SRF und die Reichen: Ein Musterbeispiel in Sachen Framing
In einer «Kontext»-Sendung und einem dazugehörigen Online-Beitrag kommt SRF Kultur zum Schluss, dass Reiche unser aller Wohlstand erhöhen – und wir Reiche darum nicht mit höheren Steuern «vertreiben» dürfen. Zu Wort kommen dabei nur Economiesuisse und eine Milliardärin. Über diese sonderbar einseitige Darstellung diskutieren Christian Caspar und Marko Kovic in der neuen Folge unseres Podcasts «Das Monokel».
Wenn wir in eine Gemälde-Ausstellung gehen, interessieren wird uns für die Bilder und nicht für die Rahmen. Die Bilderrahmen sind einfach da. Aber auch wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen, beeinflusst die Bilderrahmen unsere Wahrnehmung des Gemäldes stark. Ein üppiger goldener Rahmen suggeriert vielleicht Gefühle wie Stolz und Status, während ein schlichter Holzrahmen unseren Blick direkt aufs Bild lenkt.
Im Journalismus verhält es sich ähnlich wie bei Gemälden. Auch hier wird der Inhalt immer auf eine bestimmte Art und Weise, gewissermassen auch in einem Rahmen, präsentiert. Das journalistische Aufbereiten und Präsentieren von Inhalten ist als «Framing», von Englisch «Frame» für Rahmen, bekannt.
Der Kommunikationswissenschaftler Robert Entman beschreibt Framing als das Auswählen gewisser Aspekte der Realität, um sie anschliessend im journalistischen Beitrag mit einer Problemdefinition, einer kausalen Interpretation, einer moralischen Bewertung und einer Handlungsempfehlung zu versehen. Angenommen, Minister XY tritt zurück. Ein Artikel ganz ohne Framing würde lediglich verkünden, dass Minister XY zurückgetreten ist. Mit Framing könnte ein Artikel aber zusätzlich erklären, dass der Minister in eine Korruptionsaffäre verstrickt ist (Problemdefinition); dass der Minister XY seine teuren Hobbys finanzieren wollte (kausale Interpretation); dass Korruption ganz allgemein eine grosse Herausforderung sei (moralische Bewertung); und, dass strengere Antikorruptionsgesetze notwendig seien (Handlungsempfehlung).
Mit Framing lässt sich ein «Spin», ein bestimmter Dreh reinbringen, der nicht offensichtlich als solcher erkennbar ist.
Framing ist im Journalismus durchaus wünschenswert, denn erst dank eines solchen «Rahmens» können wir die Welt halbwegs sinnvoll verstehen. Mit einer reinen Ansammlung willkürlicher, zusammenhangloser Informationen können wir nichts anfangen. Gleichzeitig kann des Framing aber dazu führen, dass Sachverhalte aus einer verzerrten oder gar irreführenden Perspektive dargestellt werden, die dank der Subtilität des Framings nicht als solche wahrgenommen wird. Mit Framing lässt sich ein «Spin», ein bestimmter Dreh reinbringen, der nicht offensichtlich als solcher erkennbar ist.
Ein Fall fragwürdigen Framings findet sich im Artikel «Ohne Reiche gäbe es für alle weniger Wohlstand», der am 24. November auf srf.ch/kultur veröffentlicht wurde. Der Artikel ist eine Auskopplung der «Kontext»-Sendung «Reiche – warum sie faszinieren, warum sie irritieren». Im Artikel wird die Frage von Reichtum und Ungleichheit thematisiert, mit Fokus auf Einkommensungleichheit. Das ist eine wichtige Thematik – doch das Framing, das zur Anwendung kommt, ist reichlich zugunsten der Reichen verzerrt.
Ein wirksames Mittel für Framing sind selektive Expertenstimmen. Es kommt auch im Fall der «Kontext»-Sendung zur Anwendung.
