von Dieter Fahrer

Nachruf auf den «Bund»: Herzliches Beileid, oder die besten Wünsche zur Hochzeit

Vor drei Jahren porträtierte der Berner Filmemacher Dieter Fahrer den «Bund» zusammen mit weiteren Schweizer Medien in seinem Film-Essay «Die Vierte Gewalt». Im kommenden Herbst legt Tamedia die Redaktion des «Bund»- mit jener der «Berner Zeitung» zusammen. Aus diesem Anlass hat Fahrer einen Nachruf auf sein Leibblatt verfasst.

Als schon längst klar war, dass die Reise nur noch in eine Richtung gehen würde, klammerte sich die «Bund»-Redaktion selbst an den dünnsten Strohhalm. «Wir halten uns an die Hoffnung, dass irgendeinmal ein Türchen aufgeht, der Trend gebrochen wird oder dass es eine Wende gibt.» Mit diesem Worten beschrieb ein «Bund»-Redaktor vor vier Jahren seinen letzten Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten, als er für den Film «Die Vierte Gewalt» Auskunft gab.

Regisseur Dieter Fahrer zeigt in dem Dokumentarfilm seine persönliche Sicht auf die Medienkrise in der Schweiz. Neben dem «Echo der Zeit», «Watson» und der damals noch in der Entstehung befindlichen «Republik», galt Fahrers Augenmerk besonders dem Berner «Bund».

Mit dem Leibblatt seiner Eltern war er selbst aufgewachsen und blieb der Zeitung bis heute verbunden, als Abonnent, aber vor allem als Bürger, der informiert werden will.

Weil nun Tatsache ist, was alle längst erwartet haben und der «Bund» seine Selbständigkeit vollends verliert, nimmt das Fahrer zum Anlass für eine Nachruf. Doch so viel sei verraten: Einen endgültigen Trennstrich zieht er nicht. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.

Nachruf auf die Tageszeitung «Der Bund»
Bern, im Mai 2021

Lieber «Bund»

Darf man einen Nachruf auf jemanden schreiben, der noch gar nicht offiziell gestorben ist? Ich bin unsicher, aber Du zwingst mich dazu.

«DER BUND, ein neues politisches Journal»
Im Nachlass meiner Eltern, die Du in meinem Film «Die Vierte Gewalt» kennengelernt hast, habe ich eine Aquatinta der Stadt Bern aus Deinen Gründerjahren gefunden, eine idyllische Sicht vom Rosengarten aus über die Unterstadt, wo ich seit vielen Jahren zuhause bin. Diesen edlen Druck auf goldenem Hintergrund hast Du 1975 zu Deinem 125-Jahre-Jubiläum Deinen Lesern geschenkt (von Leserinnen war damals noch keine Rede) und mit ihnen Deine lange Geschichte gefeiert.

Deine Erstausgabe erschien 1850, nur zwei Jahre nach der Gründung des Bundesstaates, mit dem erklärten Ziel den demokratischen Diskurs im Land zu stärken. «DER BUND, ein neues politisches Journal», so hast Du Dich angekündigt.

Ja, so war das damals
Ich kann Dir nur empfehlen die Jubiläumsausgabe vom 5. Oktober 1975 durchzublättern. Sie enthält nicht nur 42 Seiten (!) der Tagesausgabe, sondern zusätzlich 74 Seiten aus den 125 Jahren Deines Erscheinens. Im Editorial formuliert der damalige Chefredaktor Paul Schaffroth das «Bund»-Credo: «DER BUND, das heisst, die Menschen, die für ihn, an ihm arbeiten, wollen nicht einem Selbstzweck dienen, noch mit der Zeitung, die sie täglich dem Leser übergeben, nur einem Streben nach materiellem Gewinn nachgehen.»

Schaffroth zitiert in der Folge aus der Festschrift von Max Grütter, die dieser zum grossen 100-Jahre-Jubiläum verfasst hatte. Dieser Text liest sich heute wie ein schlechter Witz:

«DER BUND gehörte nie andern als sich selber. Keine Wirtschaftsgruppe, kein Verband, keine Partner, keine Behörde haben im BUND-Haus irgendein Mitspracherecht. (…) Die offenen klaren Besitzverhältnisse sind auch in Zukunft eine Garantie für das Weiterbestehen der finanziellen Unabhängigkeit und damit für die Erhaltung des liberalen Standortes des BUND».

