Ein verschwiegener Einzelkämpfer will Bern die Zeitungsvielfalt zurückgeben
Mit ihm hat niemand gerechnet. Norbert Bernhard, Herausgeber des Anleger-Magazins «Private» und leidenschaftlicher Tierschützer, will in Bern eine Gratiszeitung herausgeben. Er verfolge damit keine politische Agenda, es gehe ihm um die Medienvielfalt. Wer ist dieser Mann?
Der Messias hat eine überraschend dünne Stimme. Man hatte einen entschlossenen Charismatiker erwartet, einen rechten Hardliner vielleicht, einen Getriebenen. Doch Norbert Bernhard, der Mann, der die Medienvielfalt in der Bundesstadt retten will, scheint vielmehr Treibgut zu sein. Ein Philanthrop, den seine Träume herumspülen und der bis jetzt das Glück hatte, sanft zu stranden.
Ende Januar berichtete die «Handelszeitung», in Bern solle eine neue Gratiszeitung entstehen. Gehe alles nach Plan, werde ab Herbst eine Vollredaktion täglich Nachrichten aufbereiten, von Politik über Wirtschaft bis zu Sport und Kultur. Eine Zeitung für Bern, in Bern produziert. Ein Blatt mit einer Auflage von 70’000. Die Nachricht klang nach Aufbruch. Aber auch nach Übermut.
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Bewegung auf dem Medienplatz Bern
Ende Oktober 2020 kündigte Tamedia an, die Lokalredaktionen ihrer beiden Berner Tageszeitungen in absehbarer Zeit zusammenschliessen zu wollen. Grund dafür ist ein weiters Sparprogramm im Umfang von 70 Millionen Franken, das alle abonnierten Tageszeitungen von Tamedia, einem Unternehmen der TX Group, betrifft.
In Bern sollen zwar «Bund» und «Berner Zeitung» als Marken erhalten bleiben, aber für die Inhalte wäre nur noch eine einzige Redaktion verantwortlich. Nach der Teilfusion 2018 mit einem weitgehend identischen Mantelteil für die beiden Blätter folgt nun also die Vollfusion.
Auch wenn Tamedia an der Oberfläche Vielfalt simulieren will, verliert Bern eine publizistische Stimme. Die Konkurrenz zwischen «Bund» und «Berner Zeitung» entfällt. Bis heute haben die zwei Titel dafür gesorgt, dass das lokale Geschehen in Politik, Gesellschaft und Kultur aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird.
Diese betrüblichen Aussichten rief zwei sehr unterschiedliche Projekte auf den Plan, die derzeit ihre Chancen für ein neues Medienangebot in der Bundesstadt sondieren. Zum einen handelt es sich um die geplante gratis Tageszeitung von Norbert Bernhard (siehe Haupttext), zum anderen klärt derzeit die zivilgesellschaftliche Bewegung «Courage Civil» mittels einer Umfrage das Bedürfnis für eine Online-Newsplattform ab.
Ob eines der beiden Projekte dereinst als neues Berner Lokalmedium das Licht der Welt erblicken wird, ist alles andere als gewiss. Wer eine ernstzunehmende Konkurrenz zum künftigen Tamedia-Redaktionsmonopol aufbauen will, braucht Geld. Viel Geld. Norbert Bernhard rechnet für seine Zeitung mit Investitionen von 50 Millionen Franken über fünf Jahre. Branchenkenner gehen gar von 60 Millionen aus. Bernhard hofft auf die eine oder andere Bank, die dafür Geld locker machen könnte. Nach der Aufbauphase sollte sich die Tageszeitung allein mit Werbung tragen.
Das angedachte Online-Projekt würde auf eine Finanzierung durch das Publikum setzen und klärt darum in der laufenden Umfrage ab, wieviel jemand zu zahlen bereit wäre für «das Abo eines überzeugenden Online-Magazins, das auf das Geschehen im Grossraum Bern fokussiert». Die Antwortmöglichkeiten reichen von 40 bis über 100 Franken.
Die Bereitschaft, Geld in ein neues Projekt zu stecken, hängt nicht zuletzt von der Wahrnehmung der Medienvielfalt auf dem Platz Bern ab. Wird das absehbare Ende des «Berner Modells», zwei unabhängige (Lokal-)Redaktionen unter dem gleichen Verlagsdach, weitherum als Verlust wahrgenommen, den es zu kompensieren gilt? Und wenn ja, zu welchem Preis?
