Ob NZZ oder KenFM – Hauptsache Corona-Beschwichtigung
Eine Kolumne aus der Neuen Zürcher Zeitung landet auf dem Verschwörungs- und Desinformationsportal «KenFM». Das Irritierende dabei: Der Artikel liest sich, als stamme er ursprünglich von dort.
Seit ein paar Tagen spielt sich eine kuriose Episode ab zwischen der Neuen Zürcher Zeitung NZZ und dem «alternativen» Meinungs- und Nachrichtenportal «KenFM». Die Website des Journalisten Ken Jebsen hatte eine Kolumne von Milosz Matuschek veröffentlicht, die einige Tage zuvor auf der Meinungsseite der NZZ erschienen war.
Am 4. September forderte die Zeitung via Twitter Ken Jebsen auf, den Artikel zu löschen. Die Rechte am Text lägen beim NZZ-Verlag. Matuschek gab offenbar sein Einverständnis für eine Zweitveröffentlichung bei «KenFM», ohne dies mit der NZZ vorher abgesprochen zu haben, weil er davon ausgeht, dass er als Autor dazu befugt ist. Am 8. September löschte «KenFM» schliesslich die Kolumne, sowie mehrere Übersetzungen des Texts in andere Sprachen. Nur wenige Stunden später wurde bekannt, dass die NZZ die Zusammenarbeit mit Matuschek beendet. Die NZZ lässt via persoenlich.com verlauten, die Trennung von Matuschek habe nichts mit «den Inhalten der von ihm in der NZZ veröffentlichten Kolumnen und Texte zu tun», sondern mit seinen Vorstellungen über die Weiterverbreitung auf anderen Plattformen.
Im Zuge der Coronavirus-Pandemie erreichte Jebsen mit bizarren Verschwörungstheorien zur Rolle von Bill Gates ein Millionenpublikum. Seither fungiert er als wichtiger Knotenpunkt und Multiplikator im deutschsprachigen Netz der Corona-Beschwichtiger und –Verschwörungstheoretiker.
Was aber hat ein NZZ-Artikel in diesem Umfeld zu suchen? Eigentlich nichts, könnte man meinen. Doch Matuscheks Kolumne passt sehr gut zu «KenFM».
Der Text trägt den vielversprechenden Titel «Kollabierte Kommunikation: Was, wenn am Ende ‹die Covidioten› recht haben?». Der Titel provoziert und stellt eine rationale, gut begründete Kritik in Aussicht: Die Corona-Protestierenden, die ihren Unmut darüber, wie Politik und Medien mit der Pandemie umgehen, sowohl im Internet als auch auf der Strasse lautstark kundtun, könnten mit dem einen oder anderen Kritikpunkt doch recht haben.
Was sich als kritischer Denkanstoss präsentiert, entpuppt sich aber schnell als recht hanebüchene Corona-Beschwichtigung. Die Argumente, die Matuschek ins Feld führt, liefern keine neuen Erkenntnisse. Vielmehr handelt es sich um wenig fundierte Behauptungen, die seit den Anfängen der Pandemie kursieren.
Corona-Beschwichtigung unter der Lupe
Matuscheks zentrales Argument: Es ist doch gar nicht so schlimm, wie alle behaupten. Er schreibt:
Heute muss man konstatieren: Der Kollaps des Gesundheitssystems ist nicht eingetreten, vielleicht auch dank den Massnahmen.
Bemerkenswert ist hier der Einschub «vielleicht auch dank den Massnahmen». Das klingt, als ob es unklar sei, ob die Social-Distancing-Massnahmen rund um den Lockdown überhaupt gewirkt hätten. Doch dem ist nicht so. Eine breit angelegte und kritisch geprüfte Studie von Juli 2020, in der die Situation in 149 Ländern untersucht wurde, zeigt, dass es rund 13 Prozent weniger Covid-19-Neuerkrankungen gab, sobald mindestens eine Social Distancing-Massnahme (z.B. Schulschliessungen oder Verbot von Versammlungen oder ein kompletter Lockdown) eingeführt wurde.
