von Peter Stäuber

Wie sich die BBC in die Ecke drängen lässt

Die Covid-Pandemie zeigte es einmal mehr: Die BBC geniesst weiterhin eine grosse Glaubwürdigkeit beim breiten Publikum in Grossbritannien. Trotzdem steht die Medieninstitution im Königreich unter starkem Beschuss – von rechts, von der Regierung und von der Konkurrenz. Mit dem Druck kann die BBC nicht wirklich umgehen.

Solche Kontroversen will die BBC eigentlich um alles in der Welt vermeiden. Als Robert Jenrick, britischer Minister für Wohnungsbau, vor einigen Wochen in der Frühstückssendung BBC Breakfast per Videolink interviewt wurde, machte sich der Moderator lustig über den grossen und prominent platzierten Union Jack im Hintergrund des Ministers. «Ich finde, Ihre Flagge entspricht nicht den Grössenanforderungen für Interviews mit Regierungsvertretern», sagte er. «Sie ist einfach ein bisschen klein.» Mitmoderatorin Naga Munchetty versuchte gar nicht, sich das Lachen zu verkneifen. Kurz danach machte sie das Ganze noch schlimmer, als sie ein Tweet, der über «Flaggen-Ficker» spottete, mit einem «Like» versah. Die Empörung der konservativen Kommentatoren war genauso unausweichlich wie die darauffolgende Entschuldigung von Munchetty. «Die BBC vergisst zuweilen, wofür das erste ‹B› steht», schrieb etwa Andrew Neil, einer der prominentesten konservativen Journalisten, der bis vor kurzem selbst ein BBC-Fernsehprogramm moderierte. Munchetty musste Abbitte leisten, sie entfernte das «Like» und sagte, dass der «beleidigende» Tweet «weder meine Ansichten noch jene der BBC wiedergibt».

Episoden dieser Art werden von den Feinden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Gusto ausgeschlachtet. Jeder Vorfall scheint ihre Behauptung zu bestätigen: Die BBC sei unpatriotisch, linksliberal, auf London fokussiert, pro-europäisch und deshalb unfähig, die Mehrheitsmeinung der Britinnen und Briten wiederzugeben – «abgehobene Champagner-Sozialisten», wie es das Revolverblatt «The Sun» formuliert.

In den vergangenen Jahren haben diese Angriffe einen neuen Höhepunkt erreicht: Noch nie stand die BBC so stark unter Beschuss von rechts wie heute.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein zentraler Schauplatz des Kulturkampfs, der in Grossbritannien seit dem Brexit-Votum verstärkt ausgefochten wird.

Dabei geht es um einen Streit zwischen Vertretern traditioneller Werte – Familie, Nation, Armee – und jenen, die für die Rechte sexueller Minderheiten einstehen, die gegen Rassismus auf die Strasse gehen oder einen ungeschönten Umgang mit der imperialen Vergangenheit Grossbritanniens fordern. Laut ihren Kritikern zählt die BBC zu dieser Seite.

Allerdings basiert die Kampagne gegen die BBC weitgehend auf dubiosen Behauptungen. In ihrem Buch «The War Against the BBC» (November 2020), zitieren Patrick Barwise und Peter York unzählige Studien und Statistiken, die ein anderes Bild zeichnen:

«Die Briten halten die BBC bei Weitem für die vertrauenswürdigste Medienorganisation», sagt Barwise, emeritierter Professor für Management und Marketing an der London Business School, gegenüber der MEDIENWOCHE.

Dass die BBC eine linke Schlagseite hat, stimmt schlichtweg nicht: Die Angestellten mögen in gesellschaftlichen Fragen eher dem linksliberalen Spektrum angehören, aber gemäss einer Studie der Universität Cardiff aus dem Jahr 2013 tendieren die BBC-Nachrichten dazu, «eine konservative, EU-skeptische und unternehmensfreundliche Weltsicht darzulegen, nicht eine linke, unternehmensfeindliche». Daran habe sich seither nichts geändert, sagt Barwise. Der neue Vorsitzende der BBC, Richard Sharp, ist ein Geldgeber der Tory-Partei, und der Generaldirektor Tim Davie, der sein Amt im September antrat, war früher ein Tory-Gemeinderat.

Dennoch dürfte der Druck von den rechten Medien bald noch einmal zunehmen: Mit «GB News» wird in den kommenden Monaten ein neuer Fernsehkanal auf Sendung gehen, der laut Kritikern eine Art «Fox News» für Grossbritannien werden soll. Das letzte Mal, als ein neuer Nachrichtensender von dieser Grösse lanciert wurde, war das der Start von «Sky News» vor über dreissig Jahren. Vorsitzender von «GB News» ist der bereits erwähnte Andrew Neil, ehemaliger BBC-Moderater und konservativer Journalist. Zudem sind mehrere erfahrene und bekannte Moderatoren und Nachrichtensprecher von anderen Organisationen rekrutiert worden, darunter auch von der BBC.

Zielgruppe von «GB News» sei «die riesige Zahl von Briten, die das Gefühl haben, von ihren Medien nicht gehört zu werden», sagte Andrew Neil.