Heute weiss niemand, nicht einmal Tamedia selbst, wie die Situation mit einer Einheitsredaktion von «Bund» und «Berner Zeitung» genau aussehen wird. Klar ist aber schon heute, dass Abonnentinnen und Abonnenten der beiden Titel unter dem Strich kein schlechteres Produkt erhalten werden als heute. Das könnte sich Tamedia auch gar nicht leisten. Schliesslich will das Unternehmen auch in Zukunft Abos verkaufen. Das gelingt nur mit einem Produkt, bei dem Preis und Leistung stimmen.
Die Mehrheit der Abonnentinnen und Abonnenten wird den Verlust an Vielfalt gar nicht wahrnehmen, weil sie sich schon bisher nur mit einer der beiden Zeitungen informiert haben. Eine fusionierte Lokalredaktion wird möglicherweise sogar grösser sein und umfassender berichten können, als dies heute die beiden getrennten Redaktionen je allein leisten können. Ein Effekt, der sich schon beobachten liess, als zuerst «Bund» und später auch die «Berner Zeitungen» die überregionalen Artikel vom Tages-Anzeiger, respektive der Tamedia-Zentralredaktion bezogen.
Ein weiterer Faktor, der die Etablierung eines neuen Nachrichtenmediums nicht eben begünstigt, sind die bestehenden Angebote. Neben den Tamedia-Zeitungen informieren in Bern bereits heute zahlreiche Medien über das lokale Geschehen. Das geht von den Quartieranzeigern und -zeitungen, über die Gratis-Wochenzeitung «Berner Bär» bis zum Regionaljournal von Radio SRF und dem Online-Magazin «Journal B», das vor acht Jahren mit einem ähnlichen Anspruch angetreten war wie das neue Online-Projekt. Und auch die nationalen Newsplattformen «20min.ch» und «Nau.ch» berichten über die Region Bern, «Nau.ch» oft mit Meldungen der Nachrichtenagentur SDA, die für Kontinuität und Qualität bürgt.
Mit dieser Aufzählung soll der absehbare Verlust einer publizistischen Stimme nicht kleingeredet werden. Der Wettbewerb, den sich «Bund» und «Berner Zeitung» heute liefern, sorgt für eine Vielfalt in der Berichterstattung, die es so in Zukunft nicht mehr geben wird. Nur schliesst sich diese Lücke nicht automatisch.
Nick Lüthi—
Im Grunde ist Bernhards Projekt ein tollkühner Anachronismus. Den Zeitungen bricht in der Krise die Werbung bedrohlich weg, die Verlage bauen Leistung und Personal ab. Branchenkenner begannen zu rechnen und kamen zum Schluss, dass man für eine lokale Gratiszeitung rund 60 Millionen Franken in die Hand nehmen müsste. Ja, «ambitioniert», das sei wohl das richtige Wort, sagt Norbert Bernhard am Telefon und lächelt. «Doch wenn ich nicht daran glauben würde, hätte ich auch einfach ins Café sitzen können.»
Man muss wissen: Gerade stirbt in der Bundesstadt das sogenannten «Berner Modell». 2003 hatte die «Espace Media Groupe» des Berner Patriziers Charles von Graffenried, die bereits die «Berner Zeitung» herausgab, das Traditionsblatt «Der Bund» übernommen. Fortan hatte sie die lokale Konkurrenz im eigenen Haus. 2008 ging die «Espace Media Groupe» in der Zürcher «Tamedia» auf. Die beiden Berner Zeitungen behielten bis heute zumindest im Regionalteil ihre Eigenständigkeit. Im Oktober 2020 aber verkündete der mittlerweile in «TX Group» umbenannte Konzern, dass er die beiden Lokalredaktionen aus Spargründen zusammenlegen werde.
In Bern tut sich eine Lücke auf. Und Norbert Bernhard ist fest entschlossen, sie zu schliessen.
Nun hat die Vergangenheit gezeigt, dass hinter grossspurigen neuen Medienprojekten oft grosse Geldgeber stecken, die ebenso grosse Interessen verfolgen. Man denke etwa an SVP-Übervater Christoph Blocher oder den schwerreichen Unternehmer Tito Tettamanti – beide engagierten sich bei der «Basler Zeitung». Oder an die Financiers, die kürzlich zusammen mit Markus Somm den «Nebelspalter» kauften und die Satirezeitschrift in ein rechtsbürgerliches Politblatt verwandeln wollen.
