Journalismus mit rechts
Der neue «Nebelspalter» von Markus Somm sucht seinen Platz rechts der NZZ, wo bereits die «Weltwoche» grast. Trotz personeller Überschneidungen und politischer Übereinstimmungen unterscheiden sich die beiden rechten Publikationen in zentralen Punkten. Eine Analyse zum ersten «Nebelspalter»-Monat und zum Relaunch der «Weltwoche».
Markus Somm sitzt vor einer Bücherwand mit Monopoly-Spiel. «In einem Jahr wird die New York Times anfragen, ob sie unser Geschäftsmodell kopieren kann», feixt er. Interviewer Reto Brennwald und er krümmen sich vor Lachen in ihren Sesseln. «Es ist ein bitzli übertrieben», sagt dann Somm. Auch einen Monat nach dem Start bleibt es der mit Abstand beste Witz im ehemaligen Satiremagazin, das nun mit rechtsliberalen bis rechtspopulistischen Standardmeinungen aufwartet.
«Kein Kommentar» ist Markus Somms Antwort auf die Fragen der MEDIENWOCHE, unter anderem zum bisherigen Erfolg des Geschäftsmodells und der Anzahl verkaufter Abos. Wie viele haben seinen Witz mitbekommen? 2800 Mal wurde bisher in das fünfzigminütige Gespräch von Somm und Brennwald reingeschaut – das erfolgreichste Video und wohl der erfolgreichste Beitrag überhaupt. Das liegt auch daran, dass «Nebelspalter»-Videos für alle verfügbar sind: Man kann sie gratis auf Youtube schauen. Die Artikel stehen hingegen hinter einer strikten Paywall.
Diejenige Person beim «Nebelspalter», die via ihre Social-Media-Kanäle am meisten Leute erreicht, teilt sie nicht mit dem Medium: Die bekannte Videokolumnistin Tamara Wernli lädt ihre «Nebelspalter»-Filmchen jeweils mit anderem Vorspann auf ihren eigenen Youtube-Kanal. Dort erreichen sie regelmässig mehr als 10ʼ000 Leute, via «Nebelspalter» dümpeln ihre Videos bei wenigen hundert Views. Im Beitrag «Denken die, wir sind dumm?» für den «Nebelspalter» liest sie fast durchgehend dieselben Sätze in die Kamera, die sich zehn Tage später in ihrer «Weltwoche»-Kolumne finden. In der aktuellen «Weltwoche» findet sich Wernlis Interview mit einer Publizistin, das denselben Entstehungsweg genommen hat.
Wer kein «Nebelspalter»-Abo hat, sieht auf der Website vor allem Stockfotos, belanglose Symbolbilder.
Ein Grossteil der Artikel hangelt sich im Stil von Newsjournalismus an den Aussagen von politischen Akteur*innen entlang, dazwischen gibt es Meinung (EU: böse; Massnahmen: unliberal; Gendersprache: haha; Cancel Culture, Cancel Culture, Cancel Culture).
Der «Energiepolitik»-Redaktor, der sich gemäss FAZ vor vier Jahren im Ersten Deutschen Fernsehen als «Klimaleugner» inszenierte, porträtiert eine junge AKW-Lobbyistin. Es gibt sexistische und vorgestrige Provokationen. Es gibt den Beitrag, in dem ein Autor eine gesperrte Website verharmlost, wo Morddrohungen gegen Bundesrät*innen geäussert worden sind. Einen echten Primeur gab es bisher nicht. Am 14. April ist der Aufhänger, dass drei ehemalige Chefbeamte allen Ständerät*innen vor einer Parlamentsabstimmung einen Brief geschrieben haben. Für diesen Beitrag holte Bundeshauschef Dominik Feusi dann Zitate von Ständerät*innen ein, die noch immer derselben Meinung sind wie vor dem Brief und wie vor drei Jahren, als das Thema erstmals auf der Agenda gestanden hatte.
