Myanmar: Zensur und Propaganda in Zeiten der Pandemie
Seit in Myanmar die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi vor vier Jahren die Regierung übernahm, landen wieder regelmässig Journalisten im Gefängnis. Zugleich werden sie zunehmend von der eigenen Bevölkerung angefeindet und attackiert. Das Hintergrundmagazin «Frontier» hält dagegen und zeigt auch während der COVID-19-Krise, wie unverzichtbar freie Medien sind.
Die Pandemie hat das an China grenzende Myanmar offiziell erst Ende März erreicht – was Mediziner vor allem auf die bescheidene Anzahl Tests zurückführten.
Eine der ersten Reaktionen der Regierung unter Aung San Suu Kyi war die Blockade von 221 Webseiten, darunter Voice of Myanmar und Narinjara. Grund dafür: «Fake News» zur COVID-19-Pandemie. Was damit gemeint war, wurde nicht explizit genannt. 250 zivilgesellschaftliche Organisationen und internationale NGOs liessen dies nicht gelten: Die Regierung nutze die Krise gezielt, um die ohnehin stark eingeschränkte Meinungsäusserungsfreiheit weiter zu beschneiden. In einem offenen Brief forderten sie, dass die Internetblockade sofort wieder aufgehoben wird.
Unter der Blockade leiden auch News-Websites aus dem Teilstaat Rakhine, wo eine ethnische Miliz gegen das burmesische Militär für mehr Souveränität kämpft. In letzter Zeit hatten sich Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch das Militär gehäuft.
Nach positiven Entwicklungen ab 2012 rutscht Myanmar im Press Freedom Index von «Reporter ohne Grenzen» seit drei Jahren wieder kontinuierlich nach hinten. Heute liegt der südostasiatische Staat hinter Palästina und Südsudan auf Platz 139 von 180. Letztes Jahr publizierte «Human Rights Watch» einen alarmierenden Bericht über die zunehmend eingeschränkte Pressefreiheit in Myanmar.
Zuletzt wurden Anfang April die Chefredaktoren der lokalen Medien Voice of Myanmar, Narinjara und Khit Thit Media verhaftet, nachdem sie vom Militär beschuldigt wurden, Terroristen zu unterstützen. Grund dafür war ein Interview mit dem Sprecher der eingangs erwähnten ethnischen Miliz, der «Arakan Armee». Den drei Journalisten droht lebenslange Haft.
Nach 50 Jahren Militärdiktatur und nahezu kompletter Isolation sehnten sich die Menschen danach, wieder Teil der Welt zu werden.
Als ich im September 2016 eine Stage als Reporter für die zweisprachige Tageszeitung «Myanmar Times» begann, sah noch alles anders aus. Nach der historischen Wahl von 2015, aus der die «National League for Democracy» (NLD) unter Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi als grosse Siegerin hervorging, schien alles möglich.
Die Hoffnung auf Demokratie und Wandel lag in der Luft. Wer damals in ein Taxi stieg, wurde vom Fahrer oft mit einem herzhaften Lachen, einem «thumbs up» und den Worten «Aung San Suu Kyi good!» empfangen. Nach 50 Jahren Militärdiktatur und nahezu kompletter Isolation sehnten sich die Menschen danach, wieder Teil der Welt zu werden. Viele Medien, NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen waren aus dem Exil ins Land zurückgekehrt und beanspruchten die neuen Freiheiten für öffentliche Debatten und Kritik. Journalistinnen, Schriftsteller, Cartoonisten und Poetinnen hofften, Regierung und das bis heute allmächtige Militär endlich offen kritisieren zu können, ohne dafür gleich ins Gefängnis zu kommen.
Im vergangenen Februar, als Corona noch keine Schlagzeilen machte, war ich für eine Reportage erneut in Myanmar. Ich wollte wissen, wie sich das Land in den fünf Jahren seit dem historischen Regierungswechsel entwickelt hatte. Von meinen ehemaligen Redaktionskollegen und -kolleginnen arbeitete niemand mehr bei der «Myanmar Times». Die einst für ihre kritische Berichterstattung geschätzte Tageszeitung hat sich in den vergangenen drei Jahren stark der Regierung angenähert und ihr einstiges Renommee weitgehend verloren. Ich kontaktierte Thomas Kean, der neun Jahre für die «Myanmar Times» gearbeitet hatte, bevor er Chefredaktor des Hintergrundmagazins «Frontier» wurde. Woche für Woche produziert seine 25-köpfige, vorwiegend burmesische Crew ein attraktiv gestaltetes Heft voller tiefgründiger Reportagen und kluger Kommentare – eine Art burmesische Version des «Economist» oder «New Yorker».
MEDIENWOCHE:
Thomas, wie hat sich der Journalismus in Myanmar in den letzten Jahren entwickelt?
