Alle profitierten von Trump: Medien als Brandbeschleuniger des Kapitol-Sturms
Die gewalttätigen Randale des Trump-Mobs vom 6. Januar im US-Kapitol haben die Welt erschüttert. Verantwortlich für den Anschlag auf das Herz der amerikanischen Demokratie sind Donald Trump und seine Verbündeten, aufgestachelt durch die monatelange Lüge des Wahlbetrugs. Wie die Medien, auch die Trump-kritischen, die Schande von Washington begünstigt haben, diskutieren Christian Caspar und Marko Kovic in der neuen Ausgabe unseres Podcasts «Das Monokel».
Es war ein schockierender und gleichzeitig spektakulärer Angriff auf die Demokratie: Am 6. Januar überfiel ein wütender Mob von Trump-Anhängerinnen und -Anhängern das Parlamentsgebäude in Washington. Die wilde Horde stürmte den amerikanischen Kongress, um die formale Anerkennung von Joe Bidens Sieg in der Wahl zum nächsten US-Präsidenten zu verhindern. Angeheizt wurde der Mob in Washington an diesem kalten Januartag durch Donald Trump. In einer Rede kurz vor dem Sturm auf das Kapitol posaunte er erneut seine Lügenmärchen über Wahlbetrug in die Menge, und für einmal entschied die Menge, den Worten Taten folgen zu lassen.
Wie konnte es soweit kommen? Mindestens drei Faktoren spielten eine Rolle.
Erstens, und ziemlich offensichtlich, tragen Donald Trump und seine politischen Komplizen die Verantwortung für den Angriff. Seit Monaten verbreiten sie bizarre Verschwörungstheorien über Joe Biden und den angeblichen Wahlbetrug, der Trump die Wiederwahl gekostet haben soll. Die Dutzenden von Klagen, die der Trump-Clan dazu eingereicht hatte, wurden zwar so gut wie alle abgeschmettert, doch das Trump-Lager liess sich davon nicht entmutigen.
Das vermochte die Lügen und Verschwörungstheorien aber nicht zu bremsen, bis sie sich am 6. Januar explosiv entladen haben. Aber auch jenseits der jüngsten Ereignisse hat Trump in den letzten rund fünf Jahren eine beeindruckende Karriere von Gewaltaufrufen und Sympathiebekundungen für Hassgruppen hingelegt.
Zweitens spielten Social Media-Plattformen eine Schlüsselrolle, und zwar in einem doppelten Sinn. Zum einen haben Trump und seine politischen Verbündeten Plattformen wie Twitter und Facebook sehr wirksam genutzt, um ihre Lügen weitgehend ungefiltert an ein Millionenpublikum zu tragen. Zum anderen, und mindestens genauso wichtig, hat sich der Mob vom 6. Januar über Social-Media-Plattformen radikalisiert und koordiniert.
Die rechtskonservative Medienbubble war der ideologische «Safe Space» des US-Präsidenten und damit ein zuverlässiger Nährboden für den Trumpismus.
Der Angriff kam nicht aus dem nichts, sondern wurde öffentlich unter anderem auf Twitter und Facebook, aber auch auf rechten Nischenplattformen wie Parler und Gab, geplant. Die nach Revolution dürstenden Trump-Fans haben sogar Pullover mit Bürgerkriegs-Slogans für den Tag X angefertigt. Nach dem Angriff auf das Kapitol haben mehrere Betreiber von Social-Media-Plattformen unter Druck der Öffentlichkeit rege durchgegriffen und eine eigentliche Säuberungsaktion vorgenommen. Trump hat seine Bühne auf Twitter, Facebook und etlichen weiteren Plattformen verloren, Amazon hat Parler von den Amazon-Servern verbannt und Twitter hat Zehntausende Konten mit Verbindungen zur QAnon-Verschwörungstheorie gesperrt.