Dass die wissenschaftliche Evidenz deutlich aufzeigt, dass die Massnahmen rund um den Lockdown sehr wirksam waren, um die Verbreitung der Pandemie abzubremsen, interessiert Matuschek nicht – Corona-Beschwichtigung funktioniert dann am besten, wenn die wissenschaftliche Sachlage ignoriert wird.
Weiter bemerkt Matuschek, dass heute «niemand mehr» von der Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems rede. Das «niemand mehr» wird dabei in keiner Weise erklärt oder begründet; es ist schlicht eine leere Behauptung, die ins beschwichtigende Narrativ passt. Weiter behauptet Matuschek, es gebe keine zweite Pandemiewelle:
Es gibt derzeit keine zweite Welle. Nicht ein Mehr an Sterbefällen, nicht ein Mehr an Hospitalisationen, nicht ein Mehr an schweren Verläufen. Doch das sind die relevanten Zahlen, wenn man die Gefährlichkeit einer Epidemie ehrlich bewerten und staatliche Zwangsmassnahmen darauf stützen will.
Hier begeht der Autor einen doppelten Denkfehler. Einerseits schliesst Matuschek von der Gegenwart auf die Zukunft. Ganz ähnlich hatte Donald Trump im Januar und Februar die damals noch kleine Zahl bestätigter Coronavirus-Infektionen in den USA kleingeredet. Aber es liegt eben in der Natur dieser Infektionskrankheit, dass wenige Fälle heute schon sehr viele Fälle morgen bedeuten können. Das widerspricht unserem Bauchgefühl, weil wir Wachstum intuitiv als eine lineare Entwicklung verstehen. Ansteckungen mit dem Coronavirus verlaufen hingegen exponentiell.
Andererseits ignoriert Matuschek komplett, warum steigende Infektionszahlen mit, relativ gesehen, weniger Hospitalisationen und Toten einhergehen. Der Grund ist der: In der Schweiz wird heute mehr getestet, und Ansteckungen dürften aktuell überproportional bei jüngeren Menschen stattfinden, die mit Covid-19 in der Mehrheit einen weniger gravierenden Krankheitsverlauf als ältere Menschen aufweisen.
Das «Es-ist-gar-nicht-so-schlimm»-Argument zeigt zudem schön auf, wie der Autor hier Rosinenpickerei betreibt. Europäische Länder, wo sich die Lage aktuell eben dank der Massnahmen verhältnismässig glimpflich präsentiert, passen besser ins Narrativ als Länder wie die USA, Indien oder Brasilien, wo Corona nach wie vor verheerendes Auswirkungen hat.
Matuschek beklagt, dass sich mit Statistiken «trefflich lügen» lasse. Er meint damit Politik und Medien, die aus den steigenden Infektionszahlen eine grössere Gesundheitsgefahr machten, als angebracht sei. Abgesehen vom verschwörungstheoretischen Motiv – Politik und Medien machen keine Fehler, sondern lügen bewusst –, meint Matuschek die Entwicklung anhand seines Bauchgefühls besser einschätzten zu können als Epidemiologinnen und Epidemiologen. Matuschek schreibt weiter:
Die Statistik gibt gerade den «Covidioten» recht: Sowohl die Zahl der Hospitalisationen als auch jene der Todesfälle geht in allen europäischen Ländern seit Wochen zurück. Gegenüber den Peaks im April ist die tägliche Todesrate in allen europäischen Ländern um etwa 99 Prozent gefallen.
Die Situation hat sich tatsächlich entspannt dank der Lockdown-Massnahmen und ist nach wie vor besser als vor einigen Monaten. Daraus schlussfolgert Matuschek:
Wer aufbauend auf diesen Zahlen jetzt eine Impfpflicht oder mögliche weitere Lockdowns diskutiert, ist, pardon, selbst nicht ganz bei Trost.
Der Laien-Epidemiologe macht hier einen Denkfehler: Es ist im Moment ja nicht so schlimm, also brauchen wir nichts zu unternehmen. Warum die Feuerwehr rufen, wenn es nicht brennt? Doch Infektionskrankheiten funktionieren nicht so trivial, wie es unser Bauchgefühl vielleicht suggeriert. Nur weil die Situation jetzt nicht sehr angespannt ist, bedeutet nicht, dass sie es nicht wieder werden kann – insbesondere, wenn Massnahmen gegen Ansteckungen weniger strikt befolgt werden.