Bereits Titel und Lead des Artikels zeigen die Stossrichtung des Framings. Dank der Reichen hätten wir alle mehr Wohlstand: «Unsere Gesellschaft hat viel von den Reichen.» Diese Grundtonalität, gemäss der die Reichen fast eine Art Wohltäter sind, zieht sich durch den gesamten Artikel. Zum Beispiel wird beschrieben, dass die reichsten 1 Prozent der Bevölkerung mehr Steuern zahlen als die ärmsten 50 Prozent. Das stimmt, könnte aber auch umgekehrt gerahmt werden: Die Einkommen sind derart ungleich verteilt, dass die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung weniger Steuern zahlt als die oberen 1 Prozent.
Ein wirksames Mittel für Framing sind selektive Expertenstimmen. Im Beitrag bei SRF kommen lediglich ein Ökonom von Economiesuisse sowie im ergänzenden Audio-Beitrag eine Milliardärin zu Wort. Der Ökonom Christian Frey warnt, dass der Mittelstand viel mehr Steuern zahlen müsste, wenn es die Reichen nicht gäbe – und vergisst zu erwähnen, dass in einem solchen Szenario der Mittelstand die höheren Steuern eben auch zahlen könnte, weil die Einkommen gleicher verteilt wären. Die Milliardärin Karin Stüber ihrerseits warnt vor Erbschaftssteuern, weil das für Familienunternehmen wie das ihrige Probleme schaffen könne.
Ein Beispiel für irreführendes Framing: Nicht die Reichen ermöglichen den Wohlstand – der Wohlstand ermöglicht die Reichen.
Das Framing zugunsten der Reichen im Beitrag von SRF wird mit dem Argument gekrönt, dass allzu hohe Steuern für Grossverdiener zu vermeiden seien, weil diese dadurch «vertrieben» würden. Sind die Steuern zu hoch, ziehen die Reichen also weg – und mit ihnen verschwindet dann auch der Wohlstand, den sie uns bescheren. Denkt man dieses Argument aber zu Ende, zeigt sich rasch, wie unsinnig es ist. Topverdiener können nämlich durchaus aus der Schweiz wegziehen, wenn sie sich an Steuern stören. Aber die Jobs, mit denen sie ja so viel verdienen, bleiben in der Schweiz. Es sind nicht die Reichen, die uns grosszügig und gütig mit Wohlstand beschenken, den sie selber aus dem Nichts erschaffen haben. Ganz im Gegenteil: Wohlstand wird kollektiv von uns allen als Gesellschaft erwirtschaftet. Nicht die Reichen ermöglichen den Wohlstand – der Wohlstand ermöglicht die Reichen.
Vielleicht sieht das Bild anders aus, wenn man nicht nur den kritisierten Artikel anschaut, sondern die komplette «Kontext»-Sendung. Dem ist leider nicht so. Nebst einem ausführlicheren Porträt der Milliardärin Karin Stüber und einigen O-Tönen des Ökonomen Christian Frey fokussiert die restliche «Kontext»-Ausgabe vor allem auf ein Gespräch mit dem Historiker und Millionär Rainer Zitelmann, der damit eine Bühne für seine Thesen über Reiche erhält. Zitelmann hat für sein Buch «Psychologie der Superreichen» mit Dutzenden Multimillionären gesprochen und daraus die Eigenschaften abgeleitet, die Menschen reich machen (die Reichen seien tatkräftig und fleissig). Das ist aber nur schon darum Junk Science, weil Zitelmann hier einfach dem sogenannten sogenannten Überlebensirrtum erliegt: Zitelmann spricht nur mit Reichen und leitet einen kausalen Zusammenhang zwischen den Charakterzügen der Reichen und ihrem Reichtum ab. Hätte er aber auch mit Menschen, die nicht reich sind, gesprochen, wäre schnell klar geworden, dass auch unter den Normalos ziemlich viele Menschen tatkräftig, verantwortungsvoll und so fort sind.
Ein Gemälde lässt sich ohne Rahmen nur schwer aufhängen. Genauso kann Journalismus ohne Framing, also ohne Selektion und Aufbereitung, nicht richtig funktionieren. Es lohnt sich aber, einen kritischen Sinn für das Decodieren von Framing zu entwickeln. Die Frage, über was berichtet wird, ist zwar wichtig, aber wie über etwas berichtet wird, ist nicht selten viel folgenschwerer.