von Marko Ković

Sprachwandel und Statusangst: reaktionäre Reflexe gegen das Gendersternchen

Inklusive, gendergerechte Sprache stösst auf teils heftigen Widerstand. In der neuen Folge unseres Podcasts «Das Monokel» werfen Marko Ković und Christian Caspar einen Blick auf die hitzige Debatte zu inklusiver Sprache. Und stellen fest: Gängige Argumente gegen inklusive Sprache sind auch Ausdruck eines allgemeinen Unbehagens mit der Art, wie sich die Gesellschaft wandelt.

«Nun wird niemand all jenen, die Gender-* und Binnen‑I benutzen, Nähe zu Faschismus, Nationalsozialismus oder Kommunismus vorwerfen. Manche Nutzer aber zeigen genau diese Nähe.»

Diese hanebüchene und komplett unbegründete Verbindung gendergerechter Sprache mit «Faschismus, Nationalsozialismus oder Kommunismus» ist nicht etwa ein spätabendlicher Tweet eines anonymen Trolls oder ein spontaner wütender Kommentar unter einem Artikel zu inklusiver Sprache. Es ist eines der Argumente aus der Feder Richard Stöbers, Professor für Kommunikationswissenschaft in Bamberg, die er unlängst in der Fachzeitschrift «Publizistik» veröffentlicht hat.

Nicht alle Kritiker*innen inklusiver Sprache sehen dahinter «Faschismus, Nationalsozialismus oder Kommunismus». Und die meisten Kritiker*innen dürften in analytischer Hinsicht auch verstehen, dass eine Kategorie namens «Faschismus, Nationalsozialismus oder Kommunismus» grundsätzlich nicht viel Sinn ergibt.

Doch in der aktuellen Debatte zu inklusiver Sprache werden immer wieder Argumente vorgetragen, die weder empirisch belegt noch stichfest sind. Zum Beispiel die Kritik, dass es das generische Maskulinum schon lange gebe und die Form darum auch richtig sei – wenn Menschen seit Langem so denken und sprechen, wird das ja wohl korrekt sein. Doch diese Vorstellung ist ein recht offensichtlicher Fall des sogenannten Sein-Sollen-Fehlschlusses. Ein gesellschaftlicher Ist-Zustand gibt aber keinen Aufschluss darüber, welche Normen rational gesehen gut sind. Früher wurden angebliche Hexen verbrannt – und nur, weil das Tradition war, war es nicht unbedingt eine gute Idee.

Ein anderes prominentes Argument der Kritiker*innen geht dahin, dass das generische Maskulinum eigentlich ganz neutral sei und stattdessen in Tat und Wahrheit gerade die gendergerechte Sprache zwischen den Geschlechtern diskriminiere. Wenn gendergerechte Sprache jedoch für das Problem diskriminierender Strukturen sensibilisiert, die sich über Sprache (re-)produzieren, dann macht sie bestehende Probleme lediglich sichtbar, erschafft sie aber nicht.

Wenn die Argumente gegen inklusive Sprache nicht so recht zu überzeugen vermögen, warum ist die Abwehrhaltung der Kritiker*innen dann nach wie vor so stark? Eric Gujer, Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», lässt in einem Artikel durchblicken, was die eigentliche Triebfeder für den Kampf gegen inklusive Sprache sein dürfte:

«Hinter dem Gendersternchen lauert etwas anderes viel Fundamentaleres. Sprache ist ein Herrschaftsmittel. Wer bestimmt, was gesagt oder geschrieben werden darf und in welcher Form, hat Macht über die Gesellschaft.»

Gujer kritisiert hier, dass die «Linken» über gendergerechte Sprache nach der Macht greifen. Indirekt erklärt er mit dieser Deutung aber, was ihn und manche andere Kritiker*innen inklusiver Sprache antreiben dürfte. Die Gesellschaft wandelt sich, und mit ihr wandeln sich auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Das gefällt jenen nicht, die sich bisher ihrer Machtpositionen erfreuen durften. Der emotionale Kampf gegen inklusive Sprache ist ein reaktionäres Plädoyer für eine Welt, die es immer weniger gibt.

Leserbeiträge

Fredy Hämmerli 13. April 2021, 17:01

OK, hab’s kapiert, warum das mit dem generischen Maskulinum nicht funktioniert. Frage mich dann aber, warum Marko Ković das generische Femininum „Hexe“ in seinem Beitrag nicht auch mit der maskulinen Form „Hexer“ gendert. Auch angebliche Hexer wurden im Mittelalter zu Hauf verbrannt, wenn auch weniger häufig als Frauen. Oder gilt das Gendern einmal mehr nur in eine Richtung? Die Männer sind dann einfach mitgemeint?

Und wenn wir schon dabei sind: Warum wehrt sich niemand gegen die vielen negativ konnotierten rein männlichen Formen auf -ling wie etwa Fiesling, Feigling, Wüstling etc. Wo wird da der Stern, der Doppelpunkt oder das Binnen-I gesetzt? Oder braucht’s das nicht, weil das eh alles alte, weisse Männer sind?

Marko Kovic 13. April 2021, 17:45

Grüezi Herr Hämmerli

Wegen Hexern: Guter Hinweis, danke! Da hatte ich eine Wissenslücke!

Wegen negativ konnotierten Begriffen: Darüber sprechen wir auch im Podcast. Und es gibt ja auch zahlreiche primär in weiblicher Form genutzter negativer Begriffe (Pappnase, Witzfigur, Memme, Schwuchtel, etc.), sodass Ihr Argument nicht wirklich zutreffend ist. Grundsätzlich aber finde ich, dass auch bei Beschimpfungen gendergerecht beschimpft werden kann. Z.B. „Anna ist feige“ anstatt „Anna ist ein Feigling“.

