von Samuel Schlaefli

Medien in Myanmar: zum Abschuss freigegeben

Seit dem Militärputsch in Myanmar vom 1. Februar 2021 hat sich die Situation für Journalisten drastisch verschlechtert. Sie werden überwacht, verhaftet und attackiert. Kritische Medien verlieren ihre Publikationslizenzen und das Militär stürmt Redaktionsbüros. Ausserdem setzt die Militärjunta gezielt Desinformation und moderne Überwachungstechnologie gegen missliebige Medien ein.

Ko Kaung Myat Naing ist Reporter für die Nachrichtenplattform «Democratic Voice of Burma» (DVB). Während der Proteste in seiner Heimatstadt Myeik im Süden Myanmars übertrug er Ende Februar live, wie Polizisten wahllos in Häuser schossen, eine schwangere Frau schlugen und ihr Zuhause plünderten.

Dafür sollte er büssen: Am 1. März kurz nach 22 Uhr kommen die Schergen des Regimes. Sie versammeln sich vor Myat Naings Wohnung und schreien, dass er nach draussen kommen soll. Als er nach einem Haftbefehl fragt, schiessen die Polizisten in die Luft. Als er sie bittet friedlich zu bleiben, schmeissen sie Steine in seine Wohnung. Einer trifft ihn am Kopf. Er ist verletzt und schreit nach Hilfe. Danach rammen sie die Haustür und führen ihn ab. Das alles hat Myat Naing in einem Livestream aufgezeichnet. Seither fehlt von ihm jede Spur; die Redaktion weiss nicht, wo er ist.

Solche Szenen sind im südostasiatischen Staat zwischen Indien und China wieder Normalität, seit sich die Tatmadaw, die allmächtige und in ganz Myanmar gefürchtete Armee, am 1. Februar 2021 an die Macht geputscht hat. In den dritten freien Wahlen seit 2012 hatte die «National League for Democracy» NLD unter Aung San Suu Kyi ihre Popularität weiter ausgebaut. Damit hatte General Min Aung Hlaing anscheinend nicht gerechnet. Ohne jegliche Beweise sprach er wochenlang von Wahlbetrug und riss schliesslich die Macht wieder an sich. Seither sind mehr als 120 friedliche Demonstrierende durch Polizisten oder Soldaten erschossen worden. Über 2100 Politiker, Aktivistinnen, Künstler und Journalistinnen wurden seit dem Coup verhaftet – und jeden Tag kommen neue dazu.

Sai, der in Wahrheit anders heisst, ist Reporter bei «Myanmar Now». Die Online-Plattform gehört neben «Frontier» und «Irrawaddy» zu denjenigen englischsprachigen Medien, die konstant und fundiert über den Putsch, die Proteste von hunderttausenden vorwiegend jungen Burmesen und Burmesinnen sowie die landesweiten und sektorübergreifenden Streiks berichten. Ich erreiche Sai über eine thailändische SIM-Karte.

Der Zugang zum Internet wird seit dem 14. Februar täglich von 1 Uhr in der Nacht bis um 9 Uhr morgens blockiert, manchmal sogar bis Mittag.

Roaming übers thailändische Mobilfunknetz ist dann die einzige Möglichkeit, um mit anderen in Kontakt zu bleiben. Sai läuft während unseres Gesprächs per Videochat durch das Zentrum Yangons, der früheren Hauptstadt Rangun. In der Wirtschaftsmetropole und dem Kumulationspunkt der Proteste ist es an diesem März-Nachmittag seltsam ruhig. Wenig Verkehr, keine Garküchen und schwatzenden Menschen am Strassenrand; die Stimmung scheint angespannt. Für den Folgetag sind weitere Proteste angekündigt.

Sai versteckt sich hinter einer schwarzen Sonnenbrille und unter einer Baseballmütze. Er wirkt gefasst, obschon der letzte Monat sein Leben komplett auf den Kopf gestellt hat. Seine Frau und seine fünfjährige Tochter musste er aus Sicherheitsgründen zurücklassen. Genauso wie seine Redaktionskollegen und -kolleginnen ist er ständig unterwegs und wechselt regelmässig die Wohnung. Das ad-hoc Sicherheitsdispositiv beschreibt er so:

«Wir haben unsere Telefonnummern geändert, ein Rotationssystem für Übernachtungen in unterschiedlichen Wohnungen aufgestellt, Computer ausgewechselt und mobile Festplatten mit unseren Daten an sichere Orte gebracht.»

