schlechter aus.»
Besonders die werbefinanzierte Gratispresse trifft die Krise schwer. «20 Minuten» hat seine Regionalberichterstattung eingestellt und erscheint nur noch mit einer einheitlichen Ausgabe für die ganze Schweiz, die gerade noch 16 Zeiten zählt. «Metro» in den Niederlanden erscheint seit einigen Wochen gar nicht mehr gedruckt. Und auch online sieht es finanziell nicht besser aus.
Obwohl Nachrichtenseiten steigende Zugriffszahlen registrierten, profitieren die Verlage kaum. Für Produkte und Dienstleistungen, die es aktuell nicht zu kaufen gibt (und das sind derzeit viele), wird auch im Netz nicht geworben. Und Abonnemente für die digitalen Ausgaben verkaufen sich nicht annähernd in dem Mass, dass sie die Verluste im Werbegeschäft kompensieren könnten.
Was heisst das für die Zukunft? Wie wird die Medienlandschaft nach Corona aussehen? Wird sich der Blätterwald weiter lichten? Hat Print noch eine Zukunft? Wie bringt man die Leute dazu, für digitale Inhalte zu bezahlen? Und welche alternativen Erlösquellen gibt es?
Als Retter in der Not bietet sich Facebook an. Mitten in der Krise hat das Unternehmen angekündigt, weitere 100 Millionen Dollar «zur Unterstützung des Lokaljournalismus» zu investieren. 25 Millionen Dollar sollen direkt als «Notfall-Fördermittel» für Lokalnachrichten fliessen, weitere 75 Millionen Dollar als «Marketingausgaben» lockergemacht werden. «So wollen wir Nachrichtenorganisationen unterstützen, die über die Coronavirus-Krise berichten und gleichzeitig von sinkenden Werbeeinnahmen betroffen sind», heisst es bei Facebook.
Die Nothilfe aus dem Hause Zuckerberg erfolgt nicht uneigennützig: Facebook benötigt glaubwürdige Inhalte, um ein attraktives Umfeld für die Werbung zu schaffen.
Bereits im vergangenen Jahr kündigte der Social-Media-Konzern an, 300 Millionen Dollar in die angeschlagene Medienbranche zu pumpen. Aus dem Fonds des «Facebook Journalism Project», über den nun auch die Soforthilfen abgewickelt werden und der damit auf ein Volumen von 400 Millionen Dollar angewachsen ist, werden in den USA zahlreiche lokaljournalistische Projekte finanziert. So erhält beispielsweise die englischsprachige «The Korea Times» in Los Angeles 25‘000 Dollar für eine «familienfreundliche Event-Serie», um die koreanische Community zu vernetzen. Die «Arizona Republic» erhält dieselbe Fördersumme für die Entwicklung eines interaktiven Wahlhilfe-Tools.
Die Nothilfe aus dem Hause Zuckerberg erfolgt natürlich nicht uneigennützig: Facebook benötigt glaubwürdige Inhalte, um ein attraktives Umfeld für die Werbung zu schaffen, von der das Unternehmen lebt. Nach dem Datenskandal und den Negativschlagzeilen wegen der Verbreitung von Fake News beim letzten US-Präsidentschaftswahlkampf hat der Konzern seinen Newsfeed-Algorithmus modifiziert. Beiträge von Freunden und lokale Nachrichten erhalten Vorrang bei der Anzeige im persönlichen Feed. Die Förderung des Lokaljournalismus fügt sich also in die Gesamtstrategie ein. Im vergangenen Jahr hat Facebook das Newsfeed-Modul «Today In» lanciert, das Nachrichten von Lokalzeitungen oder Posts lokaler Seiten wie etwa Schulen aggregiert. Damit sollen «Nachrichtenwüsten» – Landstriche ohne eigene Zeitungen in den USA – mit Informationen versorgt werden.
So generös die Finanzspritzen von Facebook und Google auf den ersten Blick wirken mögen – eine «Erlösung» bedeuten sie nicht.
Auch Google hat mit dem «Journalism Emergency Relief Fund» einen Corona-Hilfsfonds eingerichtet, bei dem Medienunternehmen finanzielle Soforthilfe beantragen können. So wurden bereits eine Million Dollar an das International Center for Journalists sowie das Dart Center for Journalism and Trauma der Columbia Journalism School ausgeschüttet. Die 2018 lancierte Google News Initiative GNI investiert zudem weitere 300 Millionen Euro in Infrastrukturprojekte im Lokaljournalismus.