Was das konkret bedeutet, darüber sind sich Medienexperten einig: «Es ist offensichtlich, dass die Absicht hinter ‹GB News› eine Verschiebung der Fernsehnachrichten nach rechts ist», sagt Patrick Barwise. Er verweist auf die Personalien hinter GB News, unter denen sich viele bekannte Feinde der BBC finden. Einer der Mitgründer ist Andrew Cole, der die BBC als «die parteiischste Propagandamaschine der Welt» bezeichnet hat. «Allein die Tatsache, dass er einer der Figuren hinter dem Projekt ist, ist ein Hinweis darauf, dass der Zweck ein politischer ist», sagt Barwise. Zu den Geldgebern zählt die Investment-Gruppe Legatum, die das konservative Legatum Institute in London finanziert, sowie Hedgefonds-Manager Paul Marshall, der die Brexit-Kampagne finanziell unterstützt hat.

Die verbreitete Angst, dass «GB News» zu einer «Foxifizierung» des britischen Fernsehens führen wird, hält Barwise jedoch weitgehend für unbegründet. Denn anders als in den USA müssen Rundfunk-Nachrichten in Grossbritannien unparteiisch sein – sowohl öffentlich-rechtliche wie auch private. Die Regulierungsbehörde Ofcom überprüft, ob sich die Sender an diese Vorgabe halten; tun sie es nicht, werden sie gebüsst und können im Extremfall ihre Lizenz verlieren. «Dass es in Grossbritannien bislang keinen hyper-parteiischen Sender wie ‹Fox News› gibt, ist zu einem guten Teil diesen Regulierungsvorschriften geschuldet», sagt Barwise. «Langjährige Journalisten wie Neil wissen, was im britischen Fernsehen möglich ist und was nicht.» Die Ofcom-Regeln schreiben beispielsweise vor, dass Moderatoren in Debattensendungen zwar ihre eigene Meinung einbringen dürfen, dass aber «alternative Ansichten entweder in der Sendung oder in einer Reihe von Sendungen insgesamt repräsentiert werden müssen.» Zudem dürfen Moderatoren «den Vorteil ihrer regelmässigen Auftritte nicht nutzen, um ihre Meinung auf eine Art zu verbreiten, die der Pflicht zur Unparteilichkeit zuwiderläuft.» Barwise geht davon aus, dass «GB News» auf die Probe stellen wird, wie weit diese Regeln gedehnt werden können.

Gefährlicher für die Zukunft der BBC ist die Tatsache, dass die Tory-Regierung selbst immer wieder Attacken fährt:

«Noch nie hatten wir einen Premierminister, der gegenüber der BBC so feindselig eingestellt ist wie Boris Johnson», sagt Barwise.

Nach ihrem Erdrutschsieg im Dezember 2019 begannen die Tories, Radio-Programme der BBC wegen angeblich linker Voreingenommenheit zu boykottieren. Auch kündigten sie an, das Finanzierungsmodell des Senders zu überprüfen.

Diese Angriffe folgen teilweise dem Rezept von Dominic Cummings, der bis November Johnsons Chefberater war. Bereits 2004 umriss er in einigen Blogposts eine Medienstrategie für die Konservativen. Sie müssten alles daran setzen, dem «Todfeind» BBC die Glaubwürdigkeit zu nehmen, schrieb er, etwa indem sie die BBC-Berichterstattung «Minute um Minute auseinandernehmen». Cummings habe «nicht einmal so getan, als lägen diese Vorschläge im öffentlichen Interesse – es ging allein um den parteipolitischen Vorteil», sagt Barwise. Selbst bei manchen Tories löste die Offensive gegen den Sender nach dem Wahlsieg von 2019 Bedenken aus: Der konservative Abgeordnete Huw Merriman verurteilte den «ideologischen Grabenkampf» gegen die BBC und die «brutalen Methoden» der Regierung.

Zu diesen Methoden gehört auch die Drohung, den Geldhahn stärker zuzudrehen. «Das ist der wirkliche Killer», sagt Barwise. Im vergangenen Jahrzehnt ist das Budget bereits drastisch geschrumpft: Inflationsbereinigt muss die BBC heute mit 30 Prozent weniger Geld auskommen als 2010. Das liegt etwa daran, dass die Regierung die Höhe der Rundfunkgebühr – rund 200 Franken pro Jahr und Haushalt – mehrere Jahre lang beibehielt, anstatt sie gemäss Inflation heraufzusetzen. Auch muss die BBC den World Service, der früher vom Aussenministerium finanziert wurde, seit 2014 selbst bezahlen.

In den kommenden Jahren könnte der Kostendruck weiter zunehmen. Die Regierung verhandelt derzeit mit der BBC über die Höhe der Rundfunkgebühr von 2022 bis 2027. Kultusminister Oliver Dowden sagte zum Auftakt der Verhandlungen im November, er wolle dafür sorgen, dass die BBC «das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für die Gebührenzahler biete». Zudem spielt die Regierung mit der Idee, die Nicht-Bezahlung der Rundfunkgebühr nicht mehr als Straftat einzustufen. Das hätte unweigerlich zur Konsequenz, dass sich ein grösserer Teil der Briten das Geld für die Gebühr lieber sparen – was den Ertrag der BBC um geschätzte 300 Millionen Pfund pro Jahr schmälern würde, fast 10 Prozent des Ertrags aus der Rundfunkgebühr. Nach einer öffentlichen Konsultation liess das Kultur- und Medienministerium im März verlauten, dass es zwar derzeit von einer Entkriminalisierung absehe, den Plan aber weiterhin in Betracht ziehe.

