von Marko Ković

«Das Monokel»: Canceln wir die «Cancel Culture»!

Warum der Begriff der «Cancel Culture» als Analyseinstrument nicht taugt und in die Irre führt. In ihrem Podcast «Das Monokel», der neu auch auf der MEDIENWOCHE erscheint, diskutieren die beiden Sozialwissenschaftler Christian Caspar und Marko Kovic über Medien, Macht und Ideologie.

Wer heutzutage von der politisch korrekten Meinung abweicht und es wagt, gegen den moralischen Mainstream schwimmend eine nicht-konforme Meinung zu äussern, wird zur Zielscheibe linker Mobs, die alles mundtot machen, was sich ausserhalb ihres engen moralischen Korsetts befindet. So in etwa lässt sich die angebliche Gefahr der «Cancel Culture» zusammenfassen.

Das klingt schlimm. Umso mehr, wenn man zwei aktuelle Appelle gegen diese neue Form der Intoleranz liest. Sowohl in «A Letter on Justice and Open Debate», als auch im «Appell für freie Debattenräume», ist die Rede davon, dass «Cancel Culture» nicht einfach unbequem sei, sondern eine grosse Gefahr für unsere Demokratie darstelle.

Nimmt man das Phänomen der «Cancel Culture» aber genauer unter die Lupe, zeigt sich, dass es reichlich schwammig ist. Um die «Cancel Culture»-Suppe anzurichten, wird eine Reihe recht unterschiedlicher Einzelfälle, bei denen das angebliche «Canceln», also das Löschen oder Streichen der Betroffenen, nicht immer ganz klar ist, in einen Topf geworfen. Auf der Strecke bleibt dabei eine differenzierte Betrachtung der konkreten Ereignisse – und vor allem die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik an den vermeintlich Gecancelten.

Der Vorwurf des Cancelns ist stattdessen eine Art Totschlagargument: Wer «Cancel Culture» ruft, ignoriert die jeweils relevanten Sachverhalte sowie die konkreten Inhalte und vermischt damit tatsächlich problematische Fälle mit Situationen, wo Ideen und Personen legitimerweise kritisiert werden.

Wir plädieren darum, das Konzept der «Cancel Culture», nun ja – zu canceln. Statt pauschalisierend und undifferenziert über eine angebliche «Cancel Culture» zu reden, sollten wir uns mit drei konkreten Punkten auseinandersetzen.

Erstens gibt es dokumentierte Fälle von Shitstorms, die sich gegen «normale» Menschen ohne Privilegien oder Macht richten. Bei solchen Shitstorms werden beispielsweise «normale», unbekannte Leute bei ihren Arbeitgebern angeschwärzt, weil sie online etwas gesagt haben, was jemandem nicht passt. Die materielle Existenz «normaler» Menschen auf diese Art zu gefährden, ist inakzeptabel.

Zweitens müssen wir aber bedenken, dass sich ein Grossteil der Debatte um Mitglieder der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite dreht. Um Menschen also, die eine privilegierten Status und damit einhergehend viel diskursive Macht haben – sie sind die Leute, denen wir in der Öffentlichkeit zuhören. Wenn solche Elitemitglieder heute mit mehr Kritik konfrontiert werden, kann das in demokratischer Hinsicht ein positives Zeichen sein: Der Diskurs wird inklusiver. Stimmen, die früher nicht mitreden konnten, können dies heute eher. Das schafft Reibung, weil die diskursive Macht der Eliten erodiert.

Drittens müssen wir endlich wieder über konkrete Inhalte und Ideen reden. Wenn Menschen für das, was sie tun und sagen, kritisiert werden – und sei das hart und polemisch –, ist das nicht «Cancel Culture» – das ist der Diskurs, von dem die Demokratie lebt. Jede Kritik pauschal als «Cancel Culture» abzutun, ist zwar eine bequeme Immunisierungsstrategie (man hat immer recht und ist immer das Opfer), aber das bringt uns als Gesellschaft nicht weiter. Es gibt in der Tat schlechte Ideen und Überzeugungen. Darüber müssen wir reden.