Die Vorkehrungen sind nötig: Sais Redaktionskollegin, Kay Zon Nwe, wurde am 27. Februar während Protesten in Yangon von der Polizei verhaftet. Am 8. März stürmte die Armee das Redaktionsbüro von «Myanmar Now». Da die Plattform seit dem Coup dezentral arbeitet, war jedoch niemand vor Ort.

Die Unterdrückung der Medienfreiheit hat für die Putschisten erste Priorität. Exakt zwei Wochen nach dem Coup kündigten sie eine Änderung des «Electronic Transactions Law» an. Gemäss Paragraph 38c das Gesetzes kann mit drei Jahren Haft bestraft werden, wer «Fake News» oder «Desinformation» online teilt und zu «Verleumdung», «Alarmierung der Öffentlichkeit» und «Zerstörung des öffentlichen Vertrauens» beiträgt. All das macht eigentlich die Militärjunta. Aber Journalisten und Aktivistinnen wussten sofort, dass die neuen Bestimmungen auf sie zielen. Postwendend verurteilten sie die schwammige Definition der angeblichen Straftaten. Fünf Mitglieder des Presserats (Myanmar Press Council) traten zurück. Der Gründer der Yangon Journalism School, Ye Naing Moe, zeigte sich auf «Myanmar Now» jedoch wenig überrascht von den Anpassungen. Der Coup markiere automatisch das Ende aller Grundrechte, darunter auch das Recht auf freie Meinungsäusserung, sagte er gegenüber «Myanmar Now».

In Mitteilungen vom 13. und 23. Februar verbot das Militär sämtlichen Medien im Land, weiterhin Begriffe wie «Coup», «Militärregime» und «Militärrat» in der Berichterstattung zu verwenden.

Daraufhin veröffentlichten über 20 Verlage eine gemeinsame Erklärung, in der sie sich auf Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beriefen. Sie liessen sich nicht einschüchtern und verkündeten, dass sie weiterhin frei und nach medienethischen Prinzipien über den Coup und die Proteste berichten werden. Doch die Reaktion der Militärregierung liess nicht lange auf sich warten: Am 8. März verkündete ein Sprecher der Junta auf dem Staatssender «MRTV», dass den Medienunternehmen «Myanmar Now», «Mizzima Media», DVB, «7 Day News» and «Khit Thit Media» die Publikations- und Sendeerlaubnis entzogen worden sei.

Deren Mitarbeitende fürchten nun, dass jegliche journalistische Betätigung in die Illegalität verbannt wird und sie als Journalisten noch angreifbarer werden als zuvor. «Wir sind nun am Punkt angelangt, an dem die weitere Ausübung unserer Arbeit mit dem ständigen Risiko verbunden ist, dass wir verhaftet oder getötet werden», sagte Swe Win, der Chefredaktor von «Myanmar Now» als Reaktion auf die Ankündigung. Er war bereits im Dezember 2019 von Unbekannten angeschossen worden und glaubt, dass der Vorfall mit einer Recherche über die Geschäftsinteressen der Familie des aktuellen Generals Min Aung Hlaing zusammenhängt.

Für Sai und viele andere scheint es, als würde sich gerade die Geschichte wiederholen: Wieder schiesst die Junta aufs eigene Volk, wie damals bei den Studentenprotesten von 1988 und der Safranrevolution von 2007, die von buddhistischen Mönchen angeführt wurde. Wieder verschwinden Nacht für Nacht dutzende Regimekritiker in Gefängnissen. Und wieder wird gefoltert und gemordet. Und doch hat sich etwas geändert:

Heute kämpft die Junta nicht mehr nur mit Waffen und Gewalt gegen die Freiheit, sondern auch mit gezielten Desinformationskampagnen über die sozialen Medien.

So tauchten zum Beispiel zu Beginn der Proteste falsche Pläne auf Facebook auf, die angeblich zeigten, wo sich die Protestierenden versammeln. Damit sollte Chaos gestiftet und die Menschen zerstreut werden. Zudem kursierten Posts, welche die Freilassung von Aung San Suu Kyi ankündigten, worauf ihre Anhänger aus Freude über die positive Wendung den Protesten kurzzeitig fernblieben. Auch Nachrichten zu einer bevorstehenden militärischen Intervention der USA wurden bereits geteilt. «In Myanmar tobt ein Informationskrieg», sagt Sai. «Unsere Redaktion überprüft ununterbrochen Posts und versucht die Falschmeldungen zu entlarven.»