Matuschek unterliegt hier womöglich, wie viele andere Corona-Beschwichtiger, dem sogenannten Dunning-Kruger-Effekt: Menschen, die wenig Fachwissen in einem Bereich haben, überschätzen oft ihre Kompetenz in diesem Bereich. Man weiss zwar fast nichts, ist aber felsenfest davon überzeugt, die Situation besser zu verstehen als die tatsächlichen Expertinnen und Experten.
Eine Corona-Beschwichtigung ist nicht vollständig ohne den obligaten Hinweis, dass die Massnahmen gegen die Pandemie übertrieben und unnötig seien. Schliesslich sei das Leben voller Risiken, die wir ja auch hinnehmen. Matuschek schreibt dazu:
Mit einer abstrakten Gefahrenprognose, die sich auf einen grossen Konjunktiv stützt, darf man jedoch keine Freiheitsrechte beschneiden. Sonst müsste man den Strassenverkehr, fettreiche Ernährung und das Leben selbst verbieten.
Solche Stammtisch-Weisheiten ignorieren einerseits die epidemiologischen Besonderheiten von Coronavirus-Infektionen. Andererseits gibt es sehr wohl Bestrebungen, den Strassenverkehr sicherer und die Ernährung gesünder zu machen. Gemäss Matuscheks Gehirnakrobatik müsste es demnach auch ein Problem sein, dass es eine Anschnallpflicht in Autos gibt – das Freiheitsrecht, ohne Gurt zu fahren, wird krass beschnitten. Die Obergrenze für den Anteil an industriellen Transfetten in Speiseöl beschneidet das Freiheitsrecht, mehr Transfette zu verzehren – und das Recht der Hersteller, Produkte nach eigenem Gusto zu verkaufen, wird ebenfalls krass beschnitten.
Besserwisserische Corona-Beschwichtiger vom Schlage eines Matuschek sind aber nicht daran interessiert, eine halbwegs rationale Kosten-Nutzen-Abwägung zu verschiedenen Massnahmen gegen die Pandemie zu machen. In ihren Rundumschlägen präsentieren sie stattdessen eine Realität, die nur in ihren Köpfen existiert: Die einzig richtige Massnahme wäre, gar nichts zu tun, weil das Problem ja so klein, wenn nicht gar inexistent ist.
Ein Kernargument von Corona-Beschwichtigern und -Verschwörungstheoretikern aller Couleur ist, dass Corona-Tote gar nicht an Covid-19 gestorben sind, sondern lediglich mit Covid-19. Das Coronavirus tötet also gar keine Menschen – wir zählen demnach Menschen als Corona-Tote, die an anderen Ursachen sterben und zufällig durch das Coronavirus infiziert sind. Auch Matuschek trägt dieses Totschlagargument vor:
Seit Mitte Juni ist in der Schweiz die Zahl der Todesfälle höchstens einstellig, an den meisten Tagen starb seither niemand mehr an (bzw. mit) Covid.
Ein eleganter Einschub, durch den die evidenzufreie Behauptung als eine Art Selbstverständlichkeit präsentiert wird. In Tat und Wahrheit ist die Behauptung, Menschen würden lediglich mit dem Coronavirus sterben, angesichts der vorhandenen wissenschaftlichen Datenlage zum Covid-19-Krankheitsbild regelrecht wahnwitzig.
Auch die in diesem Kontext bisweilen kolportierte Vorstellung, dass ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen letztlich nur mit dem Coronavirus sterben und nicht wegen des Virus, ist nicht nur zynisch, sondern schlicht falsch. Menschen in Risikogruppen verlieren wegen Covid-19 bereits heute viele lebenswerte Jahre. Das ist in moralischer Hinsicht vielleicht schlimmer als das Sterben an sich. Der Tod an sich ist nicht vermeidbar – Covid-19 und der dadurch verursachte vorzeitige Tod hingegen sind es sehr wohl.
Corona-Beschwichtiger wie Matuschek sehen sich selber und Gleichgesinnte als mutige Vorkämpfer in einer gleichgeschalteten Politik- und Medienlandschaft. Nur sie trauen sich überhaupt noch, die Konsensmeinung der Elite zu hinterfragen – und werden dafür als Spinner abgestempelt. Matuschek bemerkt besorgt:
Es ist ungeheuerlich: Politiker und einige Journalisten verunglimpfen pauschal Menschen, die gegen die derzeitige Politik demonstrieren.