Norbert Bernhard ist ein ganz anderes Kaliber. Der Exilberner führt ein anonymes Leben in der Schaffhauser Altstadt, wohin es ihn vor vielen Jahren verschlug, als er weg wollte vom Trubel des Zürcher Bankenplatzes, wo er sein Geld verdiente. Von öffentlichen Anlässen hält er wenig, über sein Privatleben schweigt er sich aus. Doch dass da Millionen auf irgendwelchen versteckten Konten schlummern, scheint ziemlich unwahrscheinlich. Einst hängte der frisch promovierte Bernhard eine Akademikerkarriere an den Nagel, weil sie ihm brotlos erschien.
Bernhard sagt, dass er keine stillen Teilhaber habe und für sein Zeitungsprojekt auf Investoren angewiesen sei. Er betont immer wieder: «Ich bin politisch neutral. Ich bin nur ein Bürger, der sich Sorgen macht um die Pressevielfalt. Ein solches Projekt hat nur eine Chance, wenn es sich politisch in der Mitte platziert.» Tippt man im Internet seinen Namen ein, kommen jedoch Zweifel auf.
1991 hatte Norbert Bernhard in einem Rundbrief der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» Auns geschrieben, die Linke schüre mit ihrer «Strapazierung» des Flüchtlingsbegriffs den Fremdenhass. 1995 hatte er für die rechtsextremen «Schweizer Demokraten» für den Nationalrat kandidiert. Heute beschwichtigt er. Die Episode sei ihm unangenehm, er wolle nicht darüber reden. Und offenbar war es tatsächlich nur ein kurzer Abstecher. «Keine Ahnung, wie der zu uns gekommen und wohin er gegangen ist», sagt etwa Christoph Spiess, Schweizer Demokrat seit Urzeiten und Oberrichter in Zürich. Spiess sagt, Norbert Bernhard habe in der Partei keine Rolle gespielt.
Es müssen sonderbare Strömungen gewesen sein, die ihn damals angeschwemmt haben am äusseren rechten Ufer.
Nach seinem Ethnologie-Studium hatte er über Rassismus und Ethnozentrismus in der Literatur dissertiert und in der Doktorarbeit untersucht, wie Schriftsteller wie Karl May und Mark Twain in ihren Abenteuergeschichten ein Bild von blutrünstigen Wilden konstruierten. Bernhard erzählt, wie er mit den Schüleraufständen gegen die Apartheid in den südafrikanischen Townships politisiert worden sei. Kurz nach der Doktorarbeit trat er den «Schweizer Demokraten» bei.
Wieso er das tat? Kein Kommentar. Man könnte sich vorstellen, dass es frühe grüne Strömungen waren, die ihn verführten. Innerhalb der «Schweizer Demokraten» gab es Gruppierungen, die den Schutz der Umwelt propagierten, um damit den Kampf gegen eine angebliche Überbevölkerung durch Ausländer zu legitimieren.
Jedenfalls begann Bernhard kurz darauf, sich stark für den Tierschutz zu engagieren. Er sagt, er habe schon in der Schule WWF-Sticker auf seine Mappe geklebt: «Tierquälerei ist etwas vom Furchtbarsten, was es gibt auf der Welt.» Seit 20 Jahren isst er kein Fleisch, heute ist er Veganer. Vor zehn Jahren gründete er die Stiftung «Bernhard’s Animals First & Only Foundation», die sich gegen Tierversuche, Tiertransporte und die Jagd engagiert. Das Motto: «Wenn Sie lieber etwas für die Tiere tun wollen als für den Steuervogt: Spenden Sie für den Tierschutz.»
Steuern – ein weiteres Lieblingsthema. Bernhard, der sich als «politisch neutral» betrachtet, schreibt ab und an Leserbriefe und mokiert sich über die «Verschleuderung öffentlicher Gelder». Wenn man sehe, wie Bundesrat Berset mit dem Geld fremder Leute umgehe, werde es einem angst und bang.
Hauptberuflich gibt Bernhard seit zwanzig Jahren das Geld-Magazin «Private» heraus. Daneben verleiht er einen mit total 50’000 Franken dotierten Medienpreis, gemäss seiner in die Jahre gekommen Website «der bedeutendste internationale Medienpreis für Qualitätsjournalismus». Er habe an Pressekonferenzen gesehen, wie fleissig all die Journalisten seien, und wie wenig sie verdienten. Da habe er gedacht, vielleicht könne er ja etwas tun.