Am 25. Februar sperrte Facebook sämtliche offiziellen Accounts des Militärs und der Ministerien, die diesem direkt untersteht. Einige Tage zuvor war bereits die Hauptseite der Armee gesperrt worden. Das Risiko, dass das Militär auf Facebook und Instagram zu Hass und Gewalt aufrufe, sei zu gross, hiess es von Seiten des Tech-Konzerns. Das hat wohl auch mit Versagen in der Vergangenheit zu tun: 2018 kam eine Untersuchung der UNO zum Schluss, dass Facebook bei der Eskalierung der Gewalt gegen die muslimische Minderheit der Rohingya im Gliedstaat Rakhine zu langsam und ineffektiv gehandelt habe. Über 700’000 Menschen flüchteten damals nach Bangladesch. Die UNO sprach von einem Genozid und machte die Armee, angeführt von General Min Aung Hlaing, dafür verantwortlich.

Anfang März tauchten dann hunderte von Videos auf, in welchen bewaffnete Männer in Tarnkleidung den prodemokratischen Protestierenden drohen, sie auf offener Strasse zu erschiessen.

Auch Falschinformationen von militärtreuen Fernsehkanälen wurden auf TikTok von Accounts mit tausenden von Followern geteilt.

So wird behauptet, nicht die Sicherheitskräfte hätten auf die Demonstranten geschossen, sondern Aufwiegler unter den Protestierenden selbst und Studentengruppen, die bereits an früheren Protesten beteiligt waren. Als «Beweis» dafür wurden ungenannte Experten angeführt, welche die eingesetzten Waffen und Projektile untersucht hätten. Und manipulierte Bilder sollten angebliche Mörder in den Reihen der Protestierenden selbst zeigen. Menschenrechtsorganisationen und die UNO hatten indes schon längst Militär und Polizei für die Eskalation der Gewalt und die Morde an friedlichen Protestierenden verantwortlich gemacht.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Burmesische Journalisten und Journalistinnen konnten auch vor dem Coup nicht frei arbeiten. Der anfängliche Ausbau der Pressefreiheit nach der Öffnung des Landes seit 2011 unter Thein Sein hielt nicht lange an. Nach der Machtübernahme durch die NLD von 2016 kam es wieder vermehrt zu willkürlichen Verhaftungen und Prozessen. Trotzdem war die Situation noch immer deutlich besser als während der fast 50-jährigen Militärdiktatur, als jeder Artikel, jeder Songtext und jedes Gedicht vor der Publikation durch die Hände der staatlichen Zensoren ging – und kritische Journalisten reihenweise für ihre Arbeit im Gefängnis landeten.

Nach zehn Jahren schleichender und mit Rückschlägen behafteter Demokratisierung droht nun eine Rückkehr in die Diktatur. Sai und seine Kolleginnen fürchten derzeit nichts mehr, als dass die Proteste in Myanmar bald wieder aus den internationalen Medien verschwinden, ihr Land erneut in einen autokratischen Dornröschenschlaf fällt und die Bevölkerung unter der Knute des Militärs für weitere Jahrzehnte in Isolation sich selbst überlassen wird. Sai ist selbst in der Militärdiktatur aufgewachsen. «Ihr müsst weiter über die Gräuel der Militärjunta berichten und dürft uns nicht vergessen», sagt er am Ende unseres Gesprächs. «Ich will nicht, dass meine Tochter die gleiche Hölle durchleben muss wie ich damals als Kind.»


Armee setzt auf europäische Überwachungstechnologie

Das Militär in Myanmar setzt gezielt auf Desinformation über soziale Medien und nutzt eine ganze Reihe neuer technologischer Möglichkeiten, um Journalistinnen und Aktivisten zu verfolgen. Gemäss einer Recherche der New York Times hat die Armee ihr Arsenal an Überwachungstechnologie in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut. Gekauft wurden Drohnen aus Israel, Geräte zum Knacken von Smartphones aus Europa und amerikanische Software, um sich in private Computer zu hacken.

Zudem nutzt das Militär heute eine Überwachungstechnologie, um über Social-Media-Posts und die Standortinformationen von Internetroutern an die Adressen von Regimegegnern zu gelangen. Das hat die Auswertung von Haftbefehlen durch die «New York Times» gezeigt. Geliefert haben die Technologie Unternehmen aus China, Russland, Israel und Schweden – oft über Mittelsmänner in Myanmar. Die Käufe im Umfang von mehreren Millionen US-Dollars wurden über das staatliche Budget und unter der Führung der NLD von Aung San Suu Kyi getätigt. Sie sind ein weiterer Beleg dafür, wie viel Einfluss das Militär auch unter der demokratisch gewählten Regierung noch immer behalten konnte.