von Robert Ruoff

«Medienclub»: Zu grosse Themen für eine geschlossene Gesellschaft

An kontroversen Medienthemen, die eine kritische Diskussion verdient hätten, mangelt es nicht. Doch der «Medienclub» des Schweizer Fernsehens schafft es, den Kernfragen zu Corona und Black Lives Matter mehr oder weniger elegant auszuweichen. Eine Medienkritik.

Der «Medienclub» war prominent besetzt. «Tatsachen und Meinungen – Wie objektiv berichten die Medien?» hiess der Titel. Und die Themen waren gross. «Die Coronakrise» auf dem ganzen Globus und «die Unruhen in den USA» sollten zur Debatte stehen. – Unruhen in den USA? Waren und sind es nicht Proteste gegen Rassismus, weil der Afroamerikaner George Floyd «zu Tode kam», wie es kühl neutralisiert hiess in einer Hauptausgabe der SRF-Tagesschau? War da nicht, genau gesagt, die Polizeigewalt, nach der nun vier Polizisten wegen Mordes angeklagt sind? Das sind die Fakten aus dem laufenden Gerichtsverfahren.

Wir wissen nicht, ob es bereits der stete politische Druck ist oder einfach der rigorose Zwang zur Unschuldsvermutung, der zu solchen bereinigten Texten führt. Der «Medienclub» zur «Objektivität» wäre mit seiner starken Besetzung der Ort gewesen, dem politischen Druck entgegenzutreten, der schon im Kernbereich des Informationsjournalismus zu solchen bereinigten Texten führt, bei denen die mörderische Wirklichkeit kaum noch zum Vorschein kommt.

Nathalie Wappler persönlich nahm teil an der Diskussionsrunde vom 16. Juni 2020, die SRF-Direktorin, die auf dem Sender keinen Meinungsjournalismus pflegen will. Die Politikwissenschaftlerin Regula Stämpfli hingegen liegt als Publizistin gerne mal mit pointierten Meinungen quer; aber auch sie hat sich zur total gescheiterten «Arena, die vier Tage vorher gelaufen war, im «Medienclub» nicht geäussert. Und genau so hielten es die anderen Diskussionsgäste. Patrik Müller, der als Chefredaktor der Zentralredaktion von CH-Media und der «Schweiz am Wochenende» und als stellvertretender publizistischer Leiter von CH-Media die rechte Richtung bestimmt. Alex Baur desgleichen, der «Weltwoche»-Redaktor, der auch zu seiner Zeitung manchmal eine kritische Meinung äussert. Medienprofessor Mark Eisenegger schliesslich, Leiter des Forschungsinstituts «Öffentlichkeit und Gesellschaft» an der Universität Zürich, hat auch an diesem Abend seine Funktion als wissenschaftlich fundierter Warner wahrgenommen.

Man kennt einander und man tut einander nicht weh. Und gibt sich gegenseitig oder sich selber gute Noten.

Im «Medienclub» ist man weitgehend unter sich: Journalistinnen reden mit Journalisten über Journalismus. Man kennt einander und man tut einander nicht weh. Und gibt sich gegenseitig oder sich selber gute Noten, toleriert die gewisse «Staatsnähe» der SRG – die gesetzlich vorgeschriebene «Bekanntmachungspflicht» durch den nationalen Service public –, aber auch die mediale Verstärkung des behördlichen Aufrufs «Bleiben Sie zuhause!» durch Ringier, Tamedia, CH-Media und SRG, die vom «Blick» ausgegangen war, und an der nur die «NZZ» nicht teilgenommen hatte. Die alte Tante bekam in der «Club»-Runde dafür Verständnis. Der Notendurchschnitt bei der gegenseitigen Leistungsbeurteilung landete schliesslich bei 4.9 von 6 – mit der niedrigsten Bewertung von 4 (genügend) durch Regula Stämpfli für alle und der Bestnote 6 (sehr gut) durch Alex Baur für die «Weltwoche», also für sich selber.

Man nahm es mit Humor und ging auch grosszügig darüber hinweg, dass der enorme Publikumserfolg von Presse, Radio, Fernsehen und Online-Angeboten nicht primär der Informationsleistung der Medien zur Corona-Krise geschuldet war, sondern zuerst dem gewaltigen Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger.

Die Kritik am Totalausfall des Parlaments folgte zu spät. Hier hat der demokratische Reflex der Vierten Gewalt versagt.

Aus dem Kreis der Medienschaffenden und -verantwortlichen, die sich in den Fest- und Propaganda-Reden gerne als Pfeiler der Demokratie in Szene setzen, stellte niemand die Frage, warum die Medien nach der Selbst-Entmachtung des Parlaments nicht sofort sehr viel energischer ihre Rolle als «Vierte Gewalt» in Anspruch genommen haben. Die Kritik am Totalausfall des Parlaments folgte zu spät. Hier hat der demokratische Reflex der Vierten Gewalt versagt. Es wäre die redaktionelle Pflicht gewesen, den Mächtigen von Anfang an auf die Finger zu schauen. In diesem Fall dem Bundesrat und der Verwaltung.