Könnte Matuschek Belege dafür liefern, wäre die Lage vielleicht tatsächlich «ungeheuerlich». Stattdessen liefert er erneut nur eine leere Behauptung. Paradoxerweise aus einer sehr privilegierten Stellung: Kaum jemand hat so viel diskursive Macht wie Matuschek, der seine Texte in der NZZ veröffentlichen kann.
Es liegt auf der Hand, dass die beschwichtigende Haltung im Text der Blattlinie der NZZ entspricht.
Schliesslich bleibt die Frage: Warum veröffentlicht die NZZ inhaltlich mehr als fragwürdige Artikel wie jenen von Milosz Matuschek, der über Umwege auch seinen Weg zu «KenFM» fand? Ein einmaliger Ausrutscher ist dieser Artikel nicht, denn die NZZ fiel bereits in den ersten Monaten der Pandemie mit beschwichtigenden Meinungsbeiträgen auf, deren argumentative Basis ausgesprochen dünn war.
Es liegt auf der Hand, dass die beschwichtigende Haltung der Blattlinie entspricht. Eine Zeitung, die zu viel «Sozialismus» in der Pandemie beklagt, dürfte sich ganz allgemein an staatlichen Eingriffen und Einschränkungen in der Pandemie stören.
Es dauert lange, sich als Medienhaus eine Reputation als seriöses Qualitätsmedium aufzubauen. Verspielen lässt sich diese Reputation hingegen in nur wenigen Zeilen.
Die Corona-Beschwichtigung bei der NZZ dürfte aber noch einen zweiten, profanen Grund haben: Stammtisch-Argumente generieren Klicks. Wer undifferenziert gegen alles und jeden poltert und faktenfrei eine alternative Realität herbeidichtet, in der Politik, Medien und Wissenschaft nicht nur pauschal und kategorisch Unrecht haben, sondern konzertiert lügen, kriegt Aufmerksamkeit.
Kurzfristig mag das funktionieren, denn jede Form der Aufmerksamkeit ist im hart umkämpften Medienmarkt wichtig – wo keine Klicks, dort kein Geld. Mittelfristig aber könnte die NZZ für diese Strategie einen hohen Preis zahlen. Es dauert lange, sich als Medienhaus eine Reputation als seriöses Qualitätsmedium aufzubauen. Verspielen lässt sich diese Reputation hingegen in nur wenigen Zeilen.
Christine Loriol 08. September 2020, 20:38
Gerne füge ich noch an: die NZZ hat nicht nur „zuviel Sozialismus“ beklagt, sondern in einem Leitartikel (E. Gujer, CR) den schäbigen Begriff „Seuchensozialismus“ geschaffen und in den Titel gesetzt. Dies, nachdem am Vortag der Verwaltungsrat die Auszahlung der Dividenden beschloss und das Unternehmen gleichzeitig Kurzarbeit anmeldete (Staatsgelder!).
Matthias Giger 09. September 2020, 06:03
Das ist ein interessanter Beitrag und Kommentar. Solche kreative Wortschöpfungen kannte ich bisher nur vom Blick. Alles für die Quote! Der letzte Satz bringt es auf den Punkt.
Jan Graber 09. September 2020, 08:02
Was, um Himmels Willen, ist denn schlecht am Beschwichtigen? Gerade in Zeiten übersteigerter (medialer) Hysterie sind doch besonnene Gemüter gefragt. In Ihrem Artikel, Herr Ković, klingt „Beschwichtiger“ wie ein Unwort, vergleichbar mit „Gutmensch“. Brauchen wir denn tatsächlich noch mehr Aufregung, Haareraufen und Lamentieren? Soll es die Rolle der Medien sein, stetig nur die Angst zu schüren? Zur Klarstellung: Ich find KenFM höchst bedenklich und gefährlich. Aber Versuche zur Besonnenheit gleich in diesen Topf werfen? Wo bleibt da die Verhältnismässigkeit?
