Emanzipieren sich die Medien von der Werbung?
Mehr Aufmerksamkeit und trotzdem weniger Werbeeinnahmen: Vor diesem Paradox stehen Schweizer Medien aktuell. Der Medienwissenschaftler Manuel Puppis gibt im Gespräch eine Einschätzung dazu, welche Medientitel die Corona-Krise gut überstehen werden, wie Verlage ihre Finanzierung sichern könnten und was es für die Werbewirtschaft bedeutet, wenn sich Medien von der Werbung unabhängiger machen wollen.
Corona schuf eine paradoxe Situation für die Medien: Sie verzeichneten Rekordzugriffe, was ihnen aber wirtschaftlich nichts brachte, weil gleichzeitig die Werbung wegblieb. Die Politik will nun Zeitungen stärker finanziell unterstützen und neu sollen auch Online-Medien subventioniert werden. Wie hat Corona die Medienlandschaft verändert? Und was bedeutet das für die Werbung? Der Medienexperte Manuel Puppis gibt Antworten auf drängende Fragen.
MEDIENWOCHE:
Welche Veränderungen der Schweizer Medienlandschaft erwarten Sie durch die Corona-Krise?
Manuel Puppis:
Die Corona-Krise bewirkt zusätzlich eine wirtschaftliche Krise. Das ist für die Medien natürlich ein Einschnitt – vor allem, weil auch die Geschäfte geschlossen und Reisen eingeschränkt waren und dadurch noch weniger Werbung geschaltet wird. Der Strukturwandel im Mediensektor war aber schon vor dem konjunkturellen Einbruch deutlich. Bereits vor Corona hat sich die Werbung aus Print und TV weg verlagert hin zu Online-Plattformen wie Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Kleinanzeigenportalen. An dem Trend, dass sich der Journalismus immer weniger auf dem Werbemarkt finanzieren wird, wird sich nichts ändern.
MEDIENWOCHE:
Beschleunigt sich dieser Trend nun?
Puppis:
Ja, dieses Jahr steht es schlecht um die Werbeeinnahmen für die Medien. Natürlich ist es kein Dauerzustand, dass keine Werbung geschaltet wird. Man kann daher davon ausgehen, dass sich die Zahlen nach der Krise wieder etwas erholen, aber der langfristige Trend setzt sich fort.
MEDIENWOCHE:
Erwarten Sie also, dass sich die Medien von der Werbung emanzipieren?
Puppis:
Es gibt sicher Ausnahmen von Medien, die sich auch künftig mit Werbung werden finanzieren können. Dazu zähle ich Portale wie Blick und Watson, die mit boulevardesken Inhalten darauf setzen, möglichst viel Reichweite zu erzielen. Daneben können auch lokale Anzeiger und Gratisportale Werbeeinnahmen generieren, beispielsweise über Werbung von KMU. Bei klassischen Regional- und Lokalzeitungen oder auch denjenigen Medien, die ihren Leserkreis durch eine Paywall einschränken, wird eine ausreichende Finanzierung über Werbung auf Dauer schwierig zu realisieren sein.
MEDIENWOCHE:
Wie werden sich die Medien künftig finanzieren?
Puppis:
Neben dem Mix aus Werbung und Einnahmen durch Abos und Kioskverkäufe wird künftig wohl eine dritte Säule, die staatliche Medienförderung, eine Rolle spielen.
MEDIENWOCHE:
Der Bund plant aktuell ein neues Massnahmenpaket zur Medienförderung. Sollte dieses durchs Parlament kommen, könnten neu auch Online-Medien staatlich gefördert werden – allerdings nur solche, die sich nicht ausschliesslich über Werbung finanzieren. Ausserdem soll die Postzustellung der Regional- und Lokalpresse stärker unterstützt werden. Denken Sie, dass diese Medienförderung das Sterben gewisser Medientitel abwenden kann?
Puppis:
Bedeutend an dem Massnahmenpaket ist, dass die Kleinen mehr profitieren als die Grossen: Je höher die Auflage oder der Umsatz eines Titels ist, desto tiefer die Förderung pro Exemplar oder Umsatzfranken. Das ist im Hinblick auf die Medienvielfalt ein wichtiger Schritt. Die Vorlage kann auch Neues im Online-Bereich ermöglichen. Bestehende Verlage, die stärker in ihren Online-Auftritt investieren, sowie Online-Start-ups hätten neben Lesern und Werbung eine dritte Einnahmequelle. Problematisch finde ich allerdings, dass man Online-Medien analog zur klassischen Printförderung vorschreiben will, thematisch breit über Politik, Wirtschaft und Soziales zu berichten. Da braucht es Anpassungen, weil sonst innovative neue Online-Anbieter nicht unterstützt werden können. Kritisch sehe ich auch die Vertriebsverbilligung für Printzeitungen. Diese kann den Verlagen mehr Zeit geben, sich neu aufzustellen. Aber die Digitalisierungsstrategie von Verlagen unterstützt sie nicht. Langfristig gesehen ist die Online-Medien-Förderung daher vielversprechender.