Vereinzelt gibt es auch überraschende, spannende und gute Beiträge im neuen «Nebelspalter»: Gioia Porlezza, Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen Kanton Zürich, schildert in ihren Videokolumnen ihre Sicht auf die Welt. Porlezza tut das auf eine Weise, die um Originalität bemüht ist und auch mal über festgefahrene Argumentationslinien hinausgeht – fast schon wie ein «izzy»-Video. Redaktor Sebastian Briellmann hat ein gelungenes Porträt über einen aufmerksamkeitsgeilen Gegner der Pandemiemassnahmen geschrieben, das fair ist und gleichzeitig Ungereimtheiten in der Selbstdarstellung des Porträtierten nicht weichzeichnet. Hier hat sich jemand wirklich ins Artikelthema reingekniet. Es ist mehr als eine meinungsstarke Niederschrift dessen, was der Autor bereits weiss oder zu wissen glaubt.
Insgesamt gilt nach einem Monat: Was sich hinter der Paywall abspielt, ist nicht aufregender als die Stockfotos.
In der zwölfköpfigen Redaktion sind so viele Frauen wie FDP-Mitglieder: je zwei. Eine weitere Redaktorin hat kürzlich, im Zusammenhang mit der Pandemie, dem Freisinn den Rücken gekehrt. Demographisch zusammengesetzt ist das «Nebelspalter»-Team aber eher wie eine SP-Sektion auf dem Land: Einige über 65-Jährige*, noch mehr «Blutjunge» – ein Begriff, mit dem Somm manche von ihnen vor dem Launch vorstellte.
Vor zwei Jahren entblösste Markus Somm in einem Papier, das während seinem Harvard-Aufenthalt entstand, wie wenig Ahnung er vom Internet hat. Darin lobte er etwa das Geschäftsmodell von «Inside Paradeplatz»: Gratis-Inhalte und Google-Anzeigen. Dabei hob er hervor, dass Google als «American company» die Unabhängigkeit des Finanzblogs nicht beeinträchtige. Im letzten Herbst hat Somm seine Meinung geändert: Statt Gratis-Reichweite brauche es eine Paywall für sein Medienprojekt.
Auch sonst zeigt sich fehlende Digitalkompetenz an allen Ecken und Enden. Angefangen damit, dass die aufwändig produzierten Videos als einzige Inhalte gratis sind. Weiter ist der «Nebelspalter» eines der letzten Medienunternehmen, bei dem man fürs Newsletter-Abo seine E-Mail-Adresse nicht verifizieren muss. So lässt sich der Newsletter ungefragt allen aufhalsen oder der «Nebelspalter»-Mailverteiler mit Falschadressen füllen.
In den ersten Wochen standen gar die «Memes der Woche» – also Versuche für virale Social-Media-Witze – hinter der Paywall. (Der MEDIENWOCHE ist eine Person bekannt, die 1.60 Franken für drei Memes bezahlt hat.)
Anfang April schrieb Dominik Feusi darüber, dass der EU-Botschafter beim Bundesrat vorstellig werden musste. Der «Blick» brachte das als News ein paar Tage später. Feusi forderte via Twitter, dass man den «Nebelspalter» künftig bitte als Quelle nennen solle. Doch wie kommt er darauf, dass seine News überhaupt gesehen wurde? Der «Blick»-Antwort auf Twitter kann man sich anschliessen: «Anregung für die Zukunft: Primeure freischalten. Oder Aufnahme in der SMD.»
Feusi gehörte zuvor zum Mantelteam von Tamedia. An den kleinen Kreis, für den er nun publiziert, muss er sich wohl noch gewöhnen. Sein Wirkkreis ist momentan eher mit dem «Schweizer Monat» zu vergleichen, der dem «Nebelspalter» nun oft als Stichwortgeber und Anlass für Artikel dient. Dieses rechte Monatsmagazin hat laut Mediadaten 2000 Abonnent*innen.
Wenn in der Schweiz ein dezidiert rechtes Medium Erfolg haben will, müsste es eigentlich enttäuschte «Weltwoche»-Leser*innen ansprechen, die in den letzten Jahrzehnten dem Blatt zu Zehntausenden den Rücken kehrten. Als bekannt wurde, dass Markus Somms neues Medienprojekt mit 70 Investoren, die je 100’000 Franken einschiessen, breit abgestützt ist, wirkte der «Nebelspalter» wie ein Gegenentwurf zur «Weltwoche». Somm betonte extra, dass unter den Investoren niemand aus der Aktivpolitik sei. Das wirkt wie ein Angebot an all jene, die zwar ein rechtsbürgerliches Medium wollen, aber keines, das vor allem als Vehikel für eine Politkarriere dient.