Es war ein geschlossener «Medienclub», der sich über weite Strecken den wichtigen Grundfragen nicht stellte. Es brauchte die Intervention des Medienprofessors, um daran zu erinnern, dass der Journalismus in jeder Situation die Aufgabe hat, kritische Fragen zu stellen. Mark Eisenegger bestätigte den allgemeinen Eindruck, dass die Medien im Lockdown ihre Kritikfunktion zu wenig entwickelt hatten.

Der «Medienclub» ist eine verdienstvolle Einrichtung. Aber als Veranstaltung der SRG ist er auch Teil des Problems. Wie die aktuelle Entwicklung um die «Arena» zeigt, müssen auch SRG-Sendungen in die radikale, kritische Diskussion einbezogen werden. Nicht aus personellen, sondern aus institutionellen Gründen stellt sich deshalb die Frage, ob die Leitung des «Medienclubs» nicht wenigstens von Fall zu Fall eine aussenstehende Person übernehmen sollte. Das müsste jemand sein mit den erforderlichen intimen Kenntnissen in Medien und Politik und der notwendigen Freiheit und Zivilcourage, um auch die Fragen zu stellen, die der alltägliche Umgang im gleichen Haus vielleicht nicht ohne Weiteres zulässt.

Es war eine Steilvorlage, die ein Magazin wie die «Rundschau» hätte nutzen können, hätte nutzen müssen.

Mark Eisenegger hatte das «Maskentheater» und die ungenügende Vorratshaltung von Schutzmasken als einen möglichen Gegenstand kritischer Medienarbeit ins Spiel gebracht. Aber niemand mochte so recht darauf eingehen. Dabei hätte man verweisen können auf einen einschlägigen Beitrag der «Rundschau», der sich seinerseits auf eine vorangegangene Kolumne von Rudolf Strahm im Tages-Anzeiger zum Thema bezog. Strahm hatte darin die Verantwortlichen für die (mangelhafte) privat organisierte Masken-Vorsorge benannt und gleichzeitig die Systemfrage angerissen.

Es war eine Steilvorlage, die ein Magazin wie die «Rundschau» hätte nutzen können – ich würde sagen: nutzen müssen –, aber sie ist politisch brisant. Die Frage nach einer wirtschaftspolitischen Weichenstellung, hätte die Redaktion stellen müssen. Denn sie stellt sich immer dringender nach der ersten Coronakrise und mitten in der beschleunigten Klimakrise. Und es ist unter anderem die Frage nach der Rolle der Medien im Angesicht dieser Herausforderungen.

Es sind grosse Themen für einen «Medienclub», und sie verlangen freies Denken und radikale Diskussionen. Innere Freiheit mit der Bereitschaft zu einem radikalen Wandel. Das zeigt auch höchst aktuell die dramatische Suche der «Arena» nach ihrer Form und ihrem Auftrag. Die Sendung krankt ja seit ihren Anfängen an ihrem Denken in den Kategorien des Machtkampfs und der polemischen Kontroverse. Es ist eine Sendung aus der alten Fernsehwelt. Für die tiefgreifenden Krisen der Gegenwart ist sie nicht mehr tauglich: Corona, Digitalisierung, Klimawandel, Rassismus. Solche Umwälzungen in der gesamten Medienwelt und im Service public dürften – müssten! – den «Medienclub» beschäftigen, wenn das Angebot von Interesse sein soll.

Einordnung heisst: Fakten sammeln, Fakten miteinander in Beziehung bringen, Fakten in ihrer Bedeutung beurteilen und daraus ein Bild der Wirklichkeit erzeugen.

Der «Medienclub» hat in seiner Sendung vom Dienstag aber schliesslich doch zu seinem Thema gefunden: Einige tausend Kilometer entfernt in den USA, nach 50 Minuten Sendezeit, beim US-Korrespondenten Peter Düggeli. Moderator Franz Fischlin schaltet ihn gegen Ende der Sendung – nach 50 Minuten – in die Gesprächsrunde.

Düggelis Engagement gilt der Wirklichkeit, sein Job ist «Einordnung» – und das ist mehr als Meinung. Einordnung heisst: Fakten sammeln, Fakten miteinander in Beziehung bringen, Fakten in ihrer Bedeutung beurteilen und daraus ein Bild der Wirklichkeit erzeugen, das diese Wirklichkeit verständlich macht.

Aus dieser methodisch schon fast wissenschaftlichen Arbeit wächst zum Beispiel die Erkenntnis, dass es «Rassismus» tatsächlich gibt – nicht nur als Gefühl von Betroffenen, sondern tatsächlich als eine abwertende, diskriminierende, entmenschlichende Art des Umgangs mit anderen Menschen: Menschen anderer Hautfarbe, anderer Kultur, anderer Religion.

Das wäre der angekündigte Gegenstand des «Medienclub» gewesen, an dem die Sendung über die längste Strecke vorbeigeplaudert hat.

Das ist keine subjektive, beliebige Meinung. Es ist eine journalistische Tatsachenfeststellung, gewonnen aus Beobachtung, Verknüpfung und Gewichtung von Fakten. Erst danach kommt die Vielfalt der Blickwinkel auf die gleiche Wirklichkeit und die Vielfalt der Meinungen.

