von Nick Lüthi

Stumme Werbung am Autoradio: Hoffnung auf einen neuen Markt

Radiowerbung kann richtig nerven – etwa dann, wenn sie einen laut anbrüllt. Aber es geht auch stumm, dafür mit Bild: Die Displays der digitalen Autoradios bieten sich geradezu als Anzeigeflächen an. Ob das neue Werbeformat kommerziell so viel hergibt, wie es sich der Vermarkter erhofft, hängt auch vom gesetzlichen Rahmen ab. Die Aufsichtsbehörde bewegt sich auf unbekanntem Terrain.

Manche Medien rechnen mit einer werbefreien Zukunft und die Entwicklung scheint ihnen recht zu geben: Ob bei der Zeitung oder beim Fernsehen, der kommerzielle Ertrag sinkt und sinkt. Darum drängen alle auf staatliche Unterstützung – Presseförderung hier, Gebührenerhöhung da. Dass Werbung im grossen Stil zurückfindet in die Medien, daran glaubt niemand ernsthaft. Ausser ein paar Unentwegte, die ein braches Feld entdeckt haben, das sie nun zu beackern beginnen.

In der Schweiz gibt es aktuell etwas mehr als eine Millionen Fahrzeuge mit einem Autoradio, welche das Signal über DAB+ empfangen, Tendenz zunehmend. Bis in zwei Jahren soll DAB+ zudem UKW komplett ablösen. Weiter verfügt ein Grossteil der Autoradios über einen kleinen Bildschirm. Dort können die Radiosender Zusatzinformationen zum Programm anzeigen, Plattencovers zum Beispiel oder das Senderlogo. Natürlich passt da auch Werbung drauf. Eine Möglichkeit, die heute nur vereinzelte Sender für sich nutzen.

Hinter der Idee, die Radioanzeigen grossflächig kommerziell zu nutzen, stehen der Radiounternehmer Thomas Gilgen und der Werbe- und Kommunikationsspezialist Sandro Proietto. Deren Firmen Digris, respektive The Industry, gaben vor einer Woche bekannt, wie sie den Radiounternehmen mit sogenannten DAB Display Ads zu mehr Werbeeinnahmen verhelfen wollen.

«Die APG mietet Standorte für Plakate, wir mieten bei den Radiosendern etwas Bandbreite.»
Thomas Gilgen, Digris

Gilgen vergleicht die Rolle der dazu gegründeten Firma DAB Network mit einer Plakatgesellschaft: «Die APG mietet Standorte für Plakate, wir mieten bei den Radiosendern etwas Bandbreite.» Über diesen Datenkanal lassen sich die Werbeanzeigen auf die Displays der Radiogeräte senden. Der Vergleich mit der Plakatwerbung trifft auch insofern zu, als dass der Kunde nicht Werbung auf einem bestimmten Sender bucht, sondern seine Botschaft möglichst breit sichtbar machen will.

Die Werbung wird angezeigt, unabhängig davon, welchen Sender eine Autofahrerin, ein Autofahrer am Radio eingeschaltet hat. Was allfällige Sicherheitsbedenken angeht, verweist das Bundesamt für Strassen Astra auf die Eigenverantwortung der Lenkerinnen und Lenker. Gemäss geltenden Gesetzen seien sie «selbst dafür verantwortlich, dass sie sich durch das Display nicht ablenken lassen», teilt das Astra auf Anfrage mit. Wer sich daran stört, kann die Werbung in den Einstellungen des Autoradios deaktivieren.

Mitmachen muss niemand. Sender, die keine Werbung anzeigen lassen wollen neben ihrem Programm, können sich raushalten.

Viermal pro Stunde erscheint auf dem Display des DAB-Geräts während zwei Minuten ein Werbebanner, während das Radioprogramm weiterläuft und nicht unterbrochen wird. Es gibt auch sonst keinen akustischen Hinweis auf die Werbung. Sie steht einfach da. Mitmachen muss niemand. Sender, die keine Werbung anzeigen lassen wollen neben ihrem Programm, können sich raushalten. Wobei die Verlockung gross sein dürfte, einfach so zu kassieren, ohne etwas zu unternehmen.

Entschädigt werden die Sender proportional zu ihren Hörerzahlen, wie sie die Firma Mediapulse halbjährlich für die Branche ermittelt. Ein Programm, das viel gehört wird, erhält entsprechend mehr Geld als ein weniger gehörtes. Aktuell zählen bereits 90 Radiosender in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz zur Plattform, die DAB Network vermarktet. So erreiche man bereits jetzt täglich 300’000 Autoradios, hält das Unternehmen auf einem Faktenblatt fest.

Gilt eine Anzeige, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Programm steht, gemäss Gesetz als Werbung?

Grosse Abwesende ist die SRG. Für die Radioprogramme des öffentlichen Rundfunks gilt ein Werbeverbot. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei den DAB Display Ads um Radiowerbung handelt nach der gesetzlichen Definition. Voraussetzung dafür wäre eine «öffentliche Äusserung im Programm». Gilt eine Anzeige, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Programm steht, auch als Werbung? Ist der Datenkanal, über den die Werbung ausgespielt wird, ein integraler Bestandteil des Programms? Über solche Fragen brüten derzeit die Fachleute im Bundesamt für Kommunikation.