Die Zeiten, in denen die «Weltwoche» journalistisch Themen setzen konnte, sind lange vorbei. Doch der Politiker Roger Köppel schafft es weiterhin:
Je lauter die Marke Köppel in die Videokamera schwadroniert, je irrwitziger er twittert, desto stiller wird es um sein Magazin.
Der journalistische Nullpunkt war wohl spätestens erreicht, als die NZZ Ende 2019 in einer Recherche Indizien veröffentlichte, die darauf hindeuteten, dass der sonderbar freundliche Kurs gegenüber dem totalitären Regime in China und die Kolumne des chinesischen Botschafters in der «Weltwoche» System hat – und sich gleichzeitig chinesische Inserate im Blatt häuften. Gegengeschäfte habe die NZZ damit gar nicht unterstellen wollen. Köppel schrieb eine Replik und wehrte sich gegen die «groben Unterstellungen».
Im vergangenen Pandemiesommer, als bereits erste Gerüchte über Somms Medienprojekt kursierten, verpasste sich die «Weltwoche» einen ausgebauten Kultur-Teil, neue Formate und ein frisches Layout. War schon der Relaunch ein Versuch, um für Leser*innen attraktiv zu bleiben, da bald Konkurrenz am rechten Medienrand auftauchen sollte? Tatsache ist: Köppel kämpft. Fünf Mal die Woche beschert er der Welt einen Videoblog; seit Dezember liefert seine Redaktion auch täglich online frei zugängliche Kurzkommentare.
Seit dem Relaunch orientieren sich Layout und Aufbau der gedruckten «Weltwoche» stark an «The Spectator» – dem britischen Magazin, als dessen Chefredaktor einst Boris Johnson die eigene politische Karriere befeuert hatte. Vom «Spectator» übernahm die «Weltwoche» die regelmässigen Serien «Tagebuch» (im Original: «Diary»), «Blick in die Zeit» (im Original: «Ancient & Modern»), die verschiedenen Varianten der Kolumnenaufmachung, die im Magazin verstreuten Minicomics ohne Zusammenhang mit den Artikeln. Auch das Editorial ist an den «Spectator» angelehnt, mit einem kleinen Unterschied: Im «Spectator» erscheint es ohne Autorenzeile. Köppel schreibt immer seine Initialen hin.
Insbesondere das «Tagebuch» ist ein Erfolgsmodell, um Gewährspersonen ausserhalb der eigenen Nische als Autor*innen zu gewinnen. Von Radiojournalistin Nicoletta Cimmino über Michèle Binswanger vom «Tages-Anzeiger» bis zu Patrik Müller, Super-Chefredaktor bei CH Media, vom neuen SBB-Chef Vincent Ducrot bis zum ehemaligen Skispringer Simon Ammann haben alle möglichen, maximal unverdächtigen Personen maximal harmlose Texte über ihren Alltag geschrieben. Dass sich Journalist*innen dafür hergeben, erscheint fragwürdig:
Die «Weltwoche» bietet immer wieder eine Plattform für Agitation gegen Journalismus oder agitiert gar selber.
Zwei Wochen bevor Nicoletta Cimminos «Tagebuch»-Eintrag erschien, warf Köppel in seinem Videopodcast «den Medien» eine «Verfilzung und Verquickung» mit dem Staat vor. In der Ausgabe, in der Patrik Müllers «Tagebuch» erschien, wurde zwanzig Seiten weiter die Behauptung aufgestellt, das Inland-Ressort von Tamedia bestehe aus einer «Gesinnungspolizei». Anfang April fragte die «Weltwoche» diverse Persönlichkeiten, was sie aus einem Jahr Pandemie gelernt haben. CH Media-Chefredaktor Müller sagt da, Corona habe seinen Optimismus noch verstärkt. Der verschwörungsgläubige Blogger Daniel Stricker sagt in derselben Umfrage: «Die Massenmedien geben einem das Gefühl, keine eigenen Gedanken haben zu dürfen.»