Und noch davor macht Peter Düggeli den Schritt zur «Haltung», das heisst: zu den Grundwerten, die wir teilen und nach denen wir unser Zusammenleben ausrichten: «Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit» – die französische Revolution sprach von ‹fraternité›, Brüderlichkeit, die Linke von Solidarität. Die schwarzen Amerikaner oder die Schwarzen im englischsprachigen Afrika sprechen einander häufig an als «brother» oder «sister», Bruder oder Schwester – ich mag diese Begriffe, weil sie bei aller Gleichheit und Unterschiedlichkeit die unauflösliche Zusammengehörigkeit und Gleichwertigkeit zum Ausdruck bringen.

Das wäre der angekündigte Gegenstand des «Medienclub» gewesen, an dem die Sendung über die längste Strecke vorbeigeplaudert hat. Ein wichtiger Gegenstand, denn an diesem journalistischen Ansatz hat sich die «Arena» vergangen. Sie hat Tatsachen und Meinungen gleichgesetzt. Sie hat nicht anerkannt, dass es nicht nur in den USA sondern auch in der Schweiz (und wohl in allen Ländern) Rassismus gibt, und dass Personen, die diesen Tatbestand nicht anerkennen, nicht in eine Sendung gehören, in der über Rassismus – möglichst klärend und für die Zukunft versöhnlich – gesprochen werden soll.

Das wird uns weiter beschäftigen.

Bild: Mark Vancleave/imago images

Leserbeiträge

Ueli Custer 19. Juni 2020, 16:07

Am meisten hat mich Mark Eisenegger schockiert. Er lobte doch tatsächlich den Tagesanzeiger für seinen Datenjournalismus im Zusammenhang mit Covid19. Als Leiter des Forschungsinstitutes Öffentlichkeit und Gesellschaft hat er entweder keine Ahnung von Statistik oder er hat diese Grafikorgien nie hinterfragt. Denn effektiv waren 80 – 90 Prozent dieser Grafiken reiner Schrott. Er sah zwar gut aus, aber in den Grafiken wurden Zahlen, die auf völlig unterschiedlicher Erhebungsbasis entstanden sind, munter miteinander verglichen. Das war Dilettantismus in Reinkultur. Aber nur ein paar wenige Fachleute haben sich darüber aufgeregt und alle andern Printmedien machten im Prinzip dasselbe. Bis heute werden die Zahlen der positiv Getesteten von Tag zu Tag verglichen. Dabei fehlen aber jegliche Informationen zur Totalzahl der Teste am betreffenden Tag. Dabei ist ja klar, das 10 positiv Getestete bei insgesamt 100 vorgenommenen Tests eine völlig andere Aussage sind als 10 von 10’000 Getesteten. Ohne diese Information führen solche Entwicklung noch mehr in die Irre als sie es auch mit dieser Information täten. Denn es ist natürlich ein Unterschied, ob nur Leute mit Symptomen getestet wurden oder z.B. auch Tests einer ganze Belegschaft eines Betriebes einfliessen. Kurz: Zahlen kann man nur vergleichen wenn sie auf die gleiche Art und Weise zustande gekommen sind. Alles andere ist unseriös.

Lukas Vogelsang 19. Juni 2020, 16:23

… aber warum sollte man auf eine Sendung wie Arena Stellung nehmen, wenn das Thema ein anderes war? Ein ziemlich verfehlte Kritik an der – äusserst langweiligen – Sendung.

Regula Stämpfli hatte Standpunkte und Thesen. Eisenegger hätte Thesen gehabt, aber die nur so nett von sich gegeben. Der Rest war in der Sendung, ohne was bieten zu können – selbst der Bauer war ein Frosch und quakte nur unüberlegt. („Was sind schon Fakten“ … Herrgott, Bauer!)

Man kritisierte den „Expertenwahnsinn“ und just daran scheiterte diese Sendung: Man läd Menschen ein, die keine Thesen haben. Wappler hatte in dieser Sendung nix zu suchen und nur Eigenlob von sich gegeben. Müller – hat der was gesagt? Mir ist nichts hängengeblieben. Der Düggeli war zwar noch so informativ, aber auch er hatte zum schwammigen Thema wenig beitragen können.

So geht das nicht: Man läd keine Experten ein, nur um zu zeigen, dass man Experten einladen kann. Es braucht eine klare Ansage im Thema, es braucht klare Voten von den TeilnehmerInnen. Wer keine These hat, hat in so einer Sendung nichts verloren. Das war keine Diskussion, sondern ein Streicheln.

Und ganz sträflich: Die Berichterstattung der Medien war eigentlich in den letzten Monaten hauptsächlich lächerlich. Warum? Weil die Journis im HomeOffice ohne Diskussion über Themen einfach irgendwas-vor-sich-hin-quasselten. Da war keine Differenzierung, sondern jede Blähung fand den weg an die Öffentlichkeit.

Und schlussendlich stank alles nur noch fürchterlich.