«Die Strategien, die viele Verlage verfolgt haben, zielten mit der Forderung nach stärkerer Posttaxenverbilligung konservativ auf Strukturerhaltung ab.»
MEDIENWOCHE:
Sie sagten selbst, dass sich die Werbeeinbrüche in den Medien seit Langem abzeichnen. Finden Sie, dass Verlage bereits deutlich vor der Corona-Krise hätten reagieren müssen?
Puppis:
Es ist ja nicht so, dass die Verlage nichts gemacht haben, etwa in Bezug auf die Errichtung von Paywalls. Aber die medienpolitischen Strategien, die viele Verlage verfolgt haben, zielten mit der Forderung nach stärkerer Posttaxenverbilligung konservativ auf Strukturerhaltung ab. Das ist kurzfristig verständlich, weil traditionelle Printzeitungen mit dem Print- und nicht dem Online-Produkt Geld verdienen: Die Verlage können mehr Print- als Digitalabos verkaufen und die Werbeeinnahmen sind in Print auch höher. Verlage wollen daher an dem Standbein festhalten, solange das geht. Aber es ist ein Fakt, dass die Auflagen weiter sinken. Von daher würde ich erwarten, dass auch andere Ideen entwickelt werden.
MEDIENWOCHE:
Welchen Stellenwert wird personalisierte Werbung für Verlage haben? Darin liegt ja in Bezug auf digitale Werbeeinnahmen nach wie vor Hoffnung, Stichwort Login-Allianz. (Anm. d. Red.: Die Login-Allianz will das Einloggen auf allen grossen Schweizer Newsportalen obligatorisch machen.)
Puppis:
Ja, dieser Weg ist eine Idee, um mehr Werbeeinnahmen zu generieren. Man muss natürlich bedenken, dass Player wie Google oder Facebook über viel mehr Daten und dementsprechend auch über ganz andere Möglichkeiten für die Personalisierung von Werbung verfügen als ein Schweizer Verlagshaus. Das heisst aber nicht, dass Verlage gar keine personalisierten Inhalte und Werbungen schalten und damit auch Geld verdienen können. Ein anderer Weg ist, dass die Medien ihre Abogebühren weiter erhöhen oder auf Spendenmodelle setzen und eine Community bilden. Das sind sicher alles wichtige Schritte, aber über Medienförderung müssen wir trotzdem nachdenken.
MEDIENWOCHE:
Viele Verlage haben ja angekündigt, aus Spargründen Stellen abzubauen. Wie lang akzeptieren es die Leserinnen und Leser, wenn Verlage die Abopreise erhöhen bei allenfalls sinkender Leistung?
Puppis:
Da gibt es natürlich klare Grenzen. Bei gewissen Printzeitungen wurden die Abopreise in den letzten Jahren bereits stark erhöht. Es ist absolut nachvollziehbar, dass Verlage versuchen, ihre Kosten zu reduzieren. Sie nutzen Synergien und richten Zentralredaktionen ein. Das heisst aber auch, dass die Medienvielfalt abnimmt und dass überregionale Inhalte nicht mehr vor Ort hergestellt werden. Klar, Zentralredaktionen haben aktuell mehr Ressourcen zur Verfügung als einzelne Redaktionen vorher. Spart man aber nun noch in den Zentralredaktionen ein, weil das die einzigen Orte sind, wo man noch kann, nimmt die journalistische Leistung ab. Wenn man immer weiter spart, hat das natürlich Auswirkungen auf das Produkt. Das wird den Leserinnen und Lesern nicht entgehen.
MEDIENWOCHE:
Kann der Journalismus Ihrer Meinung nach unter diesem Spardruck noch seiner Funktion als vierte Gewalt gerecht werden?
Puppis:
Das ist sicher ein Problem. Wir sind in einer Demokratie auf informierte Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Da spielen Medien eine zentrale Rolle. Auch was auf Social Media geteilt wird, stammt zu einem Grossteil von herkömmlichen Medienorganisationen. Insofern ist der Journalismus ganz zentral, und das ist ja der Hauptgrund, warum man über Medienförderung nachdenkt. Man kann nicht einfach, nur weil es sich aus Marktsicht nicht mehr rechnet, auf die Medien verzichten.