Selbstverständlich gäbe es viele Gründe, als Journalist*in, als Politiker*in oder als Werber wie David Schärer (Rod Kommunikation, Operation Libero) nicht in der «Weltwoche» zu publizieren. Vor fünf Jahren bewunderte Köppel ein Editorial lang NSDAP-Reichswirtschaftsminister Hermann Göring. Vor drei Jahren marschierte Köppel als Reporter an einer Rechtsextremen-Demo in Chemnitz mit und wollte dort partout keine Rechtsextremen gesehen haben. Vor zwei Jahren kumpelte er in einem grossen Interview mit dem Faschisten Björn Höcke. Genau vor einem Jahr hiess die Titelstory über den Bundesrat in der Pandemie «Autokraten an der Macht». In der Woche danach würdigte ein freier Autor den spanischen faschistischen Diktator Francisco Franco in einem langen Porträt: «Was Europa Franco zu verdanken hat». Kürzlich schrieb ein Fidesz-EU-Parlamentarier zwei Seiten lang «unvoreingenommen» über Polen: «Polen ist eine lupenreine Demokratie», so der unironisch gemeinte Titel. Die Liste liesse sich fortsetzen.
Trotz alledem stammen die meisten Inserate in der «Weltwoche» weiterhin von grossen Firmen: etwa von BMW, Degussa Goldhandel oder Swiss Life. Das Kreuzworträtsel sponsert seit jeher die EMS-Chemie von Familie Blocher. Daneben hat es Groteskes, zum Beispiel Anzeigen von Anhänger*innen eines selbsternannten Messias namens Abd-ru-shin. Ab und an scheint sich der Rechtspopulismus aber auch am Inseratemarkt zu lohnen: Anfang Jahr veröffentlichte etwa das Gastronomieunternehmen Bindella als ganzseitige Anzeige einen offenen Brief an den Bundesrat, in dem um Öffnungen gebeten wurde. Fragwürdig erscheint der Abdruck des Briefs einer City Lights AG, in dem diese einer Behörde «Zensur» und «Amtsmissbrauch» vorwirft. Gemäss Tarifliste zahlte jemand gut 18ʼ000 Franken für diesen offenen Brief als Inserat.
Seit dem Relaunch im letzten Sommer hat «Weltwoche»-Wirtschaftsredaktor Florian Schwab «neben seiner journalistischen Tätigkeit» eine zweite Aufgabe: Er ist Leiter Corporate Publishing. Seither ist es bei der Lektüre unmöglich zu differenzieren, wann Schwab als Journalist schreibt, wann nicht. Über Schwabs journalistische Kundenbeziehung zum Rohstoffkonzern Glencore und die «Weltwoche»-Spezialausgabe «Wirtschaft & Verantwortung» berichtete die MEDIENWOCHE bereits vergangenes Jahr. Die netten Artikel über den Rohstoffkonzern schreiben seither andere. 2021 konzentrieren sich die fürs Geschäft bedeutsamen Spezialausgaben gemäss Jahresplan auf die Klassiker: Auto- und Motorradjournalismus.
Naheliegend erscheint Schwabs Funktionsvermischung im China-Schwerpunkt vom Februar. Anlässlich des chinesischen Neujahrs hat er die chinesische «Banque Internationale à Luxembourg» BIL porträtiert. Die BIL, ein regelmässiger Anzeigekunde, schaltete in derselben Ausgabe ein ganzseitiges Inserat auf der Umschlaginnenseite. Nach Tarif kostet ein solches 23’200 Franken. Den China-Schwerpunkt eröffnete ein Text von Köppel: «Freundliche Beziehungen zu China». Das Schweizer Fernsehen sende «jede Kampfparole aus dem SP-Hauptquartier» und die Bemühungen um eine koordinierte Aussenpolitik seien eine «aussenpolitische Kriegserklärung gegen Peking».
Wenn Corporate-Publishing-Schwab einen Anzeigekunden porträtiert, scheint eine Funktionsvermischung recht offensichtlich. Wie verhält es sich, wenn Schwab den Besitzer des Luxusgüter-Konzerns Richemont auf einer halben Seite als «genialen Investor» zeichnet? Oder wenn er über die «Erfolgsgeschichte Davidoff» und dessen CEO schreibt, welcher angesichts möglicher neuer Tabakregulationsgesetze eine «Gettoisierung des Tabakkonsums» befürchtet?
Ist jeder positive Text über einen Wirtschaftskapitän (über Wirtschaftskapitäne schreibt Schwab durchwegs positiv) auch ein Werbepitch?