Ja, so war das damals.

Die Goldenen Jahre
Lass uns nochmals in der Jubiläumsausgabe vom 5. Oktober 1975 blättern: 125 Jahre Geschichte aus Berner Perspektive ziehen vorbei. In den ersten Jahren ist das Blatt noch sehr dünn, die Redaktion winzig klein, mit gerade mal 1000 Abonnenten. Doch schnell entwickelt sich «Der Bund» zu einer veritablen Zeitung, zu einer Informationsquelle, die aus der Bundesstadt nicht mehr wegzudenken ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kommen goldene Jahre für die Verleger von Zeitungen und Magazinen. Der Markt für Inserate und Kleininserate boomt, genauso wie die Wirtschaft. Du wirst immer dicker, ebenso Deine Besitzer, die aber die Gewinne nicht nur in ihre Taschen stecken, sondern zum Beispiel einen feinen Feuilleton-Faszikel lancieren: «Der kleine Bund».

Über jene Jahre kursiert das Bonmot, dass die Journalisten (Journalistinnen gab es noch lange nur wenige) eigentlich nur für die Rückseite der Kleininserate schrieben, und dass man schon am Mittag im Restaurant eine Flasche Rotwein öffnete.

Lassen wir diese hübschen Anekdoten, über die Du sicher auch schmunzeln kannst. Lassen wir auch Deinen historischen Stolz, zum Beispiel darauf, dass Hitler höchstpersönlich den BUND im Deutschen Reich 1934 verboten hat, oder dass Du 1976 als erste Zeitung in Europa den Fotosatz eingeführt hast und schon 1983 das ganze Redaktionsteam am Bildschirm arbeitete.

Der Kampf um Aufmerksamkeit
Mit dem Aufkommen des Internets änderte sich alles. Hatte man vor kurzem noch gewitzelt, dass nichts älter sei, als die Zeitung von gestern, so sah die gedruckte Zeitung von heute nun selber alt aus. Digitalisierung und Globalisierung führten zu einer Kulturrevolution, die alle Lebensbereiche zu durchdringen begann.

Im zunehmend globalisierten Kampf um Aufmerksamkeit kann sich niemand Unauffälligkeit leisten, das hast auch Du gemerkt, und Du hast wie viele Medien online damit begonnen, alles mit allem zu vermischen: Text, Fotografie, Grafik und Film, ein wildes Potpourri von Fragmenten. Ich befürchte, dass auf der Redaktion kaum je diskutiert wird, was ein Text gut kann, und was nicht, wodurch Fotografien sich auszeichnen, oder Fotoreportagen, die leider fast völlig verschwunden sind. Dafür wird jetzt vieles multimedial aufbereitet, mit peppigen Grafiken und Filmchen ohne Haltung, deshalb auch ohne Wertschätzung gegenüber den unterschiedlichen Möglichkeiten, die Film, Fotografie und Text uns bieten.

Verleger als Vampire
(Was für ein reisserischer Zwischentitel, höre ich Dich murren, doch darüber solltest Du Dich nicht beklagen, denn das habe ich von Dir gelernt: Zuspitzung und emotionale Bildhaftigkeit erhöhen die Reichweite.)

Du hast viele Veränderungen erlebt, mehr erlitten als selbstbewusst gestaltet, auch aus «Sachzwängstlichkeit», und zu Vielem wurdest Du vom Zeitgeist und von den Verlegern gezwungen: Deine Besitzer, die Nase dicht auf der verführerischen Spur des Geldes, haben «Online First!» als ultimatives Gebot der Stunde erkannt: Da wollte man dabei sein, jetzt wo der Hochgeschwindigkeitskapitalismus so richtig Fahrt aufnahm! Und als die Werbung und die Kleininserate aus den gedruckten Zeitungen ins Internet abwanderten, lancierte man eigene Portale im Netz, kaufte Online-Börsen, Datenbanken und weitere Werbeträger, die sich als äusserst lukrativ erwiesen. Das war clever!

Die Zeitungsredaktionen jedoch, sie mussten Federn lassen, denn die Besitzer waren nicht mehr bereit auch nur einen Teil der Inseratengewinne in die Publizistik zu investieren – und sie stopfen sich auch weiterhin ungeniert ihre eigenen Taschen voll, mit Millionengewinnen, auch in Krisenzeiten wie jetzt. So wird Journalismus zum publizistischen Feigenblatt von Verlegern, die sich als Vampire gebärden.