MEDIENWOCHE:
Erwarten Sie eventuell auch «bereinigende» Entwicklungen in der Medienwelt?
Puppis:
Viel Bereinigungspotenzial gibt es ja nicht mehr im Schweizer Medienmarkt. Nur noch wenige Zeitungshäuser sind unabhängig – darunter Somedia, Freiburger Nachrichten, Schaffhauser Nachrichten, Walliser Bote und Bieler Tagblatt. Einige davon sind durch redaktionelle Kooperationen mit Tamedia oder CH Media verbandelt. Es ist denkbar, dass einige dieser Verlage Übernahmekandidaten sind, aber darüber hinaus haben wir in der Deutschschweiz, wenn man von den privaten Medien redet, vor allem noch die Grossen: TX Group, CH Media, Ringier – und daneben die SRG.
MEDIENWOCHE:
Der Hintergedanke der Frage war, dass Systeme, die nicht mehr funktionieren, oder Medientitel, die nicht mehr nachgefragt werden, eingehen und dafür neue entstehen könnten – mit Modellen, die gefragter und zukunftsfähiger sind.
Puppis:
Man kann schon sagen, dass nicht alle Medienhäuser ein Hort journalistischer Innovation sind. Aber das heisst nicht, dass nicht auch vieles gut gemacht und ausprobiert wird. Schliesslich macht man das teilweise mit sehr beschränkten Mitteln. Grundsätzlich ist das Problem nicht, dass der Journalismus keine Beachtung findet, sondern dass es sehr schwierig ist, die Zahlungsbereitschaft von den Nutzerinnen und Nutzern abzuschöpfen und dass Verlage mit Werbung immer weniger Geld verdienen.
MEDIENWOCHE:
Medien-Start-ups verfolgen neue Modelle …
Puppis:
Ja, die neuen Medien, die entstehen, machen zum Teil guten und interessanten Journalismus. Ich denke da an die «Republik», die zwar auch Mühe hat, auf ihre 25000 Leserinnen und Leser zu kommen, das aber kürzlich wieder geschafft hat. Und dann denke ich an regionale Medien wie «Bajour» oder «Tsüri», die in einem kleineren geografischen Raum tragfähig sein müssen. Sie beziehen Bürgerinnen und Bürger ein in die Community, leben über Spenden, holen sehr viel Input aus der Bevölkerung. Das sind innovative, partizipative Modelle. Diese neuen Medien bringen gute Ideen ein, aber auch ihre Geschäftsmodelle sichern im Grossen und Ganzen noch nicht ihr langfristiges Überleben.
MEDIENWOCHE:
Was denken Sie, welche Medien die Verlierer der Corona-Krise sind – und gibt es auch Gewinner?
Puppis:
Ringier und TX Group sind als Unternehmen diversifiziert und damit gut aufgestellt. Aber das sagt eher etwas darüber aus, ob es den Unternehmen gut geht, und weniger, ob man mit der Publizistik Geld verdient. Die unabhängigen Verlagshäuser und regionale Radio- und Fernsehsender sind wohl am stärksten von der Krise betroffen.
MEDIENWOCHE:
Könnte der aktuell starke Rückgang der Werbeeinnahmen das Aus bedeuten für Gratismedien, die sich ausschliesslich über Werbung finanzieren?
Puppis:
Beispielsweise «20 Minuten» hat sicher die Auflage stark reduziert, weil die Werbung zurückgegangen ist und die Pendler zu Hause geblieben sind. Das ist aber eine vorübergehende Situation. Auch für kleine Lokalanzeiger ist die Situation schwierig. Allerdings könnten sie sich als krisenresistent erweisen, weil sie gratis verteilt werden und auf Werbung vom lokalen und regionalen Gewerbe setzen können. Wie die Situation nach der Krise genau aussehen wird, kann ich nicht einschätzen.
«Die Werbewirtschaft wird es nicht tangieren, wenn die Medien beschliessen, mehr Geld über den Lesermarkt zu verdienen.»
MEDIENWOCHE:
Wenn Medien jetzt vermehrt auf die Zahlungsbereitschaft ihrer Leserschaft setzen und versuchen, sich über andere Kanäle als die Werbung zu finanzieren – was bedeutet das für die andere Seite, für die Werbung? Braucht die Werbung die Medien nicht?