Lahor Jakrlin 09. September 2020, 08:50
Manipulativer Artikel
Im Artikel gegen Matuschek geht es um die Sehnsucht von Ković, unliebsame Meinungen aus dem Diskurs zu verbannen. Und zwar auf recht infame Weise: Obwohl es sich um eine Kolumne (also persönliche Meinung des Autoren) handelt, wird frontal die NZZ angegriffen.
Natürlich weiss Ković, was eine Kolumne ist. — Sollte man nun die Medienwoche anprangern, weil sie einen solchen Agitationsartikel publiziert? Nein, die kontroverse Diskussion ist zu schützen. Selbst wenn sie, wie im Falle von Ković, journalistisch m.E. nicht sauber ist.
Ich stimme Matuscheks Meinung in der besagten Kolumne nicht zu. Aber sie hat im Sinne der freien Meinungsäusserung ihre Berechtigung. Sie ist sogar eine wohltuende Meinungsinsel im breiten staatsunkritischen Mainstream. Denken wir nur an all die BAG-/Daniel Koch-Pannen und Fakenews … hatten diese je personelle Konsequenzen? Musste jemand sein BAG-Pult räumen, weil durch verschleppte Entscheide (z.B. verspätete Grenzschliessungen zum Coronahotspot Lombardei) Tausende an Corona erkrankten und hunderte von Menschen an Corona-Begleiterkrankungen starben? Nein.
Es gibt also noch viel aufzuarbeiten. Ohne kritische Geister wie Milosz Matuschek (einem der brillantesten Schweizer Medienleute) kann das nicht gelingen. Wir spüren schon jetzt, welche Folgen z.B. ein Fehlen der kritischen Geister wie Somm oder Feusi hat. Nämlich Windstille im Blätterwald.
Marko Kovic 09. September 2020, 09:14
Grüezi Herr Jakrlin
Sie schreiben:
Im Artikel gegen Matuschek geht es um die Sehnsucht von Ković, unliebsame Meinungen aus dem Diskurs zu verbannen.
Wo lesen Sie diese „Sehnsucht“ heraus? Wo im Artikel fordere ich, „unliebsame Meinungen aus dem Diskurs zu verbannen“? Ich kritisiere Matuscheks Behauptungen. Sie schreiben, dass Sie für „freie Meinungsäusserung“ sind – gehört sachliche Kritik für Sie denn nicht dazu?
Sie schreiben weiter:
Und zwar auf recht infame Weise: Obwohl es sich um eine Kolumne (also persönliche Meinung des Autoren) handelt, wird frontal die NZZ angegriffen. Natürlich weiss Ković, was eine Kolumne ist.
Ich verstehe dieses Argument nicht. Mich persönlich interessiert rationaler Diskurs. Dazu gehört, Behauptungen zu begründen. Das macht Matuschek kategorisch nicht und schustert sich eine Art alternative Realität zusammen. „Persönliche Meinung“ ist doch kein Freipass für irrationale, fraktenfreie Behauptungen – zumal in dieser „persönlichen Meinung“ eben genau sachbezogene Behauptungen gemacht werden, nicht bloss moralische Einschätzungen oder dergleichen.
Mit bestem Gruss
Lahor Jakrlin 09. September 2020, 10:20
@Ković
Betreffend Ihre Sehnsucht nach Diskursverhinderung sowie Angriff auf die NZZ
Ihr ganzer Artikel ist dieser Sehnsucht gewidmet, dazu muss diese nicht wörtlich deklariert sein. Sie vertreten eine andere Meinung (das ist legitim), bekämpfen diese jedoch damit, dass sie den Boten (NZZ) fr0ntal angreifen. In Abwandlung des berühmten Satzes «Don’t shoot the piano player» würde ich Ihnen persönlich zurufen «Don’t destroy the piano».
Seien wir froh, dass die kleine Schweiz nachweislich die beste und sorgfältigste Tageszeitung im deutschsprachigen Raum besitzt – die NZZ.
Zu Ihrem Satz «“Persönliche Meinung” ist doch kein Freipass für irrationale, fraktenfreie Behauptungen»
Danke für dieses Eigentor. Genau in dieser Aussage liegt der Hase im Pfeffer der Meinungsdiktatur. Denn 1. Widerlegen Sie keine «Behauptungen» (Milosz Matuschek fordert niemand auf, einen Aluhut anzuziehen), und 2. erheben Sie die Moral des Mainstreams zu einem Filter – nennt sich Meinungsdiktatur oder Zensur.