Aktualitätsneurose
Ich weiss, das ist alles sehr vereinfacht formuliert, und Du wirst wohl noch immer bekräftigen, dass der Journalismus in den letzten Jahrzehnten qualitativ besser wurde. Du wirst vermutlich auch Deine publizistischen Innovationen anpreisen, wie zum Beispiel den Einbezug der Leserschaft auf Deinem Portal und in den sozialen Medien. Aber weisst Du was: Mit diesem Stammtischgeplänkel kannst Du mich nicht begeistern, erst recht nicht, wenn ich daran denke, wieviel Geld und Arbeit in diese virtuellen Meinungs-Müllhalden investiert wird. Da machst Du es Dir zu einfach, denn einen Zugang zu Meinungsvielfalt erwarte ich nicht von Deinem Publikum, sondern von Dir: fundiert, präzise, vielfältig und so ausführlich, wie es sein muss.

Da seist Du teilweise schon mit mir einig, höre ich Dich munkeln, aber man habe halt nicht mehr so viel Zeit, schon gar nicht in der Regionalberichterstattung, die per se mit zu hohen Kosten verbunden sei. Aber man sei ja auch in anderen Bereichen äusserst innovativ, zum Beispiel. im Datenjournalismus, der …

Komm’ mir nicht mit Datenjournalismus, falle ich Dir ins Wort, und ich kann mich jetzt nicht mehr zurückhalten: Natürlich gab es in den letzten Jahren investigative Meisterleistungen, die ohne die Techniken des Datenjournalismus nicht möglich gewesen wären. Aber bitte, lass Dein Publikum mit dieser Datenschwemme in Ruhe. Schau Dir die Daten selber an, und gib uns dann Deine Analyse, gib Einblick in die Herkunft des Datenmaterials, reflektiere dessen Glaubwürdigkeit und Relevanz. Fakten sind etwas Wertvolles, weil sie Klarheit schaffen können, aber chronische Faktenflut bewirkt genau das Gegenteil: Sie fördert die Hysterie und die Aktualitätsneurose eines zunehmend verwirrten Publikums.

Zwangsheirat
Diesen Herbst kommt es nun zur Zwangsheirat mit der «Berner Zeitung». Beklagen darfst Du Dich eigentlich nicht, denn Du hast viel zu lange viel zu wenig Widerstand geleistet, und in Deinem publizistischen Grundton auch stets Wirtschaftswachstum, Gewinnstreben und sich selbstregulierende Märkte hochgehalten.

Nun trifft es Dich selbst, denn Deine Besitzer dürfen tatsächlich mit Dir machen, was sie wollen, und das werden sie auch weiterhin tun, darauf kannst Du Gift nehmen, oder Druckerschwärze.

Und wenn der Verlag nun in säuselndem Ton von einer Traumhochzeit schwärmt, dann lügt er Dich und uns an, wie gedruckt, und er setzt einmal mehr die wichtigste Grundlage journalistischer Arbeit aufs Spiel: die Glaubwürdigkeit.

Herzliches Beileid, oder die besten Wünsche zur Hochzeit, was Du lieber hören magst, und in kritischer Verbundenheit, trotz allem

Dieter Fahrer

PS: Wenn Du glaubst, dass ich jetzt mein Abo kündigen werde, dann hast Du Dich getäuscht. So schnell wirst Du mich nicht los, doch ich begrüsse auch neue journalistische Initiativen in Bern, und ich werde sie unterstützen, so gut ich kann, denn guter Journalismus ist nie gratis, das wissen wir alle.

Diesen Text hat Dieter Fahrer zuerst auf Facebook geschrieben und dem «Bund» als Leserbrief zugestellt. Die Zeitung verzichtete aber auf eine Veröffentlichung.

Leserbeiträge

Graf Peter 27. Mai 2021, 18:09

Paul Schafroth war auch im Alltag musterhaft. Ich hatte zweimal von einem Kinobesitzer sofortiges Kinoverbot in seinen Sälen, da ihm meine Kritiken nicht gefielen. Paul Schafroth rief den Kinobesitzer eigenhändig an und sagte ihm, mit der Gratiswerbung für seine Filme sei es so lange vorbei, bis ich wieder in seine Filme gehen und diese besprechen könne.

Peter Graf, Filmkritiker z.Zt. von Rolf Mühlemann und Eduard Schneider