von Eva Hirschi

Bei SRF ist Mobbing ein Problem, nicht sexuelle Belästigung

Bei RTS in der Westschweiz und bei RSI im Tessin laufen Untersuchungen wegen sexueller Belästigung durch männliche Kader. Vom Deutschschweizer Radio und Fernsehen SRF waren bisher keine vergleichbaren Fälle bekannt. Zum einen scheint es tatsächlich weniger Übergriffe zu geben, zum anderen ist hier Mobbing das grössere Problem.

«SRF ist ein testosterongeschwängertes Haifischbecken.» Das sagt eine ehemalige Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte, gegenüber der MEDIENWOCHE. Sie kritisiert die «patriarchale Hierarchie» bei SRF am Standort Zürich-Leutschenbach und dass Frauen nicht ernst genommen würden. «Dieses Thema hat mich schwer beschäftigt und war mitunter auch ein Grund, weshalb ich SRF verlassen habe.» Heute arbeitet die Frau nicht mehr als Journalistin.

Sie ist nicht die Einzige. Auf einzelnen Abteilungen haben in den letzten zwei Jahren auffällig viele Frauen gekündigt. Ist das Arbeitsklima etwa frauenfeindlich? Die Frage ist berechtigt; seit den Vorwürfen sexueller Belästigung bei RTS und RSI steht die SRG-Führung massiv unter Druck. 230 Zeugenaussagen sind bei RTS in der Westschweiz über die speziell eingerichtete Hotline eingegangen, drei externe Untersuchungen laufen. Bei RSI im Tessin gab es 40 Zeugenaussagen, es läuft ebenfalls eine externe Untersuchung.

Die Situation bei RTS und RSI

Noch laufen die drei externen Untersuchungen, welche die SRG Anfang November bei der RTS in Auftrag gegeben hat: Eine zu den Vorwürfen sexueller Belästigung gegen das ehemalige RTS-Aushängeschild Darius Rochebin und zwei weitere RTS-Kadermitarbeiter, eine zur Verantwortungskette bei der RTS-Direktion und eine zu den Instrumenten zum Melden von Vorfällen.

Die Publikation der Resultate, ursprünglich für Mitte Februar angekündigt, verzögert sich jedoch. «Wir haben rund 230 Zeugenaussagen erhalten, viel mehr als erwartet, deshalb folgen die Ergebnisse erst im April», sagt Valérie Perrin der SSM Romandie. Die Anwälte, welche die Untersuchung durchführen, hätten um mehr Zeit gebeten. RTS-Chefredaktor Bernard Rappaz lässt sein Amt für die Dauer dieser Untersuchung ruhen. Auch der ehemalige RTS-Moderator Darius Rochebin muss warten: Bei seinem neuen Sender LCI in Frankreich arbeite er zwar wieder, sei jedoch noch nicht am Bildschirm zu sehen – man wolle auf die Ergebnisse der RTS-Untersuchungen warten, liess die Gruppe TF1 verlauten. Rochebin hatte im Dezember eine Klage gegen die Zeitung «Le Temps» eingereicht, welche die Vorwürfe gegen den früheren RTS-Starmoderator veröffentlicht hatte.

Mit 40 Hinweisen auf sexuelle Übergriffe gingen auch bei RSI mehr Meldungen ein als erwartet. In einem Interview mit «Le Temps» erhob zudem die Präsidentin der Tessiner Sektion der Gewerkschaft SSM, Maria Chiara Fornari, schwere Vorwürfe gegen die RSI-Leitung und das Betriebsklima beim italienischsprachigen Radio und Fernsehen. Sexistische Witze seien an der Tagesordnung. Dem RSI-Direktor Maurizio Canetta wurde inzwischen das Dossier zu den sexuellen Belästigungen entzogen. Grund sind zwei Tweets mit expliziten sexuellen Äusserungen. SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina und SRG-Generaldirektor Gilles Marchand taxierten sie als «inopportun». Bereits letztes Jahr hatte Canetta seinen Rücktritt angekündigt, er geht Ende März 2021 in Pension. Auf ihn folgt Mario Timbal. Die Ergebnisse der externen Untersuchung bei RSI werden noch vor dem Sommer erwartet.