Diese zwei Faktoren alleine, Trumps Verschwörungs-Demagogie und der Multiplikatoren-Effekt von Social Media, erklären die Ereignisse vom 6. Januar aber nur unvollständig. Das Bild vervollständigt sich erst mit einem dritten wichtigen Puzzleteil: Den Medien, die in den letzten Jahren das diskursive Klima mitgeprägt haben, das die Ereignisse des 6. Januars möglich machte.
Das Problem bei den Medien sind einerseits die Sender, Plattformen und Medienfiguren in der rechtskonservativen Medienblase, wie «Fox News», «Breitbart» oder Rush Limbaugh. Egal, wie undemokratisch, demagogisch oder faschistoid Trumps Politik und Verhalten der letzten Jahre war: Die rechtskonservative Medienbubble war sein ideologischer «Safe Space» und damit ein zuverlässiger Nährboden für den Trumpismus.
Mit seiner Ankündigung im Jahr 2015, für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen, wurde Trump zu einem medialen Faszinosum und Dauerbrenner.
Doch auch Medien, die Trump kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, sind ein Teil des Problems, wie Kyle Pope in der «Columbia Journalism Review» kritisiert. Mit seiner Ankündigung im Jahr 2015, für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen, wurde Trump zu einem medialen Faszinosum und Dauerbrenner. Bereits im März 2016 stellten Nicholas Confessore und Karen Yourish von der «New York Times» fest, dass Trump ungemein viel kostenlose Medienpräsenz genoss, was es ihm erlaubte, einen Wahlkampf zum Sparpreis zu führen – weil er permanent in den Medien war, brauchte Trump kaum Werbung zu schalten.
Mit Trumps Einzug ins Weisse Haus intensivierte sich die Symbiose zwischen dem Demagogen Trump und den auf permanente Empörung und Skandalisierung bedachten journalistischen Medien – unabhängig davon, wie die Redaktionen politisch zu Trump standen. Jeder irrsinnige Tweet Trumps generierte Schlagzeilen, jeder noch so derbe Tabubruch wurde als Breaking News inszeniert. Trump, der ihm nicht genehme Medien gerne als Feinde des Volkes geisselt, profitierte von dieser permanenten Präsenz, denn so konnte er, aller Kritik zum Trotz, die Agenda und das Framing des öffentlichen Diskurses bestimmen.
Fernsehsender wie CNN und MSNBC, bei denen Trump-Skandale praktisch täglich das Programm dominierten, bangen nun um ihre Einschaltquoten.
Die Trump-kritischen Medien haben dank Trump einen regelrechten ökonomischen Boom erlebt. Die «New York Times» etwa feierte dank ihrer Trump-kritischen Haltung neue Abonnements-Rekorde, und grosse Fernsehsender wie CNN und MSNBC, bei denen Trump-Skandale praktisch täglich das Programm dominierten, bangen nun um die Einschaltquoten in der Zeit nach Trump.
Die personalisierte Empörungsbewirtschaftung rund um Trump war für die Medien ein regelrechter Goldrausch. Sie liebten es, ihn zu hassen. In ihrer ekstatischen Trump-Bewirtschaftung haben die Medien nicht nur indirekt Trump eine enorme Deutungsmacht zugesprochen, sondern sich durchaus auch journalistisch verrannt. Zum Beispiel im Zuge der monatelangen Skandalberichterstattung über die letztlich im Nichts versandete «Russiagate»-Affäre und die dazugehörige Mueller-Ermittlung; ein Elefant, die sich als Fliege entpuppte und damit Wasser auf die Mühlen der Trump-Apologeten war.
Kann ein kommerzialisiertes Mediensystem überhaupt anders, als gefährlichen Ideologen und Ideologien wie Trump und dem Trumpismus Vorschub zu leisten?