Und von „alten weissen Männern“ ist weder im Text noch im Podcast die Rede, mit keinem Wort. Wenn Sie reflexartig so reagieren, könnte es sein, dass Sie die Argumente und die Kritik missverstehen. Es geht nicht darum, Individuen oder Gruppen von Menschen anzugreifen und ihnen etwas zu unterstellen. Ganz im Gegenteil geht es um latente Strukturen. Inklusive Sprache impliziert nicht personalisierte Verschuldung oder Fehlverhalten.

Mit bestem Gruss
Marko

Ueli Custer 13. April 2021, 17:11

Sprache ist nicht nur „Schreibe“. Das Gendersternchen ist ein unnötiges Hindernis beim Lesen, liebe Leserinnen und Leser.

Chris 14. April 2021, 16:25

Wundert mich dann aber, ob die Anführungszeichen um „Schreibe“ nicht auch ein unnötiges Lesehindernis sind? Oder ob da nur jemand wenig Lesepraxis hat? Letzterem könnte man einfach abhelfen: üben, üben, üben. Dann wird nächstens ganz elegant und schnell auch das Gendersternchen mitgelesen – wie die Anführungszeichen auch 🙂

Ueli Custer 14. April 2021, 17:28

Wie liest man denn dieses Sternchen?

Chris 18. April 2021, 16:30

Wie liest man denn diese Anführungszeichen? Sagen Sie bloss, Sie haben dafür lesend einen Weg gefunden. Dann bin ich sehr zuversichtlich, dass Sie auch einen Weg finden, das * zu lesen (so wie man auch Wege findet das grosse Binnen-I zu lesen). Und da Sprache, wie Sie richtig anmerkten, nicht nur aus Schreiben besteht, und das Lesen zu bewältigen ist, bleibt noch das Sprechen: * = minimale Pause.

Toni Koller 13. April 2021, 21:31

Auch ich habe Vorbehalte gegenüber dem Gender-*, -: oder -_ , werde aber deswegen nicht gerne als Reaktionär verdächtigt! Natürlich ist inklusive Sprache nötig, das generische Maskulinum hat abgedankt. Es gibt allerdings elegante Mittel der Inklusion, die der schriftlichen Sprache weniger typografischen Murks abfordern: Männliche und weibliche Formen benutzen, zwischen ihnen abwechseln, geschlechtsneutrale Begriffe verwenden („Publikum“ statt Zuschauerinnen und Zuschauer). Auch das gute alte Binnen-I ist zur Not OK, ich verwende es nicht selten: Immerhin stellt es keinen typografischen Fremdkörper ins Wort. Geschlechtsidentitäten jenseits von Mann & Frau bleiben be all dem exkludiert? Nun, das bleiben sie in der gesprochenen Sprache auch mit dem *. Es sei denn, man erkläre das Wort „Stern“ sogar beim Sprechen für obligatorisch. Forget it!

Ueli Custer 14. April 2021, 17:32

Wir sind uns fast einig. Mit dem grossen I kann ich aber genauso wenig anfangen. Auch das ist schreibe und nicht Spreche.

Leisi 15. April 2021, 20:59

Wir wärs mit einem Smiley anstatt eines Sternchens? Das würde erstens etwas Entspannung in die Diskussion bringen und zweitens optisch nicht so auffallen.

Ueli Custer 15. April 2021, 22:20

Und das liest man dann als „LehrerSmilyInnen“?

Bebbi 15. April 2021, 23:56

Bedaure, aber dieser Artikel und vor allem die Argumentation ist akademisches Gewäsch, Klugscheisserei von Kasten-Mitgliedern, die sich nicht mit körperlicher Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft die Hände schmutzig machen (müssen). Respekt hat etwas mit Erziehung und mit Liebe zu tun. Dies via blöde Sternchen den scheinbar «Primitiven» und «Unaufgeklärten», ja «nicht Emanzipierten» aufzuzwingen und sie mit akademischer Eloquenz zu schulmeistern hat leider etwas Faschistisches. Sorry, aber für mich ist es so! Ich gehe morgen dann mit meinen beiden 8 und 10 Jahre alten Fräuleins und dem 12-jährigen Jüngling aus meiner Familie einen Mohrenkopf vertilgen. Ihre Mutter stammt aus Cuba und ist eine schöne Negerin, deren schneeweisse Zähne beim fröhlichen Lachen aufblitzen wie Diamanten!

Kurt Zumbrunn 16. April 2021, 09:25

Dank Ihrem Kommentar hat es sich doch noch gelohnt diesen Artikel zu lesen 😉

johannes kornacher 16. April 2021, 09:15

political correctness und Gendersprachregelungen sind Ausdruck einer zwanghaften Gesinnung und ist außerdem nicht mal von ihren Verfechtenden praktisch umsetzbar. Da steht zwar neu drauf, drin steckt jedoch eine reaktionäre Haltung. Als würde sich alles zum Guten wenden, weil eine Minderheit Zwietracht säht. Haltungen und Einstellungen der Menschen ändern sich so nicht. Der Genderhype kommt gleich nach der Stasi. Eine Gruppe von Menschen über einen Stern zu identifizieren, ist eigentlich das, was wir überwunden glaubten und ist eben – reaktionär und widerlich.

Günther Kuhn 16. April 2021, 13:40

Könnte es auch einfach sein, dass das menschliche Gehirn die Schwäche besitzt, entgleisen zu können 🙂 …