von Adrian Lobe

Facebook vor der Wahl

Facebook steht unter Druck von Wirtschaft und Politik. Mit dem Verbot von Beiträgen, die den Holocaust leugnen und dem Verschwörungskult QAnon huldigen, versucht der Konzern einen Befreiungsschlag. Warum der nur halbwegs gelingt und wieso der Druck nicht nachlässt.

Fake News, Meinungsmache, Datenskandal – für Facebook war die Bilanz nach der Präsidentschaftswahl 2016 in den USA verheerend. Nachdem bekannt wurde, dass die Beratungsfirma Cambridge Analytica Profile von 87 Millionen Facebook-Nutzern abgegriffen hatte und damit massgeschneiderte Werbung für die Trump-Kampagne ausspielte, geriet das Unternehmen massiv unter Beschuss. Facebook-Chef Mark Zuckerberg musste vor dem US-Kongress aussagen, sein Konzern eine Milliardenstrafe bezahlen. Der Reputationsschaden war immens.

Seit Jahren sieht sich Facebook mit dem Vorwurf konfrontiert, sein soziales Netzwerk schade der Demokratie. Zuletzt sorgte die geschasste Facebook-Datenwissenschaftlerin Sophie Zhang mit einem Schreiben für Aufsehen, wonach Facebook Hinweise auf Fake-Accounts und Desinformationskampagnen bei Wahlen in zahlreichen Ländern (u.a. Indien, Ukraine, Spanien und Brasilien) ignoriert oder zu spät darauf reagiert habe. So etwas soll sich nicht noch einmal wiederholen. Das Management setzt daher alle Hebel in Bewegung, die Plattform «sauber» zu halten.

So hat Facebook vor wenigen Wochen Accounts der russischen «Trollfabrik» Internet Research Agency gesperrt, die sich mit einer linken Fake-Publikation in den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 eingemischt hatte. Das Unternehmen geht diesmal entschlossener gegen Manipulationsversuche vor – bislang wurden rund 2,2 Millionen Wahlanzeigen verbannt. Auch Seiten von Anhängern des Verschwörungskults QAnon sollen gelöscht werden. Wenige Wochen vor der US-Wahl hat das soziale Netzwerk seine Hate-Speech-Policy weiter verschärft: So hat Facebook Mitte Oktober Beiträge verboten, die den Holocaust leugnen. Ebenfalls nicht mehr zugelassen sind Werbeanzeigen gegen das Impfen.

Zuckerberg hatte lange Zeit eine sehr weitgehende, libertäre Idee von Meinungsfreiheit verfochten.

Der Schritt kommt für viele Beobachter überraschend. Noch vor zwei Jahren hatte Zuckerberg in einem Interview mit dem Tech-Blog «Recode» erklärt, er sehe keine Notwendigkeit zu einer Intervention bei Beiträgen, die den Holocaust leugnen. «Ich finde es zutiefst anstössig. Aber am Ende des Tages glaube ich nicht, dass unsere Plattform das herunternehmen sollte, weil ich denke, dass es Dinge gibt, die verschiedene Leute falsch verstehen.» Zuckerberg, der selbst jüdischer Herkunft ist, hatte lange Zeit eine sehr weitgehende, libertäre Idee von Meinungsfreiheit verfochten. Viele Facebook-Angestellte hielten das für einen Fehler. Doch Zuckerberg blieb bei seiner Linie. Nun also die Kehrtwende.

In einem öffentlichen Facebook-Post schrieb Zuckerberg am 12. Oktober, sein Denken habe sich «weiterentwickelt». Er habe lange mit dem Spannungsverhältnis gerungen zwischen freier Meinungsäusserung und den Schäden durch die Relativierung, beziehungsweise Leugnung des Holocaust. Doch angesichts der Zunahme antisemitischer Gewalt müssten die Grenzen neu gezogen werden von dem, was akzeptierbar ist und was nicht.

Will Facebook wirklich «Haltung zeigen»? Oder stecken hinter der härteren Gangart andere Motive?

Organisationen wie der World Jewish Congress und die Anti-Defamation League begrüssten die Entscheidung, kritisierten aber gleichzeitig, dass der Schritt zu spät komme. Die Videoplattform Youtube hat bereits im vergangenen Jahr angekündigt, extremistische Videos zu löschen. Die Frage lautet darum: Warum handelte Zuckerberg ausgerechnet jetzt? Will Facebook wirklich «Haltung zeigen», wie man das in manchen Kommentaren lesen konnte? Oder stecken hinter der härteren Gangart andere Motive? Und nicht zuletzt: Welche Rolle spielen die bevorstehenden US-Wahlen?