Tatsächliche politische Katastrophen wie der Sturm auf das Kapitol können plötzlich ausbrechen, aber die Bedingungen, welche sie ermöglichen, gären über längere Zeit. Wenn wir in der Ursachendiagnose nur auf die üblichen Verdächtigen schauen – in diesem Fall auf den Demagogen Trump; auf die Online-Verschwörungsnetzwerke; auf die rechtskonservativen Propagandamedien –, versäumen wir es, uns unbequeme Fragen über vermeintlich «normale» systemische Zustände zu stellen. Zum Beispiel, ob ein kommerzialisiertes Mediensystem unter den heute so schwierigen ökonomischen Bedingungen überhaupt noch anders kann, als gefährlichen Ideologen und Ideologien wie Trump und dem Trumpismus Vorschub zu leisten. Die Schlagzeilen, die Klicks, die Empörung – das alles ist einfach zu verlockend; Demokratie hin oder her.
Ruedi Haltiner 15. Januar 2021, 17:33
Vielen Dank, Herr Kovic für Ihre medien(selbst)kritische Analyse. Mich hat schon lange diese unglaubliche Medienpräsenz dieses dümmlichen Demagogen Trump gestört. Vor allem auch in den Gefässen der SRG. Auf jeden seiner Blähungen ist man eingegangen. Hoffentlich ist diese Ära jetzt endlich vorbei.
Marko Kovic 15. Januar 2021, 18:15
Merci für die Rückmeldung! Ich hoffe auch, dass der Spuk möglichst vorbei ist. Aber ich befürchte, dass uns eher noch Schlimmeres bevorsteht – nicht zuletzt, weil der Mediencocktail, der uns die Trump-Ära beschert und sie akzentuiert hat, auch ohne Trump weiter serviert wird.
Jürg-Peter Lienhard 16. Januar 2021, 14:05
«Die WELT ERSCHÜTTERT»? Ich war NICHT erschüttert, sondern ziemlich schadenfroh! Wir sollten aufhören damit, die USA als Welt-Führungsnation zu betrachten. Die USA sind auf dem besten Weg zu einem Entwicklungsland und mit Trumpf bereits eine Bananenrepublik geworden. Und deshalb müssen wir Journalisten auch aufhören, US-importierte Termini wie Lockdown, Task force oder Home office in unseren reichen deutschen Sprachschatz aufzunehmen! Zumal es nicht viel Fantasie (statt Papageiendummheit) braucht, verständliche deutsche Worte zu finden. Die Welschen machens wenigstens weniger exzessiv!
Ruedi Haltiner 16. Januar 2021, 18:11
Beim zweiten Teil Ihres Kommentars bin ich ganz bei Ihnen. Beim ersten überhaupt nicht. Schadenfreude? Immerhin ist Amerika in vielen Belangen eine führende Nation: Wissenschaft, Technik, Innovation, Kultur. Und mehr als die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner haben den Trumpschen Schaden erkannt und bekämpfen ihn.
Jürg-Peter Lienhard 16. Januar 2021, 23:03
Vielen Dank für Ihre Replik, Herr Haltiner. Betr. «Führungsnation»: Welche Technik, welche Wissenschaft, welche Kultur? Immerhin gesprossen auf einem gewaltsam durch Genozid angeeigneten Kontinent von Sektierern, Asozialen, Glücksrittern, Verbrechern, abscheulichen Rassisten, Pietisten – und das soll keine Spuren hinterlassen haben? Technik, Wissenschaft und Kultur sind eben auch geprägt vom US-Kapitalismus und fusst auf demselben pietistischen Weltbild des ausschliessenden Wettbewerbs. Trumpel ist die schamloseste Verkörperung dieser Mentalität, aber auch seine Gegner sind darin auch verhaftet. Siehe das lächerliche Tralala mit Flaggen und Hand am Herzen…Was Sie meinen ist immer noch eine eklatant geringe Minderheit, die ich aber um Himmels Willen nicht verleugne. Die Mehrheit auf beiden Seiten (!) ist kulturlos, hat keine Manieren noch Bildung, leben den “amerikanischen Traum“, verarmen aber gleichzeitig in erschreckendem Masse. Während die Reichen immer reicher und immer asozialer werden (Gesundheitswesen etc…).
Jürg-Peter Lienhard 16. Januar 2021, 15:05
PS Auch in diesem Artikel gefundener journalistischer Papagei: «Medienbubble», statt Medienblase…