Doch so generös die Finanzspritzen von Facebook und Google auf den ersten Blick wirken mögen – eine «Erlösung» bedeuten sie nicht: «Das Geld reicht nicht aus, um einen wesentlichen Einfluss auf die Industrie zu haben, wenn man sich die Kostenstruktur des Nachrichtengeschäfts anschaut», schreibt Medienexperte Jeff Jarvis auf Anfrage. Die Abhängigkeit der Verlage von ihren grössten Konkurrenten auf dem Werbemarkt nimmt damit noch weiter zu.
Auch die Finanzierung mit Stiftungsgeldern kann zu Interessenkonflikten führen.
Ebenso heikel ist die finanzielle Unterstützung durch Mäzene und andere Milliardäre. So unterstützt etwa Microsoft-Gründer Bill Gates mit seiner «Bill & Melinda Gates Foundation BMGF» bereits seit mehreren Jahren zahlreiche Medienprojekte in den USA und in Europa. Die französische Zeitung «Le Monde» erhielt im vergangenen Jahr Zuwendungen in der Höhe von 1,9 Millionen Euro. Auch «Der Spiegel» wird von der Gates-Stiftung unterstützt – für das Reportageprojekt «Globale Gesellschaft» erhielt das Magazin nach eigenen Angaben über drei Jahre insgesamt rund 2,3 Millionen Euro.
Projektgebundene Stiftungsgelder scheinen zunächst unverfänglich, schliesslich werden heute nicht wenige Reportagen mit Recherchestipendien von Stiftungen finanziert. Trotzdem ergeben sich auch hier Interessenkonflikte. So geriet der «Spiegel» in die Kritik, weil er den Gates-Vertrauten Steven Pinker als Atommüll-Experten zitierte. Pikant: Gates hat eine halbe Milliarde in das Nuklear-Start-Up «Terrapower» investiert. Und prompt kam der Vorwurf, «Der Spiegel» sei käuflich. Auch wenn kein Gefälligkeitsjournalismus betrieben wird, setzen sich Redaktionen einer Anscheinsproblematik aus und geraten unter Rechtfertigungsdruck. Dem Vertrauen in die Medienmarke ist das nicht eben zuträglich.
Medien setzen vermehrt auf Anzeigenformate, die im Gewand des Journalismus daherkommen.
Aber auch die Werbung hat noch nicht ganz ausgedient. Verlage versuchen zu holen, was es noch zu holen gibt. Dabei setzen sie vermehrt auf Anzeigenformate, die im Gewand des Journalismus daherkommen. Beim «Spiegel» gibt es etwa ein eigenes Verkaufsteam, das Kunden redaktionelle Flächen «zur weitgehend freien Gestaltung des Geldgebers» offeriert. Die Tamedia-Zeitungen veröffentlichen regelmässigen Native Ads auf ihren Seiten. Auch die NZZ Mediengruppe investiert in diese Werbeform, von der ein früherer CEO einst sagte, die werde es in seinem Haus nicht geben. Mit dem «programmatischen Native Ad Manager» können Werbetreibende eigenständig ihre Kampagnen schalten und verwalten. Pionier dieser zweifelhaften Entwicklung bleibt das Online-Magazin Watson.
Zwar werden Native Ads in aller Regel mit einem Hinweis als kommerzielle Kommunikation ausgewiesen. Trotzdem ist die Trennung zwischen redaktionellem und werblichem Inhalt für die Leser nicht immer leicht zu erkennen, weil die Anzeigen grafisch wie ein redaktioneller Beitrag gestaltet sind.
Der Schweizer Presserat kritisiert diese Praxis regelmässig, weil sie die Glaubwürdigkeit des Journalismus untergrabe. So auch kürzlich wieder, als er eine Beschwerde gegen das «St. Galler Tagblatt» guthiess. Besonders nachhaltig ist es also nicht, noch mehr grenzwertige Werbeformate anzubieten, in der Hoffnung, doch noch etwas aus dem schrumpfenden Werbemarkt herauspressen zu können.