Anders als Markus Somm hat sich Roger Köppel zu den Fragen der MEDIENWOCHE geäussert. In welchen Artikeln schreibt Florian Schwab als unabhängiger Journalist, in welchen als Corporate-Publishing-Verantwortlicher? Dazu Köppel: «Die Weltwoche baut das Geschäftsfeld Corporate Publishing aus. Florian Schwab hat hier in kürzester Zeit exzellente Arbeit geleistet.» Ebenso allgemein äussert sich Köppel zum China-Kurs: «Ja, die Weltwoche schreibt über China nicht das Gleiche wie alle anderen Zeitungen. Ist das neuerdings verboten? Unsere Berichterstattung ist meines Erachtens hervorragend, vielfältig und orientiert sich an der bewährten Schweizer Neutralität gegenüber allen Staaten. Offensichtlich haben Sie nicht mitbekommen, dass in der Weltwoche auch immer wieder Texte erschienen sind, die sich kritisch mit China befassen, nicht zuletzt von Fabian Molina. Die Weltwoche wurde letztes Jahr von der chinesischen Botschaft in Bern auch öffentlich gerügt, wegen ihrer Corona-Berichterstattung. Das hindert mich nicht daran, als Chefredaktor aus voller Überzeugung für gute Beziehungen der Schweiz mit China zu plädieren.»
«Im Unterschied zu anderen Medienhäusern» habe die «Weltwoche» «auf einen Personalabbau verzichtet» und stattdessen «redaktionell aufgerüstet», teilt Köppel weiter mit.
Die Frage, ob die tagesaktuellen Kurzkommentare seiner Redaktorenschar und der einzigen Redaktorin mit grösseren Pensen oder anderweitig entgeltet werden, beantwortet er nicht direkt. Ebenso unbeantwortet lässt Köppel die Fragen, wie es zur starken konzeptuellen und visuellen Anlehnung an den «Spectator» kam und ob es sich dabei um eine offizielle Kooperation handelt. Die Entwicklung der «Weltwoche» auf dem Leser*innenmarkt nennt Köppel «sehr erfreulich»: «Wir legen an Print-Abos zu. Auch Weltwoche-Daily ist ein voller Erfolg.» Obwohl die Anzeigensituation «auf Grund der Lockdown-Politik natürlich anspruchsvoll» sei. Die aktuellsten WEMF-Zahlen zeichnen ein anderes Bild: Die beglaubigte Auflage liegt demnach bei 39ʼ070 Exemplaren. 2019 waren es 41ʼ300, vor zwei Jahren noch über 45ʼ000. Immerhin wurde der Trend gebremst. Aber anscheinend hat die «Weltwoche» unter den Gegner*innen der Corona-Massnahmen nicht massenweise neue Leser*innen gewinnen können (oder es gibt einfach sehr wenige).
Anders als die «Weltwoche» zeigt der neue «Nebelspalter» keine Affinität zu Diktaturen und autoritären Staaten.
Im Gegenteil: Redaktorin Claudia Wirz kritisierte die China-Strategie der Schweiz für ihre fehlende Entschiedenheit. Mit «geschmeidigem Pragmatismus» werde man nicht davonkommen. Somms Medium wirkt bisher insgesamt nüchterner, staatstragender und stärker der Ratio verpflichtet. Der neue «Nebelspalter» kommt auch deshalb nüchtern daher, weil er unfreiwillig werbefrei ist, trotz dem prominent auf der Seite platzierten Hinweis «Inserieren». Für 2000 bis 30ʼ000 Franken kann man Pakete mit Video- und Podcastwerbung oder Native Ads buchen. Bis anhin hat das anscheinend noch niemand getan.
Markus Somms allererster Leitartikel «Die Tage des Nebels sind gezählt» erzählt von einer angeblich dominanten Schweizer Linken seit Anfang 1990er-Jahre, deren Macht bald gebrochen werde – was schon angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse kurios ist. Ähnlich bemerkenswert ist, dass Somm darin Rhetorik und Prinzipien des marxistischer Denkers Antonio Gramsci aus den frühen 1930er-Jahren entlehnt. Gramsci leitet seine Ideen, wie die Linke Gestaltungsmacht erlangen kann, aus seiner Gegenwartsanalyse ab: «Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster». Bei Somm heisst es: «Es ist eine neue Epoche angebrochen, deren Züge im Nebel liegen, Sicher ist nur, alles ist unsicher.»