«Die Display Ads tangieren neue, medienrechtliche Fragen, die wir vertiefen müssen. Unsere Analysen sind schon im Gang, aber noch nicht abgeschlossen», richtet eine Bakom-Sprecherin auf Anfrage aus. In einigen Wochen werde man wohl mehr dazu sagen können. Die Vermarkter von DAB Network haben verständlicherweise ein grosses Interesse daran, auch dann auf den Autoradios Werbung anzeigen zu dürfen, wenn SRG-Sender laufen. Neben der rechtlichen Beurteilung dürften letztlich medienpolitische Überlegungen entscheiden, ob die SRG ihre kommerziellen Aktivitäten in diese Richtung ausweiten darf.

Ohne eine eigene Vermarktung betreiben zu müssen, können die Radios mit den Display Ads etwas dazuverdienen.

Attraktiv erscheint die neue Werbemöglichkeit insbesondere für kleinere Sender, die bisher schlechte Karten auf dem Werbemarkt hatten. Ohne eine eigene Vermarktung betreiben zu müssen, können sie mit den Display Ads etwas dazuverdienen. Ein finanzieller Zustupf kommt diesen Sendern ganz zupass, weil der Bund die Technologieförderung in den nächsten Jahren zurückfährt.

Die neue Werbemöglichkeit befindet sich noch in der Frühphase. Von Februar bis Juni haben der Netzbetreiber Digris und die Agentur The Industry die Infrastruktur aufgebaut, in den Sommermonaten fanden Testkampagnen mit drei Unternehmen statt, die zur Zufriedenheit aller Beteiligten verliefen. Bei der Preisstruktur habe man sich an den Tarifen der Firma Live Systems orientiert. «Sie vermarkten Werbeplätze auf Bildschirmen in öffentlichen Verkehrsmitteln, wir machen das nun für den Privatverkehr», erklärt Thomas Gilgen.

Was aber sagen etablierte Verkäufer von Radiowerbung dazu? Sehen sie im DAB Network eine Konkurrenz, die ihr Geschäft tangieren könnte? Die Goldbach-Tochter Swiss Radioworld, grösste Vermarkterin von Radiowerbung in der Schweiz, betrachtet das neue Format «als Chance, neues Geld in den Radiomarkt zu bringen», wie eine Sprecherin auf Anfrage erklärt. Eine Konkurrenz zum eigenen Geschäft sieht man nicht unbedingt. «Im Prinzip handelt es sich um eine Variante von Out-of-Home-Werbung». Das sieht auch Thomas Gilgen so: «Wir kommen dem bestehenden Radiowerbemarkt nicht in die Quere. Mit den DAB Display Ads erschliessen wir einen neuen Markt.» Das wäre eine gute Nachricht für eine Medienlandschaft, die in den letzten Jahren hunderte von Millionen Franken an Werbeeinnahmen verloren hat.

Update 4.9.2020: In der ursprünglich veröffentlichten Version des Artikels fehlte ein Statement des Radiovermarkters Swiss Radioworld. Das wurde nachgeholt. Im letzten Absatz ist nun die Haltung von Swiss Radioworld zu den neuen DAB Display Ads zu lesen.

Leserbeiträge

Ueli Custer 04. September 2020, 06:41

Bildschirme am Armaturenbrett sind grundsätzlich eine Ablenkungsquelle und sollten eigentlich verboten werden. Denn einen Touchscreen kann man nur bedienen wenn man den Blick darauf richtet. Die konventionelle Ausstattung erlaubt hingegen eine Bedienung ohne Blickwechsel einzig anhand der Form von Knöpfen und Tasten. Mir ist es ein Rätsel, wie die Behörden weltweit diese Verschlechterung der Verkehrssicherheit erlauben konnten.

Aleksandar 04. September 2020, 07:41

Ich bin ja selbst wegen meinem Job pro Werbefläche. Aber dieser Vorschlag ist fahrlässig.

Hier nehmen die Initianten ihre Verantwortung für die Gesellschaft nicht wahr in dem sie ein Konzept vorantreiben das unweigerlich zu einem höheren Risiko im Verkehr führen würde.

Jede Branche muss sich damit abfinden, dass die Zeit Veränderungen bringt die dazu führen, dass Einnahmezweige abbrechen. Es ist dann niemals Zeit für Stunts die auf Kosten der Gesellschaft gehen, sondern für überlegte Stärkung der Innovation und Weiterenwicklung die dem Konsumenten nützt.

Michael Müller 04. September 2020, 08:09

Auf den ersten Blick eine sehr innovative Idee, doch nicht zu Ende gedacht. Radio ist heute ein Begleitmedium und läuft vielfach im Hinergrund. Kaum jemand schaut auf den Display, wenn das Gerät überhaupt einen Display hat. Auf dem Display erwartet man Titelinformationen, alles andere kann als gescheitert betrachtet werden. DAB-Radiotext mit Bildern hat eine lange Geschichte und wurde eingestellt. Wer meint, dass dann die Werbung auf jedem Gerät sichtbar wird, also DAB-Hörer = Werbebannerseher der irrt gewaltig. Dieses Projekt ist sogar für den Werber und den Radiosender kontraproduktiv! Alternativradio Hörer (primäre Digris Kunden) wollen doch keine Versicherung angedreht bekommen und das Alternativradio-Umfeld ist ja kaum der Ort für Kommerz! Man verärgert damit auch noch die letzten treuen Radiohörer. Aprilscherz im September. Zum Glück läuft das ja nicht auf dem SRG-Layer.