Die Sparkur fällt in eine Zeit, in der die Kosten für die Produktion bestimmter Inhalte stark ansteigen. «Insbesondere anspruchsvolles Fernsehdrama, qualitätsvolles Drama, das einen globalen Markt hat, ist teurer geworden», sagt Barwise. Das liegt vor allem an der Konkurrenz von grossen US-amerikanischen Streaming-Plattformen wie Netflix oder Amazon.
«Netflix finanziert sich Jahr um Jahr mit Schulden. Die BBC kann so etwas schlichtweg nicht.» Dazu komme, dass auch die Vertriebskosten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk laufend zunehmen:

«Die BBC muss noch immer das traditionelle Fernsehen finanzieren – und gleichzeitig in den Online-Vertrieb investieren. Die BBC muss immer mehr leisten, und gleichzeitig hat sie immer weniger Geld dafür.»

Dennoch hört man immer wieder, dass die BBC verschwenderisch umgehe mit dem Geld der Steuerzahler – auch dieser Vorwurf zählt zum festen Inventar der BBC-Kritik. Und erneut fehlt ihm weitgehend die Grundlage: «Erstens verschwenden alle kreativen Organisationen einen Teil ihres Geldes – das liegt in der Natur der Innovation», sagt Barwise. «Aber wenn man sich genau anschaut, wie viel Geld in BBC-Programme fliesst – Programme von hoher Qualität und mit grosser inhaltlicher Breite ­–, dann ist die BBC höchst effizient.» Laut seiner Analyse gehen konservativ geschätzt über 80 Prozent der Einnahmen in Inhalte – weit mehr, als Kritiker behaupten.

Das Paradoxon besteht jedoch darin: Obwohl die BBC nach wie vor das grosse Vertrauen der Bevölkerung geniesst, und obwohl die Anfeindungen von rechts mehr ideologisch motiviert sind als auf Fakten beruhen und die Hörerinnen und Zuschauer weitgehend unbeeindruckt sind, lässt sich die BBC einschüchtern. Aus Angst vor Sparmassnahmen gibt sie sich alle Mühe, der Regierung keine Probleme zu bereiten. «Die BBC war diesbezüglich schon immer vorsichtig, und die endlosen Angriffe haben sie noch vorsichtiger gemacht», sagt Barwise.

So hat Generaldirektor Tim Davie versichert, künftig mehr Wert auf «die Verpflichtung zur Unparteilichkeit» zu legen – ein implizites Eingeständnis, dass die BBC bislang parteiisch war. Der Generaldirektor hat die BBC-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter kurz nach seinem Amtsantritt angewiesen, ihre persönlichen Ansichten nicht mehr in den sozialen Medien zu verbreiten. Auch wurde die beliebte Comedy-Sendung «The Mash Report», die immer wieder scharf gegen die Regierung geschossen hat, kürzlich gestrichen – sehr zur Freude der konservativen Boulevardzeitung «Sun», die die Sendung als «moralisierend, selbstgerecht und links» beschrieben hat. Als Davie im März ankündigte, die Produktion von manchen BBC-Programmen von London in andere Regionen zu verlagern, wollte er offensichtlich dem Vorwurf entgegenwirken, die BBC sei zu London-zentrisch – «dabei wird bereits heute rund die Hälfte der Fernsehsendungen ausserhalb der Hauptstadt produziert», sagt Barwise.

Die Zurückhaltung war auch während der Corona-Pandemie zu spüren. «Die Berichterstattung war umfassend, aber selten kritisch», schrieb der «New Statesman» im Februar. Die BBC-Website habe ein «exzellentes Level an extrem elementaren Analyse geboten»; doch selten wurden die Fakten analysiert oder in einen breiten Zusammenhang gestellt. Mit einer Einschätzung, wie wirksam die Krisenbewältigung der Regierung war, hielt sich die BBC zurück – dabei hätten deren Reporter durchaus die Fähigkeit zu kritischer Analyse, wie ihre Kommentare auf Twitter zeigen.

Wenn Fürsprecher der BBC wie Barwise eine Kritik haben, dann ist es diese: «Die BBC ist viel zu zurückhaltend, wenn es darum geht, sich selbst gegen die Vorwürfe zu verteidigen.» Denn die «Beeb» ist weit einflussreicher, als sie selbst denkt: Als Covid-19 in Grossbritannien einschlug, verdoppelte sich die Zahl der Zuschauer der Abend-Nachrichten. In einer Umfrage im März 2020 nannten 61 Prozent der Befragten die BBC als vertrauenswürdigste Nachrichtenquelle zur Pandemie – doppelt so viele wie den Zweitplatzierten Sky News.