Bei SRF in der Deutschschweiz hört man allerdings von keinen solchen Fällen. Auch wurde keine Melde-Hotline eingerichtet. Doch Probleme gibt es auch bei SRF. «Mir sind insbesondere Fälle übergriffigen Verhaltens gegenüber Praktikantinnen bekannt», sagt eine ehemalige Mitarbeiterin. Davon hätten die Vorgesetzten gewusst, doch es sei geduldet worden. Auch müssten sich viele Frauen unangebrachte Sprüche anhören. Namentlich will jedoch auch sie nicht zitiert werden. Das Thema ist heikel, das hat auch der Enthüllungsartikel von «Le Temps» von letztem Oktober gezeigt, bei welchem alle Zeuginnen und Zeugen ebenfalls anonym bleiben wollten.

Die RTS-Mitarbeiterinnen, die den Instagram-Account SwissMediaToo betreiben, kennen dieses Problem: «Viele Frauen fürchten um ihre berufliche Zukunft oder schämen sich für das, was passiert ist.» SwissMediaToo veröffentlicht regelmässig Aussagen von Medienschaffenden, die Übergriffe beschreiben. Auch wenn die Zeugenaussagen vor allem aus der Romandie stammen, so hatte es darunter auch schon Fälle aus der Deutschschweiz – auch von SRF.

Die Fälle scheinen nur den Standort Zürich zu betreffen. Die von der MEDIENWOCHE befragten SRF-Angestellten im Studio Bern haben keine Kenntnis von Fällen sexueller Belästigung bei ihnen. «Vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir viele Frauen in der Chefetage haben», mutmasst eine langjährige Mitarbeiterin. Ein Ranking des Magazins «Schweizer Journalist:in» zeigt, dass Radio SRF zu den Medien gehört, die über die meisten Frauen in Führungsjobs verfügen. SRF 4 News, SRF 2 Kultur und Radio SRF 1 sind gar 100 Prozent weiblich geleitet. Dass beim Fernsehen Führungspositionen vornehmlich von Männern besetzt sind, könnte den Unterschied in der Unternehmenskultur erklären. Bei SRF geht man, anders als bei RTS und RSI, von keinem strukturellen Problem aus. Personalleiter Gerhard Bayard erklärt auf Anfrage:

«Wie in jedem Unternehmen dieser Grösse gibt es leider Einzelfälle, die nicht geduldet werden.»

Jeden Fall von sexueller Belästigung, Mobbing oder Diskriminierung behandle SRF nach einem klar festgelegten Ablauf, betont Bayard. Nach dem Bekanntwerden der Fälle bei RTS habe die Geschäftsleitung von SRF alle Mitarbeitenden per E-Mail aufgerufen, die internen Ansprechpersonen über entsprechende Vorkommnisse zu informieren. Es seien nur fünf Fälle gemeldet worden, die alle überprüft worden seien, zudem sei mit der Gewerkschaft SSM und der Frauenorganisation Femmes SRF abgeklärt worden, ob es eine Häufung solcher Fälle gebe. Solche Hinweise habe es nicht gegeben, weshalb keine spezielle Hotline wie bei RTS und RSI eingerichtet wurde.

Dennoch laufe auch bei SRF eine Untersuchung, wie Bayard sagt: «Einerseits hat die interne Revision der SRG – mit Unterstützung von externen Expertinnen – abgeklärt, ob die Instrumente zum Schutz der persönlichen Integrität der Mitarbeitenden funktionieren, ob sie bekannt sind und genutzt werden. Andererseits hat eine externe Stelle eine Überprüfung der dokumentierten Fälle aus der Vergangenheit durchgeführt und dabei abgeklärt, ob die vorhandenen Massnahmen richtig umgesetzt wurden.» Die Ergebnisse beider Untersuchungen stehen noch aus. Bei Vorfällen könnten sich SRF-Mitarbeitende an die Vorgesetzten, die HR-Beratung, die Whistleblower-Plattform oder an eine bestehende externe Stelle wenden, sagt Bayard. Dies reiche jedoch nicht, sagt Elena Obreschkow von der Gewerkschaft SSM:

«Es gibt zwar interne und externe Anlaufstellen, aber die funktionieren nicht genügend gut.»

Das SSM sei diesbezüglich mit SRF in Kontakt. Zurzeit sei man allerdings vor allem mit der Restrukturierung im Rahmen des Reformprojekts SRF 2024 und dem Personalabbau beschäftigt. Eine SRF-Journalistin vom Studio Bern sagt: «Das ist ohnehin zurzeit das Hauptthema bei uns, die Stimmung ist sehr schlecht.» Kritischen Angestellten sei klar gemacht worden, dass sie besser schweigen sollten. «Vielleicht wagt auch deshalb niemand, über Probleme wie Sexismus zu sprechen?»