Puppis:
Das ist ein Grund, warum die Werbewirtschaft wenig Freude an der Idee hat, wenn der Service public in der Schweiz auf Werbung verzichten soll. Will man grosse Teile der Bevölkerung erreichen, ist das Werben in den Medien immer noch eine gute Möglichkeit, sei das offline oder online. Aber das Werbegeld lieber in neue Online-Kanäle zu stecken, ist ja die Entscheidung der Auftraggeber, nicht der Medien. Die Werbewirtschaft wird es nicht tangieren, wenn die Medien beschliessen, mehr Geld über den Lesermarkt zu verdienen. Und auch wenn die Medien die Abopreise erhöhen oder versuchen, eine Community aufzubauen, haben sie keinen Grund, Werbegelder abzulehnen. Abgesehen von der «Republik», die das von Anfang an bewusst gemacht hat, weil sie das Potenzial von Online-Werbung als sehr eingeschränkt eingeschätzt hat.
Diese Interview ist zuerst in der Werbewoche Ausgabe 6/7 erschienen.
Bild: Stéphane Schmutz/STEMUTZ
Hans Utz 30. Juni 2020, 17:56
Ach ja, das grosse Stöhnen.
Seit Jahrzehnten mokieren sich viele «schreibende Primadonnen» über die Werbung, wenden sich indigniert ab, wenn man irgend einen Input gibt und verweist auf die Unabhängigkeit etc. Wenn irgendwo ein Produkt übertrieben oder mit falschen Aussagen angepriesen wird, so ist es nicht der Hersteller oder Händler sondern die verpönten Werber.
Jahrelang wurden wir von der schreibenden Zunft schlecht gemacht. In gut 3 Jahrzehnten der Marketingkommunikation habe ich viele Journalisten und Jouranlistinnen (schreibende und visuelle) kennen gelernt. Mit sehr wenigen konnte man auf Augenhöhe ein gutes, offenes oder ehrliches Gespräch führen. Komisch wird es, wenn JouralistInnen die Pressestelle in einem Unternehmen besetzen und wie auch schon geschehen der Marketingkommunikation vorgesetzt werden …
Wenn nun immer mehr Werbeseiten oder Spots fehlen klopft man beim Bund an. Einerseits verständlich, schliesslich tun das zur Zeit viele Branchen. Andererseits wundere ich mich, dass ansonsten gescheite Menschen offenen Auges in den Abgrund rennen. Reflektion und etwas selbstkritischer sein könnte möglicherweise aus der Misere helfen.
Man könnte sich als Schreibender/Schreibende vermehrt auf Qualität besinnen und anstatt mit schreienden Headlines unmögliches aufzubauschen, bloss um damit in der Redaktion zu brillieren, wieder etwas sachlicher zu werden. Recherchieren, fundiert schreiben und sich überlegen was Sinn macht, braucht Zeit. Selbst in traditionell nüchternen Lokalzeitungen wird heute oft reisserisch aufgebauscht und Folgeseiten mit leicht regidierten Agenturberichte gefüllt. Stellt sich das Reisserische als Ente heraus, wird vielleicht auf Seite 5 ganz klein ein Dementi publiziert und zerstörte Existenzen in Kauf genommen. Wenn ein Künstler oder Politiker irgend etwas von sich gibt, füllt man für so manchen Nonsens eine viertel oder halbe Seite. Dann macht ein Unternehmen eine tolle Arbeit oder zieht einen super Auftrag an Land, die ganze Region ist stolz darauf und man muss froh sein, wenn ein paar redaktionelle Zeilen darüber geschrieben wird. Inserate nimmt jedoch man selbstverständlich. Wer will den so ein Produkt heute noch abbonieren?
Warum wird ein Produkt nicht mehr genutzt? Weil kein Bedürfnis besteht? Oder weil das Produkt schlechter wird? Will man sich heute in der Schweiz einigermassen neutral informieren, hat man es mit dem Konsumieren von Presse, Radio oder Fernsehen sehr schwer. Themen werden orchestriert wiedergegeben und wehe, jemand hat eine vom Mainstreamjournalismus abweichende Meinung.
Damit wären wir wieder bei den offenen Augen vor dem Abgrund. Und bei dem von Journalisten ach so verpönten Markt, oder gewählten Politikern mit der für die «Journaille» falschen Gesinnung (gibt es sowas in einer Demokratie?)
Reflektion?
Selbstkritik?
Nein danke, denn wir sind schliesslich die Öffentlichkeit. Wir sagen oder schreiben was Sache ist. Und wehe, man ist anderer Meinung.
Emanzipieren geht anders…
Sodeli, das war jetzt auch boulevardeskes geschreibsel von einem aus der verpönten Ecke der Marketingkommunikation.
Mit besten Grüssen und «bliibed gsund»