Auch in den Finanzjournalismus hat es Bernhard zufällig gespült.
Nach der Dissertation ging er als Praktikant zur Schweizerischen Bankgesellschaft, der heutigen UBS. Doch nach ein paar Jahren begann ein alter Traum, Gestalt anzunehmen: «Ich wollte immer schon ein Heftli machen, etwas, das man in die Hand nehmen kann.» Doch so ein Heftli müsse ja auch irgendwie finanziert sein. Und da er sich in der Bankenwelt bereits ausgekannt habe und es noch kein Geldmagazin gab in der Schweiz, habe er eben selber eines gegründet.
Bernhard erzählt mit kindlicher Naivität. Doch sein Plan ging auf. Mit einer Auflage von 30’000 Exemplaren, mit Inseraten, haufenweise Publireportagen und einer wohlwollenden Nähe zu den Finanzinstituten scheint er seither ganz gut über die Runden zu kommen. Dabei ist er selbst in dieser Nische weitgehend unbekannt. Fragt man Schweizer Finanzjournalisten, was sie von Bernhard halten, antworten sie kurz und knapp: «Norbert Bernhard? Kenn ich nicht.»
Das Projekt, mit dem er nun in Bern die Medienvielfalt erhalten will, verfolgt in groben Zügen dasselbe Konzept wie sein Geld-Magazin. In den vergangenen zwanzig Jahren, sagt Bernhard, habe es in der Schweiz zwei erfolgreiche Medien-Neugründungen gegeben: «20 Minuten» und sein «Private». Heute könne nur noch eine Gratis-Zeitung erfolgreich lanciert werden. Und auch auf das Printprodukt besteht er, da ist Bernhard alte Schule. Die Auflage müsse von Anfang an hoch sein, damit die neue Zeitung attraktiv sei für grosse Werbekunden wie Migros und Coop. Aber ja, er brauche natürlich auch Investoren, die nicht nur auf eine bestimmte Rendite bedacht seien – sondern auf ihr Image. Er setzt darauf, dass das Stichwort «Medienvielfalt» Türen öffnet. Es werde nicht reichen, zwei, drei Anrufe zu tätigen; aber in der Bankenwelt sei er ja durchaus vernetzt, sagt Norbert Bernhard.
Ganz abwegig klingt das alles nicht. Doch mit seinem Anleger-Magazin war Bernhard den Banken gut gesinnt. Die neue Zeitung aber soll den Anspruch haben, völlig unabhängig zu sein: «Wenn die Wirtschaftsredaktion eine Bank kritisieren will, dann ist das halt so», sagt der Verleger. Man darf bezweifeln, dass die Gelder dann immer noch so zuverlässig fliessen werden.
Und doch kann man sich irgendwie vorstellen, wie Bernhard in einigen Jahren mit derselben Naivität erzählt, er habe da in Bern so eine Zeitung gegründet und ein paar Banken angefragt und die hätten Geld gegeben für eine Redaktion. Die Sache laufe prima.
Die Öffentlichkeit hat Bernhard nicht gesucht, er will keine Medien treffen, er will sich nicht fotografieren lassen. Doch jetzt, als bekannt wurde, was er da in Bern plane, sei eine Lawine angerollt. Verlage, Vertriebsorganisationen und Journalistinnen hätten ihn kontaktiert. Sogar Druckereien aus Deutschland hätten Offerten geschickt. Er habe den Eindruck, dass alle auf das Projekt gewartet hätten.
Auch einen Namen hat er bereits: «Neue Berner Zeitung». Ein Name mit einer Geschichte. 1919 wurde eine «Neue Berner Zeitung» als Organ der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BGB gegründet, einem Vorläufer der SVP. Doch Bernhard winkt ab. Der Name sei keine Hommage. Der historische Zeitungstitel ist ein Vorgänger der «Berner Zeitung». Doch Tamedia hat es offenbar versäumt, die Marke «Neue Berner Zeitung» schützen zu lassen. Nun, sagt er schelmisch, habe er den Namen beim Institut für geistiges Eigentum eintragen lassen. Er hege keinen Groll gegen den Zürcher Medienkonzern und wolle auch keinen Krieg führen.
Vielleicht spült es ihn aber gerade in einen hinein.