Von Seiten des SSM werde man aber auch das Thema sexuelle Belästigung und Diskriminierung weiterverfolgen. «Uns ist aufgefallen, dass Mobbing und Diskriminierung ein viel grösseres Problem zu sein scheint als sexuelle Belästigung», sagt Obreschkow. Wobei die Grenzen zwischen Sexismus, Diskriminierung und Mobbing oft fliessend sind. Die Aussage von Obreschkow bestätigen auch befragte SRF-Mitarbeiterinnen in Bern und Zürich. «Frauen haben es schwerer, sich durchzusetzen und neue Projekte anzustossen», sagt eine langjährige SRF-Mitarbeiterin. «Man muss als Frau viel mehr leisten im Vergleich zu jungen Männern in gleicher Position», sagt etwa eine junge Journalistin. Andere fühlen sich benachteiligt, in vielen Redaktionen seien immer noch vorwiegend Männer in Chefpositionen, Frauen würden kaum gefördert.

Gut möglich also, dass durch die laufende Untersuchung bei SRF auch noch strukturelle Probleme ans Licht kommen. Die Chefetage weiss, dass das Arbeitsklima nicht zufriedenstellend ist und Handlungsbedarf besteht. Das zeigt auch die interne E-Mail der SRF-Direktorin Nathalie Wappler von letztem November, in welcher sie verlauten liess, dass man die Themen Mitarbeitendenschutz und Vertrauenskultur weiterentwickeln werde und ein Berichtssystem etablieren wolle. Dennoch loben einige Journalistinnen die neu geschaffenen Initiativen, die Frauen fördern sollen, wie die 50:50-Initiative, «idée femme» oder ein Diversity-Board, das sich um Vielfalt kümmern soll. Die Situation sei, sagt eine weitere SRF-Journalistin, immerhin schon viel besser als noch vor 15 Jahren.

Tamedia-Journalistinnen protestieren gegen Diskriminierung

Eigentlich hätten die 78 Redaktorinnen der Tamedia-Zeitungen ihr Protestschreiben anlässlich des Frauentags vom 8. März 2021 ihren Vorgesetzten überreichen wollen. Als die Tamedia-Leitung am letzten Freitag per Mail über Massnahmen zur Frauenförderung informierte, änderten die Journalistinnen kurzfristig ihren Plan und verschickten das Schreiben früher als geplant; aus Gründen. «Seit Jahren – und auch im aktuellen Mail wieder – gelobt Tamedia, den Frauenanteil zu verbessern – Stichwort ‹Diversity›. Wir erwarten, dass dieser eigene Anspruch endlich erfüllt wird», lautet eine der Forderungen des Briefs.

In dem zwölfseitigen Dokument listen die Journalistinnen «Erlebnisse aus den Tamedia-Redaktionen» auf, die eine von «Männern geprägte Betriebskultur» illustrieren. Das geht von Beleidigungen und unangebrachten, sexistischen Bemerkungen über den allgemeinen Umgangston bis zu professioneller Geringschätzung, fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten und unerklärbarer Ungleichheit beim Lohn.

Anlass für das Protestschreiben sind Kündigungen mehrerer Redaktorinnen, die die Tamedia-Redaktionen verlassen haben «aus Resignation und darüber, dass sich die Situation für die Frauen auf den Tamedia-Redaktionen trotz anderslautender Statements nicht verbessert.»

Rund hundert Redaktoren unterstützten die Forderungen ihrer Kolleginnen mit einem Solidaritätsschreiben. Sie sehen es als «dringlich, dass die Geschäftsleitung die Forderungen unserer Kolleginnen ernst nimmt und entsprechend handelt».

In einer ersten öffentlichen Reaktion auf den Brief teilte Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser dem Portal persoenlich.com mit: «Verschiedene der erwähnten Beispiele sind nicht akzeptabel. Jegliche Art von Belästigung und Diskriminierung wird bei uns nicht toleriert.»

Als Reaktion auf den zum Internationalen Frauentag vom 8. März 2021 formulierten Brief erwarten die Autorinnen bis zum Tag der Arbeit am 1. Mai «konkrete Vorschläge zur Umsetzung unserer Forderungen und eurer ‹verbindlichen Ziele›».

Nick Lüthi

Leserbeiträge

Peter Achten 10. März 2021, 09:11

Ich habe zwischen 1974 bis 1986 bei der Tagesschau gearbeitet. Mit vielen Frauen zusammen. Es gab mobbing, aber in beiden Richtungen. Sexuelle Übergriffe hingegen gab es nicht.

Claude Bürki 10. März 2021, 13:17

Mobbing reicht auch schon…