Diese Attitüde ist zwar so etwas von uncool, aber heute salonfähig. Wie ich anhand eines Beispiels schrieb: Das BAG-/Berset-Umfeld produzierte durch Unfähigkeit und Angst vor Brüssel unzählige Infektionen und Tote, es verursachte eine enorme Unsicherheit im Bezug auf die Wirksamkeit von Masken (Vertuschung äusserst mangelhafter Logistik), es führte völlig irreführende Statistiken, produzierte Fax-Pannen am Laufmeter u.v.a.m. … aber dass die Medien die Verantwortlichen (insbesondere Berset, Strupler, Koch) sträflich schonten und schonen, findet in Ihrem Text keine Erwähnung. Zum Verständnis der Gesamtsituation wäre das aber angebracht gewesen. Sie sind ergo selbst Teil einer Desinformation – eventuell ungewollt, eventuell bewusst. Das werden wir nie erfahren.
Lieber Gruss
jak
PS.: Ich nehme Corona weiterhin sehr ernst, ich wasche regelmässig meine Hände, halte Abstand, vermeide Menschenansammlungen und trage beim Einkauf in geschlossenen Räumen immer eine Maske. Auch werde ich mich, sobald das möglich ist, impfen lassen. Diese Anmerkung um klarzumachen, dass Sie mich nicht als Covidleugner (was für eine diffamierende Bezeichnung für Andersdenkende!) hinstellen.
Andreas Hagenbach 09. September 2020, 15:52
Zuerst zeigen Sie dem eiligen Leser, dass die Kontaktschuld den Matuschek eigentlich unmöglich gemacht hat. So einen liest man nicht, vor allem, wenn der noch Zustimmende wie Ken Jebsen hat.
Ihre weitere inhaltliche Kritik an Matuscheks Kolumne lässt so einiges aus, was zu einer Gesamtsicht gehört. Pars pro toto zitiere ich Sie wie folgt „Dass die wissenschaftliche Evidenz deutlich aufzeigt, dass die Massnahmen rund um den Lockdown sehr wirksam waren, um die Verbreitung der Pandemie abzubremsen, interessiert Matuschek nicht – Corona-Beschwichtigung funktioniert dann am besten, wenn die wissenschaftliche Sachlage ignoriert wird.“
Sie scheinen nicht zu wissen, dass Dissens zur Wissenschaft gehört, also durchaus eine wissenschaftliche Sachlage darstellt. Dass der Mainstream nicht immer recht hat, ist wohl auch so eine Trivialität, die man zu übersehen hat. Die weitere Evidenz ist auch nicht auf Ihrer Seite, denn es gibt sehr viele Studien, die eben belegen, dass es nicht die Massnahmen waren, die einen Rückgang der Todesfälle bewirkten. Und folgendes konnte sich ohne Studie beobachten lassen: Die Kurve ging in allen Ländern Europas zurück bevor die Massnahmen in Kraft traten. Wenn solcherart selektive Argumentation betrieben wird, fällt der Vorwurf der Ignoranz doch etwas seltsam aus.
Eines noch: Wer solchen Unsinn schreibt wie „es liegt eben in der Natur dieser Infektionskrankheit, dass wenige Fälle heute schon sehr viele Fälle morgen bedeuten können.“, der hat wohl einiges nicht mitbekommen, was in jüngster Zeit so passiert ist gerade im wissenschaftlichen Bereich, dass nämlich das Virus sich wie erwartet abgeschwächt hat, so wie es vor ihm viele weitere Viren getan haben. Wie es sich gehören soll, wird aber weiterhin auf Angst gebürstet. Not my cup of tea.
Das Kollektiv 10. September 2020, 09:24
Die Wissenschaft ist sich eigentlich überhaupt nicht einig Herr Kovic. Oder wie erklären Sie sich sonst die Aussagen von Beda Stadler? https://baernerbaer.ch/baern/die-meisten-menschen-sind-gegen-das-virus-sowieso-immun/. Heute ist jeder Journalist plötzlich ein Wissenschaftler und Experte der Immunologie. Wenn schon die Wissenschaft so uneinig ist, wie können den Journalisten die „Wahrheit“ kennen? Eigentlich müsste man ganz ehrlich wie Sokrates zugeben: „Ich weiss, das ich nichts weiss“.