Fakt ist: Facebook steht politisch und wirtschaftlich erheblich unter Druck. Nachdem Twitter im vergangenen Mai erstmals einen Tweet von Donald Trump mit einem Warnhinweis versehen hatte, wies der US-Präsident die Kommunikationsbehörde FCC an, Section 230 des Telecommunications Decency Acts zu kassieren. Gemäss der 1996 geschaffenen Vorschrift sind Plattformen keine «Verbreiter» oder «Verleger», sondern lediglich «Vermittler». Damit können sie nicht für Inhalte haftbar gemacht werden. Präsident Trump würde den Rechtsakt lieber heute als morgen abgeschafft sehen. Aber auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden will die Vorschrift aufheben. Das würde bedeuten, dass Facebook für Inhalte haftet, die bei auf der Plattform veröffentlicht werden. Egal, wer am Ende in Washington regiert – der Regulierungsdruck wird weiter zunehmen.

Das Anzeigengeschäft ist die Haupteinnahmequelle des Konzerns – und gleichzeitig seine Achillesferse.

Aber nicht nur aus der Politik weht ein steifer Wind, auch aus der Wirtschaft nimmt der Druck auf Facebook zu. Nach der anhaltenden Kritik wegen Fake News und Hate Speech haben sich im Sommer über 100 Grossunternehmen, darunter Unilever, Coca-Cola und Starbucks, einen Werbeboykott gegen Facebook verhängt und zeitweise keine Anzeigen mehr geschaltet. Der Börsenwert von Facebook brach an einem Tag um 50 Milliarden Dollar ein.

Die schärfere Anzeigen- und Content-Policy kann man also einerseits als Massnahme verstehen, Druck aus dem Kessel zu lassen und einer möglicherweise sehr kostspieligen Regulierung zuvorzukommen. Andererseits gilt es, Werbekunden zu besänftigen und zurückzugewinnen. Das Anzeigengeschäft ist die Haupteinnahmequelle des Konzerns – und gleichzeitig seine Achillesferse. Rund 98,5 Prozent seiner Umsätze generiert der Konzern mit Werbung. Verlieren Anzeigenkunden das Vertrauen, verliert Facebook viel Geld.

Viele Facebook-Mitarbeiter werfen Konzernchef Zuckerberg einen Kuschelkurs gegenüber Trump vor.

Auch intern wächst die Unruhe. Die überwiegend demokratisch gesonnene Facebook-Belegschaft drängt auf einen härteren Kurs im Umgang mit Trump. Gemäss geleakten Sprachaufzeichnungen und Dokumenten, die «The Verge» veröffentlichte, soll es in der Führung von Facebook keine Einigkeit über den Kurs geben. Nachdem Mark Zuckerberg einen umstrittenen Post von Donald Trump durchwinkte, in dem der Präsident mit Waffengewalt gegen Protestierende in Minnesota drohte, traten hochrangige Mitarbeitende in einen «virtuellen Streik». Sie werfen dem Konzernchef einen Kuschelkurs gegenüber Trump vor.

Im Fokus der Kritik steht insbesondere Joel Kaplan. Facebooks Vize-Chef für Öffentlichkeitsarbeit, ein beinharter Republikaner, war Berater der Regierung von George W. Bush und spielte eine Schlüsselrolle bei zentralen Policy-Entscheidungen von Facebook. So soll Kaplan, der beste Beziehungen zum Politbetrieb in Washington pflegt, das Projekt «Common Ground» torpediert haben, mit dem Facebook ein besseres Debattenklima schaffen wollte. Kaplan sah darin eine Massnahme gegen konservative Stimmen auf der Plattform und wollte sie verhindern.

Zuckerberg ist kein entschlossener Kapitän, sondern ein Leichtmatrose, der inmitten eines Sturms darüber fabuliert, wie man dem Volk diene.