Thomas Kean:
Werfen wir zuerst einen Blick zurück: Während der Militärdiktatur mussten alle Berichte vor Druck autorisiert werden. Im August 2012 fiel die Vorpublikationszensur praktisch über Nacht. Gleichzeitig wurden private Tageszeitungen erlaubt. Wir erlebten eine Explosion der Meinungsäusserungsfreiheit, dutzende neue Publikationen entstanden. Es war schlicht unglaublich! Das ging so weiter, bis die NLD 2016 die Regierung übernahm. Seither ist es politisch und wirtschaftlich immer schwieriger geworden, eine Medienorganisation am Leben zu halten, die sich dem kritischen, aber fairen Journalismus verschrieben hat.
MEDIENWOCHE:
Weshalb? Schliesslich hatten die NLD und ihre Ikone Aung San Suu Kyi während ihres jahrelangen Kampfes für Demokratie stark von der Unterstützung lokaler und internationaler Medien profitiert.
Thomas Kean:
Die politische Dynamik hat sich komplett verändert. Als nach der Militärdiktatur die erste zivile Regierung unter Präsident Thein Sein 2011 an die Macht kam und eine vorsichtige Öffnung Myanmars einleitete, hatte sie noch keine Glaubwürdigkeit. Deshalb musste sie Allianzen bilden – auch mit Medien und Journalisten. Thein Sein machte folgende Kalkulation: Wenn wir die Medien auf unserer Seite haben, fällt auch die Berichterstattung über die eingeleiteten Veränderungen wohlwollender aus. Die Medienfreiheit hatte deshalb Priorität. Das hat gut funktioniert, denn die Journalisten konnten die Veränderungen durch die Aufhebung der Zensur in ihrer eigenen Branche miterleben. Sie begannen zu glauben, dass sich Myanmar tatsächlich gerade grundlegend verändert. Die NLD hingegen war in der Bevölkerung dermassen populär, dass sie keine Allianzen schmieden musste. Sie brauchte die Medien nicht, um die öffentliche Wahrnehmung gegenüber ihrer Politik zu beeinflussen. Mittlerweile nehmen die meisten Politiker die Medien nicht mehr als Partner auf dem Weg zur Demokratie, sondern vielmehr als Gefahr für diese wahr – dies obschon die NLD ursprünglich einer Pro-Demokratie-Bewegung entstammt.
MEDIENWOCHE:
Wie hat sich das auf die Arbeit der Journalisten ausgewirkt?
Thomas Kean:
Der Zugang zu Regierungsinformationen und hohen Beamten ist stark eingeschränkt worden. Die NLD kommuniziert heute meist direkt über Social Media oder eigene Medien mit ihrer Anhängerschaft. Und De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi ist für lokale Medien nicht greifbar. Die Regierung und das Militär nutzen zudem gezielt gesetzliche Rahmenbedingungen aus, die für Journalisten sehr nachteilig sind. Darunter die berüchtigten Verleumdungsklauseln, aber auch Gesetze zur «Wahrung der öffentliche Sicherheit».
Kurz nachdem ich 2016 bei der «Myanmar Times» begonnen hatte, wurde ich selbst Zeuge der Willkür der neuen, vermeintlich demokratischen Regierung, die nach wie vor zu einem Drittel durch das Militär kontrolliert wird. Unsere beste Reporterin, Fiona MacGregor, hatte drei Jahre unermüdlich über die Zustände im Teilstaat Rakhine berichtet; über systematische Diskriminierung, Vergewaltigungen, Exekutionen und die Vertreibung der muslimischen Rohingyas durch das burmesische Militär.
Über Facebook, das bis heute auf praktisch allen in Myanmar gekauften Smartphones fest installiert ist und sich in der Bevölkerung grosser Beliebtheit erfreut, machten Armeevertreter und fundamentalistische Buddhisten Stimmung gegen Muslime. MacGregors damaligen Darstellungen wurden später durch internationale Medien und die UNO bestätigt. Am 31. Oktober 2016 wurde MacGregor vom Verlagsmanagement fristlos gekündigt. Der Grund: «vorsätzliche Schädigung der nationalen Interessen und des Versöhnungsprozesses» sowie «vorsätzliche Schädigung der Zeitung».
Der Redaktionsleiter berief eine Krisensitzung ein, die Empörung war riesig. MacGregor verliess das Land umgehend, aus Angst, dass gegen sie ermittelt werden könnte. Ein Verwaltungsratsmitglied des Verlags war bekannt für seine guten Verbindungen zum Militär. Am nächsten Tag klärte die Redaktion die Leserschaft mit einem prominent platzierten Hinweis darüber auf, dass die Berichterstattung in dieser Zeitung künftig Lücken aufweisen werde. Nach kritischen Berichten zu Rakhine suchte man in der «Myanmar Times» fortan vergeblich.