Ian Kognito 10. September 2020, 15:12
Also also lieber Marko Kovic, ansonsten sind deine Artikel immer etwas differenzierter.
Die Begründung, weshalb nun alles doch „so schlimm“ sein soll, obwohl die derzeit Hospitalisationsquote tief ist und keine Überlastung des Gesundheitsystems droht, mach wenig Sin und der Aufbau der Argumentation ist eher wirr.
Die ersten zwei Absätze drehen sich, um den Nebensatz, den man nun wirklich nicht so zynisch lesen muss wie Marko Kovic. Ich verstehe nicht, was das besonders „bemerkenswerte“sein soll. Ausserdem lässt sich aus der verlinkten Studie sicher nicht belegen, dass NUR dank den Massnahmen ein Kollaps nicht eingetreten sei. Das kann man nämlich schlichtweg nicht wissen.
Mit dem „niemand mehr“ meint Matuschek natürlich in erster Linie die Medien, die auch in meiner Wahrnehmung seit Monaten fast nur noch von Ansteckungen reden. Natürlich ist „niemand“ etwas überspitzt, aber solche rhetorischen Instrumente sollten in einem Kommentar also wirklich erlaubt sein.
Dann schliesst Matuschek in dem zitierten Satz gar nicht auf die Zukunft. Die Zukunft wird nicht mal erwähnt! Ausserdem woraus soll man denn auf die Zukunft schliessen, wenn nicht aus der Gegenwart?? Etwa aus der Vergangenheit? Absolutes Null-Argument.
Schliesslich kommt zum Schluss noch der Hammer und zwar eine Begründung, die Matuschek eigentlich zum Teil Recht gibt und dem Rest völlig widersprich. Denn wenn heute vor allem aufgrund des Testregimes die Zahlen so hoch sind, zeigt das ja gerade, dass die derzeitigen Massnahmen unverhältnismässiger sind als noch im Frühling.
Alles in allem habe ich Matuscheks Artikel so verstanden, dass er genau vor solchen Artikel wie dem von Kovic warnt. Denn wenn jegliche Kritik, und sei sie auch noch so berechtigt, als Covidiotie abgetan wird, stärkt das alle Kritiker auch die Idioten. Aber das passt ja zu unserer Zeit, wo das eigene Team und dessen Meinung wichtiger ist, als Diskurse.
Sehr enttäuschender Artikel!
Dr. Alexander Dill 10. September 2020, 17:39
Als studierter Soziologe interessiere ich mich in erster Linie für die epidemiologische Seite – und da gibt es eben Epidemien der Übertreibung der Gefährlichkeit des Virus.
Diese sagen: Bergamo, New York usw. Das ist aber keine Frage des Virus. Diesem ist es egal, ob er in NYC oder Berlin ist. Es ist eine Frage, worauf das Virus stösst. Welches soziale Umfeld.
Apropos Berlin: Dort herrscht nun seit über zwei Jahren eine Untersterblichkeit gegenüber dem letzten Grippe-Peak 2018. Die ganze Zeit von Januar bis heute.
Es ist zum Verständnis der Gefährlichkeit sicher sinnvoll, auch zu erklären, wo es nicht auftritt. Warum ausgerechnet in Berlin?
Ich war bereits vorher bei KenFM Gast – sowohl einzeln als auch in Politik Verstehen – und freue mich, dass es unabhängige Medien gibt.
Sogar die NZZ.
Vielleicht gibt es ja doch noch Erklärungen für die derart grossen Unterschiede der Wirkung des Virus?
Wolf 29. November 2020, 20:31
Liebe Medienwoche. Eigentlich hat Matusek schon recht, wie ich finde. Eure Widerlegungen seiner Gedanken überzeugen nicht, und dass Ihr ihn ständig diffamiert spricht nicht nur argumentativ, sonder auch psychologisch gegen Euch. Wer Argumente hat, braucht andere Menschen nicht niederzumachen. Denkt mal da drüber nach. Freundliche Grüsse.