Zuckerberg agiert zunehmend wie ein Getriebener. Mal beklagt er die «Erosion der Wahrheit», mal verteidigt er seinen Hands-off-Ansatz, mit den Worten, er sei nicht der «Schiedsrichter der Wahrheit». Solche Volten lassen sich ganz oft bei ihm beobachten. Liest man die Tonmitschnitte, sprach da kein entschlossener Kapitän, sondern ein Leichtmatrose, der inmitten eines Sturms darüber fabuliert, wie man dem Volk diene.

Interne Dokumente, die der «Washington Post» zugespielt wurden, belegen zudem, dass Zuckerberg in zentralen strategischen Fragen von seinen Vorstandskollegen überstimmt wird – neben Kaplan unter anderem von Vize-Politikchefin Monika Bickert. Facebook, so der Tenor des Artikels, soll nach der US-Präsidentschaftswahl vor vier Jahren seine Regeln systematisch den Bedürfnissen der republikanischen Seite angepasst haben. So wurde auf Drängen Kaplans der Newsfeed-Algorithmus so geändert, dass konservative Publikationen eine grössere Sichtbarkeit erhalten.

Dass Facebook mit Schlagseite nach rechts unterwegs ist, dürfte also kein Zufall sein.

Nach dem ersten TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden Ende September waren neun der zehn meistgeteilten Storys auf Facebook von rechten Medien (u.a. «Daily Wire»). Trumps Facebook-Seite schafft es regelmässig ganz oben auf die Top-Liste. Dass Facebook mit Schlagseite nach rechts unterwegs ist, dürfte also kein Zufall sein, sondern hat mit strategischen Weichenstellungen des Konzerns zu tun. Zuckerberg soll sich in den letzten Monaten häufiger mit konservativen Medienvertretern getroffen haben, unter anderen dem rechten Moderator Ben Shapiro.

Der «Courier Newsroom», ein Nachrichtennetzwerk, das von einer den Demokraten nahestehenden Non-Profi-Organisation nahesteht, wird im Newsfeed blockiert, was intern für heftige Diskussionen sorgte. Bevorzugt Facebook etwa rechte Seiten? Ein anonymes Facebook-Vorstandsmitglied wird von «Politico» mit den Worten zitiert: «Rechtspopulismus erzeugt immer mehr Engagement.» Mit Themen wie Nation und Schutz sowie Angst und Furcht spreche man «unglaublich starke, primitive Emotionen» an. Bedient Facebook rechte Ressentiments, um mehr Klicks und Einnahmen zu generieren?

Mit seinen 2,7 Milliarden monatlichen Nutzern ist Facebook mittlerweile so etwas wie der globale Moderator öffentlicher Diskussionen.

Einerseits funktioniert die rechte Agenda in einer von algorithmengetriebenen Aufmerksamkeitsökonomie gut. Andererseits spielt der neue Interventionismus auch den Demokraten in die Hände. Nachdem Facebook und Twitter die Verbreitung eines Artikels des Boulevardblatts «New York Post» mit brisanten, aber zweifelhaften Enthüllungen über Bidens Sohn blockierten, erhoben die Trump-Kampagne und die Republikaner sofort den alten Vorwurf, die sozialen Netzwerke hätten politische Schlagseite nach links und würden die Meinungsfreiheit beschneiden.

Mit seinen 2,7 Milliarden monatlichen Nutzern ist Facebook mittlerweile so etwas wie der globale Moderator öffentlicher Diskussionen. Nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung – laut einer Erhebung von Pew Research konsumieren 43 Prozent aller US-Amerikaner News auf Facebook – stellt sich die Frage, wer auf der Plattform vertreten sein darf. Alle, also auch die Extremen? Oder nur die Moderaten? Soll man die «Unvernünftigen» algorithmisch herunterpegeln? Wer bestimmt im Diskurs, was vernünftig, was unvernünftig, was wahr, was falsch ist? Manche plädieren dafür, dass Facebook auch rechte Spinner und Verschwörungstheoretiker auf seiner Plattform zulassen müsse – quasi als digitales Abbild der Gesellschaft. Andere halten dagegen, dass man Demokratiefeinden keine Plattform gewähren dürfe.

Die Facebook-Führung spielt dabei ein gefährliches Spiel: Einerseits zieht sie eine klare Grenze zu den extremen Rändern des politischen Spektrums. Andererseits pusht sie offenbar die neurechte Agenda, die genau diese Diskursstandards attackieren. Der Konzern muss den Beweis antreten, dass die strengeren Regeln nicht nur kosmetische Änderungen an der Werbeoberfläche sind.