Bliebe schliesslich noch der Staat als Retter in der letzten Not. In der Schweiz ist allerdings ein Hilfspaket des Bundesrats gescheitert. Doch damit ist die Medienförderung nicht vom Tisch. Der Ball liegt nun beim Parlament, das sich – wenn es denn wieder zusammentritt – demnächst mit einer entsprechenden Vorlage befassen will. In Österreich hat die Regierung jüngst eine auflagenorientierte Sonderförderung für Medien beschlossen: Insgesamt werden 32 Millionen Euro ausgeschüttet, 12,1 Millionen davon fliessen an Tageszeitungen, 2,7 Millionen an Wochenzeitungen. Wobei der Boulevardtitel «Kronen Zeitung» mit 2,7 Millionen Euro hier übermässig profitiert. Politische Tageszeitungen wie die «Presse» und der «Standard» erhalten lediglich rund eine halbe Million Euro).
Abonnemente, Anzeigen oder Sponsoring geben zu wenig her zum langfristigen Überleben.
Auch in Deutschland wird über eine staatliche Medienförderung debattiert, die über die bereits beschlossenen Subventionen für die Zeitungszustellung hinausginge. Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner, der auch Präsident des Zeitungsverlegerverbands ist, lehnt Staatshilfen jedoch grundsätzlich ab: «Ich persönlich finde es inakzeptabel, wenn die strikte Trennung zwischen privater Presse und Staat in einer solchen Krise aufgelöst oder auch nur verwässert würde», sagte er. «Es wäre nur eine Pro-forma-Vielfalt, wenn wir immer mehr Verlage an den staatlichen Tropf hängen und der Staat irgendwann die Berichterstattung über sich selbst finanzieren würde.» So bleiben den deutschen Zeitungsverlagen vorerst nur private Finanzierungsmöglichkeiten, das heisst Abonnemente, Anzeigen oder Sponsoring. Doch alle drei geben zu wenig her zum langfristigen Überleben.
Journalismus-Professor Jeff Jarvis glaubt, dass die Corona-Krise wie ein Katalysator für den Medienwandel wirken könne. Er geht davon aus, dass immer mehr gedruckte Zeitungen ihren Erscheinungsrhythmus reduzieren werden. «In manchen Fällen bedeutet es das komplette Ende von Print», so seine Prognose. Nur wenige Medienunternehmen, etwa die «Financial Times», seien digital so nachhaltig aufgestellt, dass sie es sich leisten könnten, vom Papier loszukommen. «Ich kenne viele Zeitungen in Europa, deren Digitalerlös immer noch im einstelligen Prozentbereich liegt. Das ist extrem gefährlich», so Jarvis.
Die Krise unbeschadet überstehen werden hingegen Google und Facebook.
Die Corona-Krise könnte also zu einer Marktbereinigung führen: Zeitungen, die schon vor der Krise Probleme hatten, drohen vom Markt zu verschwinden. Besser durch die Krise kommen nun jene Verlage, die seit Anbeginn stark auf den Nutzermarkt setzen. Sei es die genossenschaftlich organisierte Tageszeitung «taz» in Berlin oder das Online-Magazin «Republik», das ohne Werbung auskommt. Bei der «taz» kursieren schon seit längerem Planspiele («Szenario 2022»), die Printausgabe einzustellen und nur noch digital zu erscheinen.
Die Marktkonsolidierung wird vor allem davon abhängen, wie schnell es den Verlagen gelingt, den Absatz von Digitalabos zu steigern. Die «Süddeutsche Zeitung» mit ihren 140‘000 Digitalabos (inklusive Probeabos) hat das angestrebte Ziel von 150‘000 bis Ende des vergangenen Jahres fast erreicht. Ob das allerdings ausreicht, die Verluste am Werbemarkt und im Print zu kompensieren, ist offen.
Die Krise unbeschadet überstehen werden hingegen Google und Facebook, die auch in Zukunft das Gros der Werbeeinnahmen absorbieren und den darbenden Medien mit ihren Almosen ein prekäres Weiterleben ermöglichen.
Bild: Eberhard Grossgasteiger auf Unsplash
Richard Scholl 23. April 2020, 07:02
Es gibt noch eine Grund, die herkömmlichen Zeitungen nicht mehr ernst zu nehmen: die Schludrigkeit der Medienschaffenden ( siehe oben “ 20 Minuten hat nur noch 16 Zeiten) und das Nichtbeherrschen der deutschen und englischen Sprache. Aber beide Sprachen mischen, das tun sie genüsslich und fühlen sich dabei modern. Beispielsweise houmofis statt Heimarbeit, lokdaun statt Stillstand.