Praktisch alle Mitarbeitenden der englischsprachigen Ausgabe reichten in den kommenden Wochen ihre Kündigung ein. «Wir alle, und ganz besonders unsere burmesischen Kolleginnen, müssen in Zukunft jederzeit mit einer Entlassung rechnen, wenn sie schreiben, was in Rakhine passiert», hatte MacGregor damals kurz vor ihrem Abgang gesagt. Sie sollte Recht behalten: Im Dezember 2017 wurden die beiden burmesischen Reuters-Journalisten Wa Lone and Kyaw Soe Oo verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten zuvor ein durch die Sicherheitskräfte verübtes Massaker an Rohingyas in Rakhine aufgedeckt. Nach internationaler Entrüstung und diplomatischer Intervention kamen sie nach 500 Tagen in Haft frühzeitig frei. Journalistinnen einheimischer Medien können meist nicht auf solche Aufmerksamkeit hoffen.
MEDIENWOCHE:
Thomas, wie hat sich die Rohingya-Krise, die sich 2016 zuspitzte und bald darauf international für Schlagzeilen sorgte, auf eure Arbeit ausgewirkt?
Thomas Kean:
Sie hat die Wahrnehmung der Bevölkerung gegenüber den Journalisten komplett verändert. Das Misstrauen ist mittlerweile riesig. Viele Bürger sind wütend darüber, wie internationale Medien seit 2017 über Myanmar berichten. Und sie folgen der Regierung, indem sie die Arbeit der Journalisten nicht mehr respektieren. Das beeinträchtigt nicht nur die Freiheit von Korrespondenten internationaler Medien, sondern genauso unsere.
MEDIENWOCHE:
Wie äussert sich das im Alltag?
Thomas Kean:
Einer unserer Reporter war Ende August 2017 in Maungdaw im Norden von Rakhine. Dort hatte kurz zuvor die ARSA (Anm. d. Red.: Arakan Rohingya Salvation Army) mehrere Grenzposten attackiert, worauf das Militär mit ihren Vergeltungsschlägen gegen die Rohingyas begann. Er war dort mit zwei weiteren Journalisten unterwegs – alle aus Myanmar, alle für lokale Medien tätig und alle aus Rakhine und selbst Buddhisten. Sie mussten aus der Stadt fliehen und sich in Sicherheit bringen. Die Bewohner hätten sie sonst wahrscheinlich umgebracht.
MEDIENWOCHE:
Woher kommt diese enorme Wut?
Thomas Kean:
Viele buddhistische Burmesen haben das starke Gefühl, dass die Rakhine-Krise in den Medien falsch dargestellt wird und die internationale Gemeinschaft zugunsten der muslimischen Rohingya voreingenommen ist. Regierungsmitglieder sagen mir, der Factfinding-Report der UN sei komplett unausgewogen und beziehe sich nur auf Lügen von Rohingyas. Andere erzählen, die «Organisation für Islamische Zusammenarbeit» würde Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Rakhine finanzieren. Solche Propaganda wird breit gestreut und hat einen riesigen Effekt darauf, wie die Bevölkerung über die Rohingya-Krise und die Medien denkt.
MEDIENWOCHE:
Wie geht «Frontier» heute mit dem Thema Rakhine um?
Thomas Kean:
Wir thematisieren die dortige Krise regelmässig. Unsere Berichterstattung liegt nahe an derjenigen internationaler Medien, jedoch mit einer lokalen Perspektive. Kein anderes lokales Medium hat Reporter in die Rohingya-Flüchtlingscamps nach Bangladesch geschickt, um über deren Erfahrungen und Lebensverhältnisse zu berichten. Das sagt viel über die Art aus, wie wir mit dem Thema umgehen.
Während meines Gesprächs mit Thomas Kean Anfang Februar war Covid-19 in Myanmar noch kein Thema. Doch zwei Monate später verschickt «Frontier» einen Notruf an Abonnenten und Mitglieder des Membership-Klubs, auf den das Magazin als Alternative zu Inseraten zunehmend setzt: «Covid-19 hatte schon jetzt massive Auswirkungen auf unsere Einnahmen und derzeit ist nicht absehbar, wann sich diese wieder erholen werden», schreibt Thomas. Der Verlag ruft zu Spenden und zusätzlichen Aboabschlüssen auf. Der Druck wird vorerst ausgesetzt, wegen Distributionsproblemen und um die Sicherheit für die Mitarbeitenden zu gewährleisten. Sämtliche redaktionellen Kapazitäten werden auf die Covid-19-Pandemie angesetzt und alle Artikel zum Thema stehen seither Online frei zur Verfügung. Thomas sagt, die Regierung kommuniziere aktuelle Fall- und Todeszahlen zwar relativ transparent, es sei jedoch schwierig die Informationen vor Ort zu verifizieren. Dies vor allem, weil die Ärzte und Pflegerinnen den Journalistinnen oft nicht vertrauten. Seine Reporter bleiben hartnäckig – trotz Vertrauensverlust, erneuter Zensur und globaler Wirtschaftskrise.
Dieser Artikel wurde finanziell durch den Medienfonds «Real21» unterstützt.