Es scheint, dass der Ex-Linksaussen Somm marxistische Prinzipien nun einfach im Sinne der Rechtsbürgerlichen anwendet – natürlich ohne seine Quellen zu nennen.
Und für seine Zielgruppe liest sich das dann originell. In seinem zweiten Artikel nannte er dann ein konkretes Vorbild für seine Idee bürgerlicher Politik: «Von [Mark] Rutte lernen, heisst Siegen lernen.» Es ist die Abwandlung einer Parole der Sowjetunion. Seither hat sich Somm gefangen und haut – wie man es von ihm erwartet – auf Alain Berset und Angela Merkel ein.
Der Chefredaktor steht im Ruf, ein sehr schneller Schreiber zu sein. Dementsprechend fordere er dem Vernehmen nach seine Redaktion. Meinungstexte schreibt man schnell und sie gehen auch den Jungpolitiker*innen mit publizistischer Schnellbleiche leicht von der Hand. Reportagen, Hintergrundtexte, Porträts sind zäher – die Position und die Perspektive entwickelt sich im Schreiben, im Verdichten und Aufgliedern von Fakten und Erlebtem.
Wütende Meinungstexte werden gut geteilt auf Social Media, egal wie blutarm sie sind. Einem Medium, das auf eine harte Paywall setzt, bringt das aber nichts. Niemand muss zahlen, um zu wissen, was in Texten steht mit Titeln wie: «Was darf ‹man› überhaupt noch sagen? Ein Wort zum Unwort «Jemensch»», «Das Rahmenabkommen würde die Schweiz liberaler machen» oder «Cancel Culture gibt es auch in der Schweiz». Es gibt schlicht keinen Mehrwert. Wer aber online Abonnent*innen will, braucht überraschende Perspektiven und exklusive Recherchen.
Es gibt neben Exklusivinhalten einen zweiten Weg, um im Online-Geschäft Leser*innen zu binden: Identifikation und Community-Building. Auf Social Media äusserten sich viele Langzeitfollower irritiert, dass ihr Satiremagazin plötzlich als biederes Nachrichtenmedium daherkommt. Das Abosystem setzt auf automatische Verlängerung und Belastung der Kreditkarte. Dabei weiss man doch unter Digitalunternehmer*innen, wie wichtig es ist, die Community zu umschmeicheln statt mit ungewollten Kosten vor den Kopf zu stossen. Die MEDIENWOCHE jedenfalls hat ihr Monatsabo rechtzeitig gekündigt.
*Korrigendum: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es fälschlicherweise, beim «Nebelspalter» würden einige über-75-Jährige arbeiten. Tatsächlich sind nur zwei der vier Personen im Rentenalter, die im Impressum als «Ständige Mitarbeiter und Kolumnisten» geführt werden, älter als 75.
Alex Schneider 20. April 2021, 09:09
Warum hauen ausgerechnet Journalisten ein neues Medienangebot („Nebelspalter“) dermassen gehässig in die Pfanne? Die Antwort führt uns in die Journalistenseele. Die meisten Journalisten sind Beamtentypen ohne jeden Unternehmergeist. Am liebsten sitzen sie festangestellt auf der Redaktion und warten auf den gesicherten Monatslohn.
Journalisten können darum Journalisten nicht leiden, die es wagen, Unternehmer werden. Sie mögen Markus Somm nicht, der nun mit seinem «Nebelspalter» zum Unternehmer wurde, sie mögen «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel nicht und sie mögen auch den früheren Journalisten Marc Walder nicht, der es zum Mitbesitzer von Ringier brachte.
Die vorschnellen Verrisse des «Nebelspalters» sind darum eine Art branchentypischer Eifersüchtelei. Da traut sich einer etwas, was man sich selber nie trauen würden. Nieder damit.
Ruedi Widmer 21. April 2021, 15:40
Herr Schneider, Sie kopieren einfach den Meinungsbeitrag von Kurt W. Zimmermann aus der Luzerner Zeitung hier ins Fenster, ohne Quellenangabe. Meinen Sie, Herr Zimmermann arbeitet gratis? Zudem dachte ich, die neuen Herren der Zeit, die gegen die böse Linke und die Corona-Diktatur antreten, würden „selber denken“ (und selber schreiben).